PolitSeismoGraph: Der Merkel-Effekt zieht

Mit der Ankündigung einer erneuten Kanzlerschaft kann die die CDU punkten. Alle anderen Parteien verlieren - die AfD verschenkt ihren Wachstumsschub; die FDP rutscht wieder an die Todesschwelle.

Der PSG für den Dezember 2016 kennt nur einen Gewinner: Merkel. Die Unionsparteien, seit Mai des Jahres auf einem Niveau von unter 35 % Zustimmung vor sich her dümpelnd, machen einen deutlichen Sprung um 2,1 Prozentpunkte auf 35,9 %.

Verlierer sind alle anderen Parteien:

  • Die SPD, die mit der Nominierung ihres Noch-Außenministers Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident und der Ankündigung des ausscheidenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz zum Wechsel in die Bundespolitik in die Schlagzeilen drang, konnte ihren gefühlten Aufschwung nicht nutzen und verharrt mit einem Verlust von 0,1 Pp bei 23,1 %.
  • Die PdL („Linkspartei“) muss einen Rückgang von 0,3 Pp hinnehmen und liegt bei 8,7 % Zustimmung.
  • Die Grünen verlieren wie die SPD 0,1 Pp und pendeln weiterhin mit 12,2 % in ihrem Langzeitkorridor.
  • Die FDP, die ohnehin schon seit geraumer Zeit mit der 5-Prozent-Klausel zu kämpfen hat, kommt dem parlamentarischen Ausstieg mit einem erneuten Verlust von 0,1 Pp auf nunmehr 5,2 % Zustimmung bedenklich nahe.
  • Größter Verlierer bei den aussagewilligen Befragten ist die AfD, die 1,2 Pp abgibt und bei 11,5 % liegt.

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Das Langzeit-Diagramm deutet darauf hin, dass die SPD sich dauerhaft unterhalb der 25-Prozent-Zustimmung einrichtet. Zwar scheint der langfristige Abwärtstrend abgefedert, doch gibt es derzeit keine Signale, die den Sozialdemokraten Hoffnung machen könnten, das verlorene Wählervertrauen zurück zu gewinnen.

Ähnlich stellt sich die Situation für die Grünen dar. Nach dem Höhepunkt angesichts der Wiederwahl von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg fällt die Partei behutsam zurück auf ihr Langzeitniveau zwischen 10 und 13 Prozent. Auch die groß inszenierte „Basisabstimmung“ über den künftigen Spitzenkandidaten – die Spitzenkandidatin steht im gendergerechten Geschlechterdiktat der Grünen mangels Alternative mit Katrin Göring-Eckardt bereits fest – hat bislang keinerlei Wirkkraft auf das Wählervolk entfalten können. Es wird abzuwarten sein, ob die Kür des Frontmannes im kommenden Januar Klarheit darüber schafft, ob die Partei sich in Richtung Union öffnen will oder ihre Zukunft im Volksfrontbündnis aus SPD, PdL und Grünen sieht. Bis dahin scheint dem Wähler die grüne Partei eine Art Wundertüte zu sein, an die man sich nicht herantraut, weil man nicht weiß, was sich darin befindet. Die seit Monaten nur geringen Änderungen in den Zustimmung machen deutlich: Derzeit steht hinter dieser Partei, die jüngst ein in Richtung Volksfront weisendes Wahlprogramm verabschiedet hat, nur ihre Stammklientel.

Wie festgemauert erweist sich die PdL. Die KPD-SED-Nachfolger verharren in ihrer Marge zwischen acht und neun Prozent der Zustimmung. Impulse nach oben wie nach unten bleiben aus. Die ehemalige Staatspartei der DDR hat eine ideologisch fest verankerte Stammwählerschaft, die ihr zwar den Verbleib im deutschen Bundestag sichert – mehr aber auch nicht.

