Vor Libyen herrscht vor allem eine große Verlogenheit

Es ist lange her, dass die Römer gut organisierte und ausgerüstete Piraten im Mittelmeer mit regulären Truppen bekriegten. Heute wird die EU mit einem undurchsichtigen Netz von Schleppern nicht fertig.

© Getty Images

Mit einer Mischung aus Faszination und Grusel verfolgen die Medien diese merkwürdige Fahrt der C-Star mit ihren für sie gruseligen Besatzungsmitgliedern vom Stamme der Identitären Bewegung. Wenn es nur möglich gewesen wäre, hätten sie die wahrscheinlich im Wikingerboot von Haithabu aus gestartet. So begann die Fahrt zunächst im afrikanischen Dschibuti ohne Donars Söhne – dafür mit zwanzig Tamilen an Bord.

Ein deutsches Filmteam soll für die aufregendsten Bilder sogar schon einen Hubschrauber gechartert haben, um über dem Schiff zu kreisen. Aktuell befindet sich die C-Star auf Höhe der griechischen Insel Kreta. Identitärenchef Martin Sellner ist dort über Handy erreichbar.

NGOs im rechtsfreien Raum

Fast zeitgleich melden italienische Nachrichtenagenturen, die meisten der maßgeblichen Nichtregierungsorganisationen (NGO’s), deren Schiffe vor der libyschen Küste cruisen, würden sich weigern, einen Verhaltenskodex für private Seenotretter zu unterschreiben, der Ihnen von der italienischen Regierung allerdings verbindlich vorgelegt wurde. Tommaso Fabbri, Vorsitzender der Organisation Ärzte ohne Grenzen äußerst sich dazu stellvertretend für ähnlich lautende Aussagen weiterer NGO’s: „Wir werden unsere Rettungseinsätze ohne Änderungen fortführen.“

Es geht um ein Geschäftsmodell: Derzeit greifen die „Retter“ ihre durch das Versprechen der  „Rettung“ auf das Meer gelockten Kunden unmittelbar an der Küste auf und bringen sie ein kurzes Stück zu großen italienischen Schiffen, die dann den eigentlichen langen Transportweg nach Lampedusa durchführen. Müßten, wie von Italien geplant, die „Rettungssschiffe“ diesen Weg selbst zurücklegen, könnten sie weniger Menschen „retten“. Aber das Spendenaufkommen wird nicht nach Seemeilen motiviert, sondern über gerettete Menschen. Also lieber viele Flüchtlinge über kurze Distanzen retten, das bringt mehr als einige Wenige den weiten Weg nach Italien zu verschiffen. Die Rettungshelfer brauchen den „Pullfaktor“, um ihre Aufgabe zu rechtfertigen. Nicht wenige Flüchtlinge über lange Distanzen brauchen sie, sondern möglichst viele über kurze Distanzen vor der Küste, um im Body-Count Mitleidspunkte in Spenden umzusetzen.

Die Begriffe der Stunde rund um die Migrationswelle über das Mittelmeer lauten Push-and-Pull-Faktoren. Push-Faktoren sind die schlechte Lebensbedingungen in den afrikanischen Herkunftsländer  – sie bewirken Abwanderung. Pull-Faktoren sind Nachrichten von einem funktionierenden Einreisesystem nach Europa – sie bewirken Zuwanderung.

Frontex hatte sich bereits weit von der libyschen Küste zurückgezogen, um diesen Pull-Faktor einzudämmen. Zuvor wurden noch etliche der größeren alten Schlepperkähne zerstört. Nun haben längst die NGO-Schiffe die Lücke geschlossen. Sie stellen das Transportmittel dar, das zuvor durchbrochen wurden. Der Verhaltenskodex aus Rom war demnach nur ein lauer Versuch, diese Lücke in der Logistikkette der Schlepper zaghaft wieder zu öffnen um sie offen zu lassen.

Nun fühlen sich die NGO’s kriminalisiert, weil Italien verlangt hatte, die Ortungsgeräte dürfen nicht abgeschaltet werden und die NGO’s dürften nicht mit Schleppern kommunizieren. Beides würde man aber nicht tun, schimpften die NGO’s. Allerdings spricht doch einiges dafür, wenn man beispielsweise Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka glauben will, der den NGO’s vorwarf, mit Schleuserbanden zu kooperieren.

