Verlorene Dekade

Alle Regierungen, Unternehmen und Konsumenten wollen den billigen Zins wie Abhängige immer weiter für ihre Investitionen, ihren Konsum und ihren Müßiggang. Daraus droht nicht nur eine verlorene Dekade, sondern weitere.

© Michael Nagle/Getty Images

In dieser Woche wird fast schon traumatisiert auf die Zeit vor 10 Jahren geblickt. Am 15. September 2008 meldete die Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz an. Das Ereignis war das Armageddon der bis dahin geltenden Doktrin, die da lautete: die individuellen Risiken müssen möglichst breit verteilt werden, dann können systemische Krisen nicht stattfinden. Die „Verpackungsindustrie“ perfektionierte dieses Modell, indem sie schlechte mit vermeintlich guten Risiken in neue Finanzprodukte verpackte. So konnten auch schlechte Risiken an den Mann gebracht werden. Die Produkte waren am Ende so kompliziert, dass deren Inhalt nur noch von wenigen verstanden wurde. Die damalige KfW-Chefin Ingrid Matthäus-Maier sagte zur Schieflage der staatseigenen Industriekreditbank (IKB) und ihres Geschäftsgebarens 2007: „Hunderte von Verträgen, jeweils 400 Seiten lang, für jedes einzelne der höchst fragwürdigen Kreditprodukte, mit denen sich die IKB verspekuliert hatte. Jeder Vertrag versehen mit Fußnoten, die auf den hinteren Seiten die wahren Risiken im Verborgenen halten.“ Das verstehe sie alles nicht. Ihre mangelnde Durchdringung kostete sie wenig später ihr Amt.

Gestern hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor dem EU-Parlament die Wirtschafts- und Finanzkrise für weitgehend überwunden erklärt. Man sollte Junckers Worte sehr ernst nehmen, denn sein berühmtestes Zitat lautet ja bekanntlich: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Es scheint also ernst zu stehen um die Europäische Union.

Die Investitionen in Europa seien vor allem dank seines Juncker-Fonds wieder gestiegen. Bald würden 400 Milliarden Euro öffentliches und privates Kapital für Investitionen bereitstehen. Sehr viel Eigenlob schwingt dabei mit. Eigentlich macht der Juncker-Fonds das, was die Verpackungsindustrie damals auch gemacht hat. Er investiert in Bereiche, in die Investoren alleine nie investieren würden. Junckers Fonds übernimmt das erste Ausfallrisiko, um privaten Investoren das Risiko des Scheiterns abzunehmen. Der einzige Unterschied zu der Zeit vor 10 Jahren ist, dass damals die Risiken hinterher verstaatlicht wurden, während sie heute sofort vom Steuerzahler übernommen werden.

Letztlich redet Juncker die Situation schön. Nicht sein Juncker-Fonds sorgt für Wachstum in Europa, sondern das billige Geld der Notenbanken, insbesondere der EZB. Zwar wächst die Wirtschaft in der EU seit 21 Quartalen, wie Juncker ebenfalls stolz betont, aber die Verschuldung wächst viel dynamischer. Die Euro-Zone ist inzwischen mit 87 Prozent zur Wirtschaftsleistung verschuldet. Spanien mit 98 Prozent, Frankreich mit 97 Prozent und Italien mit 132 Prozent. Auf das Platzen der Blasen an den Finanzmärkten 2008 wurde mit neuen Schulden reagiert. In den letzten 10 Jahren ist die weltweite Verschuldung aller Marktakteure um 39 Prozent auf 247 Billionen Dollar gestiegen. Das sind 318 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Insbesondere die Verschuldung im staatliche Sektor ist enorm angestiegen (+81 Prozent), aber auch der Unternehmenssektor (+60 Prozent) ist besonders betroffen. Steigende Verschuldung geht einher mit einer steigenden Kreditvergabe der Banken und damit einer Ausweitung der Geldmenge. Dieses Geld sucht seine Anlagemöglichkeiten.

Die Erkenntnis, nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise, ist, dass dieses Geld in Vermögensgüter wie Unternehmenswerte und Immobilien fließt. Deren Preise steigen durch das Überangebot an billigem Geld. Wenn Immobilienpreise steigen, dann steigen meist auch deren Mieten. Sozialdemokraten glauben in diesem Szenario, man müsse dann einfach einen Mietenstopp verhängen. Wenn der Gesetzgeber Mieterhöhungen verbietet, dann sei das Problem gelöst. Jetzt müsse nur noch der öffentliche Wohnungsbau gefördert werden, dann würde sich der Markt schon wieder entspannen. Tatsächlich haben diese Zentralplaner die Zusammenhänge nicht durchdrungen. Mieten bleiben nur dann bezahlbar, wenn neue Angebote entstehen. Weniger Bauvorschriften und mehr privater Wohnungsbau lassen bezahlbare Mieten entstehen.

