Kooperations-Koalition: Besser als Merkels Durchwurstel-Regierung

Die Union sperrt sich gegen eine "Kooperations-Koalition". Dabei wäre dies ein Weg, um den Deutschen Bundestag wieder als Gesetzgeber und Kontrolleur der Regierung zu reanimieren.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Das Gezappel um Merkels nächste Koalation ist nicht mehr auszuhalten. Offensichtlich hat sich die Bundeskanzlerin gemütlich eingerichtet in der ewigen Geschäftsführung.

Warme Plätze für Sozis?

Sie muss in dieser Position auch niemanden fürchten: An ihrem Kabinettstisch haben noch jede Menge Sozialdemokraten einen warmen Platz. Das reduziert den Mut zum Widerspruch. Trotz Wahlniederlage regiert es sich gemütlich weiter. Nun lehnt die CDU, nachdem Jamaika gescheitert ist, die „Kooperations-Koalition“ ab.

Die Idee einer Kooperations-Koalition (KoKo) soll von der SPD-Parteilinken stammen. Sie möchte nicht wie in der letzten GroKo durch 185 Seiten Koalitionsvertrag festgenagelt werden und sich die Möglichkeit offenhalten, in einer KoKo, aber außerhalb derselben mit jeweils anderen Mehrheiten, umstrittene Projekte durchzusetzen wie das der „Ehe für alle“.

Das wäre eine Kooperations-Koalition mit offizieller Oppositionserlaubnis, ein Januskopf von Mehrheits- und Minderheiten-Koalition. Aber was wäre so schlimm daran?

Koalitionsverträge sind keine rechtsverbindlichen Absprachen, es sind lediglich Absichtserklärungen. Sie haben demokratisch fragwürdigen Charakter. Nicht mehr Bundestagsabgeordnete entscheiden, sondern Parteifunktionäre, schreibt Hugo Müller-Vogg:

„Die Mitglieder des Bundestags sind die Vertreter des Volkes. Doch derzeit bestimmen sie so gut wie nichts mit, jedenfalls die meisten von ihnen. Nicht einmal die Parlamentarier, deren Parteien sondieren, ob es vielleicht zu einer Koalition reichen könnte oder nicht, haben derzeit – von einigen wenigen Spitzenpolitikern abgesehen – etwas zu sagen. Der „normale“ Abgeordnete erfährt aus der Zeitung oder im Fernsehen, ob er künftig eher eine Regierung stützen oder gegen eine Regierung opponieren soll. Zu sagen haben diese Volks-„Vertreter“ nichts. Irgendwie passt das Grundgesetz hinsichtlich der Staatsgewalt und der Parteien nicht so recht zur Realität – oder umgekehrt.“

Ein Parlament sieht seiner Abschaffung zu

Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Bundestag politisch abgeschafft wurde. In „Sondierungen“ werden Festlegungen getroffen; sehr viele in sehr kurzer Zeit und unter Ausschluss der Öffentlichkeit und des Grundgesetzes; ohne echte Debatte, ohne Nachdenken, gar gründliches Nachdenken.

Denn egal, ob Sondierung oder Koalitionsverhandlung – sie sind nicht im Gesetzgebungsverfahren vorgesehen. Sie sind nichtig. Ihr einziger Zweck ist, den Deutschen Bundestag, die gesetzgebende Versammlung, auszuschalten. Hier werden von ein paar Parteifunktionären die Beschlüsse des Parlaments vorweggenommen. Hinter verschlossenen Türen werden Festlegungen getroffen, die die Gesetzgebung der kommenden vier Jahre zementieren. Möglicherweise haben wir uns daran gewöhnt; auf diese Weise wurden ja auch in der GroKo und in der davor Maut, Mindestlohn und Mütterrente und so viele andere Gesetze vor dem Gesetzgeber festgezurrt.

KoKo oder MiKoKo
Kooperations-Koalition oder Minderheiten-Kooperationskonstellation
Das war nicht immer so. Alle großen Gesetze wurden in der Vergangenheit von einer Mehrheit im Bundestag verabschiedet, die sich für dieses jeweilige Vorhaben zusammengefunden hat. Immer musste neben den Regierungsparteien auch die Opposition überzeugt werden – einfach weil das Grundgesetz zu seiner Veränderung die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderte. Bei allen grundlegenden Veränderungen war die jeweilige Volkspartei in der Opposition dabei, seit Adenauers Wiederbewaffnung und Umstellung der Rentenversicherung vom Kapitaldeckungs- zum Umlageverfahren.

Nur die GroKo der letzten Regierung Merkel machte da eine Ausnahme: Sie war so groß und die Opposition aus Linken und Grünen so willfährig und billig zu haben, dass Merkel stumpf durchregieren konnte – SPD, CDU und CSU sicherten ihr die Mehrheit. Das Grundgesetz spielte keine Rolle mehr: So nicht beim Zensurgesetz NetzDG, wen schert schon die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit, wenn man so eine Mehrheit hat? Schlimmer war es nur bei der am selben Tag beschlossenen „Ehe für Alle“: Wen schert es, dass „Ehe“ im Verständnis des Grundgesetzes aus Mann und Frau besteht – ausgerechnet der fragwürdige Justizminister Heiko Maas erfand die Formel, dass man den Wortsinn des Grundgesetzes einfach neu Interpretieren könne. Egal, ob man für „Ehe für Alle“ ist oder nicht – wer so argumentiert zerstört jedes Gesetz.

