Korruption in EU: Von den dunklen Zirkeln der Macht, die Eva Kaili blass aussehen lassen

In einer arte-Reportage wird der Qatargate-Skandal zum großen Theater aufgeblasen. Doch in den Kulissen passiert hier noch so einiges. Die Verteidigungslinie der Beschuldigten Eva Kaili, ehemals Vizepräsidentin des EU-Parlaments, hat es in sich. Verborgene Zirkel „auf höchster Ebene“ beschließen demnach eine EU-Politik, der alle anderen nur noch folgen müssen.

IMAGO

Der deutsch-französische Kulturkanal arte versteht sich als „europäischer“ Sender. Insofern ist es nur konsequent, wenn sich die politischen Programmslots der Kritik an der EU-Politik zuwenden, die in den übrigen Medien zu kurz kommt. Auch arte kommt dieser Aufgabe freilich nicht vorrangig nach. Aber am Dienstag, der gewöhnlich der politischen Reportage gewidmet ist, war es so. Häufig sind die gezeigten Dokumentationen nicht allzu ausgewogen. Linke Perspektiven dominieren, auch radikal-linke Positionen sind wohlgelitten. Darum ging es an diesem Abend nicht vordringlich, aber die Verteilung der Rollen war dennoch eindeutig, ja melodramatisch. Eva Kaili durfte sich als verfolgte Unschuld inszenieren, die aber dennoch Zähne zeigen und einige EU-Geheimnisse ausplaudern konnte. Daneben waren besetzt: der zwielichtige Kampfgenosse, der wendige Vamp, die Weise vom Berge und natürlich auch einige sehr von sich überzeugte Anwälte.

Und dann waren da noch die eindeutig Guten. Zu ihnen gehört in diesem Spiel natürlich Nicholas Aiossa, Direktor von „Transparency International EU“ – einer NGO, die sich so finanziert wie die meisten ihrer Art. Die höchste Spendensumme der letzten Jahre (über 600.000 Euro) kam von den Open Society Foundations, jenem bekannten Netzwerk, das auf dem Vermögen von George Soros aufgebaut wurde. Andere Geldgeber sind der Sigrid Rausing Charitable Trust (mit 450.000 Euro) und die Adessium Foundation (mit 495.000 Euro) des niederländischen Rohstoffhändlers Gerard van Vliet, der auch die Faktenfälscher von Correctiv finanziert hat.

Transparency International EU ist also durch seine Geldgeber als Finger des internationalen Milliardärs-Influencertums erkennbar. Auch Daniel Freund war in der Vergangenheit bei der NGO, bis er selbst zum EU-Abgeordneten wurde, also auf die Gegenseite der zu Kontrollierenden wechselte. Das muss noch nicht als schlimm oder korrupt gelten, lohnt aber zu wissen.

Grüner EU-Politiker: Einflussnahme ist okay, Showdown nicht

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Der heutige EU-Abgeordnete Freund (Grüne) findet es „okay“, dass es Einflussnahme, Bestechung und Geldzahlungen gibt. Das erstaunt dann doch, ist aber vielleicht auch einfach ungeschickt geschnitten. Nicht okay sei hingegen der „Showdown“ des Ganzen, mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit wie in einer „Netflix-Drogendealer-Serie“, wobei plötzlich alle EU-Parlamentarier im Verdacht stehen. Vermutlich enthüllen die Worte des Abgeordneten Freund dann doch, wie Politiker es wahrnehmen, wenn ein Skandal öffentlich wird. Da geht es weniger um reale Verfehlungen und mehr darum, wie sie präsentiert werden und erscheinen. Der Spin ist alles, und der war in diesem Fall leider nicht mehr zu retten. Das, so scheint Freund uns zu sagen, war das wirklich Schlimme an diesem Korruptionsskandal, dass er die Convenancen verletzte und den guten Eindruck störte. „Wir tragen alle in der Öffentlichkeit irgendwie Mitschuld, wir sind Teil eines korrupten Systems, schlimmer kann’s ja nicht kommen.“

Die parteilose Ex-Journalistin und EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly (als Weise vom Berge) erinnert an das Klischee von der EU als „Leuchtturm der Hoffnung“, will es aber auch ernst nehmen. „Europa“, also die EU, müsse den höchsten Ansprüchen genügen. Für die französische Journalistin Elisa Braun (Politico) macht Qatargate deutlich, wie das EU-Parlament funktioniert und wie es von anderen Staaten beeinflusst wird.

