Angela Merkel, der „Regierungsauftrag“ und Sachsen-Anhalts Wähler

Angela Merkel hat nach den letzten beiden Bundestagswahlen einen "Regierungsauftrag" des Wählers für die stärkste Partei behauptet. Das wird sie mit Blick auf die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wohl kaum wiederholen.

IMAGO / Eibner

„Wir haben den ganz klaren Auftrag, unter schwierigen Bedingungen eine Regierung zu bilden“. Zwar hätte sie sich ein besseres Ergebnis für ihre Partei gewünscht. Aber, fügte sie hinzu, „wir können stolz erhobenen Hauptes sagen: Wir sind die stärkste Kraft“. Damit gebe es einen „klaren Regierungsauftrag für die Union“, den sie „mit aller Kraft annehmen“ wolle.

So reagierte Angela Merkel auf das Ergebnis der Bundestagswahl 2013. Und genauso reagierte sie auch auf das Wahlergebnis von 2017: „Merkel: Regierungsauftrag für die Union“, verkündete die Pressestelle der CDU am 25. September 2017.

Womöglich werden Merkel und andere Unionspolitiker dieses Betonen des „Regierungsauftrags“, den sie aus der Tatsache, „stärkste Kraft“ zu sein, folgerte, nach dem sachsen-anhaltinischen Wahlabend am Sonntag nicht mehr derart betonen. Vielleicht auch dann nicht, wenn Rainer Haseloffs CDU am Ende doch wieder vor der AfD liegt.

Landtagswahl
TE-Wahlwette: Wie entscheiden die Wähler in Sachsen-Anhalt?
Zunächst: Die Bundesrepublik Deutschland kennt keinen „Regierungsauftrag“ des Wählers. Den gab und gibt es in Monarchien und Präsidialstaaten. Und dort kommt der Auftrag eben nicht vom Wähler, sondern vom Monarchen oder Staatspräsidenten, der dafür aus eigenem oder Allgemeininteresse gehalten ist, einen Politiker auszuwählen, der gute Aussichten hat, eine Mehrheit des Parlaments hinter sich zu wissen.

Auch in der alten Bundesrepublik gab es keinen traditionellen Regierungsauftrag für die stärkste Fraktion. Nach den Bundestagswahlen 1969, 1976 und 1980 waren CDU und CSU stärker als die SPD und konnten sich auf keinen Regierungsauftrag berufen, da die FDP lieber mit Brandts beziehungsweise Schmidts SPD koalierte.

Dass Angela Merkel – und längst nicht nur sie – einen solchen Auftrag der Wähler für sich reklamierten, ist ein Beispiel für die Neigung von Politikern im Parteienstaat zur Anmaßung. Zu dieser Anmaßung gehört auch, dass man bei veränderten, nämlich widrigen Umständen (konkret: die AfD als möglicherweise stärkste Partei) von den selbst verkündeten Maßstäben nichts mehr wissen möchte.

Klar, dass der AfD-Bundesspitzenkandidat Tino Chrupalla nun seinerseits im Interview mit der Welt behauptet: „Stärkste Kraft zu sein, würde den Regierungsauftrag durch die Wähler bedeuten. Diesen würden wir wahrnehmen und den anderen Parteien Gespräche anbieten. Dann werden diese erklären müssen, warum sie uns entgegen dem Wählerwillen negieren wollen.“

Er irrt sich ebenso wie Merkel 2013 und 2017: Es gibt keinen „Regierungsauftrag durch die Wähler“ für die stärkste Fraktion. Dass und auch warum die anderen Parteien mit der AfD keinesfalls koalieren wollen, haben sie im Vorhinein schon klar gemacht. Darüber nachzudenken und Schlüsse zu ziehen, wäre Aufgabe von AfD-Politikern, wenn sie vernünftig wären und tatsächlich regieren wollten. Angesichts des aktuellen Führungspersonals der AfD kann die Hoffnung darauf nicht besonders groß sein.

Noch viel wichtiger für das Schicksal der deutschen Demokratie wäre, dass die Politiker der anderen Parteien, vor allem aber der CDU statt wie jüngst Ostbeauftragter Wanderwitz AfD-Wähler zu beschimpfen und von der „Brandmauer“ zu schwärmen, über die tieferen Ursachen der verfahrenen Lage der deutschen Demokratie nachzudenken. Nämlich über das Vermächtnis der Merkel-Ära, in denen die Vergrünung und Sozialdemokratisierung der Union nicht nur die eigene Partei entkernt, sondern auch das Parteiensystem zerstört und einen erheblichen Teil der Wähler dazu gebracht hat, eine Partei zu wählen, keine Aussichten hat mit zu regieren. Auch darauf sollte man wohl angesichts der Verhältnisse in der Union nicht allzu große Hoffnung setzen.


