Angst vor Hühnern

Die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandel stocken. Die Deutschen fürchten die Freiheit, obwohl sie gewinnen könnten.

Am Hähnchen haben sich schon Männer die Zähne ausgebissen, deren Namen wir heute ehrfürchtig im Geschichtsbuch lesen. Konrad Adenauer, Charles de Gaulle und John F. Kennedy – Männer, die weder die Sowjets, die Nazis oder den Mann im Mond fürchteten, scheiterten an Hühnern, tiefgekühlten Schenkeln, Flügeln und Brüsten; genauer gesagt: an der Frage, ob und wie diese ohne Zollschranken tiefgekühlt den Atlantik überqueren dürfen. Die Protokolle zum Élysée-Vertrag, als deutsch-französisches Freundschaftsabkommen einer der Grundpfeiler der EU, dokumentieren umfangreiche und knochenharte Auseinandersetzungen zur Hähnchen-Importfrage. Der europäisch-amerikanische Freihandel scheiterte damals daran. Seither ist die Welt größer und bunter geworden. Aber dass die Amerikaner ihre Hähnchen zum Abtöten böser Bakterien in Chlor tunken, ist noch immer ein Importhindernis. Neu dazugekommen sind Risiken, die Europäer anfallen, sollten sie zu Hause genmodifizierten Mais essen, der ihnen beim USA-Urlaub so schmeckt.

Die andere Seite ist nicht weniger pingelig. Europas Autos müssen wegen Italiens verwinkelter Gassen die Außenspiegel einklappen können – was im Land der unendlichen Prärie unnötig ist. Und Rohmilchkäse gilt dort als so gefährlich wie hierzulande hormonbehandelter Schinken. Ja, der Teufel liegt eben immer im Detail. Frankreichs Filmindustrie fürchtet sich vor Hollywood. Und in den USA darf der Blinker am Heck rot, in Europa muss er gelb sein.

Neu indes ist: Nicht nur einzelne Wirtschaftsinteressen machen gegen das Freihandelsabkommen mobil – auch viele selbst ermächtigte Verbände, Verbraucherschützer und NGOs haben bereits Hunderttausende Unterschriften gesammelt.

Dabei wären gerade die Deutschen die Nutznießer des Freihandels: Als Exportnation beweisen die Deutschen tagtäglich, dass sie nichts mehr fürchten müssen außer willkürliche Zollschranken. Auch das Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen des Freihandels, das Investitionen vor willkürlichen Gesetzesänderungen schützen soll, bewahrt die Deutschen und ihre Direktinvestitionen von sagenhaften 1,196 Billionen Euro rund um den Globus vor dem Zugriff gieriger Politiker. Investitionsschutzabkommen, die früher deutsche Unternehmen vor den Kleptokratien in Entwicklungsländern schützen sollten, werden heute abgelehnt. Auch Deutschland hat vergessen, dass Investitionen, die auf Jahrzehnte angelegt sind, vor dem willkürlichen Zugriff der Politik geschützt werden müssen, weil Investoren eines brauchen: langfristigstabile Rahmenbedingungen. Die deutsche Energiepolitik beispielsweise hat mittlerweile das Verlässlichkeitsniveau der Politik von Simbabwe.

Daher würde tatsächlich das transatlantische Freihandelsabkommen Europa wieder dazu bringen, die lästige und überflüssige, in der Summe schädliche Regelungswut zu überprüfen, die mal Glühbirnen und Staubsaugermotoren, mal Desinfektionsmittel oder Autospiegel zwangsnormiert.

Der britische Historiker Niall Ferguson zeigt in seinem Werk „Krieg der Welt – Was ging schief im 20. Jahrhundert?“: Um 1900 war die Welt so offen, so globalisiert und so vernetzt, wie sie es erst heute wieder ist. In der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg wurden allüberall Schutzzölle, Überregulierung, Besteuerung und Defizitfinanzierung eingeführt – und der Wohlstand der Welt schrumpfte noch schneller, verschärfte die innenpolitischen Krisen bis zur Katastrophe. Noch am besten kam das britische Empire davon, weil es in sich eine riesige Freihandelszone war. Am ärgsten traf die Krise kleinere, auf sich zurückgeworfene Binnenwirtschaften wie Deutschland und Italien – die dann den Raubzug nach Lebensraum antraten. Freiheit ist eben auch immer Handlungsfreiheit – und Öffnung der Märkte wohlstandssteigernd.

(Erschienen auf Wiwo.de am 10.05.2014)

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