Die Grunderzählung ist schnell erzählt: Gewerkschaftsfunktionär Pier-Antonio Panzeri (ehemals beim italienischen PD und daher Mitglied der EU-Fraktion S&D, 2004–2019) schaffte es ohne große Fremdsprachenkenntnisse in den Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments und wurde dort später zum Leiter der Delegation für Nordafrika und den Maghreb. Panzeri hatte bekanntermaßen beste Kontakte zum marokkanischen König. Die Doku munkelt uns nun zu, es könnte auch Kontakte zum Chef des marokkanischen Auslandsgeheimdienstes Yassine Mansouri gegeben haben. Aber auch das würde wohl nur die guten Beziehungen Panzeris zum König unterstreichen. Daneben gab es exzellente Beziehungen nach Katar, wohin etwa auch Kaili zu Gesprächen auf höchster Ebene reiste. Im Parlament hielt Kaili flammende Reden für den Fortschritt in dem Emirat, in den Ausschüssen scheint sie das Wahlverhalten „beobachtet“ zu haben.

Jedenfalls gerieten Panzeri und sein Brüsseler Polit-Netzwerk aus Abgeordneten und Assistenten letzten Endes ins Visier von fünf Geheimdiensten. Einer davon schrieb schließlich im Frühjahr 2022 an die belgischen Kollegen, was zur Überwachung von Panzeri & Co. durch belgische Dienst führte. Spione durchsuchten Panzeris Wohnung und fanden 700.000 Euro in bar, das sie aber an Ort und Stelle belassen mussten. Der Fall ging an die Staatsanwaltschaft.

Unschuldsmärchen rund um NGOs

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Wir lernen auch Niccolò Figà-Talamanca kennen, einen engen Vertrauten Panzeris, den zwielichtigen Genossen, der aber wie alle anderen seine Unschuld beteuert. Gemeinsam gründen die beiden Italiener die NGO mit dem ironischen Namen „Fight Impunity“ („Straflosigkeit bekämpfen“). Noch ironischer war nur der angebliche Zweck der Organisation, mit der man angeblich die ungerechtfertigte Einflussnahme mächtiger und reicher Akteure weltweit bekämpfen wollte. Auch die Doku kommt zum Schluss: All das klingt heute „fast wie Hohn“, Fight Impunity sei eine Geldwaschanlage gewesen, hätte also die Einflussnahme bestimmter Personen mit Reichtum und Macht in der EU erleichtert, anstatt sie zu erschweren. Und die Straflosigkeit gilt als leitendes Prinzip von EU-Institutionen, die nicht vernünftig kontrollierbar scheinen. Auch auf Qatargate folgten praktisch nur unverbindliche Resolutionen.

Inzwischen widmet sich Talamanca ganz der Arbeit in seiner eigenen NGO: „No Peace without Justice“. Eine Parole, die während der BLM-Unruhen in den USA bekannt wurde und genauso trügerisch sein dürfte wie der Name der Panzeri-NGO. Auch hier geht es wieder um allerlei benachteiligte Weltregionen: Drogenkriege auf den Philippinen, Menschenrechtsverletzungen in Syrien u.ä.m. http://www.npwj.org Mehr als eine Million Euro an EU-Mitteln im Jahr fließen der Organisation zu. Mit von der Partie auch wieder die linke Ikone Emma Bonino, die schon im Beirat von „Fight Impunity“ aufgefallen war, bevor sie sich distanzierte.

Rührend erscheint die Annahme des Politico-Schreibers Eddy Wax, im Falle von Qatargate wäre katarisches Geld durch NGOs geschleust worden, die „davon vielleicht gar nichts wussten“. Das sei eine Anstrengung gewesen, die ganze Angelegenheit etwas „sauberer“ aussehen zu lassen. Der schon genannte Aiossa, Direktor jener Anti-Korruptions-NGO „Transparency International EU“, versteht nicht, warum die Katarer Panzeri und Kaili-Ehemann Francesco Giorgi in einem Brüsseler Luxushotel buchstäblich Koffer mit Geld überreichten. Es gebe doch einfachere Wege, um Geld zu waschen. Irgendeinen Grund müssen die Manöver aber wohl gehabt haben.

Was wollte nun Katar von dem EU-Zirkel mächtiger Sozialdemokraten? Die hohe Zahl der Todesfälle unter Gastarbeitern im Vorfeld der Fußball-WM verschleiern und für gutes Klima sorgen? Vielleicht. Eher noch dürfte es aber um eine generelle Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zur EU gegangen sein. Der Golfstaat ist auch nach dem Skandal nicht wirklich in die Defensive geraten. Im Februar stieg das Emirat mit zehn Milliarden Euro in mehrere Schlüsselbereiche der französischen Wirtschaft ein – darunter Firmen aus den Bereichen Energiewende, Halbleiter, Luft- und Raumfahrt, künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Gesundheit, Gastgewerbe sowie Kultur- und Kreativwirtschaft, eingeschlossen mehrere bedeutende Modemarken. Qatargate scheint Katar nicht viel geschadet zu haben.

