Lieber gut beschäftigter Handwerker als arbeitsloser Kulturanthropologe

35 Prozent brechen ihr Hochschulstudium ab – aber dem Handwerk fehlt der Nachwuchs. Die Politik muss mehr für die berufliche Ausbildung tun.

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Der Erfolg staatlicher Bildungspolitik wird in erster Linie am Anteil der Abiturienten an den Schulabgängern bemessen. Wenn es heute fast 60 Prozent eines Abiturjahrgangs an die Universitäten zieht, mag das Politiker mit Stolz erfüllen. Das Resultat einer solchen Bildungspolitik, die die akademische Ausbildung überbetont und die berufliche Ausbildung eher stiefmütterlich behandelt, ist jedoch ein eklatanter Fachkräftemangel in nicht-akademischen Berufen, vor allem im Handwerk. Es schadet aber unserer Wirtschaftskraft, wenn Aufträge von Unternehmen wie Privatleuten nur mit großer zeitlicher Verzögerung bearbeitet werden können, weil überall Elektroniker, Klempner oder Kfz-Mechatroniker fehlen.

Insgesamt suchen die Handwerksbetriebe zurzeit rund 250.000 Arbeitskräfte. Auch am Nachwuchs mangelt es. 2018 blieben etwa 17.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, was für die künftige Personalentwicklung kein gutes Zeichen ist. Bei diesem Fachkräftemangel ist es schwierig, geeignete Nachfolger für die Chefs zu finden. Im Handwerk droht ein Betriebssterben, denn in den nächsten Jahren stehen insgesamt 200.000 Inhaberwechsel an – aber in vielen Fällen lässt sich kein Nachfolger finden.
Die einseitig auf den akademischen Bereich ausgerichtete Bildungspolitik hat zur Personalnot im Handwerk beigetragen, obendrein noch dem Ruf dieses Wirtschaftszweigs geschadet. Viele Eltern finden es nämlich besser, wenn es den Sohn oder die Tochter an die Universität und dort gar zu einem Orchideenfach mit miserablen beruflichen Aussichten zieht, als zu einer handwerklichen Ausbildung. Dass eine arbeitslose Kulturanthropologin später glücklicher wird als die Chefin eines Dentallabors, darf bezweifelt werden.

Höheres Sozialprestige der Akademiker

Handwerker können es vom Ansehen her nicht mit Akademikern aufnehmen. Dieser Wirtschaftszweig leidet zudem unter dem Klischee, Handwerker zu sein bedeute grundsätzlich schwere körperliche Arbeit bei relativ geringem Lohn. Das stimmt so nicht. Zum einen hat im Handwerk längst die Informationstechnik Einzug gehalten und den Charakter vieler Tätigkeiten grundlegend verändert. Heutzutage schicken moderne Dachdeckerbetriebe Drohnen in die Höhe, um zum Beispiel die Schäden am Hausdach zu inspizieren, ehe sie selbst aufs Dach steigen. Zum anderen können sich Zimmerer, Elektroniker oder Maurer mit Jahresgehältern von durchschnittlich 34.000 bis 37.000 Euro im Vergleich zu vielen anderen Berufen durchaus sehen lassen. Allerdings werden Fleischer mit einem Jahresgehalt von 29.000 Euro oder Bäcker mit 25.000 Euro unterdurchschnittlich bezahlt. Mit Meistertitel lässt sich erheblich mehr verdienen – als Elektroniker oder Tischler beispielsweise 45.000 Euro im Jahr, als Maler oder Zahntechniker rund 40.000 Euro. Da können viele Akademiker nicht mithalten.

