Der Fall Räsänen: Das christliche Menschenbild vor Gericht

Bereits zweimal wurde die ehemalige finnische Innenministerin Päivi Räsänen vom Vorwurf der Hassrede freigesprochen. Nun wurde in letzter Instanz erneut darüber verhandelt, ob das Bekenntnis zum christlichen Menschenbild ein Hassverbrechen darstellt.

ADF International

„Ich bin sehr ruhig und zuversichtlich. Ich habe von Anfang an gespürt, dass dieser Prozess in Gottes Händen liegt, und ich vertraue darauf, dass er ihn zu Ende bringen wird. (…) Wie auch immer das Ergebnis dieses Prozesses ausfallen mag, mein Gewissen ist rein und mein Glaube steht fest.“

Gelöst und gesammelt zugleich wirkt Päivi Räsänen, als sie sich nach dem Prozessauftakt vor dem Obersten Gerichtshof Finnlands den Fragen der Presse stellt: Zum dritten und letzten Mal musste sich die christdemokratische Abgeordnete am 30. Oktober vor Gericht verantworten. Angeklagt ist sie wegen eines Straftatbestands, der dem der Volksverhetzung entspricht – und der im finnischen Strafgesetzbuch unter dem Abschnitt behandelt wird, der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ betrifft.

Grund der Anklage: Räsänen hatte in einem Tweet aus der Bibel zitiert. Und sie bekennt sich zu einem christlichen Verständnis von Ehe, Familie und Sexualität. Eine Haltung, die man nicht teilen muss – aber ist sie deshalb „Hassrede“ und strafbar?

Dass die zwölffache Großmutter mit dem warmherzigen Lächeln Hass verbreiten würde, wirkt einigermaßen unglaubwürdig. „Ich habe lediglich aus Liebe und Überzeugung das gesagt, was ich für wahr halte.“ Jeder solle „unabhängig von seinem Glauben seine tiefsten Überzeugungen frei“ äußern können, „ohne Angst vor Strafverfolgung haben zu müssen“, so Räsänen. Die Erfahrung, dass ihr Glaube, ihr Gewissen und die Bibel selbst vor Gericht gestellt wurden, bezeichnet sie als surreal, zumal in einem demokratischen Land.

Der Prozess selbst ist die Strafe

„Sechseinhalb Jahre [Strafverfolgung], 13 Stunden polizeiliche Verhöre, vier Strafanzeigen, drei Gerichtsverhandlungen, 11 Richter“, fasst Paul Coleman den Umfang des Verfahrens zusammen. Und fügt schmunzelnd hinzu: Nur Gott wisse, wie viel Geld der Staat für dieses Verfahren ausgegeben hat.

Er ist Geschäftsführer der Alliance Defending Freedom (ADF International). Eine juristische Menschenrechtsorganisation, die Menschen unterstützt, die wegen der Ausübung ihrer Freiheitsrechte vor Gericht landen. In diesem Fall Päivi Räsänen und ihren Mitangeklagten Juhana Pohjola, Bischof der finnischen lutherischen Kirche.

Hinter der Entschlossenheit, mit der die Staatsanwaltschaft den Prozess auch nach Niederlagen in zwei Instanzen weiterführte, vermutet Coleman eine Strategie. Man wolle einen Fall wie diesen in die Länge ziehen. Nach schlussendlich sieben Jahren wird das letztinstanzliche Urteil im Frühjahr erwartet, so Matti Sankamo, Räsänens Strafverteidiger.

Coleman geht davon aus, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen eine prominente Person wie Räsänen „eine Selbstzensur vieler anderer Menschen bewirkt, die (…) nicht sieben Jahre wegen eines Tweets vor Gericht stehen wollen und sich daher entscheiden, zu schweigen und ihre Ansichten, Meinungen und Überzeugungen nicht zu teilen. In diesem Sinne ist das Verfahren eine Bestrafung für Päivi Räsänen und Bischof Juhana Pohjola, und gleichzeitig eine Abschreckung für alle, die zuschauen.“

Auch wenn es zu einem Freispruch kommt: Die Folgen dieser Einschüchterungstaktik betreffen nicht nur Christen, die öffentlich Stellung nehmen. Im Grunde kann es jeden treffen, der Meinungen äußert, die der Staat als unannehmbar definiert.