Ähnlich traurig ergeht es der FDP, deren prominente Köpfe Christian Lindner, Wolfgang Kubicki und Alexander Graf Lambsdorff es offensichtlich nicht schaffen, die Partei beim Bürger als eigenständige Kraft zu präsentieren. Die Spannungsbreite der Beliebigkeit zwischen dem Versuch, sich irgendwo zwischen Union und SPD als linksliberale Kraft anzusiedeln (Kubicki) oder einen strikten, wirtschaftsliberalen Kurs zu vertreten (Lambsdorff), spricht derzeit nur – wie in der Vergangenheit – bürgerliche Unions-Wähler an, die in den Liberalen einen Notnagel für die Enttäuschung über die Union erblicken. Der Kampf mit der 5-Prozent-Klausel kann darüber hinaus wechselbereite Wähler zu der Überzeugung bringen, dass die eigene FDP-Stimme am Ende nur der Volksfront hilft – wenn nämlich die Liberalen den Einzug in den Bundestag verfehlen sollten. Der FDP fehlt bislang das Thema, mit dem sie Wähler von sich überzeugen kann.

Der vergleichsweise große Verlust der AfD widerspricht der medial geäußerten Erwartung, die Wahl des vorgeblichen „Rechtspopulisten“ Donald Trump in den USA habe der „europäischen Rechte“ zu neuem Aufschwung verholfen. Jedoch ist bei den AfD-Zahlen seit eh zu berücksichtigen, dass in den PSG als Trendbarometer ausschließlich die „Stimmen“ derjenigen einfließen, die bei den Befragungen zu konkreten Positionierungen bereit sind. Eine „Gewichtung“ im Sinne des Stimmen-Verschiebens von anderen Parteien zur AfD erfolgt nicht. Da weiterhin sowohl angesichts des medialen Trommelfeuers gegen die AfD, aber auch wegen der inneren Ungeklärtheiten der Partei (aktuell Streit um die Spitzenkandidatur der Frauke Petry, außenpolitische Ausrichtung zwischen den westdeutschen Atlantikern und den ostdeutschen Internationalisten) einerseits ein nicht konkret bezifferbares Potential bei den nicht ausgewiesenen „Unentschiedenen“ schlummert, andererseits aber Wähler grundsätzlich innerverbandlichen Zwist eher zum Anlass nehmen, sich nach Alternativen umzuschauen, trifft die ausgewiesene AfD-Zahl keine Aussage darüber, wie hoch die Zustimmung bei einer Bundestagswahl tatsächlich ausfallen würde. Festgestellt werden kann jedoch, dass die AfD ihren Wachstumsschub vorerst abgeschlossen hat.

Der plötzliche Aufschwung für die Union zeigt die Irrationalität eines Teiles der Wählerschaft auf. Tatsächlich hatte die Ankündigung des Bundeskanzlers, erneut als Spitzenkandidatin der Union anzutreten, weder eine Änderung der Politik noch eine Änderung im Personalgefüge der Unions-Parteien zur Folge. Offensichtlich jedoch reichte die offizielle Ankündigung aus, einen Teil sowohl unentschlossener als auch AfD-affiner Wähler nun ihr Heil bei der Union suchen zu lassen. Dennoch sollte sich die Union derzeit keinen falschen Hoffnungen hingeben: Ähnlich wie bei den temporären Höhenflügen der Grünen, die regelmäßig bei der Kretschmann-Wahl in BaWü festzustellen sind, kann es sich dabei um ein kurzfristiges Strohfeuer handeln. Ob es der Union mit Merkel tatsächlich gelingen kann, dauerhaft die 35-%-Linie zu überwinden, werden die kommenden Monate zeigen.

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Das Flächendiagramm zeigt, dass die sitzideologisch rechten Parteien (Union, FDP, AfD) zum Dezember dank der Unions-Zugewinne gegenüber der Volksfront geringfügig Boden gutgemacht haben.

Dieses zeigt sich ebenfalls in der fiktiven Sitzverteilung auf Grundlage eines 600-Sitze-Parlaments ohne Überhang- und Ausgleichmandate.

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Zwar kann die Union 12 Sitze hinzugewinnen, dennoch ist sie mit 222 Mandaten weit von einer eigenen Parlamentsmehrheit entfernt.