Das Handwerk investiert viel in Kampagnen, um das falsche Image zu korrigieren. Es wirbt auch damit, dass der Boden gerade für selbständige Handwerksmeister unverändert „golden“ sei. Doch ohne Hilfe der Politik kann dieser Wirtschaftszweig seine Schwierigkeiten nicht meistern. Die Politik hat in den letzten Jahren zunehmend erkannt, wie wichtig der Beitrag des Handwerks zum Wirtschaftsstandort Deutschland ist. Schließlich sind 5,5 Millionen Menschen im Handwerk tätig; das sind 12 Prozent aller Erwerbstätigen. Vor allem bilden die Handwerksbetriebe 28 Prozent aller Auszubildenden aus, ein volkswirtschaftlich nicht zu unterschätzender Beitrag.

Politik spart an beruflicher Ausbildung

Die gestiegene politische Wertschätzung des Handwerks braucht konkrete Unterstützung. Der Meisterbrief öffnet in vielen Bundesländern den Zugang zur Universität und macht so den Handwerksberuf attraktiver. Doch werden Handwerker gegenüber Studierenden benachteiligt, da das Universitätsstudium – von der Semestergebühr abgesehen – unentgeltlich ist. Handwerksgesellen hingegen müssen für die sieben- bis achtmonatige Vorbereitung auf die Meisterprüfung bis zu 10.000 Euro selbst aufbringen und gleichzeitig den Verdienstausfall in dieser Zeit verkraften. Ganz abgesehen davon, dass das Handwerk die Meisterausbildung selbst organisieren und finanzieren muss.

Bildungspolitiker heben immer häufiger die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Ausbildung hervor. Noch aber ist es nicht zu einem Wandel im öffentlichen Bewusstsein gekommen, dass eine nicht-akademische Ausbildung – ob im Handwerk oder in der Industrie – den Vergleich mit dem Besuch einer Hochschule nicht zu scheuen braucht. Gerade von Abiturienten und ihren Eltern wird gerne übersehen, dass die Immatrikulation an einer Universität nicht automatisch zum Bachelor oder Master führt. Im Gegenteil: Weil viele junge Leute der Titel-Illusion erliegen, bemerken sie zu spät, dass sie in der akademischen Welt fehl am Platz sind. Sonst müssten nicht 35 Prozent aller Studierenden ihre Hochschulausbildung vorzeitig abbrechen.

Den guten alten Werkunterricht wiederbeleben

Um hier etwas zu ändern, ist auch die Politik gefordert. Ganz wichtig wäre, dass Schüler schon früh die Chance erhalten, sich mit unterschiedlichen handwerklichen Tätigkeiten vertraut zu machen. Deshalb müsste der Werkunterricht in den Stundenplänen – gerade an Gymnasien – einen festen Platz erhalten. Wie sonst sollen junge Menschen ein Gespür dafür bekommen, wie es um ihre praktischen Fähigkeiten steht? Wenn dann noch eine umfassende Berufsberatung dazu kommt, die insbesondere Gymnasiasten auf die Chancen im Handwerk hinweist, könnte das Handwerk die Trendwende bei der Gewinnung von Nachwuchs schaffen. Zudem ist eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Berufsschulen, einer wichtigen Säule des „dualen Systems“, um das uns viele Länder beneiden, dringend notwendig. Dagegen sind Vorschläge aus dem Handwerk, den „Meister“ in „Bachelor professional“ oder „Master professional“ umzubenennen, ein verkrampfter Versuch, das Handwerk aufzuwerten.

Die Klagen des Handwerks über die Benachteiligung der beruflichen Bildung sind alt. Von der Politik wird den Verbänden meistens Recht gegeben. Auf die Worte müssen mehr Taten folgen – im Interesse der Wirtschaft und des Landes.

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Kommentare ( 72 )

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Dedaidn
4 Jahre her

Meine Rede…..und danke für diesen Artikel

Und nach wie vor verstehe ich nicht, warum so viele gegen die AfD sind, diese schreiben z.B. im Europawahlprogramm unter Sparte „Bildung und Kultur“ genau das gleiche….

