Was die rabiate iranische Kopftuchpflicht mit dem Islam zu tun hat

Wie will man die Schattenseiten einer Religion oder Weltanschauung vermindern, wenn man sich weigert, diese überhaupt in den Blick zu nehmen? Ideologische Vogel-Strauß-Politik ist keine Lösung – selbst wenn diese sich als „progressive feministische Außenpolitik“ feiert.

IMAGO/UPI Photo
Teheran 2006

Außenministerin Annalena Baerbock sagte am 30. September 2022 im Bundestag zur Krise im Iran folgende Worte: „Wenn die Polizei, wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts, aber auch gar nichts mit Religion oder Kultur zu tun.“

Weltfremde Außenpolitik(erin)
Das Islamismus-Problem der Bundesregierung
Das ist eine sehr gewagte Aussage, denn die Sittenwärter und die Polizei in der „Islamischen Republik Iran“ handeln explizit im Namen des Islam. Sagt damit Annalena Baerbock indirekt, dass der Islam nichts mit Religion und Kultur zu tun hat? Eine These, die einige Politiker vertreten und dafür als dialogunfähige Rechtsaußen beschimpft werden.

Oder versucht sich Frau Baerbock an der These, dass ein mit Gewalt durchgeführtes Kopftuchgebot nichts mit dem Islam zu tun habe? Doch diese angestrengten Klimmzüge „Das-hat-nichts-mit-Islam-zu-tun“ bringen die weiße Mitteleuropäerin in die Sackgasse einer neokolonialen Überheblichkeit: Warum sollte die Nichtmuslimin Annalena Baerbock besser wissen, was islamisch ist, als die Muslime und universitären Schriftgelehrten im Iran?

Viele Muslime betonen, dass ein staatlich hart exekutiertes Kopftuchverbot sehr wohl eine Option im Islam ist, selbst wenn Menschen aus anderen Weltanschauungen das nicht verstehen können. Ihre Argumentation ist leicht nachvollziehbar:

1) Die Kopftuchpflicht für Frauen ist eine rechtgläubige muslimische Lebensweise.

Ein Kopftuchgebot für Frauen steht nicht ausdrücklich im Koran. Der Koran spricht nur davon, dass Frauen „ihre Reize nicht zur Schau stellen sollen“ (Sure 24,31), was sehr weit interpretierbar ist. Erst die Überlieferungen der Mohammed zugeschriebenen Worte und Handlungen (Hadithe), die im Islam ebenfalls hohe Autorität genießen, werden eindeutiger. Sie kennen folgende Anweisung des Propheten: „‚Wenn die Frau ihre Geschlechtsreife erlangt hat, dann sollte nichts von ihr zu sehen sein außer diesem!‘ Und er zeigte auf sein Gesicht und seine Hände“ (Abu Dawud, Sunan, Libas, 34).

Natürlich mag es auch andere muslimische Kleidungsinterpretationen geben; so tragen viele Frauen in der Sufi-Gemeinde meines Freundes kein äußerliches Kopftuch: „Unser Kopftuch ist das innerliche Kopftuch eines sittsamen Umgangs mit unserer Geschlechtlichkeit“, so beherzigen diese Sufi-Frauen das Kopftuchgebot. Die Sufis als mystische Muslime suchen die verborgene, spirituell-herzliche Deutung von Koran und Hadithe.

Doch solche alternativen Deutungswege dürfen nicht dazu führen, an der Realität vieler und einflussreicher muslimischer Auslegungsschulen vorbeizugehen, für die die stoffliche Kopftuchpflicht zur DNA des Islam gehört.

2) Die Kopftuchpflicht für Frauen darf in Ländern muslimischen Glaubens durchaus mit harter Gewalt durch die Obrigkeit zur Durchsetzung gebracht werden.