Grundgesetz ohne Bestand

Das Grundgesetz wird einfach hingebogen, wie die Mehrheit will. Damit ist seine Schutzfunktion gegen willkürliche Mehrheiten zerstört, es verliert seinen Charakter.
„Im Grundgesetz sind die wesentlichen staatlichen System- und Werteentscheidungen festgelegt. Es steht im Rang über allen anderen deutschen Rechtsnormen.“ So definiert der Deutsche Bundestag das Grundgesetz. Für seine Veränderung wird eine Zweidrittel-Mehrheit verlangt; auch die Länderkammer muss zustimmen.

Aber unter Merkels Ägide ist das Grundgesetz ein Gesetz ohne Grund geworden: Es kann durch schlichte Umdefinierung von zentralen Begriffen so hingebogen werden, wie es der Bundesregierung gefällt. Und zwar blitzschnell: Vom Gesetzentwurf zur möglichen Autobahnprivatisierung, Beschluss im Bundestag sowie im Bundesrat reichten Anfang Juni gerade mal 48 Stunden. Insgesamt wurden innerhalb weniger Stunden dreizehn Grundgesetz-Änderungen in einem Rutsch durchgepeitscht.

Ähnlich ratzfatz ging es bei der „Ehe für Alle“: Auf einem Plüschsessel im verschwurbelten Deutsch von der Bundeskanzlerin am Montag möglich gemacht wurde das Grundgesetz am Freitag geändert. Indem man seine Bedeutung umdefiniert hat. So einfach geht das. Es zählt nicht das Gesetz, sondern was eine Mehrheit darunter verstehen will. Heute so, morgen eben anders, lautet das Signal. Wenn aber ein Wort nicht mehr das Wort ist, ist das Wort wertlos.

Dafür ist die Regierung verantwortlich, die einfach nur opportunistisch durchregieren will und jedes Gefühl für die Substanz dieses Rechtsstaats verloren hat; möglich durch eine Koalitionsmehrheit, die sich der Merkelorder unterwirft und eine Opposition, die ihre Aufgaben nicht wahrnimmt. Alle drei haben in der vergangenen Legislaturperiode ihren Anteil an der Abschaffung des Deutschen Bundestags.

Und jetzt? Es ist gut, wenn sich CDU und SPD auf einige wenige Eckpunkte einigen – so war es in früheren Regierungen auch. Die 1. Koalition Kohls folgte einer Übereinkunft von 8 Seiten. Und es wurde dann regiert, und Mehrheiten gefunden. Oder auch nicht.

Natürlich macht es das schwieriger für die Kanzlerin oder den Kanzler. Die Öffnung der Grenzen und die unkontrollierte Aufnahme von Millionen Flüchtlinge genannten illegalen Immigranten ohne Befassung des Parlaments – das ging eben nur im Deutschen Stillhalteparlament unter der lähmenden Betondecke der übergroßen Mehrheit. Die Bundeswehr darf etwa in Herkunftsländer der Immigranten nur geschickt werden mit Parlamentsbeschluss, die Immigranten dürfen ohne Parlamentsbeschluss und Kontrolle kommen. Warum lässt der Bundestag, lassen die Abgeordneten das zu?

Das Durchwinken von immer neuen „Bürgschaften“ für Griechenland, wobei jeder weiß, dass es verlorene Kredite Marke „Nimmerwiedersehen“ sind – ein willfähriges Parlament hat mitgemacht, von einer Handvoll Abgeordneten abgesehen.

Was sollen wir davon haben, wenn auf dem Wege des Nicht-Nachdenkens und Nicht-Debattierens jetzt erneut weitreichende Gesetze beschlossen werden, die Deutschland in den Macronismus treiben und Europa zwischen Ost und West spalten, letztlich das gemeinsame Europa gefährden zu Gunsten eines südwest-europäischen Europas, einer französischen Idee folgend? So einen Bundestag wollen wir nicht. Lieber eine Kooperations-Koalition, die ihn revitalisiert.

Belebt den Deutschen Bundestag wieder

Der Deutsche Bundestag hat seinen Ruf und damit den Ruf der Demokratie in der Berliner Republik herabgesetzt. Das sollten die jetzt gewählten Abgeordneten, so viele wie nie zuvor, wissen und ändern. Der Deutsche Bundestag ist die gesetzgebende Versammlung, das Parlament ist nicht das Abnickorgan der Bundesregierung und schon gar nicht ein Schweigekartell. Seine Aufgabe ist es, die Regierung zu kontrollieren, nicht ihr das Durchregieren durchgehen zu lassen.

Und es ist nicht die Aufgabe des Parlaments, eine Geschäftsführende Bundeskanzlerin überwintern zu lassen während immer neuer Sommer.

