Ukraine: Über allem ein Propagandakrieg

Am Ende wird auch dieser Krieg wie schon viele davor nicht auf dem Schlachtfeld entschieden, was alle Beteiligten nicht davon abhält, auf dem Schlachtfeld Menschen und Material ohne Rücksicht auf Verluste einzusetzen.

IMAGO / USA TODAY Network

Das passt natürlich wie die berühmte Faust aufs Auge nach den Drohnen-Bildern auf den Kreml. Das gleich eine spannende Wende zu nennen, ist Mittel zum Zweck im Propagandakrieg, der seit einiger Zeit mehr an Fahrt gewinnt als die harten und viele Tote fordernden Kriegshandlungen in der Ukraine.

„Bereits am 6. April“, berichtet exxpress.at, „trat Wolodymyr Yatsenko im Kiewer Fernsehsender TSN auf und bot jedem ukrainischen Drohnen-Hersteller, dem es während der russischen Parade am 9. Mai gelingt, einen Angriff auf den Roten Platz in Moskau auszuführen, ein ‚Kopfgeld‘ in Höhe von umgerechnet 500.000 Euro. Der Angriff geschah zwar nicht wie gefordert am ‚Tag des Sieges‘, in den sozialen Medien wird jedoch bereits über einen ‚Probeangriff‘ diskutiert.“

Dass sich Moskau und Washington gegenseitig die Urheberschaft am Kreml-Drohnen-Ereignis zuweisen, ist wenig überraschend, Deutungen wie bei Maybrit Illner die von Ben Hodges, amerikanischer Generalleutnant a. D., auch nicht, der Anschlag in Moskau sei auf jeden Fall ein Inside-Job gegen Putin gewesen, „wirkte (doch) der Schaden zu gering, als dass es ein Mordversuch gewesen wäre, und die Russen würden sowas nicht inszenieren, weil es peinlich wäre, dass die Ukrainer bis nach Moskau durchkommen.“

Welche Erklärung nun die richtige ist, über nichts debattieren die Anhänger beider Seiten im Ukraine-Krieg lieber, obwohl sie es wie ich alle nicht wissen können.

Einen erneuten Brand in einer Öl-Raffinerie nahe der Schwarzmeer-Halbinsel Krim am Freitag meldet die russische Agentur Tass. Das Feuer in der Siedlung Ilski, wo es schon in der Nacht zum Donnerstag brannte, sei wieder die Folge eines Drohnen-Angriffs. Im Süden Russlands und auf der Krim häuften sich Anschläge auf für den russischen Krieg gegen die Ukraine wichtige Infrastruktur-Objekte. Internationale Beobachter vermuteten, dass es sich um Vorbereitungen für die erwartete ukrainische Gegenoffensive handeln könnte, meldet dpa.

Dazu passt dann, dass Wagner-Boss Prigoschin auf Telegram schreibt: „Ich glaube, dass die Offensive der ukrainischen Armee bereits begonnen hat … Wir sehen die höchste Aktivität der feindlichen Luftfahrt, wir sehen seine höchste Aktivität an der Peripherie und innerhalb unserer Front“. Jener Prigoschin, der sich, den Abzug seiner Söldner aus Bachmut ankündigend, schreiend mit dem russischen Verteidigungsminister und Generalstabschef anlegt – wohlgemerkt nicht mit Putin.

Bei ntv und anderswo wird gesagt (ein und dieselben Meldungen sind ja das Merkmal der pluralen Medienlandschaft): „In einem Online-Video droht Wagner-Chef Prigoschin mit einem Rückzug seiner Söldner aus Bachmut. Tschetschenen-Führer Kadyrow bietet sich an, die Lücke zu schließen. In Kiew sieht man unterdessen keine Anzeichen für einen baldigen Abzug der Russen aus der umkämpften Stadt.“

Wenn sich Prigoschin öffentlich so aufführt, ist mein erster Reflex: Das tut er nur in Übereinstimmung mit Putin. Das spricht bei mir für die Abteilung Tarnen und Täuschen. Wenn Prigoschin den russischen Verteidigungsminister und den Chef des Generalstabs der russischen Armee öffentlich anbrüllt, kann er das sehr gut für Putin tun: „Ihr Bastarde sitzt in teuren Clubs, eure Kinder genießen ihr Leben. Jetzt glaubt ihr, dass ihr auch die Macht über ihr Leben habt“.