Im Islam dürfen grausame und unmenschliche Strafen im Namen Gottes verhängt werden, wenn Menschen sich gegen Gott und den Propheten stellen und wenn Menschen auf Erden „Verderben stiften“: „Wahrlich, der gerechte Lohn derer, welche Allah und seinen Gesandten bekämpfen und auf Erden Verderben stiften, ist es, dass viele von ihnen getötet oder gekreuzigt oder dass ihn Hände und Füße wechselseitig abgeschlagen oder dass sie aus dem Land verbannt werden“, so heißt es im Koran, Sure 5,33. Der Koran gilt im Islam als das direkte, unverborgene und unmittelbare Wort Gottes, dem unbedingt gehorcht werden muss.

Mohammed hat solche Strafen im Namen Gottes mit dem Schwert selber ausgeführt. Er hatte dazu die Macht, denn Mohammed war in einer Person oberster Religionsführer, oberster Gesetzgeber, oberster Richter, oberster Polizist, oberster Staatsherr und oberster Heerführer.

„Wir wollen keine Islamische Republik“
Nein, die Kopftücher im Iran brennen nicht symbolisch
Wenn eine muslimische Auslegungsschule das Kopftuchgebot als göttliche Pflicht ansieht, dann drängen sich folgende Konsequenzen quasi auf: Die aufständischen Frauen im Iran stiften Verderben, wenn sie das Kopftuch ablegen oder sogar öffentlich verbrennen. Sie stehen gegen Allah und den Propheten. Darum kann ein Muslim es als seine religiöse Pflicht ansehen, diesen ungehorsamen Frauen mit Gewalt Einhalt zu gebieten. In einem religiösen Gemeinwesen können Áufstände und Unruhen sowieso leicht als Unruhen gegen Gott und gegen die Religion interpretiert werden.

Eine Muslimin dieser muslimischen Auslegungslinie kann also mit reinem Gewissen sagen: „Wenn die Polizei eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das ganz gewiss etwas mit der Religion und der islamischen Kultur zu tun. Nur so kann das Verderben der ganzen Gesellschaft verhindert werden, das von unzüchtigen Frauen ausgeht, die den Islam mit dekadenten westlichen Unwerten zerstören.“

Das mag uns im Westen nicht gefallen. Das mag Annalena Baerbock nicht gefallen. Und dann mag die Versuchung groß sein, das einfach als unislamisch unter den Teppich zu kehren. Auch im Interesse der eigenen Willkommenskultur, ohne eventuelle Spannungen wahrzunehmen, die Muslime mit bestimmten muslimischen Auslegungstraditionen in unser Land bringen.

Stephans Spitzen:
Der Iran als Probe für Baerbocks "feministische Außenpolitik"
Interreligiöser Dialog ist mehr als ein „Piep, piep, piep – wir haben uns alle lieb, denn wir glauben doch alle an den gleichen Gott oder zumindest an die gleichen Menschenrechte“. Interreligiöser Dialog ist mehr als eine interreligiöse Gleichschaltung auf unterstem politischem Träumerei-Niveau.

Der interreligiöse Dialog muss dahin, wo es weh tut. Die billige Floskel „Das-hat-nichts-mit-dem-Islam-zu-tun“ hilft nicht weiter. Auch die Kreuzzüge der Christen hatten etwas mit dem christlichen Glauben zu tun. Und auch die Schreckensherrschaft der Jakobiner 1793–1794 mit zehntausenden Hinrichtungen hatte etwas mit der Aufklärung und der Französischen Revolution zu tun.

Gelingende Kommunikation braucht Ehrlichkeit. Wie will man die Schattenseiten einer Religion oder Weltanschauung vermindern, wenn man sich weigert, diese überhaupt in den Blick zu nehmen? Ideologische Vogel-Strauß-Politik im Bundestag ist keine Lösung, selbst wenn diese sich als „progressive feministische Außenpolitik“ feiert.

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Kommentare ( 33 )

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Rob Roy
1 Jahr her

Und wieder das nächste Land, welches wir sanktionieren wollen.
Die Sanktionen sehen dann so aus: Wir schieben keine straffällig gewordenen Flüchtlinge mehr in den Iran ab.
So, das hat der Iran nun davon, bätschi.