Als wahrscheinlichste Konstellation einer Regierungsmehrheit bietet sich derzeit die Fortsetzung der Mehltau-Koalition aus Union und SPD an: Sie käme aktuell auf 366 Sitze und verfügte über eine komfortable Mehrheit.

Unter der Führung der Union wären weiterhin die Jamaika-Konstellation aus CDU/CSU, Grünen und FDP mit 330 Parlamentssitzen sowie die unwahrscheinliche Mitte-Rechts-Koalition aus Union, AfD und FDP mit 325 Sitzen regierungsfähig.

Die offenbar von Merkel angestrebte Koalition mit den Grünen schrammt derzeit mit 298 Sitzen hart an der Regierungsmehrheit (301 Sitze) vorbei – wäre jedoch angesichts der offenen Frage der Koalitionstreue einzelner Grünen-Abgeordneter unter einer ungeliebten Unions-Führung auch dann zweifelhaft, wenn sie durch leichte Zugewinne über die magische Marke käme.

Abgeschlagen bleibt die von Teilen der SPD und den Grünen sowie der PdL angestrebte Volksfront. Sie käme derzeit auf 274 Sitze und ist damit deutlich von der Mehrheitsfähigkeit entfernt.

Noch unrealistischer ist die sogenannte „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP. Sie wäre mit 252 Sitzen nur dann regierungsfähig, wenn sie sich noch die AfD mit in das Regierungsbett holte – und damit faktisch nicht vorstellbar.

Fazit

Fast ist man geneigt zu sagen: Es ist egal, wie die im kommenden Herbst anstehende Bundestagswahl im Detail ausgeht – an Merkel führt nach Stand der Dinge kein Weg vorbei. Vielmehr eröffnen sich für die Union derzeit drei Varianten: Die Fortsetzung der Mehltau-Koalition, ein buntes Jamaika-Bündnis oder die Verbannung der kompletten Linken in die Opposition. Für letzteres müsste einerseits jedoch die AfD sich als regierungsbereit und regierungsfähig erweisen – und die Union vermutlich Merkel spätestens nach der Wahl durch einen anderen Spitzenmann ersetzen. Beides scheint derzeit wenig realistisch, wenngleich seinerzeit Ole von Beust in Hamburg gezeigt hatte, dass der Mut zu ungewöhnlichen Konstellationen belohnt werden kann, und die SPD nach Gerhard Schröders „suboptimalem“ TV-Auftritt unter Beweis stellte, wie schnell die Verführung der Macht selbst scheinbar unersetzbare Alphatiere auf das Altenteil schicken lässt.

Erläuterung:

Der PSG basiert auf den Realdaten von rund 2.000 Erhebungen, die in mehreren Schüben im jeweils zurückliegenden Monat erhoben wurden. Sie werden durch einen mathematischen Algorithmus temporal-linear gewichtet, wodurch kurzfristige „Ausreißer“ gezielt abgefedert werden. Eine Gewichtung zum Zwecke der Zustimmungs-Verschiebung zwischen den Parteien erfolgt nicht – Nichtwähler und Unentschlossene finden daher keine Berücksichtigung.

Der PSG versteht sich ausdrücklich nicht als Instrument einer konkreten Wahlprognostik, sondern dient ausschließlich dem Ziel, Trends aufzuzeigen. Er ist insofern kein demoskopisches „Was wäre, wenn Sonntag …“, sondern als Trendbarometer ein Instrument zur Beurteilung langfristiger Politikentwicklungen.

Aussagen über Sitzverteilung und Koalitionskonstellation gehen von der fiktiven Annahme aus, die Parlamentszusammensetzung entspräche den jeweils aktuell ausgewiesenen Trendzahlen. Sie können gleichwohl bei eindeutigen Mehrheiten ohne tatsächliche Festlegung auf die erste Vorkommastelle unter Ausklammerung von Überhang- und Ausgleichmandaten als aktuell realistisch betrachtet werden.

Zahlen

Tabelle_Stimmenanteile_201611

Tabelle_Mehrheiten_201611

©2016 fogep/spahn

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