Die Wahlforscher bemühen sich, im Endspurt die Wahlabsichten einzufangen. TE hat bereits mehrfach Wahlwetten durchgeführt, die dem tatsächlichen Ergebnis sehr nahe kamen. Denn die neutrale Erwartung derjenigen, die wetten und damit gewinnen wollen, kann zuverlässiger sein als Antworten auf anrufende Interviewer. Womöglich trauen sich immer weniger Bürger, ihre tatsächliche Meinung zu äußern. Wetten aber geht immer.

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Annahmeschluss ist der Wahlsonntag (06.06.2021) um 17:35 Uhr. Das Wettergebnis wird bis einschließlich Montag, den 07.06.2021, veröffentlicht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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Kommentare ( 33 )

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Libertardistani
2 Jahre her

Mein Wahlwunsch und mein Wahltip sind zwei Sachen. Mein Wahlwunsch: vor allem Wiedereinzug meiner Partei in den Landtag. Was das Gesamtergebnis betrifft: Die etablierten Parteien nicht nur im Landtag brauchen dringend einen Schuss vor den Bug, einen Einschlag ins Comptoir, dass die Wände wackeln. Der kann nur in einer starken AfD bestehen. Und in einem Debakel auf der altlinken Seite, eine von denen (SED. Grüne, SPD) draußen. Sie werden sich strikt weigern, ein solches Ergebnis anzuerkennen, und sich in Untertanenbeschimpfung üben, wenn die nicht befehlsgemäss votieren. Ja glauben sie denn ernsthaft, alle tragen die Untertanentüten mit Begeisterung, nur um damit… Mehr

Gerro Medicus
2 Jahre her

Wie sagte doch Franz Müntefering: „Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen“.

Gerro Medicus
2 Jahre her

Sehr geehrter Herr Knauss, Sie schreiben, die Forderung „Regierungsauftrag durch die Wähler“ für die stärkste Fraktion“ sei obsolet. Nun, Sie geben auch zu, dass diese Begründung jahrzehntelang von den aus den Wahlen als stärkste Partei hervorgegangenen Gruppierungen immer wieder als Argument für die Regierungsbildung verwendet wurde. Insofern finde ich es folgerichtig, dass auch die AfD, sollte sie in Sachsen-Anhalt tatsächlich stärkste Fraktion werden, diesen Anspruch erhebt. Ob das richtig ist oder nicht, kann gar nicht mehr gesagt werden, diese Methode ist zum Gewohnheitsrecht geworden. Sie hätte im vorliegenden Fall auch sein Gutes: Sie könnte geeignet sei, das Altparteienkartell gegen die… Mehr

Evero
2 Jahre her

Liebe Sachsen-Anhaltiner,
wählt nicht eine der Regierungsparteien, die gezeigt haben, dass sie das Land spalten, statt es zu einigen. Protest ist gefragt, damit die ehemaligen Volksparteien zur Räson kommen. Oder es gibt neue Volksparteien.

Imre
2 Jahre her

Zustimmung. Bieten Sie doch genau zu dem Thema TE mal einen selbstgeschriebenen Artikel an, Ihr Kommentar lässt da durchaus gehaltvolle Substanz vermuten…. Ersparte – wohl den meisten Lesern hier, andernorts haben solche immensen Nachholbedarf- mehr oder weniger ansteigenden Blutdruck. Und der Klarsicht wäre es ohnehin zuträglich…., zudem fordern die Spitzenleistungen merkelschen Regierungshandelns von Tag zu Tag drängender alternative und praktikable Lösungen, die Tsunamiewelle bäumt sich immer bedrohlicher auf!

a.bayer
2 Jahre her

Ich kann, lieber Herr Knauss, Ihre Einschätzung nicht teilen, dass die Lage der deutschen Demokratie „verfahren“ sei. Verfahren wäre sie, wenn es k e i n e „Alternative“ -man kann sie liebhaben; man kann es auch sein lassen- gäbe. Die Situation ist nicht verfahren, sondern- schwierig! Allerdings ist auch mein Bedürfnis nach politischer Harmonie nicht sehr ausgeprägt. Ich habe „Kleinholz“ hin und wieder sehr gerne. Da merkt man dann, wie sehr die Demokratie (und man selbst!) lebt. Unter diesem Gesichtspunkt freue ich mich ganz besonders auf’s Wochenende.