Räsänen ist sich bewusst, dass sie und ihr Fall grundsätzlich dafür stehen, wie in Europa mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit umgegangen wird. Dennoch sticht hervor, dass hier ausgerechnet das Christentum ins Visier genommen wird. Bischof Pohjola, angeklagt, weil er 2004 Räsänens religiöse Broschüre „Als Mann und Frau schuf er sie“ veröffentlichte, macht deutlich, dass es zu seinen Amtspflichten gehöre, „die christliche Lehre und Ethik in der Gesellschaft öffentlich zu lehren und zu verteidigen, basierend sowohl auf der Bibel als auch auf dem Naturrecht“.

Eine Verurteilung würde ein gefährliches Signal an alle Christen senden, und nicht zum Aufbau „einer freien Gesellschaft beitragen, die stolz auf ihre Rechtsstaatlichkeit ist“. Denn die Inhalte, die hier untersucht werden, sind keinesfalls radikal. Sie gehören zu den Überzeugungen, die im Grunde alle christlichen Denominationen teilen. Unzählige Menschen richten ihr Leben danach aus oder streben dies zumindest an.

Der Elan der Staatsanwaltschaft ist erlahmt

Bemerkenswert sind die Ausführungen des Verteidigers der beiden Angeklagten. Matti Sankamo vermittelt den Eindruck, dass der Elan der Staatsanwaltschaft nachgelassen habe. Ein anderer Staatsanwalt sei mit dem Fall betraut gewesen, der weniger aggressiv und geradezu „passiv“ vorgegangen sei – er habe keine einzige Frage an Räsänen gerichtet.

Dabei war die Staatsanwaltschaft ursprünglich die treibende Kraft hinter dem Prozess, gibt auch Räsänen zu verstehen. Denn die Polizei sah nach zahlreichen Verhören letztlich keinen Straftatbestand erfüllt. Die Staatsanwaltschaft setzte sich darüber hinweg und erhob dennoch Anklage.

Rückblickend erzählt Räsänen, wie absurd, aber auch wie schockierend es war, als sie, ehemalige Innenministerin und damit ehemals „Chefin“ der Polizei, auf der Polizeiwache erklären musste, wie Bibelpassagen zu verstehen seien.

„Ich hatte die Bibel auf dem Tisch liegen, und der Polizist stellte mir sehr theologische Fragen“, berichtet Räsänen. Sie sei auf eine Art und Weise verhört worden wie Christen in der Sowjetunion. „Jedes Mal am Ende des Verhörs forderte man mich auf, die Stellungnahme zu löschen und mich zu entschuldigen. Ich sagte, dass ich mich nicht für die Aussagen des Apostels Paulus entschuldigen würde, da es nicht meine Meinung sei, sondern das Wort Gottes“, so die Ehefrau eines lutherischen Pastors.

In den sozialen Medien sei der Witz kursiert, dass sie schon wieder auf der Polizeiwache Bibelstunden abhalten würde: Selbst der Humor gemahnt bereits an Sowjetzeiten.

Eine Gesellschaft, in der fünfzehn Jahre alte Äußerungen, ja, womöglich noch länger zurückliegende Aussagen zu Strafverfolgung führen – eine beunruhigende Vorstellung. Kein Wunder, dass der Fall international Aufsehen erregt. Selbst der US-amerikanische Außenminister Marco Rubio hatte sich eingeschaltet und seine Unterstützung bekundet.

Europa auf Selbstzerstörungskurs

Dass sich Europa in Sachen Meinungsfreiheit auf einem abschüssigen Pfad befindet, ist kein Geheimnis. Dass dabei gerade die christliche Deutung der Welt, dass gerade christliche Denk- und Lösungsansätze als Hass diffamiert und aus dem Diskurs ausgeschlossen werden, spricht Bände: Fußt doch das gesamte Wertegerüst des Kontinents inklusive seiner Freiheitsrechte letztlich auf dem Menschenbild, für das Räsänen und Pohjola vor Gericht gestellt wurden.

