Besser leben mit Angst

Was war das für ein Jahr, und was lernen wir daraus für 2012? Hoffen Sie auch mal auf ein Nein, lernen Sie Neu-Sprech und alles wird gut.

Mit Angst ist gut leben: Es gab kein Jahr, in dem die tatsächliche und die gefühlte Lage so weit auseinanderfielen. Die Zahlen prächtig – die Arbeitslosigkeit niedrig, das Wachstum ansehnlich, Steuern sprudelten, und ein Wunder geschah: Sogar die Krankenkassen häuften Überschüsse an. Alles paletti, wären da nicht diese Ängste: Explodiert der Euro, oder implodieren die Banken wie nach Lehman Brothers, verebbt die Konjunktur in China oder färbt ein Blackout das Land schwarz? Große und kleine Katastrophen sind zuverlässig ausgeblieben, sodass einem geradezu angst und bange werden kann – das kann doch nur heißen, dass im kommenden Jahr ein Monster um die Ecke biegt? So schauen wir mit dem einen Auge auf die Erfolgsbilanz 2011, und mit dem anderen starren wir in den möglichen Abgrund 2012. Das hat etwas Gutes – nichts kann uns überraschen wie damals im Schockjahr 2008: Die Unternehmen sindliquide, Auftragspolster angelegt, Arbeitszeitkonten gefüllt. Mag sie kommen, die Krise. Im Jahr 2012 sind wir gerüstet.

Nein ist schlimm, Ja noch schlimmer. Sagt die Genehmigungsbehörde oder Politik Nein zu einem Investitionsvorhaben, dann ist dies ärgerlich für Unternehmen. Aber damit muss man rechnen, damit kann man leben, notfalls woanders. Aber 2011 mussten Unternehmer lernen, dass eine Genehmigung viel schlimmer sein kann als eine Absage: Nach einer Genehmigung laufen die Kosten – aber sonst nichts. Egal, ob ein unterirdischer Bahnhof, Kraftwerke, Stromleitungen, Landebahnen: Erst kommen die Genehmigung von Politik und Verwaltung und der Baubeginn – und dann das Nein und die Bauverzögerung. Wer auf das Ja vertraut und plant und baut, den kann das teuer zu stehen kommen. Noch nie war das Vertrauen in die Politik und Verwaltung so erschüttert. Ein schlechtes Omen für 2012.

Wer schreit, hat nicht recht. Was war das für ein lautes Getöse in Stuttgart: eine Landesregierung gekippt, eine Schlichtung wochenlang mit Heiner Geißler live in der Glotze, und alle zusammen fürchterlich wütend. Und am Ende? Wird der Bahnhof gebaut. Schweigende Mehrheit und lautstarke Minderheit fallen weit auseinander. Vermutlich sind die Deutschen in toto eben doch ein ganz vernünftiges Volk, wenn man sie nur lässt. Besser wäre es, nicht auf die lauten Demonstranten zu hören, sondern auf die leisen, vernünftigen. Das wäre eine gute Idee für 2012.

Lernen Sie Neu-Sprech. Alle reden vom Marktversagen – vom Versagen der Politik als der eigentlichen Verursacherin der Staatsschuldenkrise kaum einer. Vermutlich, weil die Politik eines besser kann: reden, umdeuten, umwerten. Ihre Euro-Politik sei alternativlos, sagte die Bundeskanzlerin, um dann laut über Alternativen wie den Rauswurf Griechenlands nachzudenken. Unsolidität belohnende Euro-Bonds werden als Soliditäts-Bonds umgewertet, ein erzwungener Schuldenschnitt erzwungenermaßen als „freiwillig“ bezeichnet, Mindestlöhne bleiben Mindestlöhne, aber dürfen nicht so genannt werden. Der Euro spaltet sichtbar Europa, aber wird als Klammer des gemeinsamen Europas verteidigt. Glauben Sie kein Wort. Es könnte das Gegenteil bedeuten. Lernen Sie Neu-Sprech, das wäre ein passender Vorsatz für 2012.

Alle Probleme sind relativ. Ob die Klimakatastrophe kommt, halten manche für unsicher. Aber eins ist sicher – die nächste Klimakonferenz kommt, wobei das Verhältnis von Ergebnis zu Schadstoffausstoß der Delegationen immer schlechter wird. Die hektische Suche nach dem Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter ist nicht nur in Kanada merklich erlahmt – vermutlich weil steigende Zinsen für italienische Anleihen als bedrohlicher wahrgenommen werden als der Meeresspiegel auf den Seychellen oder die Hitze unterm Eisbärenfell. Meist werden die ganz großen Probleme der Menschheit nicht gelöst, sondern nur verdrängt oder von näher liegenderen ersetzt. Vielleicht haben wir ja doch mehr Glück im Leben als Kohlenstoff in der Atomsphäre – und die Klimakatastrophe fällt aus. Die Hoffnung jedenfalls stirbt zuletzt. Das gilt für das Klima, den Euro, Stuttgart 21 und die Weltkonjunktur. Und jeden Morgen geht die Sonne wieder auf – auch 2012.

(Erschienen auf Wiwo.de am 22.12.2011)

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