Entschieden wird weder in Moskau noch in Kiew

Wem wäre es nicht aufgefallen? Die Häufigkeit von Nachrichten über die Ukraine hat deutlich abgenommen. Der Gewöhnungsprozess der veröffentlichten Meinung wie der öffentlichen Aufmerksamkeit ist leise, aber anhaltend im Gange.

Screenprint ORF

Heute früh lief über die Ticker: „Ukriane hält chinesische Vermittlung für möglich“ (dts Nachrichtenagentur): Der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk hält im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine friedensstiftende Vermittler-Rolle Chinas für möglich. Das sei „nicht unrealistisch“, sagte der Diplomat den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Sonntagausgaben). Die Chinesen würden natürlich ihre eigenen Interessen verfolgen.

Melnyk: „Ich glaube aber schon, dass eine gerechte friedliche Lösung und das Ende der Kampfhandlungen den Interessen Pekings mehr entsprechen als dieses gewaltige nicht enden wollende Erdbeben für die gesamte Weltordnung.“ Das Telefonat des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping bewertete er als „großen Schritt nach vorne, um unsere Beziehungen zu China zu stärken und die russische Aggression zu beenden“. Für die Ukraine sei allerdings „der Abzug aller russischen Truppen aus den besetzten Gebieten eine conditio sine qua non“, da liege der Teufel im Detail.

„Eine Ukraine, die nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf“, der Titel eines Beitrags von Tomas Spahn beschreibt meiner Meinung nach den wahrscheinlichen Fortgang in der Ukraine. Eine Ukraine, in deren Osten der Krieg weitergeht, und in deren größerem Teil fast Normalität einkehrt, würde sich einreihen unter Ländern wie Syrien, wo Reste des IS und innersyrische Oppositionsgruppen, unterstützt aus Moskau, Washington, Teheran und Ankara sich weiter bekriegen, während Damaskus bei Kennern als Untergrund-Party-Szene gilt. Kriege, Bürgerkriege, Bandenkriege, „bewaffnete Konflikte“ kennzeichen das Leben in fast 30 Staaten der Erde.

Wem wäre es nicht aufgefallen? Die Häufigkeit von Nachrichten über die Ukraine hat deutlich abgenommen. Der Gewöhnungsprozess in der veröffentlichten Meinung wie auch der öffentlichen Aufmerksamkeit ist leise, aber anhaltend im Gange.

Die letzte Information über die weniger laufende Propaganda hinaus, die ich als wesentlich wahrnahm, war eine von Christian Wehrschütz, ORF. Auf die rührend naive Frage der ORF-Frau, man spräche ja schon lange von der Frühjahrsoffensive der Ukraine, aber warum nur dauere das so lang, sagte Kenner Wehrschütz milde lächelnd, das dürfe man sich nicht so vorstellen, dass sich da jemand drei Leute schnappt, in einen Panzer setzt und losfährt:

Da ginge es um die Organisation des Einsatzes von geschätzt 70.000 Soldaten, darum dass die ganze Sache funktioniert. Man rechne damit, dass ein kämpfender Soldat acht Mann hinter sich braucht, um die Logistik sicher zu stellen, vom Nachschub, den Panzern, den Ersatzteilen, das sei etwas, was lange dauere und außerdem stünde extrem viel auf dem Spiel. Diese Offensive sei das entscheidenste militärische Ereignis in diesem ganzen Krieg. Man dürfe nicht vergessen, wie viel der Westen in diesen Krieg investiert habe. Bringe die Ukraine diese Offensive nicht zum Durchbruch, könne sie die Russen nicht massiv zurückdrängen, werde es eine weitere Chance kaum geben und würde der Druck des Westens auf Friedensverhandlungen massiv steigen. Die „Chance auf einen zweiten Schuss“ dürfte die Ukraine kaum haben. Daher stehe wirklich extrem viel für dieses Land auf dem Spiel, es werde wahrscheinlich um einen großen Überraschungseffekt gehen, den man einsetzen will. Die Russen hätten sich massiv eingegraben, von einer Dichte von 25 Kilometern ist die Rede, man werde sehen, wo man ansetzt, aber das werde in diesem Krieg wahrscheinlich die entscheidende Schlacht.

Wie richtig Wehrschütz mit seiner Einschätzung liegt, bestätigte heute eine aktuelle Meldung (dts Nachrichtenagentur):

Andrij Melnyk, ehemaliger Botschafter der Ukraine in Deutschland, hat den Erwartungsdruck der Verbündeten an der geplanten Gegenoffensive scharf kritisiert. Den Ukrainern werde der Eindruck vermittelt, sie hätten „nur diesen einen Schuss und wären gezwungen, zu verhandeln, wenn es missglückt“, sagte Melnyk den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Den sofortigen Erfolg als Vorbedingung für weitere Unterstützung unserer Partner herbeizuwünschen, ist zynisch und ungerecht.“

Militärhilfe sei nur „in Portiönchen“ gewährt worden, aber „man erwartet von uns gleich einen großen Wurf, einen prompten Triumph“. Das ärgert ihn sehr, so der Diplomat. Es mache ihn „nachdenklich und wütend“, dass die Ukraine mit diesem Erfolgsdruck in eine Ecke gedrängt werde. Ein erster Erfolg wäre die Gegenoffensive schon, „wenn wir die Russen in bestimmten Bereichen viele Kilometer zurückdrängen könnten“.