Hier handelt es sich also um mehr als um eine illiberale Agenda, die Meinungsäußerung kontrollieren und einschränken will, so besorgniserregend auch dies bereits ist: Es ist vielmehr Teil eines irrationalen, fanatischen Selbstzerstörungsprozesses, den Europa eingeleitet hat.

Denn auch alle Nichtchristen auf dem Kontinent und weltweit profitieren von den Werten, die Europa aus dem christlichen Bekenntnis heraus entwickelt hat. Auch wenn ein Scheitern an den hohen Ansprüchen dieses Glaubens durch die Zeit hindurch immer wieder unvermeidlich war, zeigt ein Blick in andere Regionen doch, dass die Entstehung einer am Wohl jedes einzelnen Menschen, an seiner Würde und an seinem unermesslichen Wert orientierte Gesellschaft kein Naturgesetz ist. Diese Werte sind fragil, müssen verteidigt und bewahrt werden.

Ein Freispruch würde belegen, dass rechtsstaatliche Prinzipien zwar zuweilen überstrapaziert werden, dass sie aber noch stark genug sind, um ein finales Abgleiten in totalitäre Muster zu verhindern. Das wäre ein starkes Zeichen an die Menschen in Europa, sich nicht einschüchtern zu lassen, und um ihre Rechte zu kämpfen.

„Es geht um die Meinungs- und Glaubensfreiheit für uns alle. Die Freiheit, ehrlich und respektvoll über das zu sprechen, woran man glaubt. Das ist die Grundlage jeder freien und demokratischen Gesellschaft“, fasst Räsänen zusammen, was für demokratische Gesellschaften selbstverständlich sein sollte – und es doch längst nicht mehr ist.


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Kommentare ( 34 )

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34 Comments
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MartinKienzle
9 Tage her

Zitat: „Hier handelt es sich also um mehr als um eine illiberale Agenda, die Meinungsäußerung kontrollieren und einschränken will, so besorgniserregend auch dies bereits ist: Es ist vielmehr Teil eines irrationalen, fanatischen Selbstzerstörungsprozesses, den Europa eingeleitet hat.“

Irrtum, Fräulein Diouf: Keineswegs die christlichen Europäer trachten nach Selbstvernichtung, sondern die sogenannte „Elite“ strebt danach, Erstgenannte zu zerstören (https://archive.org/stream/Rabbi-Rabinovich-Rede-zur-Ausrottung-der-Weissen/Rabbi-Rabinovich-Rede-zur-Ausrottung-der-Wei%C3%9Fen_djvu.txthttps://www.reddit.com/r/AlternativeHistory/comments/8ies6q/albert_pike_a_33rd_degree_freemason_wrote_a/?tl=de&rdt=41202))!

Last edited 9 Tage her by MartinKienzle
Raul Gutmann
9 Tage her

…ob das Bekenntnis zum christlichen Menschenbild ein Hassverbrechen darstellt

Wenn man die Gründe für den Untergang des Westen in einen Nebensatz kleiden soll, dann nimmt vorstehender einen vorderen Platz ein.

maru
9 Tage her

Hier wird die Bibel selbst, das Christentum, angeklagt.Irrwitzig!
Angeklagt gehören diese Kommunisten-Schergen bei der finnischen Staatsanwaltschaft und der tatsächlich Hass geleitete Islam.
Ein Anhänger dieser islamischen Mord-Ideologie zu sein, gehört mit Sicherheit eher vor Gericht gestellt als friedliche Christen, die sich als Erben einer Liebesidee verpflichtet sehen.

lube
9 Tage her

Es ist zwischenzeitlich ein Albtraum in der EUdSSR zu leben. Die haben komplett alle Ostblockmethoden übernommen. Sie sollten sich schämen.

Marcel Seiler
9 Tage her

Natürlich bin ich dafür, dass Frau Räsänen freigesprochen wird.

Aber ich bin nicht dafür, dass jede religiöse Überzeugung straffrei geäußert werden kann. Es gibt eine Reihe islamischer Aussagen, die mit dem Grundgesetz und den Verfassungen anderer europäischer Staaten nicht vereinbar sind. Da geht es um die untergeordnete Stellung der Frau und ihren minderen Wert, etwa vor Gericht. Es geht um den gegenüber Muslimen verminderten Wert und die verminderte Würde von Nichtmuslimen. Es hat religiös legitimierte Mordaufrufe gegeben. Solche Äußerungen müssen bei uns verboten sein und bestraft werden, um unser Gemeinwesen zu schützen. Interessanterweise kenne ich keine einzige solche Anklage.