Maria Arena: Frau mit besonderen Fähigkeiten

Korruptionsskandal
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Es geht dann von den dunklen Kanälen des Geldes schrittweise ins helle Licht der EU-Gremien. Wir sehen, wie Panzeri die Arbeit im Menschenrechtsausschuss (DROI) des EU-Parlaments erst selbst, dann mit Hilfe seiner politischen Freundin Maria Arena von den belgischen Sozialisten führt. Vielleicht hatten die beiden sogar eine Affäre, wie Bilder nahezulegen scheinen. Aber Arena dementiert es, solche Affären würden ihr im Dutzend nachgesagt. Panzeri schreibt ihr, sie wisse schon warum sie die Arbeit im Ausschuss fortsetzen müsse, „aus Gründen, die du kennst“. Sie antwortet, sich halb gegen die Zumutung der Botschaft zur Wehr setzend, sie könne alles tun, aber nicht alles akzeptieren.

Weitere Zitate belegen, dass Panzeri große Stücke auf Arena hielt. Sie haben den „goldenen Handschlag“ schreibt er ihr, sei „sehr stark in gewissen Dingen“. Arena – die noch immer Vorsitzende im EU-Menschenrechtsausschuss ist – bestreitet alles. Ihr Hauptargument für ihre Unschuld: Auch zehn Monate nach dem Bekanntwerden der Geldflüsse werde noch nicht gegen sie ermittelt. Doch dann gibt es da noch diese indirekte private Beziehung Arenas zum anfangs zuständigen Untersuchungsrichter Michel Claise, dessen Sohn zusammen mit Arenas Sohn Ugo Lemaire einen (legalen) Cannabis-Vertrieb in Brüssel betreibt. Claise musste wegen Befangenheit zurücktreten. Inzwischen wurde Arena als Verdächtige in Sachen Qatargate befragt. Der Unschuldsbeweis ist fort.

In der Wohnung ihres Sohnes, die direkt an die ihrige grenzte, wurden 280.000 Euro in bar gefunden. Mit denen will Arena allerdings nichts zu tun haben. Inzwischen wird vermutet, dass Arenas Sohn etwas mit illegalem Drogenhandel zwischen Spanien und Belgien zu tun hat und dass die Parlamentarierin selbst teure Geschenke (etwa Schmuck) angenommen hat. Die Akte des Sohns Ugo Lemaire wurde in das Qatargate-Dossier eingereiht, wofür es bisher keine öffentliche Erklärung gibt.

Kaili darf sich als zerbrechliches Opfer inszenieren

Dann wird es noch heller. Die Erscheinung der ehemaligen Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili überstrahlt die Linse der Kamera. Betont zart trippelt sie eine Treppe herab, scheint bei jedem Schritt über das harte Pflaster der Realität fast zu zerbrechen. Doch ihre Argumente und die ihrer Anwälte sind messerscharf, wenn auch etwas allgemein gehalten: Es habe doch eine politische Strategie der EU-Kommission und des EU-Parlaments gegeben, die anscheinend von vornherein feststand. Aus den Akten gehe nicht hervor, dass Kaili als Vizepräsidentin irgendetwas an dieser festgemauerten Position ändern hätte können. Es hätte also gar nichts genützt, sie oder ihr Umfeld zu bestechen. Die EU-Großen wollten ja ohnehin Dinge mit Katar tun.

Aber das ist natürlich schon etwas hanebüchen: Wenn die Vizepräsidentin des Parlaments eine flammende Rede pro Katar hält und in Ausschusssitzungen anwesend ist, in denen sie vielleicht gar nichts zu suchen hat, dann kann das wohl beides etwas bewirken. Nur nachweisen lässt sich das sicher nicht so leicht, und das dürfte der Trumpf der Anwälte sein.

