Die Figur des Jesus im Koran

Der beste Beweis dafür, wie offen der Islam auf die Christen zugehe, sei die Anerkennung des Jesus als islamischer Prophet. Das lässt es nicht nur wegen des bevorstehenden Weihnachtsfestes zweckmäßig erscheinen, die Rolle Jesu im Koran genauer zu betrachten.

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Jesus als Gesetzesänderer

Ausdrücklich unterstreicht der Koran eine gesetzesändernde Funktion des Wirkens Jesu. Su003.050 ist in dieser Hinsicht unmissverständlich. Damit allerdings begibt sich Mohamed in eine problematische Position. Da der Koran andernorts wiederholt verdeutlicht, dass auch die Tora das Werk Allahs ist, wird damit letztlich eingeräumt, dass Allah bei der Verfassung/Verkündung dieses Basiswerks Fehler unterlaufen sind. Wäre dem nicht so, bestünde keine Notwendigkeit, Jahrhunderte später jemanden zu schicken, der Teile der seinerzeit fixierten Gesetzgebung außer Kraft setzt. Mit dem behaupteten Allwissenheitsanspruch Allahs ist dieses schwerlich zu vereinbaren. Gleichzeitig wird hier deutlich, dass Mohamed die dem Jesus zugesprochene Rolle quasi als Vorbild der eigenen Prophetenaufgabe betrachtet: Er begründet damit den eigenen Anspruch, als menschliches Werkzeug eines Gottes gottgegebenes Gesetz ändern zu können.

Mit den Darlegungen in Su003.045-051 wird dabei durch Mohamed nicht nur die grundsätzliche Richtigkeit der evangelikalen Inhalte mit Gesetzescharakter festgeschrieben – mögliche, die Tora korrigierende Inhalte werden ebenfalls als göttlicher Wille fixiert. Dieses unterstreicht die Annahme, dass Mohamed aus einem christlichen Umfeld stammte, das sich jedoch von dem der byzantinischen Amtskirche in zahlreichen Positionen deutlich unterscheidet.

Mohamed als Verfechter der Maria

In Su004.156-157 setzt sich der Koran unmittelbar mit der die frühe christliche Kirche ebenso wie das Verhältnis zwischen Juden und Christen beherrschenden Auseinandersetzung um die Einordnung der Figur Jesu auseinander.

Im Zuge der Differenzen zwischen Juden und Nichtjuden in der jungen christlichen Gemeinde entwickelten die jüdischen Rabbiner mit dem babylonischen Talmud nach 200 nc die Auffassung, dass Maria zwar eine Jüdin, gleichwohl aber auch eine Hure gewesen sei, die sich mit einem römischen Soldaten eingelassen habe. Jesus sei das Ergebnis dieser Liaison gewesen. Damit sei Jesus weder vollwertiger Jude, noch könne er – wie in den Evangelien behauptet – in der Nachfolge des David stehen. Gleichzeitig wurde damit die Messias-Funktion Jesu abgestritten – und die Sohn-Gottes-Interpretation grundsätzlich abgelehnt.

Es dürfte diese Position der Juden sein, auf die Mohamed in Su004.156 unmittelbaren Bezug nimmt, wenn er von einer „gewaltigen Verleumdung“ der Maria spricht. Die entsprechende Passage, die sich gegen „die Leute der Schrift, die den Bund brachen“, richtet, verurteilt nicht nur die entsprechende Maria-Behauptung, sondern unterstellt ihnen auch Unkenntnis des tatsächlichen Vorgangs des Todes Jesu. Nicht sie, die Juden, hätten den „Messias Jesus Sohn Maria“ getötet. Dieses sei von ihnen lediglich vorgetäuscht worden. Tatsächlich sei Jesus von Allah zu sich empor gehoben worden (Su004.158).

Offensichtlich liegt dieser Sure eine entsprechende Auseinandersetzung zwischen Mohamed und Juden zugrunde, in der Mohamed die christliche Auffassung insoweit vertreten haben muss, als dass Jesus sowohl ein Messias als auch ein Sohn der Maria gewesen ist. Seine jüdischen Gesprächspartner wiederum müssen beides vehement in Abrede gestellt haben. Mohamed geht jedoch auch hier nicht den Weg der christlichen Amtskirche, sondern betrachtet den Messias, Sohn Marias, nicht als Sohn Gottes, sondern als dessen Gesandten. Gleichzeitig wird die „Himmelfahrt“ Christi zwar nicht grundsätzlich in Abrede gestellt, jedoch die Wiederauferstehung der christlichen Vorstellung. Wenn Jesus „weder erschlagen noch gekreuzigt“ wurde, sondern es sich dabei lediglich um ein Täuschungsmanöver gehandelt habe, dann impliziert dieses, dass es einen getöteten Jesus, der von den Toten auferstanden ist, nicht gegeben haben kann. Gleichwohl hat Allah ihn zu sich emporgehoben – was im bildlichen Sinne eine ideelle Erhebung beschreiben kann, in der Umsetzung jedoch auch eine „Himmelfahrt“ nicht in Abrede stellt. Die Darstellung im Koran entspricht insofern eher der Darstellung des Tanach zu Elia, der auf unerklärte Weise zu seinem Gott hinaufsteigt.

