Der sorbische Sachse: Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt

Die Leute wählen Protest nicht, wenn und wo es passiert ist, sondern damit es bei ihnen gar nicht erst passiert.

© Getty Images

Stanislaw Tillich bin ich einmal auf der Prager Straße in Dresden begegnet. Ungefähr auf Höhe der Pusteblume, ein symbolträchtiger Brunnen auf einer der Vorzeigestraßen der damaligen DDR. Tillich führte mit einem Teelicht in der Hand am Gedenktag der Bombardierung Dresdens eine stille Demonstration von zehntausend Menschen an. Tillich war der äußerste Fransen eines Kerzenteppichs, den man vor zeitgleich demonstrierenden Neonazis ausbreitete.

Mich beeindruckte die Volksnähe des Ministerpräsidenten von Sachsen. Sicher waren Personenschützer dabei, aber man sah sie kaum. Niemand drängte um Autogramme oder wollte etwa ein Selfie machen. Damals dachte ich wirklich: Der schlanke Politiker wird als „Einer von uns“ verstanden. Sicher ein grobes Klischee, aber selbst die Physiognomie erschien mir passend: Eine Mischung aus Bescheidenheit, gepaart mit einer wohldosierten Portion Trotz. Die sichtbar gemachte Erinnerung, wo man herkommt (DDR) gezeigt in einem Deutschland (BRD), in dem man angekommen ist. Sympathisch.

Presseschau
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Nach den westdeutschen CDU-Politikern und Katholiken Kurt Biedenkopf und dem glücklosen Georg Milbrad wurde der praktizierende ostdeutsche Katholik Stanislaw Tillich zum Ministerpräsidenten gewählt. Zuletzt gewann er 2014 mit 39,4 Prozent der Stimmen die Landtagswahl. Die AfD kam auf 9,7 Prozent, die NPD scheiterte denkbar knapp an der Fünfprozenthürde und die Linke errang 18,9 Prozent der Stimmen.

Der Focus titelte schon 2009 über Tillich: „Beliebt, aber unbekannt“. Tillichs Wahlkampfslogan hieß damals: „Der Sachse“. Allerdings gaben damals auch ein Viertel der Sachsen an, ihn nicht zu kennen. In den öffentlich-rechtlichen Medien, dem früheren „Westfernsehen“, ist er bis heute unterrepräsentiert. Wer erinnert eine Talkshow mit Tillich als Gast? Sein katholischer Nachbar Seehofer aus Bayern hingegen erscheint dort überpräsent. Tillichs Wahlkampf führte ihn von der Kelterei in Ottendorf-Okrilla bis zum Backhaus Hennig in Zwenkau. Hier hat er sein größtes Wählerpotential: Bei den fleißigen Leuten.

AFD 27 Prozent, CDU 26,9

2017 nun der Schock: Aus der Bundestagswahl geht die AfD in Sachsen hauchdünn zwar (27 %), aber als stärkste Kraft hervor. Die CDU landet bei gerade noch 26,9 Prozent. Die SPD wählen 10,5 Prozent der Berechtigten. Ein sozialdemokratisches Desaster. Stanislaw Tillichs Antwort darauf ähnelt der seines bayrischen Kollegen: Er fordert eine Kurskorrektur nach rechts. Die Funke Medien Redaktion schickte Jochen Gaukle zu Tillich. Das Interview erschien heute in einigen zur Mediengruppe gehörenden Zeitungen. Und, soviel vorweg, es ist ein erstaunliches offenes Gespräch geworden.

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Die AfD sei kein rein sächsisches Phänomen, sagt Tillich. „Demoskopen haben herausgefunden, dass 60-70 Prozent die AfD aus Protest gewählt haben. (…) Sie sind enttäuscht.“ Das mag richtig sein, aber dieses Protestwählerphänomen ist eine Chimäre. Gerne genutzt von Regierungsparteien, Wähler des politischen Gegners von rechts oder links zu diskreditieren. Denn natürlich wird eine Regierung, werden regierende Politiker aus Protest abgewählt. Aus welchen Gründen auch sonst? Der Wettbewerb der Parteiprogramme richtet sich von Seiten der Oppositionsparteien naturgemäß gegen die Regierenden. Man scheint das nur in der Ära der „großen“ Koalitionen völlig vergessen zu haben. Hier wir als Demokraten, dort ihr als Protestler – das funktioniert nicht mehr.

Tillich nennt jetzt immerhin Ross und Reiter: Das Wahlverhalten der Mehrheit seiner Sachsen richtete sich gegen die Immigrationspolitik der Kanzlerin. „Dazu kam ein Gefühl, für die Neuangekommenen sei plötzlich viel Geld da.“ Nun könnte man denken, wenn man durch Dresden geht, der Osten hätte in den letzten 27 Jahren ordentlich vom Westen profitiert. Wenn irgendwo blühende Landschaften entstanden sind, dann doch wohl hier im historischen Quartier zwischen wiedererbauter Frauenkirche und etwas weiter draußen der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in der Nähe des Stadions von Dynamo Dresden. Jahrzehnte reihte sich Baustelle an Baustelle und die Sandstein-Bauten wurden alle fertig, die lichtdurchfluteten Plätze laden die Bürger zum Flanieren ein. Dresden ist schön. Aber Dresden ist eine sächsische Enklave mit aufgeprunktem Kern, Dresden ist nicht Sachsen.