Last edited 2 Jahre her by a.bayer
Imre
2 Jahre her

Leider etwas inkonsequent, der Autor. Bei der AfD sieht er kein vernünftiges Personal, und wie ist das in den restlichen Parteien in S-A? Gut, R. Haseloff steht klar auf der Positivseite, aber der ganze Rest? Wenn allerdings die Sachsen-Anhaltiner auch nur so ähnlich wie 2017 wählen, dann muss das doch gute Gründe haben! Und dies trotz propagandistischem Dauerfeuer auf die einzig existente Realopposition, die „Volksparteien“ plus Anhängsel haben sich längst den Staat zur Beute gemacht, ergo ihre Wähler verraten! Wer, außer Blinden, Verstrahlten, Mitläufern und Ahnungslosen soll die denn guten Gewissens noch wählen?! Wir stehen hier, nicht bloß in S-A,… Mehr

Dirk Bender
2 Jahre her

Das Vermächtnis der Merkel-Ära: Die CDU hat nahezu alle ihre konservativen Grundpositionen, sich selbst und ihre Stammwählerschaft verraten hat. Das verdeutlicht auch auf erschreckende Weise die absolute Werte- und Prinzipienlosigkeit dieser Partei. Werte und Prinzipienlosigkeit werden abgestraft. Christliche Prinzipien werden nicht mehr vertreten, wie Lebensschutz, Fragen von Familienpolitik, Solidarität zwischen den Generationen. Die Einstellungen in den Medien und der Politik haben sich nach links verschoben, so dass heute Positionen als «rechts» gelten, die früher (und lange bevor man dieses Wort abwertend gebrauchte) Mainstream waren. Der Kontinentaldrift in der CDU ist offensichtlich. Aus Überzeugung oder Opportunismus wurden zum Traditionsbestand der Partei gehörende… Mehr

Michael Theren
2 Jahre her

„wenn sie tatsächlich regieren wollten…“ – wäre es nicht grade eine erfrischende Alternative wenn die AfD aus einer starken Opposition die „Demokraten-Parteien“ vor sich im Sinne der (schweigenden) Noch-Mehrheits-Bewohnenden vor sich hertreibt….
Aktuell zeigt gerade Dänemark, was aus Sozialdemokraten durch eine starke Opposition gutes werden kann….
Politiker zu sein, kann eben auch bedeuten für die res publica einzustehen und muß nicht bedeuten, nach Macht zu streben….

hoho
2 Jahre her
Antworten an  Michael Theren

Ganz richtig.
Dazu kann man noch sagen dass die Abgeordneten in den Parlamenten eigentlich nicht der Parteien verpflichtet sind. Ich denke sogar dass sowas wie Fraktionszwang nicht verfassungskonform ist. Nicht dass es jemanden in dieser „Republik“ das interessieren würde.

Gerro Medicus
2 Jahre her
Antworten an  Michael Theren

Aus SozialDEMOKRATEN ja, aus Hardcore-Sozialisten, Kommunisten und Marxisten, die in Form von SPD, LINKEN und Grünen manifestiert sind, eher nicht. Denn die sind definitiv keine Demokraten, entweder nie gewesen (Linke, Grüne) oder nicht mehr (SPD). Die CDU wird es erst begreifen, wenn sie komplett am Boden ist und auf Augenhöhe mit der SPD (so bei 6 – 8%). Dann ist bei so vielen der Ofen aus, dass sie sich eines anderen besinnen müssen. Denn viele von denen wissen gar nicht, was Erwerbstätigkeit und Arbeiten ist, die haben sich ihr ganzes Leben lang an den Staatstitten nähren lassen. Wenn Sie was… Mehr

Sonny
2 Jahre her

Alice Weidel als Bundeskanzlerin kann ich mir durchaus vorstellen. Ganz Deutschland könnte aufatmen. Wenn auch anfangs von der anderen Hälfte der Wähler mit zusammengebissenen Zähnen und Fäusten in der Tasche.
Man schaue nur nach Frankreich. Dort ist Marine le Pen zu einer ernsthaften Gefahr für Macron geworden. Zu Recht.

Last edited 2 Jahre her by Sonny
Thorsten
2 Jahre her
Antworten an  Sonny

Die Franzosen haben noch entsetzlichere Zustände, die auch von den Medien totgeschwiegen werden. So werden REGELMÄßIG Polizist:innen von „Männern“ „gemessert“ und in den Ghettos traut sich die Polizei nur in Großaufgeboten …