Tomas Spahn schrieb in seinem oben genannten Beitrag Anfang Februar des Jahres: „Der ukrainische Verzicht auf die Krim scheint dabei im Westen längst ausgemacht. Auch der Donbas und die russische Landbrücke zur Schwarzmeerhalbinsel soll die Ukraine für einen Frieden mit Russland opfern, wenn sie dafür dann in NATO und EU unterschlüpfen darf.“

Auch andere Kundige halten das für eine realistische Möglichkeit, mir scheint eine abgespeckte Version wahrsacheinlicher: Kiew verzichtet nicht auf Krim und Donbas, Moskau gibt den Weg nicht frei für den Weg der Ukraine in EU und Nato. Aber ein Waffenstillstand der Respektierung der faktischen Machtverhältnisse im Osten der Ukraine kommt zustande. Das wäre dann ein Zustand, der lange, sehr lange auf dem Papier existieren kann, während sehr bald Kämpfe wieder einsetzen würden, die lokal begrenzt stattfinden, ohne die große Lage zu verändern, aber auch ohne aufzuhören.

Mit einem solchen Zustand könnten jene in den USA, die auf den inneren Zerfall von Putins Macht hoffen, und die Machthaber in Peking, die ihre Kreise bei der stillen Ausbreitung des chinesischen Einflusses in der Welt nicht gestört sehen wollen, gleichermaßen gut leben und das sehr lange. Ich richte mich darauf ein, dass der Krieg in der Ukraine oder was an seine Stelle tritt, so wie die vielen anderen Konfliktherde in dieser Welt eher Bestand haben als durch klare Verhältnisse beendet werden wird.

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Kommentare ( 51 )

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the NSA
11 Monate her

Lord Hastings Lionel Ismay was NATO’s first Secretary General, … was created to “keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down.” …

the NSA
11 Monate her

Ein Interview mit Herrn M. ? In TE. Haben die Deutschen vergessen, welcher unverschaemte Typ dieser M war ? Lassen sich herum kommandieren, vom aermsten und korruptesten Land in Europa ? Unverstaendlich. Um uebr. wird die Entscheidung eben in Washington und Moscow zuallererst getroffen.  Nicht in Kiev. Die Hunde bellen, die Karavanne zieht vorbei (Arabisches Sprichtwort) China hat eine wichtige Rolle, aber es bildet sich eine Cohort von bald 30 Staaten, darunter die groessten der Welt (Brazil, India, South Africa, Indonesia, Turkey, Egypt, Nigeria, Mexico (!), Argentina, Iran, Kazaksthan, u.a.), welche ein schnelles Ende des Krieges wollen und Verhandlungen ueber… Mehr

Phil
11 Monate her

Der Ukraine geht langsam das Material für die Flugabwehr aus, ohne dieses ist eine Offensive nicht zu bewerkstelligen. In der Ukraine ist es momentan so, dass Männer im Alter von 18-60 Jahre das Land nicht mehr verlassen dürfen und zum Krieg eingezogen werden können. Es ist bei einer Offensive fraglich welche Bedrohung von Ukrainischen Soldaten ausgeht, welche im Alter zwischen 50 und 60 an die Front müssen. Zahlenmässig müsste die Ukrainische Armee, wollte sie eine erfolgreiche Offensive starten, den Russen um mindestens Faktor 3 überlegen sein, da diese ihre Stellungen befestigt haben. Die Ukraine hat die selben demographischen Probleme wie… Mehr

Deutscher
11 Monate her

Die Russen wollen gar nicht „ernst machen“. Ihr strategisches Ziel ist lediglich, die Ukraine an den Verhandlungstisch zu zwingen, wo Moskau die besseren Karten haben wird.

Es gibt keinen siegreichen Ausweg für die Ukraine und den Westen. Die strategische Position der Russen ist praktisch unanfechtbar die bessere und da helfen auch keine Leos.

Die Russen sind nicht umsonst ein Volk von Schachweltmeistern. Sie siegen noch bevor sie den ersten Zug tun.

Last edited 11 Monate her by Deutscher
Deutscher
11 Monate her

Schön, zu sehen, dass Herr Melnyk auch ganz nüchterne, sachliche Töne anschlagen kann. Aber China ist eben ein ernstzunehmender Player, deswegen verhält sich Melnyk respektvoll und achtet die diplomatischen Umgangsformen.