Aber natürlich sind auch andere Erklärungen möglich, die diesen gar nicht widersprechen müssen. Tomas Spahn schrieb im Februar über eine Zeit nach Putin: In Russland haben sich die Warlords für die Putin-Nachfolgekämpfe längst positioniert. Ob Prigoschin, Kadyrow oder Schoigu – bereits diese drei verfügen mittlerweile über Privatarmeen, die jederzeit am regulären Militär vorbei zum Einsatz kommen können. Auch innerhalb Russlands selbst. Weshalb wiederum die Gegner eines russischen Großreichs nicht nur heimlich mit dem Gedanken spielen, dass dieses riesige Land sich selbst in eine Situation wie nach der Oktober-Usurpation von 1917 hineinmanövriert.

Was auch immer sich hinter den Kulissen abspielt, über solches in der Ukraine ist in den Medien interessanter Weise nichts zu hören, obwohl es selbstverständlich auch dort Interessen- und Personenkonflikte geben muss, eines ist jedenfalls sicher, der Propagandakrieg nimmt immer noch mehr Fahrt auf. Bei der Nachrichtenwelle über russische Verluste in Bachmut wird die Quelle US-Geheimdienste klar benannt.

Wie das ZDF berichtet t-online wie praktisch alle anderen hiesigen Medien auch: Russland habe nach Darstellung der USA in den letzten fünf Monaten bei den Kämpfen in der Region um die Stadt Bachmut und in anderen Regionen der Ukraine rund 100.000 Soldaten und Söldner durch Tod oder Verwundung verloren. Davon seien etwa 20.000 gefallen, darunter die Hälfte als Angehörige der Wagner-Gruppe, sage der für nationale Sicherheit zuständige Sprecher des Weißen Hauses, John Kirby, nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters. Kirby erklärte die russische Offensive auf Bachmut als gescheitert. Russlands Waffenvorräte und Truppen seien erschöpft, die ukrainische Verteidigung in den Gebieten um Bachmut bleibe hingegen weiterhin stark.

US-Generalstabschef Mark Milley hatte schon im November in New York von weit mehr als 100.000 getöteten oder verwundeten russischen Soldaten in den ersten acht Kriegsmonaten gesprochen und das Gleiche für die ukrainische Seite angenommen.

Ich ordne diese Nachrichten als westlichen Propagandaauftakt für die ukrainische Offensive ein, die Operation Prigoschin als russisches Ablenkungsmanöver von den eigenen Plänen.

Als „größte Geheimdienst-Schmach seit den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden“ wurden wochenlang hoch geheime US-Dokumente über den Ukraine-Krieg gehandelt, die über Jack Teixeira, alias ‚OG‘ in der Chatgruppe ‚Thug Shaker Central‘ auf der App ‚Discord‘ der Welt der Geheimdienste öffentlich geworden sein sollen. Ob das so war oder nicht oder auch ein Stück im Propagandakrieg, kann ich nicht beurteilen. Soweit es so etwas wie Vertrauen zwischen Biden und Selenskyj und den Geheimdiensten ihrer Länder gäbe, sei dieses dadurch nicht besser geworden, schreiben etliche Medien, aber es kann sich natürlich auch um eine koordinierte Veranstaltung handeln. Dass die Informationen in den Geheimpapieren daher stammen müssen, dass die USA nicht nur die russische, sondern auch die ukrainische Regierung abhören und ausforschen, versteht sich. Aber wen soll das überraschen, was „unter Freunden“ nicht gehe. Regierungen und Staaten und ihre Anführer sind mit keinen anderen „befreundet“.

Für den ukrainischen Präsidenten seien die Leaks eine „TV-Show“, die einige Leute interessieren würde, aber am Ende nur Russlands Diktator Wladimir Putin helfe, wird medial kolportiert. Selenskyj wolle sich auch nicht dazu äußern, ob die Dokumente echt, gefälscht oder auch nur sensibel sind: „Wenn ich Ihnen diese Frage beantworte, beutetet das, dass es sensibel ist und es echte Dokumente sind. Hören Sie bitte auf, mit mir Spiele zu spielen. Ich bin der Präsident eines Landes, das sich im Krieg befindet.“

Auch das ordne ich dem Propagandakrieg zu, den Selenskyj nun nach seinen vielen virtuellen Auftritten an vielen Plätzen in physische Auftritte seiner Reisepropaganda verwandelt hat. Vorläufiger Höhepunkt ist für mich sein Statement vor dem sogenannten „Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“. Hier ist nicht der Ort zu begründen, warum ich diesen „Gerichtshof“ ebenso wenig für ein Gericht im Sinne von legitimierter Rechtsprechung halte wie den „Gerichtshof der EU“. Ich weiß nicht, wie das mit Ihnen ist, aber mir ist kein tatsächliches Gericht bekannt, vor dem einer wie Selenskyj vor Erhebung einer Klage als potenzieller Kläger schon mal den Richtern erläutern durfte, wie er sich das Urteil vorstellt. Aber im Propagandakrieg ist natürlich alles erlaubt, was der Propaganda helfen könnte.