Eigentlich hat die Bankenrettung 2007/2008 (IKB, Hypo Real Estate, Landesbanken) mittelbar die Mieterhöhungen in den Ballungszentren in Deutschland mitverursacht. Der Sozialdemokrat Peer Steinbrück war damals Bundesfinanzminister und trat gemeinsam mit Angela Merkel vor die Kameras, um die milliardenschweren Bankenrettungen zu begründen. Seitdem existiert auch die unorthodoxe Geldpolitik der Notenbanken, insbesondere der EZB. Der Zins ist seitdem manipuliert. Der bald scheidende EZB-Präsident Mario Draghi trägt dafür maßgeblich die Verantwortung. Er raubt Europa die Zukunft. Schon deshalb ist es grob fahrlässig, wenn jetzt die Bundeskanzlerin die Nachfolgefrage Draghis einfach laufen lässt und sich das deutsche Interesse auf die Nachfolge von Jean-Claude Juncker konzentriert. Bei allem Respekt: Was ist der Juncker-Fonds von fast 400 Milliarden Euro gegen das Aufkaufprogramm von bald 2.500 Milliarden Euro durch die EZB. Bestenfalls hat der Juncker-Plan keinen Schaden angerichtet. Das kann man von Draghis Aufkaufprogramm nicht sagen. Es hat unser Wirtschaftssystem abhängig gemacht vom billigen Zins. Wie Drogenabhängige wollen alle Regierungen, Unternehmen und Konsumenten diesen immer weiter für ihre Investitionen, ihren Konsum und ihren Müßiggang behalten. Daraus droht nicht nur eine verlorene Dekade, sondern weitere.

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Kommentare ( 30 )

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JELEWA_de
5 Jahre her

Erhellend hierzu könnte ein Vortrag von Dr. Markus Krall sein. Markus Krall ist promovierter Diplom-Volkswirt und arbeitete während seiner Dissertation als Inhaber des Monbusho-Stipendiums der japanischen Regierung an der Kaiserlichen Universität in Nagoya. Nach dem Beginn seiner Karriere im Vorstandsstab der Allianz AG arbeitete er als Berater in der Boston Consulting Group, bevor er Oliver Wyman in Deutschland mit aufbaute. 2003 wechselte er als Partner zu McKinsey, wo er die Risikomanagement-Practice leitete, und organisierte später die Initiative zur Gründung einer europäischen Ratingagentur. 2014 trat er bei der unabhängigen Beratung goetzpartners als Management Director ein. Er leitet dort die Financial Institutions… Mehr

horrex
5 Jahre her

Ich glaube nicht an „Entgrünifizierung“.
Auch nicht an „Entrotifizierung“.
Selbst dann nicht, wenn es GEWALTIGST „knallt“!!!
Nicht, wenn es um „Glauben“ geht. Ich glaube nur daran, dass „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ –
Woran ich NOCH glaube ist, dass im Falle eines „Knalles“ gewisse „Heimwerker“ mit fanatischem Eifer versuchen werden „mit einem gewaltigen Hammer“ versuchen werden eine „Schraube“ (sic!!!) in die Wand zu hämmern. –

horrex
5 Jahre her

Ich weiß nicht, ob die „Zentralplaner“ den Mechanismus nicht verstanden haben. Ich will ihnen keine „gnadenlose“ Dummheit unterstellen. Vielleicht haben sie sogar. Der Haken an dem Märchen“ ist nur: Die „Geschäftsgrundlage“ der Zentralplaner in Form von „Gläubigen“ entfiele,WENN sie keine Dummen mehr fänden die das Märchen glauben. Die Geschäftsgrundlage die da heißt: Den Planern des „gutigen Sozialstaat“ geht irgendwann das Geld der ANDEREN aus. (Thatcher)

Thorsten
5 Jahre her

Sie meinen wahrscheinlich Target-2. Das Geld ist nicht weg, sondern höchstens teilweise verloren. Es könnte die Schuldner aber auch teuer zu stehen kommen, da sie diese Forderungen anerkennen müssen.

hagr
5 Jahre her

Das haben Sie wunderbar auf den Punkt gebracht. Erinnert mich fatal an ein Gespräch mit dem CDU-Direktmandatsinhaber in unserem Kreis. Nachdem ich ihn gebeten hatte, endlich gegen Merkel zu putschen, damit ich CDU wählen kann und wir einige Politikfelder wie innere Sicherheiht, Nullzins, Rentenpolitik usw. durch hatten, stammelte er irgendwann nur noch etwas von Optimismus, den man haben müsse. An seiner Stelle wäre ich nicht einmal mehr optimistisch, dass ich meine Pension als Ex-M.d.B. noch abkassieren kann, aber gut.