Aber unsere Regierungsverantwortlichen (zumind. die meisten) machen weiter wie gehabt

Da Schwandorfer
4 Jahre her

Also ich bin so ein Handwerker. Seit über 30 Jahren in der Energiebranche beschäftigt. Fast alle meine Freunde haben studiert. Als ich meinen Freund fragte (Bauingenieur) was er verdient, dann musste ich ihm sagen dass ich für das Geld das er bekommt nicht mal meinen Werkzeugkasten aufmachen würde. Und- Ich liebe meinen Job.

GermanMichel
4 Jahre her

Handwerker werden durch KI ersetzt. Für Kulturanthropologen bräuchte man KD (künstliche Dummheit), ein komplexes Forschungsgebiet das noch in den Kinderschuhen steckt.

mfohr
4 Jahre her

wenn ich mir die politischen Visionen für unser Land anschaue, dann brauchen wir doch nicht mehr so viele Handwerker, mit den Händen Arbeitende, Malocher…..
deindustrialisiert, den Konsum ökologisch korrekt zurückgeschraubt, den ganzen Tag damit beschäftigt Haltung zu zeigen, vom Staat mit Almosen gespeist, und vom Staatsfunk ruhig gestellt.
und die ganzen Akademiker spielen die Begleitmusik aus den Parteien, Verwaltungen, NGO´s, Caritas, Diakonie, und sonstigen dem Wohl der Menschen zugetanen Organisationen. die Musik verstummt nur zu den Zeiten, an denen der Muezzin zum Gebet ruft.

Kinofan
4 Jahre her

Mit großer Verwunderung lese ich hier teilweise Beiträge bei denen ich mir nur noch an den Kopf fassen kann. Da meinen manche mit einem Stundenlohn von 10,60 als Aushilfe zufrieden sein zu können und schimpfen über die Handwerksberufe. Ich für meinen Teil habe das erlernen meines Handwerks nie bereut, im Gegenteil.Lehre mit 16, Meisterschule mit 21 incl Betriebswirtschaftsabschluß,selbstständig mit 29 und jetzt ?? Jetzt höre ich schon mit 58 Jahren auf da ich die letzten 2 Jahre schon radikal meine berufliche Tätigkeit reduziert habe, ich habe einfach keine Lust mehr diesen Staat weiter mit meinen Steuern zu unterstützen, warum auch.… Mehr

Enrico
4 Jahre her
Antworten an  Kinofan

Guter Plan (neidlos anerkennend). Gut gemacht, also Augen auf bei der Berufswahl, Fortbildung und der Vermögens(fort)bildung. Ich hätte für diesen Weg wahrscheinlich zu wenig finanzielle Substanz (nochmals: kein Neid) und bin zudem abhängiger von Auszahlungen aus der „Rentenkasse“ (diese macht vakuummäßig ‚pffffft‘ wenn sie geöffnet wird) aus Berlin. Und nochwas. Doch, es wird genauso kommen: „Ja, das konnte doch keiner ahnen“. Schauen Sie sich doch nur die Entwicklung der Gesichter, Klamotten, Haltung, den Umgang miteinander in der Öffentlichkeit, in der „Gesellschaft“ an. Dörfliches Leben etwas aussen vor, aber auch da bröckelt es schon lange. Ich kenne beides als geborenes Landei… Mehr

Kinofan
4 Jahre her
Antworten an  Enrico

Ich habe schon mehrmals Urlaub in Ungarn verbracht und kann die Gastfreundschaft nur bestätigen.Persönlich freue ich mich auf einen Neuanfang da ich mit der “ politischen Führungselite “ abgeschlossen habe und alles nur noch extrem armselig sehe. Lieber gehen solange es noch geht, das Erwachen in Deutschland wird in ein paar Jahren schlimm genug werden. Aber wie heißt es so schön, Haltung zeigen, alle die gegen die gegenwärtige Zuwanderung sind, ja die sind pfui und bäh. Wenn hier mittlerweile von Enteignungen gefaselt wird und unfähige Menschen ohne Berufsabschluß ala Kühnert und Konsorten als die neuen Heilsbringer angesehen werden, ja dann… Mehr

Hadrian17
4 Jahre her
Antworten an  Kinofan

Ich denke überhaupt nicht daran, hier wegzugehen. Das sehe ich wie Kästner, der als Chronist der Zeit Verantwortung tragen wollte.