EinBuerger
1 Jahr her

Ich versuche es einmal sachlich zu analysieren: Es gibt im Iran ein Gesetz, welches Frauen vorschreibt ein Kopftuch zu tragen. Eine Frau hat gegen das Gesetz verstoßen und ist dafür verhaftet worden. Auf der Polizeiwache kam sie zu Tode, vermutlich wegen Prügel durch Polizisten. Neutral formuliert muss (selbst im besten Rechtsstaat von allen) untersucht werden, ob die Polizisten auf der Wache ein Verbrechen begangen haben. Das hat nichts mit dem Staat oder dem Gesetz zu tun, sondern mit diesen Personen. Ich glaube nicht, dass der Iran den Polizisten sagt: „Prügelt Frauen ohne Kopftuch zu Tode.“ Im Grunde ist es ein… Mehr

achijah
1 Jahr her
Antworten an  EinBuerger

Und dass die islamische Regierung die Polizisten möglicherweise schützt, hat möglicherweise was mit der im Iran dominierenden muslimischen Auslegungsschule zu tun, die eine negative Grundeinstellung gegenüber Frauen hat, die sich der richtigen Kopftuchpflicht verweigern. Dass eine politische nationale und internationale Dynamik mittlerweile ausgelöst wurde – das ist wohl unbestritten.

R.J.
1 Jahr her
Antworten an  EinBuerger

Die Kopftuchpflicht ist im Iran zweifach religionisiert. Erstens aus unmittelbar religiösen Gründen (siehe z.B. Sure 33, Vers 59). Zweitens aus quasi-religiösen, staatspolitischen als Symbol der top-down-Gesellschaftsordnung und Unterwerfung. Befragen Sie dazu weibliche echte Flüchtlinge, die hier kein Kopftuch tragen wollen und deshalb von anderen „Geflüchteten“ geschnitten werden. Beide Gründe sind leicht aktivierbar, da sie Mitläufern ein Betätigungsfeld liefern, ihre persönliche Inferiorität zu kompensieren. Man konnte das hierzulande auf geradezu lehrbuchartige Weise an den Reaktionen und Vorschlägen zur (ebenfalls flink religionisierten) Maskenpflicht erkennen. Der Firnis ist dünn, siehe dazu viele dokumentierte Auftritte der Ordnungsbehörden. Erst recht dürfte für solche, die für… Mehr

Last edited 1 Jahr her by R.J.
Jens Frisch
1 Jahr her

Warum in die Hadithe schauen, wenn im Koran schon zur Genüge alles klar gemacht wird?
2:223 „Eure Frauen sind euer Acker. Geht zu eurem Acker wann und wie immer ihr wollt.“
Der Islam und sein steinzeitliches Frauenbild haben in Deutschland absolut gar nichts verloren.

HRR
1 Jahr her

Sitten, Gebräuche und Lebensweisen in fremden Ländern sind von dort lebenden Ausländern zu respektieren, so wie wir von den zu uns kommenden Ausländern erwarten, dass sie unsere westliche Lebensweise respektieren und sich einfügen (wenn sie im Land bleiben wollen!), auch wenn sie diese Lebensweise aus welchen Gründen auch immer nicht goutieren. Brutale Gewaltanwendungen bei religiösen oder rechtlichen Fehlverhalten muss dagegen universal geächtet werden. Der Islam, der sich selbst als Religion des Friedens sieht, ist nicht friedlich, wie an vielen Zwisten und Kriegen selbst zwischen den diversen islamischen Richtungen festzustellen ist. Der Islam, der verlangt, dass der Gläubige bekennt, dass es… Mehr