Schwabenwilli
9 Tage her

Die Erfolgsgeschichte des Westens, Aufklärung, Wissenschaft, Forschung, Bildung und so weiter und so fort ist geprägt vom Christentum/Judentum von einem christlichen Weltbild. Das alles hat unseren Wohlstand erschaffen. Nun nachdem unsere Gesellschaften auf diesem Höhepunkt angelangt sind vergessen Sie welche Grundwerte dafür verantwortlich waren und wenden sich anderen oberflächlichen Ersatzreligionen zu. Spengler hat das in seinem Untergang ausführlich erläutert. Das allein würde schon genügen dass eine hohe Zivilisation langfristig absteigt. Nun kommt aber Faktor hinzu der das rapide beschleunigt, die Einwanderung von Moslems in deren Religion die Aufklärung nie stattgefunden hat. Das heißt sie partizipieren von unserem Wohlstand tragen aber… Mehr

Capfinistere
9 Tage her

Da kann es nur eine Antwort darauf geben:
Austritt aller konservativen Staaten aus dem EU Gefängnis. Sollen sich Malta, das Baltikum, Portugal Belgien und Frankreich mit sich selbst beschäftigtigen, es macht keinen Sinn mehr, sich auf Dauer von diesem übergriffigen EU Monster bevormunden zu lassen. Oder glaubt irgend jemand, diese Posse wäre den Finnen ohne EU in den Sinn gekommen?

Der Person
9 Tage her

Es geht hier nicht um das christliche Menschenbild oder Religion, das ist nur Beifang. Es geht darum, was Solschenizyn so eloquent formuliert hat: „Ein kommunistisches System erkennt man daran, daß es die Kriminellen verschont und den politischen Gegner kriminalisiert.“ Anhänger dieses kommunistischen Systems sind folgende Personen: Generalstaatsanwältin Raija Toivainen für die Anklageerhebung, Staatanwältin Anu Mantila, unterstützt durch Maija Päivinen im ersten Prozess. Im zweiten und dritten Prozess weiterhin Anu Mantila, diesmal unterstützt durch Staatsanwältin Krista Mannerhovi. Der im Artikel erwähnte „andere Staatsanwalt“, der „weniger aggressiv“ vorging, war Mikko Männikkö. Es ist wichtig, dass man diese Leute auch namentlich benennt und… Mehr

Dundee
9 Tage her

Ich habe einige Jahre in Finnland gelebt. Von November bis März ist es dort dunkel. Auch wenn die Sonne mal scheint wird es trotzdem nicht hell, in dieser Zeit des Jahres. Dadurch sind die Menschen grundsätzlich depressiv, mürrisch und introvertiert. Und zwar ganzjährig. Jemand mit frohem Mut oder guter Laune in Finnland wird sofort Schauspieler oder Musiker, selbst wenn er oder sie gar kein Talent für Schauspiel oder Musik hat; einfach weil sich sonst niemand in Finnlands Bevölkerung finden würde, der diese Genres zu bekleiden vermochte. Darum sind Musik und Schauspiel in Finnland grottenschlecht. Ich denke es waren die Römer,… Mehr

Haba Orwell
9 Tage her
Antworten an  Dundee

> Dadurch sind die Menschen grundsätzlich depressiv, mürrisch und introvertiert. Und zwar ganzjährig.

Ganz in der Nähe in StPetersburg sind die aber viel besser drauf? Dort ist das Glas halb voll – die langen Tage im Sommer.

Erstaunlich, dass die Finnen so beim Gedanken hysterisieren, wieder mal im fröhlicheren Land zu leben? Das müsste doch wie Erlösung sein.

BTW: Zitat Patrick Jane („The Mentalist“): „Skandinavier, eine schwermütige Bande“ – vielleicht ist in Schweden, Dänemark und Norwegen ähnlich?

Maunzz
9 Tage her

Um was geht es? Römer 1, 27:„Desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht und den Lohn für ihre Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.“