Kaili erklärt noch einmal, wie Politik in der EU funktioniert. Teil ihres Berufs sei es, strategische Entscheidungen umzusetzen, die „wir auf höchster Ebene treffen“, erzählt sie aus dem EU-Nähkästchen. Es gebe eine Strategie der EU gegenüber Ländern wie Katar. Die Fußball-WM habe Katar Anlass dazu gegeben, seine Praxis zu verbessern. Und die Rolle der Politik nach Kaili ist es, weitere Veränderungen in dieser Richtung zu ermutigen. Sie sagt es fast entschuldigend, aber auch, als ob sie uns noch über etwas belehren könnte: „Das ist eben Politik.“

Politik bestünde demnach darin, den Vorgaben einer „höchsten Ebene“, deren Ausarbeitung und Begründung dem Publikum weitgehend verborgen bleiben, zu folgen. Kaili stellt sich so als brave Zinnsoldatin dar, die von den EU-Oberen auf ihren Platz gestellt worden sei und eben ihre Arbeit gemacht habe. Und so könnte es gewesen sein. Nur die Koffer voller Geld, die in Hotels die Hände wechselten und sich später bei Kaili zu Hause und bei ihrem reisenden Vater fanden, muss man in dieser Version der Geschichte offenbar vergessen. Es geht um insgesamt 1,5 Millionen Euro in bar, die die belgische Polizei bei der Panzeri-Clique fand.

Auch bei Kaili und ihrem Vater wurden hunderttausende Euro gefunden, die Alexandros Kailis angeblich in einem prall gefüllten Koffer – von Geheimagenten beobachtet – aus der Wohnung Kailis schaffte. Die Erklärungen der Griechin zu diesem Geschehen, sie habe das Geld zurück an Panzeri überstellen wollen, können nicht überzeugen. Eher schon verfängt ihre Behauptung, ein männlicher Vizepräsident aus einem anderen Land wäre vielleicht anders behandelt worden. Aber auch nicht wirklich.

Die inexistente „europäische“ Öffentlichkeit

Katargate weitet sich aus
Skandal im EU-Parlament: Noch mehr bestechliche Menschenrechtsfreunde
O’Reilly erzählt, dass alle (auch sie) erst einmal voll kindlichen Staunens angesichts dieser saftigen Story waren. Sie war gerade im Straßburger Parlament, als sie davon zuerst hörte und erklärt, dass die Parlamentsgemeinde „in gewisser Weise“ gar nicht überrascht war. Es war also eher ein offenes Geheimnis, dass es solche Verbindungen zu Katar und vielleicht zu anderen Ländern gab.

Nun wurde eine Arbeitsgruppe gegen Korruption im EU-Parlament gegründet. Der Grüne Freund war bemüht, auch Konservative, Sozialdemokraten und Renew-Liberale einzubinden. Von Abgeordneten der ID-Fraktion, zu der etwa das Rassemblement national und die AfD gehören, ist hier natürlich nicht die Rede. 130 Abgeordnete hat man so gesammelt, das sei aber immer noch eine Minderheit in dem Parlament von gut 700 Abgeordneten.

Die übrigen 570 sind also weiter für Korruption? Vor den EU-Wahlen im Juni gelten Regelverschärfungen jedenfalls als unwahrscheinlich, weil das von den Parlamentariern, die es gewohnt sind, im Windschatten der öffentlichen Diskussion zu segeln, als Nestbeschmutzung angesehen würde. Einzelne sollen sogar eingewandt haben, die Diskussion über Korruption mache das Problem an sich schlimmer, so Freund. Natürlich gibt es daneben eine Menge niedrigschwelliger Korruption im EU-Parlament, etwa mit den grundsätzlich erlaubten Nebenjobs, auch bei Lobby-Firmen. Daneben gibt es immer wieder Betrug bei den EU-finanzierten Auslagen der Parlamentarier. Außerdem könnte das Halblicht des EU-Parlaments Anziehungspunkt für gescheiterte und sogar rechtskräftig verurteilte Existenzen sein, wie der Journalistenverbund „Follow the Money“ weiß.

Klar ist, dass sich ein Parlament nicht selbst kontrollieren und so Korruption – durch Geschenke u.ä. – verhindern kann. Dazu sind die gegenseitigen Abhängigkeiten zu groß. Auch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EPP) musste ja kurz nach Qatargate etwas an ihren Geschenkberichten ändern lassen. Man kann noch weitergehen: Ohne die Öffentlichkeit wird es keine Kontrolle über die in Brüssel und Straßburg geben. Und an dieser Öffentlichkeit für EU-Angelegenheiten mangelt es noch immer, nicht zuletzt wegen der Vielfalt der Sprachen und Medienlandschaften, aber auch durch das Desinteresse an einer Politik, die das Leben der EU-Bürger inzwischen in vielen Bereichen bestimmt. Die gesamteuropäischen Bauernproteste zeigen es gerade wieder.