Sonny
5 Jahre her

Die Reichsten der Welt und die Bankrotteure und Betrüger allerorten werden finanziell aufgefangen und gepampert.Besonders hervorzuheben sind da die EU und die EZB. Zahlen muss das Fußvolk – ob nun sofort und/oder in Art von Enteignung.
Diese ganze „Welt“ ist einziger Moloch.

Dirk Badtke
5 Jahre her

Die Wirklichkeit im antidemokratischen Scheinstaat hat Merkel stellvertretend für alle Bereiche aufgedeckt, Verhältnisse ingnorierend (von Bangladesch bis Südafrika leben 2.5 Mrd. plus 50 Mill. Nettoneue p.a. in Clan-, Stammes,- Kasten,- oder/und Endrechtgläubigengesellschaften), verkauft die, fehlenden Grenzschutz und Invasion von Identitätslosen als Flüchtlingspolitik. Versucht dann andere zu verpflichten, um in Leistungslosigkeit noch zu glänzen. Kosten? Das Schlimmste ist, der sachlich-rechnende Bürger, wir können der Welt keine Aufnahme versprechen und die Invasion muss gestoppt werden, wird beschimpft. Die Geldpolitik läuft doch Feinstens, die Banken bedienen sich an den Konten der Bürger, die grossen Geldmengen gehen nicht in Geschäfte und Investitionen der Bürger,… Mehr

Reinhard Peda
5 Jahre her

Mit den steigenden Schulden, für Zins unterhalb der Inflationsrate, finanziert man die, die in Europa nix verloren haben. Solange man diese Menschen ins Land, der offenen Grenzen, strömen läßt, steigt auch noch das „Wirtschaftswachstum“! In diesem „Geschäftsmodell“ ist eine Rückzahlung von Schulden überhaupt nicht vorgesehen. Solange die EZB-Aufkaufprogramm von Staatsschulden betreibt, und die Geldschöpfung, via Target2, durch die Deutsche Bundesbank passiert, wird auch keinerlei Zusammenbruch der Wirtschaft erfolgen. Mit dem selben Modell könnte man auch die Renten-, Krankenkassen samt Pflegversicherung finanzieren. Lohnnebenkosten werden sinken, höhere Renten ausbezahlt, Arbeitslosigkeit durch früheren Renteneintritt verhindert. Nebenbei könnten anständige Löhne bezahlt werden, wobei gleichzeitig… Mehr

hagr
5 Jahre her
Antworten an  Reinhard Peda

Der Nachteil bei Ihrem Plan dürfte sein, dass das Geld nicht bei einigen Wenigen ankommen würde, sondern bei vielen, womit es am Ende auch in Umlauf geriete. Und da liegt der Hund begraben. An sich haben wir von der Geldmenge her eine Hyperinflation, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, einzig, dass es nicht in Umlauf ist, bzw. es sich um Buchgeld handelt, das sich Spekulanten hin und her schieben, verhindert eine Explosion der Konsumgüterpreise. In allen knappen Bereichen ist die Inflation aber deutlich zu sehen. Man bekommt nicht genug Facharbeiter, um das Geld ausgeben zu können, Vermögenspreise explodieren… Mehr

Beobachterin
5 Jahre her

Ja, ich war dabei und kann heute ein Lied davon singen. . Als Beraterin war ich zugegen bei der Gründung der 2. Bad-Bank Deutschlands in Unterschleißheim. Projekt-Bezeichnung: „Projekt zur weltweiten Konsolidierung des Depotbankengeschäfts (Bankenrettung) mit dem Branchenschwerpunkt: Immobilien- und Staatsfinanzierung im Bereich Payments and Financial Market Operations.“ Ebenfalls in Düsseldorf, bei der IKB. Ich ging, glaube ich, als letzte aus dem Gebäude. Es war hart den gläsernen Aufzug abwärts zu fahren. Kaum 24 Stunden später wurde mir gekündigt. Mein Auftrag damals: „Erstellung einer IT-Governance für die Konzerninformatik“. So nennt man das, wenn die Braut zum Verkauf aufgehübscht wird. Branchen-Sprech, eben.… Mehr

W aus der Diaspora
5 Jahre her

und irgendwann macht es Peng. Das Kartenhaus fällt zusammen und weltweit ist das ganze Giralgeld weg. Das was übrig bleibt sind dann Sachwerte. Gold – Betongold – aber zum reellen Preis, Ackerland, Autos etc.. Auch die Aktien werden, so die Firmen weiter existieren, weiterhin einen Wert haben, nur halt einen viel geringeren.
Die armen Schlucker werden etwas ärmer sein, die Reichen weniger reich, aber viele halt immer noch reich im Verhältnis zu den Armen.

Thorsten
5 Jahre her
Antworten an  W aus der Diaspora

Die Armen könnten sehr arm werden, da sie keine Rücklagen und keine Sachwerte besitzen.

Es wird Gewinner und Verlierer geben. Meist reichlich Verlierer.