Der Bundeskanzler wird vom Parlament gewählt – von diesem, nicht von dem der längst versunkenen Legislaturperiode. Und wenn Merkel keine eigene Mehrheit findet, dann muss sie gehen. Das mag ihr nicht leicht fallen. Aber Demokratie besteht darin, seine Führung auszuwechseln, nicht weiterwursteln zu lassen bis in alle Ewigkeit. Die Kooperations-Koalition ist damit ein Weg, um die Demokratie in diesem Land wenigstens vor dem weiteren Sinkflug zu bewahren.

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Kommentare ( 103 )

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Realist-1942
6 Jahre her

Eine schlafende Kanzlerin. Das sind Momente der Schadensfreiheit für die Nation!

Paul
6 Jahre her

Der Kanzler hat die Richtlinienkompetenz. Die kann er oder sie nur mit einer Mehrheitsregierung unproblematisch durchsetzen, wenn man a priori die Parlamentsmehrheit besitzt. Eine Minderheitsregierung ist dagegen die Sternstunde des Parlaments, der Opposition. Nicht des Versuchs wert?

jackhot
6 Jahre her

die Erbärmlichkeit aller direkt Beteiligten ist nur noch zum ko…

KkAaBb
6 Jahre her

Das, was unter der Regie von Frau Merkel stattgefunden hat und stattfindet im Deutschen Bundestag, ist ja schon fast Diktatur. Wozu wählen wir eigentlich noch Parlamentarier, wenn diese Grundgesetzverstöße am laufenden Band durchwinken und nicht, wie es ihre Aufgabe wäre, die Regierung zu kontrollieren?

horst
6 Jahre her

Eigentlich kann man nur noch auf den Osten Europas hoffen – das dieser sich verstärkt in Masse von zwei/drei Ländern – um so Merkels Anspruch als Kaiserin in das Wanken bringen  … D erscheint mir nicht in der Lage zu sein, dies aus eigener Kraft zu schaffen ¡¿
Die Dame scheint beseßen von »ihrer Mission« Deutschland »zu Entdeutschen«.

Ben Goldstein
6 Jahre her

Koalitionsverträge haben den Parlamentarismus ersetzt. Die meisten Politiker wissen eigentlich gar nicht, was so ein Parlament überhaupt ist. Aber Demokratiemängel wittern sie ständig… in Polen, Großbritannien, Ungarn, bei der AfD usw.

Ghost
6 Jahre her

Die Demokraite hierzulande ist in Gefahr, in Lebensgefahr. Die Schwäche der Parlamente hat schon Ralf Dahrendorf angeprangert, ohne Erfolg. Der Bürger ist gefordert, er muss mehr Demokratie praktizieren, sich mehr polititisieren, den Mund aufmachen, statt Merkel oder SPD-Schulz zu bejubeln.

Andreas Koch
6 Jahre her

„Warum lässt der Bundestag das zu“? – Gute Frage. Weil vielleicht seit Jahren die Demokratie bei uns nicht mehr funktioniert, Parteien und Koalitionen es verstanden haben, sich das System gefügig zu machen und Kontrollmechanismen außer Kraft zu setzen? Und weil vielleicht Teile der Bevölkerung unkritisch, blauäugig oder orientierungslos geworden sind? Weil Journalisten ebenfalls unkritisch geworden sind und sich von Phrasen wie „Solidarität“, „sonst zerbricht Europa“, „xyz retten“, „das ist alternativlos“ „ihr kennt mich doch“ etc. einlullen lassen, weil sie lieber „auf der moralisch richtigen Seite“ stehen wollen, als auf der Seite des Qualitätsjournalismus (sachlich, kritisch, überparteilich, hinterfragend, aufzeigend), der Fehlentwicklungen… Mehr

Eysel
6 Jahre her

Mir drängt sich der Eindruck auf,
dass Rot und Schwarz – mit all dem was sie jetzt tun –
hart an ihrer „Selbstmarginalisierung“ arbeiten. Lass es noch eine Weile so dahin gehen mit dem wunderbaren GG-widrigen „Köcheln im eigenen Saft“ und auch Fritz Müller und Lieschen Meier begreifen, dass sie … werden. –
Grundsätzlich: Der Wahnsinn muss erst kulminieren, das Chaos muss erst perfekt sein,
bevor es wieder „grundsätzlich besser“ werden kann. –
Simpel formuliert: Die alte Garde muss erst weg.

Eysel
6 Jahre her

Die Ko-Ko W Ä R E
im Prinzip fast eine Minderheitsregierung.
Damit eine Regierung die in MANCHEN sich Mehrheiten erst parlamentarisch SUCHEN müsste. – Daher für mich und im Grunde sehr begrüßenswert. –
Da ich allerdings davon ausgehe, dass der Tiefpunkt von dem aus sich die Gesamtsituation wieder GRUNDLEGEND ändern kann erst ERREICHT werden (wie soll das mit der alten Garde um Merkel passieren???), und durchschritten werden muss bin ich froh, dass dieses Modell vermutlich nicht zum tragen kommt. –