Wer eine Fahrt mit einem der Raddampfer auf der Elbe unternimmt, schaut von der weißen Flotte hinüber ans Ufer auf eine der schönsten Landschaften in Deutschland überhaupt. Geduldige Angler, spielende Kinder, kleine Siedlungen, bescheidene Häuschen mit Grill und Kaffeetafel, Wäsche im Wind. Malerisch, romantisch, zeitlos. Aber eben nicht weltvergessen. Hier wohnen Bürger in Orten wie Strehla, Riesa und Bad Schandau. Oder anders ausgedrückt: Ausgerechnet hier im Idyll bekam die AfD überdurchschnittlich hohe Stimmenanteile.

Unenttäuschbar
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Und Tillich weiß auf einmal warum, das Idyll soll Idyll bleiben: „Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt.“ Damit konterkariert er wie nebenbei dieses leidige und falsche Argument, dass die Diskussion um die Zuwanderung nach 2015 begleitet, wie ein Wurmfortsatz, das immer wieder erklären will, dass in den neuen Bundesländern doch die wenigsten Ausländer leben würden. Eben das ist hier aber einer der Hauptgründe, sich gegen unkontrollierte Zuwanderung zu stellen. Stanislaw Tillich: „Sie wollen keine Parallelgesellschaften und keinen Anstieg der Kriminalität. Sie wollen nicht, dass religiöse oder politische Auseinandersetzungen unter Flüchtlingen hier ausgetragen werden. Da hat der Staat noch viel zu tun.“

Die Leute wählen Protest nicht, wenn es passiert ist, sondern damit es nicht passiert

Wenn die Kanzlerin sagt, sie könne keine Fehler ihrer Politik erkennen, antwortet ihr der Sachse: „Die Menschen wünschen sich einen starken Staat. Und sie haben den Eindruck, dass der Staat nicht in der Lage ist, das Asylrecht konsequent genug umzusetzen. Bei den Abschiebungen gibt es erhebliche Defizite.“

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Aber was will der sächsische Ministerpräsident? Immerhin ist der CDU-Politiker Regierungschef des Landes. So mag es zwar rhetorisch sinnvoll sein, davon zu sprechen, was die „Leute“ wollen, aber politisch sinnvoller ist es doch, verständlich zu sagen, was man selber will. Welchen politischen Kurs die Union fährt und in Zukunft fahren will. Nein, sagt Tillich, die „Ehe für Alle“ war nicht das wichtigste Thema im Land, dass war die Zuwanderung. Immerhin stellt er sich damit gegen die Ursachen-Rezeption der letzten Wochen aus Politik und Medien, als Politik und die so genannten Leitmedien Moderator Claus Strunz kurzerhand in die rechte Ecke stellten, als der beim TV-Duell Merkel/Schulz genau dieses Thema in den Mittelpunkt stellte.

Tillich positioniert sich jetzt im Interview an der Seite von Horst Seehofer: „Wir müssen umschalten, da hat Seehofer recht. Ich unterstütze seine Forderung nach einem Kurs „Mitte-rechts.“ Aber wer ist dieses ominöse „Wir“? Die Union mit der Kanzlerin an ihrer Spitze kann es ja nicht mehr sein. Sie ist ja nicht Problemlöserin, sondern Verursacherin. Aber gibt es ein anderes, ein neues „Wir“ in der Union ohne die Kanzlerin?

Und wer kann heute noch dem Wollen des wankelmütigen bayrischen Ministerpräsidenten vertrauen? Der Sachse Stanislaw Tillich will das tun. Er ist sich sicher, dass sich die CSU zusammenraufen wird, die wisse um ihre Verantwortung in Bayern und Deutschland. Dass allerdings kann nur zukunftsperspektivisch gemeint sein, denn immerhin hat die CSU nicht nur in Bayern, sondern im Kabinett Merkel auf Bundesebene mitregiert.

Nach der Wahl
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Wenn nun der sächsische Ministerpräsident im Interview erklärt: „CDU und CSU haben das gemeinsame Ziel, dass so wenige Flüchtlinge wie möglich nach Deutschland kommen.“, dann mag das für den ersten Moment wie eine AfD-Forderung klingen, dann soll das Stimmen von rechts zurückholen. Aber dann ist das nicht einmal eine Forderung der AfD. Denn gegen den Flüchtling hat die AfD nicht einmal etwas einzuwenden. Gegen den Flüchtling sollte auch ein Stanislaw Tillich nichts einzuwenden haben. Was er hingegen bekämpfen sollte, wäre illegale Migration und Einwanderung unter Missbrauch des Asylrechts in Millionenzahl. Und dafür hat sich nun Mal seine Kanzlerin stark gemacht. Mindestens aus einer Schwäche heraus. Und genau deshalb wurde die AfD in Sachsen stärkste Partei. Entlang der Elbe und anderswo.