Rechtsfreier Raum?
Seeschlacht im Mittelmeer
Und was die ausgeschalteten Ortungssysteme angeht, hatte ZEIT Online die Positionen aller Schiffe der Hilfsorganisationen über zwei Wochen lang genau beobachtet und Lücken in den Funksignalen nachgewiesen. „Manchmal senden die Schiffe für viele Stunden kein Positionssignal.“ Allerdings: Schuld hierfür könne auch eine fehlende Verbindung sein oder eine Schlechtwetterlage. ZEIT Online will auch herausgefunden haben, dass selbst die von ihnen beobachteten Fahrten in libysches Hoheitsgebiet mit den staatlichen Stellen in Italien abgestimmt gewesen seien. Institutionen, welche die Hauptlast der Rettungsmissionen tragen. Tatsächlich koordiniert die Seenotrettungsleitstelle MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) von Rom aus auch die Schiffe der privaten Organisationen. Einfach deshalb, weil sie es rechtlich muss. Das Seerecht kennt moderne Flüchtlingslogistik nicht.

Diese Undurchsichtigkeit ist es, die Martin Sellner und Co. auf dem Plan brachte. Der 28-Jährige gibt sich am Telefon gut gelaunt. Ein unfreiwilliger Stopp in Kairo und auf Zypern konnte überwunden werden, ebenso gelang die Verbringung der in Italien wartenden Crew bei einer Nacht- und Nebelaktion auf das Schiff. Aber was wollen diese argwöhnisch beobachteten jungen Männer mit ihrer immer wieder betonten teilweise „rechtsradikalen“ Vergangenheit wirklich, außer medialer Aufmerksamkeit? Klar ist: Sie haben dazu beigetragen haben, dass die Öffentlichkeit sich kritischer mit den NGOs auseinandersetzt statt nur Geld an die vermeintlich Guten zu überweisen. Die Tränenrührstücke offenbaren jetzt neben humanitärem Effet zunehmend ihre materielle Unterwelt.  Und wenn es nur das ist, was anschließend damit anfangen? Was ist das Ziel dieser Don-Quichote-Unternehmung?

Eine Sommer-Serie?
Einwanderung übers Mittelmeer
Sellner dekliniert am Telefon noch einmal hurtig den gesamten Konflikt dieser zweiten Zuwanderungswelle. Die Verwerfungen in Afrika, die Perspektivlosigkeit, den Push-Faktor eben. Ein Hauptziel sei es, weitere Akteure zu animieren, Europa vor der Küste Libyens zu verteidigen, wenn es niemand anders täte. „Defend Europe“ eben. Außerdem wolle man die verwaisten Boote der Schlepper zerstören, bevor Fischer diese wieder aufgreifen und zurück an die Schlepper verkaufen würden. Die NGO’s würden sich nämlich bisher darauf beschränken, diese nur zu markieren.

Das große Quartett der unlösbaren Fragen dieses Konfliktes weiß aber auch Sellner ad hoc kaum zu beantworten. Das alles wäre doch eine „extrem unangenehme und perverse Situation“, befindet er noch. Entscheidend sei hier zunächst die bloße Präsenz der C-Star.

Aber schon haben NGO’s angekündigt, weitere Schiffe zu chartern und in die Gewässer vor Libyen zu entsenden, wie Ingo Werth angekündigt hatte, der zunächst für Sea watch arbeitete und nun seine eigene Organisation „Resqship“ ins Leben rief: „Das Wichtigste ist jetzt, zusätzliche Schiffe hinzubringen.“ Zu viele Menschen geraten in Seenot, zu wenige werden gerettet, erklärte er gegenüber der ZEIT.

Zusammen gegen die Bürgergesellschaft
EU und NGOs - Von Zweien, die sich gesucht und gefunden haben
Sellner schwärmt derweil am Telefon von der Sri-Lanka-Küche an Bord, wahrscheinlich ziehen schon die ersten Duftschwaden aus der Kombüse übers schmale Deck. Nun würde es noch eine Woche dauern, um von Kreta aus die libysche Küste zu erreichen und eben zu tun, was man sich vorgenommen hat, zu tun. Und wenn es nur besagte „bloße Präsenz“ sei, um die NGO’s bei ihrem Tun zu beobachten, es zu dokumentieren und öffentlich zu machen, erklärt Sellner und hat es dann eilig.

Wahrscheinlich wartet schon der nächste gruselsüchtige Reporter in der Warteschleife oder es hat einfach nur was angebissen an der ausgeworfenen Angel vor Kreta, die man aber angeblich gar nicht dabei hätte.