Gegenüber dem unterwürfigen Deutschland und seinen feigen, selbstverleugnenden und masochistischen Repräsentanten ist das nicht nötig: Melnyk weiß, dass er diesen Würdelosen jederzeit auf den Kopf scheißen kann und sie sich dann auch noch artig dafür bedanken werden. Dementsprechend geht er mit ihnen um.

Last edited 11 Monate her by Deutscher
Freigeistiger
11 Monate her

Ein Scheitern der angekündigten ukrainischen Offensive könnte von den USA zum Anlaß genommen werden, Kiew zu Friedensverhandlungen zu drängen. Selenskyj bleibt dann nichts anderes übrig, als zu verhandeln und realistische Kompromisse einzugehen. Dazu wird es allerdings wohl nur dann kommen, wenn sich in Washington die moderaten Kräfte (auch in der Militärführung) gegenüber den aggressiven Neocons und Straussianern in der Regierung (Blinken, Sullivan, Nuland) durchsetzen. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht, denn die Ziele der Neocons (Rückeroberung von Donbas und Krim, massive Schwächung Russlands, Sturz Putins, Aufteilung des Landes) erweisen sich als zunehmend unrealistisch. Der fortdauernde Konflikt hat im Gegenteil geopolitische… Mehr

Thomas
11 Monate her

Mit der Rolle als Mittler in dem Konflikt nimmt China Einfluss auf die zukünftige Friedensordnung in Europa. Ein weiteres deutliches Zeichen für den Aufstieg des Drachen. Was wird geschehen wenn die Masse der Deutschen begreift, daß mit der erzwungenen Trennung von Russland (und bald China wenn es nach den USA und den Grünen geht) die deutsche Industrie und damit der Wohlstand zerstört wurde? Schon lange zeichnen sich Risse in der Nato Allianz ab und wenn die Grünen in Deutschland bald marginalisiert werden, könnte der Griff der USA auf Deutschland schwächer werden, zumal das antirussische Polen der neue Liebling der USA… Mehr

DELO
11 Monate her

Ob sich die ukrainische Frühjahrsoffensive nicht als bloßer Bluff herausstellt, wird sich noch zeigen. Zum einen dämmert es langsam dem Ami, daß er da in ein Faß ohne Boden investiert und das mit großem Undank seitens der Unterstützten. Und andererseits dämmert es nun langsam auch den ukrainischen Großmäulern, daß das ihr letzter Schuß wird, der noch lange nicht zum Sieg führen muß und der auch zur riesigen Blamage für die Ukraine werden könnte. Erzielen nämlich die westlichen Waffensysteme in den Händen der Ukrainer mit ihrem Schnellbesohlungskursen nicht den durchschlagenden Erfolg, der immer wieder propagiert wird, ist der Donbas und die… Mehr

Deutscher
11 Monate her
Antworten an  DELO

Das Offensivchen wird so wirkungslos verpuffen wie alle anderen zuvor. Die Russen weichen aus, das Offensivchen läuft ins Leere. Für die Russen ist der temporäre Rückzug nichts weiter als eine Pause. Sie regenerieren ihre Kräfte, planen, ordnen und kehren zurück, sobald das ukrainische Übermütchen abgekühlt ist. Russland hat immer gewusst, wo seine größten strategischen Vorteile liegen und wie man diese gnadenlos ausspielt. Deswegen haben sich schon ganz andere Kaliber als der drittklassige Schauspieler und Playboy Selenski an Russland die Zähne ausgebissen. Die Ukraine kann keine militärische Entscheidung zu ihren Gunsten erzwingen. Es ist ein lächerlicher Zwergenaufstand. Russland lässt sie einfach… Mehr

Last edited 11 Monate her by Deutscher
LiKoDe
11 Monate her

Wie es kommen wird in der Ukraine, lässt sich nicht so gut abschätzen, ausser man unterstellt, dass die Ultranationalisten der Ukraine in einer zunehmend entvölkerten Ukraine – massiv und dauerhaft unterstützt durch westlichen Staaten – auf ewig an der Macht blieben.

Annäherungen der ukrainischen Ultranationalisten an ebenso kriegswillige Polen machen jedoch einen Anschluss der Westukraine an Polen möglich, dann wäre der übergrosse Teil Ukraine automatisch in der EU und in der Nato, ohne dass die Russische Föderation als auch die EU oder die Nato dagegen ernsthaft etwas unternehmen könnten.

the NSA
11 Monate her
Antworten an  LiKoDe

Die Polen haben das ja schon im Juni 2022 gesagt, ihre Planungen dafuer liegen aber bereits vor im Jahre 2009…….

abel
11 Monate her

Am Ende wurde auf beiden Seiten sehr viel Blut vergossen, sehr viel Geld verbrannt und es gab auch ein paar wenige die sehr viel Geld mit dem Leid verdient haben. Ich denke persönlich es geht jetzt schon um die prächtigen Einnahmen nach dem Krieg. Dabei werden die Chinesen und die Amis die großen Gewinner sein.