Tillich: „Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt.“ Aber will die Union das auch? Will sie es wirklich? Eine Koalitionspartnerin auf Bundesebene neben der FDP soll nun Grün werden. Die Spitzenkandidatin der Grünen ist Katrin Göring Eckardt. Und die sagt: „Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wird ein schwerer Weg sein, aber dann glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein.“ Wenn es also Tillich und Seehofer wirklich ernst meinen, dann muss für beide die Idee einer Jamaika-Koalition gestorben sein, schon damit für Tillichs Sachsen und für Seehofers Bayern ihr Deutschland Deutschland bleibt.

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Kommentare ( 9 )

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BINE
6 Jahre her

Danke, Herr Stefan, Sie haben einen der besten Beiträge zum Artikel geschrieben. Anhand der upvotes denke ich, daß kaum ein Leser ihn verstanden hat. Wie auch: Das westdeutsche Wirtschaftswunder und der westliche Wohlstand wurden hauptsächlich durch die Entwurzelten, Vertriebenen, die sich eine neue Heimat aufbauen wollten, geschaffen. Im Westen hat man sich also lange ( seit drei Generationen) daran gewöhnt, dass man auf Kriegsflüchtlinge/ Wirtschaftsflüchtlinge und Vertriebene als hochmotivierte Schaffer und Steuerzahler ausruhen kann. Selbst lebt vor allem der grüne Erbe komfortabel abgesichert vom Zinseszins der Lebensleistung seine „Alten“ und er weiß vom täglichen Existenzkampf allenfalls soviel wie ne Kuh… Mehr

Leserich
6 Jahre her

Nun, wo „Merkeldämmerung“ angesagt ist, wagen sich manche aus den Löchern. Schade an sich um Tillich, den ich trotz diverser Fehltritte ganz angenehm fand.
Nie wieder werde ich eine dieser Blockparteien wählen – und Tillich ist ein Grund dafür. Der hatte seine Chancen gehabt, Pegida läßt grüßen, aber spielt das lieber Schoßhündchen seiner Kanzleuse.

Rainer Franzolet
6 Jahre her

Warum ist Herr Tillich ein guter Mann? Weil er wie Merkel SED-Ausgebildet und geprägt ist und heut das Gegenteil von Gestern erzählt?
Es wurden hier von anderen Postern viele Beispiele über den Werdegang dieses Herrn dargestellt. Ich kann an einem Wendehals nichts erkennen, was ihn zu einem guten Mann machen könnte. Seine Haltung zu Merkel innerparteilich wird zeigen, ob der Mann überhaupt noch ein Fünkchen Anstand besitzt.

Rabulistiker
6 Jahre her

Deutschland wird nationalistisch….ob es den Bunttoleranten passt oder nicht.

Thomas
6 Jahre her

Merkel und Co wissen das die Zeit gegen sie läuft. Immer mehr Menschen in Deutschland und Europa wachen auf und beginnen zu begreifen welches Verbrechen mit der Massenzuwanderung an ihnen begangen wird. Deshalb versuchen sie so schnell wie möglich Tatsachen zu schaffen die kaum noch reversibel sind. Ich glaube das sie mit dieser Eskalation scheitern werden. Wenn ein Volk aufsteht kann keine Regierung etwas dagegen tun. Und das wird zwangsläufig geschehen. Weil es um unsere Existenz geht. Das ist der Krieg unserer Zeit. Ich befürchte er wird in seiner Wirkung die Dimensionen des zweiten Weltkrieges annehmen.

Thomas
6 Jahre her

Im Kern geht es um Verdrängung. Genetische Verdrängung. Landnahme. Ressourcenaneignung. Frauen sind die wichtigste Ressource einer Nation. Träger der Zukunft. Diese werden bereitwillig feilgeboten. Neben anderen Ressourchen wie Geld ein wichtiger Anreiz der männlichen Glücksritter aus der dritten Welt nach Deutschland einzuströmen.

Jörg Themlitz
6 Jahre her

Schon früher hieß es, in Chemnitz wird das Geld erarbeitet, in Leipzig gehandelt und in Dresden ausgegeben.
Zugegeben etwas eindimensional, aber es hat was.

Frankenstein
6 Jahre her

In diesem Falle wäre „eine Kurskorrektur nach rechts“ gleichbedeutend mit einer Kurskorrektur in Richtung Mitte.

Gero Hatz
6 Jahre her

Wir sollten heute mal kurz dem neuen Gesetz gedenken, dass uns vor unseren Gedanken schützen soll: Heikos Zensur beginnt heute und wir sollten dem kleinen Kerl aus Lafontaines Stall an der Saar dankbar sein. Nie wieder werden wir uns mit Hass und Wut auseinandersetzen müssen. Ein Heer an ehrenamtlichen Experten wird uns zu Seite stehen, wenn es um unsere Sicht der Obrigkeit geht.