Und so bleibt man dann einigermaßen ratlos zurück. Man hat gerade mit dem ultimativ Bösen telefoniert, es klang aber gar nicht so. Der afrikanische Exodus ist im vollen Gange, warnte vor nicht allzu langer Zeit Bill Gates und forderte mehr Hühner für Afrika und weniger Ebola, während gleichzeitig Matrose Martin S. die Welt erklärt und dabei bis nach Eritrea schwenkt, wo seines Wissens nach schon ein Drittel der Einkünfte aus Transferleistungen stammen würden. Also Gelder, die Migranten aus Europa per Western Union oder MoneyGram „nach Hause“ senden würden und damit nicht nur die karge Selbstversorgung zum erliegen brächten, sondern gleichzeitig ein Signal senden würden an weitere Landsleute, sich auf den Weg zu machen: Junge Männer.

In der Debatte prallen humanitäres und rationales Denken aufeinander - und Ehrlichkeit fehlt.
„Mehr Flüchtlinge aufnehmen“ – und wenn ja, wie viele?
Aber ob er denn diese unfassbare Not in Afrika nicht sehen würde? Für Sellner gibt es darauf nur eine Antwort: Wenn es so wäre, dann müssten wir mit unserem humanitären Anspruch jetzt und sofort ganz Afrika evakuieren. Zuerst die Frauen und Kinder. Und so charmant er es im wienerischen Dialekt transportieren will, desto zynischer klingt es am Ende. Aber wer den Zynismus-Vorwurf erheben will, der muss Lösungen anbieten. Davon allerdings sind leider alle Beteiligten weit entfernt, während Afrika weiter Not leidet. Aktuell sind zwanzig Millionen Afrikaner akut vom Hungertod bedroht, will der Deutschlandfunk wissen. Dass von den Hungerbedrohten niemand nach Libyen kommt und übers Mittelmeer, ist eine Geschichte, die Medien meiden.

Eine humanitäre Katastrophe, gegen die letztlich auch der humanistische Imperativ der Kanzlerin machtlos ist, wenn er die Not auf dem gebeutelten Kontinent nicht am Ende sogar verstärkt. Wenn überhaupt, dann wird nur ein starkes Europa Afrika irgendwie helfen können. Wenn es von Zuwanderung finanziell erdrückt wird, werden diese Mittel nicht mehr wie bisher zur Verfügung stehen. Umso verwerflicher, wenn beispielsweise mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Mitte 2017 immer noch Protagonisten erklären, Investitionen in die Integration der Flüchtlinge würden sich für die deutsche Gesellschaft lohnen, nach fünf bis sieben Jahren würden die Zuwanderer mehr einzahlen als entnehmen, als ginge es tatsächlich darum, aus der Not anderer noch eine noch dazu völlig irrwitzige Kosten-Nutzen-Rechnung aufzumachen. Wenn das kein Zynismus – obendrein einer wider den Fakten – ist, was dann?

So lässt einen dann auch die Mail eines befreundeten linkspolitischen Protagonisten ratlos zurück, der eigentlich recht vernünftig feststellt und schreibt:

„Das Beste was wir im Westen entwickelt haben ist das: Die Würde des Menschen ist unantastbar, egal welcher Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Ausrichtung, Stand etc., Recht auf Selbstbestimmung, freie Meinungsäußerung, Demokratie und als Basis dazugehörend freie Presse. Diese Werte muss man schützen, dafür kämpfen, diskutieren und andere Ideologie, die dem zuwider laufen bloß stellen. Dazu gehören beispielsweise Islamismus und eigentlich auch schon traditioneller Islam, oder alttestamentarisches Christentum (lebt halt zum Glück niemand mehr). Dazu gehören aber auch viele rechte Ideologien und Weltanschauungen.“

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Kommentare ( 29 )

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Fritz Goergen
6 Jahre her

Werter Berggrün, ziemlich genau das sagte mir Ralf Dahrendorf Mitte der 80er mit der Auflage, für mich zu behalten, dass nach seiner Meinung in Afrika nur die zeitweise Rückkehr der Kolonialmächte helfen könne. – Und: Da es keine Staaten in Afrika wie im Nahen und Mittleren Osten gibt (Israel ausgenommen), hängt der Begriff sichere Drittstaaten dort überall im politisch luftleeren Raum.