Alexis de Tocqueville
1 Jahr her
Antworten an  HRR

„Brutale Gewaltanwendungen bei religiösen oder rechtlichen Fehlverhalten muss dagegen universal geächtet werden.“ Ja schön, aber kehren wir doch erstmal vor der eigenen Tür. Schon vergessen welche Gewaltanwendungen es gegen jeden gab, der der Covid-Religion nicht folgen wollte? Oder der Multikultimigrationsreligion? Ist das etwa keine Gewaltanwendung, wenn die Polizei „Coronaleugner“ zusammmenknüppelt oder AfD Politiker von der staatsfinanzierten Antifa attackiert werden? „Der Islam, der verlangt, dass der Gläubige bekennt, dass es keinen Gott gibt außer Gott und dass Mohammed der Gesandte dieses Gottes ist, ist nicht freiheitlich, sondern diktatorisch und ist mit unserem Grundgesetz nicht kompatibel.“ Klar, wo doch jeder weiß, dass… Mehr

Der_Palmer
1 Jahr her

„Wie will man die Schattenseiten einer Religion oder Weltanschauung vermindern, wenn man sich weigert, diese überhaupt in den Blick zu nehmen?“ Auf den Punkt gebracht. Sehr gut. Das identische Problem besteht mit Katar und der Schwulen Feindlichkeit. Da würde man die linksgrünen (Pseudo-)Eliten auch gerne mal fragen, was sie eigentlich glauben, welche Weltanschauung ursächlich für diese Menschenrechtsverletzungen ist. Allerdings weigern sich ja auch die LSGBT+ etc. Verbände sogar selbst, hier die Scheuklappen abzulegen und die einzige Weltanschauung/Ideologie in den Blick zu nehmen, die es in Katar gibt. Den ISLAM! Man will ja auf keinen Fall als fremdenfeindlich oder islamophob gelten.… Mehr

HeinerMueller
1 Jahr her

Nun, vielleicht ist der ganze Islam ja gar keine Religion….umgekehrt ist „Grün“ aber keine Politik, keine Partei und keine Weltanschauung, sondern eine Religion !
Wenn ich mir diesen ganzen Unfug der Grünen aufliste, hat diese unsägliche Sammlung der Ideen jedenfalls diesen typischen Charakter von Glaubensgemeinschaften. Glauben heisst aber nicht „Wissen“, und mit Nichtwissen der Grünen werden wir täglich gegängelt.

Last edited 1 Jahr her by HeinerMueller
JN
1 Jahr her

Sie haben die hart exekutierte totale (!) Kopftuchpflicht, wir hatten die hart exekutierte totale (!) Maskenpflicht, deren festgeschriebene Ausnahmetatbestände in der Realität das Papier nicht wert waren, auf dem sie geschrieben standen. Andere Kulturkreise, andere Sitten!

Juergen P. Schneider
1 Jahr her

Hat jemand geglaubt, dass die halbgebildete Hochstaplerin im Außenministerium sich jemals mit dem Islam und den Gefahren, die er für eine freiheitliche Gesellschaft mit sich bringt, beschäftigt hat? Diese Außenministerin kann doch froh sein, wenn es ihr gelingt, zwei deutsche Sätze hintereinander fehlerfrei aufsagen zu können.

Donostia
1 Jahr her

Er hatte dazu die Macht, denn Mohammed war in einer Person oberster Religionsführer, oberster Gesetzgeber, oberster Richter, oberster Polizist, oberster Staatsherr und oberster Heerführer.
Das ist doch die Beschreibung eines Diktators oder?

HeinerMueller
1 Jahr her
Antworten an  Donostia

Ja, und Diktatoren sind stets Feinde des eigenen Volks, nicht wahr Herr Habeck !

Waehler 21
1 Jahr her

Gut, ich würde mich freuen und es ist nur ein Vorschlag, wenn sich ein Botschaftsangehöriger oder schiitischer Geistlicher/in/d dazu äußert. Uns erklärt warum ein Kopftuch und vor allen Dingen wo überhaupt getragen werden muss oder sollte und welche Konsequenzen nach dem Koran überhaupt möglich sind.
Lasst doch mal einen Geistlichen erklären was man als gläubiger Moslem im Iran zu tun und zu lassen hat. Was muß ein Moslem/in/d in Deutschland tun oder lassen?
Fremde Länder fremde Sitten ist nicht nur althergebracht sonder auch eine Wahrheit.