Der sozialistische Sturm wird vorübergehen, es wird allerdings noch einigen Bruch geben, und dann werden „Trümmerfrauen“ beiderlei Geschlechts nötig sein, die den Laden wieder einrichten.

Die Kastanie juckt auch nicht, welches Viech sich an ihr schubbert … .

Hadrian17
4 Jahre her

Wie viele Handwerker sitzen im Bundestag? Wieviele in den Partei“gremien“?

Da scheinen im Moment doch wohl eher die Parteikarrieristen wie Studienabbrecher und „Sozialwissenschaftler“ den Ton anzugeben … .

Die Lehrlingsausbildung in Deutschland ist ausgezeichnet. Selbst Obama lobte diese als vorbildlich und beispielbgebend. Die Berufsschulen haben durchweg eine hervorragende Qualität.

Darüber sollte man nicht sprechen. Sonst wird sofort die Axt an dieses System gelegt.Im Handwerksberuf trennt sich allerdings sehr schnell die Spreu vom Weizen. Durchbluffen und vorlaute Sprüche klopfen, die jeder Fachmann sofort als Unsinn entlarvt, bringen hier nichts … .

elly
4 Jahre her

„Höheres Sozialprestige der Akademiker“ leider ist das so, dass die Folienpinsler in den Firmen immer noch besser angesehen sind, als die produktiv Tätigen. Liegt leider auch daran, dass die Vorstände so gerne bunte Bilder genannt Grafiken sehen wollen. Hohles Geblabber zahlt sich aus, sieht man in der Politik, bei den fff Kids und im Management

Franz-Xaver
4 Jahre her

Da meine Frau Lehrerin ist, reden wir oft über das Thema. Sie beklagt immer wieder, wie Kinder von ihren Eltern gegen jede Vernunft auf“s Gymnasium geschickt werden, obwohl ihre Talente ganz woanders liegen und das ist m.E. auch das schlimmste an unserem Akademiker-Wahn: spätere junge Erwachsene verzweifeln z.T., werden depressiv, weil sie überhaupt nicht auf’s Akademiker-Gleis gehören. Dann ist es aber meist schon zu spät oder es muss mit riesigem Aufwand ein weiterer Berufs-Anlauf gemacht werden. Ich habe mal ein wenig gerechnet: Aus meinem Jahrgang wechselten von der Grundschule auf“s Gymnnasium 16% und es machten 12% des ges. Jahrgangs allg.… Mehr

Thorsten
4 Jahre her

Ein gerne übersehenes Problem ist, dass man als Handwerker (ganz anders als in den 70-80 ern) kein gutes Geld verdient. Durch die offenen Grenzen kommen viele Billiganbieter, die pfuschen und die Preise versauen. Auch die heutigen Steuern und Abgaben machen die Arbeit unattraktiv. Es bleibt weniger als die Hälfte übrig.

Gruenauerin
4 Jahre her

Eigentlich bildet die Schule auch nicht für die Unis aus. Letztendlich stöhnen Unis und Handwerksbetriebe über ihre Bewerber, weil die aus der Schule kommen und – ich übertreibe – nichts richtig können. Wichtig wäre es, in der Schule das Ruder rumzudrehen, Leistung einzufordern und wirklich Lehrstoff zu bieten und – wie im Artikel – auch Handwerks- und Dienstleistungsberufe den Schülern schmackhaft zu machen. Mein Enkel war erst im Gymnasium, dort fühlte er sich nicht sehr wohl und er ist auf die Realschule gewechselt und nach gutem Abschluss ins Hotelwesen eingestiegen und so schlecht verdient er auch nicht. Er ist glücklich… Mehr