Michel Rieke
6 Jahre her

„Die Würde des Menschen ist unantastbar, egal welcher Hautfarbe,
Religion, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Ausrichtung, Stand etc., Recht
auf Selbstbestimmung, freie Meinungsäußerung, Demokratie und als Basis
dazugehörend freie Presse.“

Eben, und genau das steht doch im Koran, man muss nur die Buchstaben richtig sortieren. Wann wachen die „Linken“ endlich auf?

nomsm
6 Jahre her

Der Pull-Faktor für die Migranten ist das üppige Sozialsystem in Deutschland gepaart mit z.T. unrealistischen Vorstellungen wie hoch der materielle Wohlstand ist und wie dieser zu erreichen ist (im Grunde genommen wie in den meisten Herkunftsstaaten auch). Die Motivation der Bejubler und Beklatscher lässt sich schwer ergründen, warum haben die BDMs dem Führer massenhaft zugejubelt? Man will halt dabei sein, bei dem was gut ist. Und die mediale Meinung war halt, dass das gut ist und wir wegen des Ausschwitzmythos dazu verpflichtet sind. Über die Gründe der politischen Elite und der Strippenzieher lässt sich spekulieren, wer aber die Äusserungen von… Mehr

Berggrün
6 Jahre her

Niemand bekommt Kinder für den Staat, aber Gebärverhalten entsteht keineswegs individuell, sondern in einem gesellschaftlichen Umfeld, das eben Fertilität antreibt oder behindert. Deutschland hatte um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts eine fast doppelt, wenn nicht dreifach so hohe Geburtenrate wie heute. Schon vor der Erfindung der Pille brach sie signifikant ein, nämlich nach dem 1. Weltkrieg, als es zu einer ersten Welle der Frauenemanzipation und als Folge der Umdeutung des weiblichen Selbstbildes kam. Gebärverweigerung entsteht daher nicht wegen Migration, sie läuft ihr aber voraus. Es besteht aber ein unmittelbares Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstbild einer Gesellschaft und ihrer Haltung… Mehr

nomsm
6 Jahre her

Afrika kann sich nur selber helfen. Die ganze Entwicklungshilfe hat diese Länder nicht entwickelt, sondern diese Staaten abhängig gemacht, sowie ihre Bürger. Die demographische Bombe ist eine direkte Folge der unverantwortlichen Entwicklungshilfe. Nur wenn diese Menschen selber für sich aufkommen, werden sie sinnvoll mit den Ressourcen umgehen und darauf achten nicht derartig viele Kinde zu gebären. Das Bildung dazu beiträgt mag stimmen, bedeutet aber nicht dass die Leute in früheren Zeiten unverantwortlich viel Kinder bekommen haben, das ging schon nicht wegen des Ressourcen.

Berggrün
6 Jahre her

Richtig. Aber wenn Sie drei Kinder gehabt hätten, hätten Sie vermutlich nie das Konstrukt einer „Rente“ gebraucht

Sagittarius A *
6 Jahre her

Die EU und die diversen NGOs haben sich scheinbar darauf geeinigt, die nahezu unüberwindbare Fahrt ÜBER das Mittelmeer, den Schiebern abzunehmen.
Erst durch Frontex und die NGOs funktioniert das System in dieser Größenordnung.

GRÜBELMONSTER
6 Jahre her

Zu „… die sie auffischen und so ihren Lebensunterhalt bestreiten…“

Das ist in der Tat skurril! Menschen lassen sich ihre humanitär verbrämte Adventure – Challenge durch Spendengelder finanzieren. So vermeidet man erfolgreich einen „ordentlichen“ (= langweiligen) Beruf ausüben zu müssen und erwirbt sich als „Retter“ gleich noch einen sexy Heldenstatus.

Früher musste man dafür in den Krieg ziehen, für die Chance als ordensgeschmückter Held ins Heimatdorf zurückkehren zu können.

Heute reicht es aus mit dem Bötchen übers Mittelmeer zu schippern und dabei bei Sonnenschein die totale moralische Überlegenheit zu erringen.

Toll!!!

BausB
6 Jahre her

Interessant, weiter NGO-Schlepperboote sollen also auslaufen. Da kommt mir doch glatt eine Idee. Man könnte sich doch als Helfer für einer der Missionen anbieten und dann als Doppeltagnet agieren. D.h. man zeichnet Gespräche heimich auf, man filmt (sofern möglich) usw…. Sobald genug Material zusammen gekommen ist, schickt man das an interessierte Verlage/Medien. oder man macht da selbst was daraus 😉

David Sohn
6 Jahre her

100% Zustimmung. Wer sagte nochmal: Wer halb Kalkutta aufnimmt der hilft nicht Kalkutta sondern der wird Kalkutta.