Heute melden die Einheitsmeinungsmedien wie t-online:

„Die EU-Staaten haben sich auf den gemeinsamen Kauf von Munition für die Ukraine geeinigt. Laut einer Mitteilung des EU-Rates sollen vor allem Artilleriegranaten des Kalibers 155 Millimetern im Wert von einer Milliarde Euro gekauft werden. Auf Wunsch der Ukraine ist auch der Kauf von zusätzlichen Raketen möglich.
‚Die ukrainischen Streitkräfte benötigen erhebliche Mengen an Munition, um das ukrainische Volk und sein Territorium zu verteidigen. Sie brauchen sie schnell‘, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zu der Einigung. Wann die Munition geliefert wird, ging aus der Mitteilung allerdings nicht hervor.
Die EU-Staaten hatten sich im März darauf geeinigt, in einem gemeinsamen Kauf insgesamt der Ukraine eine Million Artilleriegeschosse zur Verfügung zu stellen. Die Munition sollte innerhalb der kommenden zwölf Monate geliefert werden. In der Ukraine wurde daraufhin bemängelt, dass die Munition sofort benötigt werde.“

Der Propagandakrieg funktioniert für die Ukraine auf der Beschaffungsseite – weiter nach der Formel von Tomas Spahn von der Ukraine, die nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf.

Christian Wehrschütz, ORF, berichtete dieser Tage:

„Der Krieg in der Ukraine ist auch der erste Krieg, bei dem Drohnen in derart umfassender Weise auf beiden Seiten zum Einsatz kommen. Zu Beginn hatten die Ukrainer durch türkische Kampfdrohnen die Nase vorn, doch seit einigen Monaten setzt Russland nun ganz massiv auch auf iranische Kamikaze-Drohnen, die den ukrainischen Streitkräften spürbare Verluste zufügen. Da will Kiew aufholen; ein Spendenprogramm wurde gestartet, das bereits erste Erfolge zeitigt …“

Vor kurzem schrieb ich auch aus Anlass einer Einschätzung von Wehrschütz über die Perspektiven von Verhandlungsergebnissen im Ukraine-Konflikt:

„Kiew verzichtet nicht auf Krim und Donbas, Moskau gibt den Weg nicht frei für den Weg der Ukraine in EU und Nato. Aber ein Waffenstillstand der Respektierung der faktischen Machtverhältnisse im Osten der Ukraine kommt zustande. Das wäre dann ein Zustand, der lange, sehr lange auf dem Papier existieren kann, während sehr bald Kämpfe wieder einsetzen würden, die lokal begrenzt stattfinden, ohne die große Lage zu verändern, aber auch ohne aufzuhören.

Mit einem solchen Zustand könnten jene in den USA, die auf den inneren Zerfall von Putins Macht hoffen, und die Machthaber in Peking, die ihre Kreise bei der stillen Ausbreitung des chinesischen Einflusses in der Welt nicht gestört sehen wollen, gleichermaßen gut leben und das sehr lange. Ich richte mich darauf ein, dass der Krieg in der Ukraine oder was an seine Stelle tritt, so wie die vielen anderen Konfliktherde in dieser Welt eher Bestand haben als durch klare Verhältnisse beendet werden wird.“

Die Frage bleibt, welche Seite den Abnutzungskrieg länger aushalten kann. Was zurzeit an Informationen öffentlich zugänglich ist, erlaubt keine überzeugende Antwort auf diese entscheidende Frage. Von einer massiven Stärkung der ukrainischen Armee durch Ausrüstung und die einjährig vorlaufende Ausbildung von Piloten und der dazugehörigen Einrichtung der Infrastruktur mit westlichen Kampfjets und anderen modernen Waffen ist nichts zu hören.

Am Ende wird auch dieser Krieg wie schon viele davor nicht auf dem Schlachtfeld entschieden, was alle Beteiligten nicht davon abhält, auf dem Schlachtfeld Menschen und Material ohne Rücksicht auf Verluste einzusetzen – und bitte nicht vergessen: Beim Ukraine-Krieg ist es in einem entscheidenden Punkt nicht anders, als es beim Krieg gegen Corona war und beim Krieg gegen den („menschengemachten“) Klimawandel ist: Auf dem Rücken der Gutgläubigen lassen sich unglaubliche Gewinne machen – von Kriegsgewinnlern fern der Schlachtfelder.

Ich richte mich weiter darauf ein, dass der Krieg in der Ukraine oder was an seine Stelle tritt, so wie die vielen anderen Konfliktherde in dieser Welt, eher Bestand haben als durch klare Verhältnisse beendet werden wird.

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