Mohamed gegen die Trinität

In Su004.171f wendet sich der Koran unmittelbar an die byzantinischen Christen:

„O Leute der Schrift, übertreibt nicht in eurem Glauben und sagt von Allah nichts als die Wahrheit. Wahrlich, der Messias, Jesus, Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Allahs und Sein Wort, das Er Maria entboten hat, und von Seinem Geist. Darum glaubt an Allah und Seine Gesandten, und sagt nicht: ‚Drei.‘  Lasset ab ist besser für euch. Allah ist nur ein einziger Gott. Es liegt Seiner Herrlichkeit fern, Ihm ein Kind zuzuschreiben. Sein ist, was in den Himmeln und was auf Erden ist; und Allah genügt als Anwalt. Der Messias wird es niemals verschmähen, Diener Allahs zu sein; ebenso nicht die nahestehenden Engel; und wer es verschmäht, Ihn anzubeten, und sich dazu zu erhaben fühlt so wird Er sie alle zu Sich versammeln.“

Es ist unverkennbar, dass Mohamed sich hier definitiv gegen die Position der Amtskirche von Byzanz stellt. Gleichzeitig begründet er damit die islamische Auffassung, wonach das Trinitätsdogma die Westchristen zu ungläubigen Polytheisten stempelt. Wie üblich verbindet der Koran seine Aufforderung, der christlich-amtskirchlichen Auslegung abzuschwören, mit einer hier noch versteckten Drohung: „Ist besser für Euch!“

In der politisch-expansiven Dynamik des jungen Islam erfolgt dadurch eine unverkennbare Unterscheidung zwischen den in Arabien und Mesopotamien lebenden Christen und den Byzantinern: Erstere gelten als lediglich geringfügig fehlgeleitete Muslime, letztere hingegen als Häretiker. Zeitlich wäre diese Koran-Passage damit in die Übergangsphase von der Unterwerfung der nahöstlichen Christengemeinden zur unmittelbaren Konfrontation mit Byzanz anzusetzen.

Eine schärfere Gangart gegen Christen

Unmissverständlich deutlich wird die Exkommunizierung der Trinitäts-Christen als potentielle Muslime in Su005.017. Sie dreht die christliche Logik quasi um:

„Wahrlich, ungläubig sind diejenigen, die sagen: ‚Allah ist der Messias, der Sohn der Maria.‘ Sprich: ‚Wer vermöchte wohl etwas gegen Allah, wenn Er den Messias, den Sohn der Maria, seine Mutter und jene, die allesamt auf der Erde sind, vernichten will?‘ Allahs ist das Königreich der Himmel und der Erde und dessen, was zwischen beiden ist. Er erschafft, was Er will; und Allah hat Macht über alle Dinge.“

Der Koran vermittelt nunmehr den Eindruck, für die Christen sei nicht Jesus ein Geschöpf Gottes, sondern Gott selbst sei dieser Messias und Sohn der Maria. In dieser Logik wird der Christ zu jemandem, der sich mit Jesus einen eigenen Gott – und damit einen Abgott – geschaffen hat. Die Tatsache, dass selbst die byzantinische Interpretation der Trinität eine solche Behauptung nicht zulässt, wird nunmehr ausgeblendet. Das kann einerseits bedeuten, dass jene Autoren der frühen Koran-Passagen, die über umfängliches Wissen des innerchristlichen Disputs verfügten, mittlerweile nicht mehr zur Verfügung stehen. Oder – wollen wir bei der Annahme bleiben, die Person Mohamed habe den Koran verfasst – Mohamed selbst ist es mittlerweile leid, den Westchristen noch irgendwelche Brücken zum Islam zu bauen. Das wiederum würde bedeuten, dass der Widerstand der byzantinischen Gemeinden gegen die Zwangsislamisierung doch nachhaltiger gewesen ist, als Mohamed dieses erwartet hatte.