Beispiele der unkontrollierten Macht: Qatar-Airways-Deal und VdL-SMS

Eva Kaili
EU-Korruptionsskandal: „Denen in Brüssel“ glaubt man nicht
Wie ist es aber nun mit jener von oben verordneten, in geheimen Zirkeln beschlossenen Politik, die, wenn es sein muss, auch mit korrupten Mitteln durchgeboxt wird? Auch hierfür findet die Dokumentation einige Beispiele. So scheint es, um mit Katar weiterzumachen, auch bei der Erweiterung der Flugverbindungen von Qatar Airways nach Europa nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Der Leiter der Generaldirektion Mobilität und Verkehr (DG MOVE) bei der Kommission, Henrik Hololei, hielt blumigste Reden in dem Wüstenstaat, den den liebe und bewundere, ja aus tiefstem Herzen. Und er hatte es zugleich in der Hand, die Regeln für den Luftverkehr in der EU anzupassen.

Gleichzeitig ließ er sich vielfach Reisen und Hotelaufenthalte von Katar schenken. Der EU-Deal mit Qatar Airways ist laut der Pilotenvereinigung Cockpit nicht im besten Interesse der EU-Bürger. Arabische Destinationen wurden zu Drehkreuzen aufgebaut, in Europa gehen Arbeitsplätze verloren. Nach Qatargate behauptete man, das Abkommen werde ausgesetzt. Das ist aber laut Cockpit-Vertreter Sebastian Roet nicht so. Der Deal wird demnach auch weiter angewandt.

Das nächste Beispiel ist bekannt und nicht weniger schlagend. Denn es betrifft eine zentrales Politikfeld der EU, bei dem sich wieder einmal alle einig waren: die Pandemie-Politik und besonders die Beschaffung der „Impfstoffe“. Auch der grüne Anti-Korruptionskämpfer Freund erklärt, dass es in der damaligen Situation nicht darauf angekommen sei, ob diese mRNA-Stoffe nun ein paar Milliarden mehr kosten. Doch es kam tatsächlich sehr darauf an – nämlich für Pfizer und Biontech. Die ließen sich ihre Extra-Chargen gerne abkaufen, weil von der Leyen in den Extra-Verhandlungen via SMS-Nachricht ein paar Euro pro Dosis drauflegte. Genaueres ist bis heute nicht bekannt, weil die SMS ja nicht auffindbar seien – wohlgemerkt in einer Zeit, in der weder das Internet noch ein Handy irgendetwas vergisst.

Verschwörungsmythen einer Angeklagten

Bescheinigte sich selbst Unbedenklichkeit
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EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly zeigt sich wiederum hartgesotten, indem sie feststellt, dass es die Kommissionschefin ist, die sich zu diesen Fragen äußern müsse. Der Reporter wirft ein, von der Leyen habe ein Interview abgelehnt. O’Reilly ist schon wieder nicht erstaunt.

Dieser Dialog wirft nochmals ein grelles Licht auf die schon länger bekannte Intransparenz und die machtpolitische Unwucht dieser EU, in der die Kommissionspräsidentin offenbar mit willkürlich ausgehandelten Privat-Geheimdeals reüssieren kann und für nichts daran oder darin zur Verantwortung gezogen wird. Die Veröffentlichung des VdL-SMS ebenso wie der Vertragswerke selbst wurde von den tragenden Mehrheiten im EU-Parlament abgelehnt. Dass der „europäischen“ Öffentlichkeit regelmäßig geschwärzte Berichte, Verträge und Akten vorgelegt werden, ist dabei der deutlichste Ausdruck der Verachtung für eben diese Öffentlichkeit. So geht die anderthalbstündige Doku mit einem düsteren Ausblick. Eva Kaili will wieder für das EU-Parlament kandidieren und dort „für die sprechen, die nicht gehört werden“ und ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht haben. Das ist natürlich der Gipfel der Verlogenheit, den man vielleicht noch etwas deutlicher kommentieren hätte können. Aber das Kaili zugleich eine Art Whistleblowerin zu den Machtprozessen in der EU geworden ist, bleibt ihr Beitrag immerhin zu dieser Reportage unschätzbar. Insgesamt ein erkenntnisreicher Film, wenn auch etwas lang ausgewalzt. Und natürlich stehen die Guten von vorne an fest. Die Grünen haben dabei das Glück, in der EU noch nicht formal an der Macht zu sein. So lässt sich noch etwas Opposition spielen. Am großen Theater der Macht, das angeblich aus einem winzigen Souffleurskasten heraus gelenkt wird, würde das auch nichts ändern. Aber das sind ja vielleicht nur die Verschwörungsmythen einer Angeklagten.

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