Die schärfere Gangart gegen die Westchristen mit der irrigen Gottesbehauptung wird in Su005.072 wiederholt und darüber hinaus mit einem angeblichen Jesus-Zitat verschärft:

„Wahrlich, ungläubig sind diejenigen, die sagen: ‚Allah ist der Messias, der Sohn der Maria‘, während der Messias doch selbst gesagt hat: ‚O ihr Kinder Israels, betet zu Allah, meinem Herrn und eurem Herrn.‘ Wer Allah Götter zur Seite stellt, dem hat Allah das Paradies verwehrt, und das Feuer wird seine Herberge sein. Und die Frevler sollen keine Helfer finden.“

Mittlerweile ist im mohamedanischen Denken die Verschmelzung von Jahwah, dem christlichen Gott und Allah zu einer einzigen Gottesfigur abgeschlossen und Jesus selbst, der als aramäisch sprechender Jude seinen Gott als „Aloho“ bezeichnet haben mag, wird zu einem jüdischen Mohamed. Verknüpft wird das Jesus-Zitat mit der nunmehr sehr konkreten Drohung gegen jene Christen, die immer noch nicht bereit sind, sich dem arabischen Eroberer zu unterwerfen: Ihre Heimstätten werden verbrannt und sie selbst für vogelfrei erklärt.

Am Ende seiner Auseinandersetzung mit den widerstrebenden Christen scheint Mohamed dann selbst den Glauben an die Wirkkraft seiner Jesus-Geschichten verloren zu haben. Su005.075 klingt fast schon nach dem Umgang mit einem bockigen Kind:

„Der Messias, der Sohn der Maria, war nur ein Gesandter; gewiß, andere Gesandte sind vor ihm dahingegangen. Und seine Mutter war eine Wahrhaftige; beide pflegten Speise zu sich zu nehmen. Siehe, wie Wir die Zeichen für sie erklären, und siehe, wie sie sich abwenden.“

Will sagen: Euer Jesus war eigentlich nichts Besonderes, nur ein kleiner Prophet unter vielen, der wie seine Mutter Speise und Trank zu sich nehmen musste – eben nur ein Mensch mit einem göttlichen Auftrag. Gehen wir – wie die Islamgelehrten – davon aus, dass ältere, frühere Suren ihren Gebotscharakter verlieren, wenn es Allah zu einem späteren Zeitpunkt  eingefallen sein sollte, seine ursprüngliche Position korrigieren zu müssen, dann ist der Karriereknick des Jesu in der koranischen Narrative nicht zu übersehen.

Irgendwann dann hat Mohamed die Geduld mit den Christen abschließend verloren. In Su009.030f werden sie durch Allah verflucht:

„… und die Christen sagen, der Messias sei Allahs Sohn. Das ist das Wort aus ihrem Mund. Sie ahmen die Rede derer nach, die vordem ungläubig waren. Allahs Fluch über sie! Wie sind sie irregeleitet! Sie haben sich ihre Schriftgelehrten und Mönche zu Herren genommen außer Allah; und den Messias, den Sohn der Maria. Und doch war ihnen geboten worden, allein den Einzigen Gott anzubeten. Es ist kein Gott außer Ihm. Gepriesen sei Er über das, was sie zur Seite stellen!“

Europas Christen sind Ungläubige

Aus dieser Entwicklung der Betrachtung der Figur Jesu im Koran in Verbindung mit der zunehmend konsequenteren Ablehnung der byzantinisch-amtskirchlichen Trinitätslehre lässt sich für die Christen der Orthodoxie und des Katholizismus am Ende nur eine Feststellung treffen: Wenn überzeugte Muslime diesen Christen erzählen, der Islam wurde sie als Söhne des einen, gemeinsamen Gottes anerkennen, dann ist dieses nichts anderes als eine Unwahrheit. Allah als gemeinsamer Gott war der Rettungsanker für die orientalischen Christen, die Mohameds Glaubensfanatiker zu einem Zeitpunkt unterwerfen wollten, als seine Bewegung noch in den Anfängen stand. Als seine Armee des islamischen Kalifats stark genug war, die Ungläubigen im Kampf zu unterwerfen, wurden alle Anhänger der byzantinischen Glaubensauslegung zu Ungläubigen erklärt. Und für die ist im Islamischen Staat keine Platz – so wie umgekehrt für diese als strenggläubige Christen nach Kapitel 2.22f des ersten Johannes-Buches zu gelten hat, dass der Muslim als jemand, der die Gottessohn-Eigenschaft des Jesu in Abrede stellt, der Antichrist ist:

„Wer ist der Lügner, wenn nicht der, der da leugnet, daß Jesus der Christus ist? Dieser ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Jeder, der den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht; wer den Sohn bekennt, hat auch den Vater.“

Wenn angesichts dieser Ausgangslage ein oberster Glaubensvertreter der katholischen und einer der evangelischen Kirche gemeinsam auf den Tempelberg gehen und dabei in vorauseilendem Gehorsam ihr Kreuz ablegen, dann kann beiden eigentlich nur unterstellt werden, dass sie weder den Koran noch ihr eigenes Heiliges Buch gelesen haben.

spahnsspitzwege

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