Kanzler Scholz oder die betörende Kraft des Normalen

Union und Grüne verstecken ihre Kanzlerkandidaten, die Sozialdemokraten verstecken ihre Partei. Und genau deshalb hat die SPD die reelle Chance, dass der Unauffälligste Kanzler wird, Olaf Scholz, als das berühmt-berüchtigte kleinste Übel.

Unter den Kanzlerkandidaten schaut er als einziger so aus, als könnte er Kanzler sein. Diesen denkenswerten Satz über Olaf Scholz sprach ein Bekannter von Alexander Wendt, dem dieser die Gabe zuspricht, Dinge sehr gut erfühlen und klar benennen zu können. Als ich das heute früh hörte, war meine erste spontane Reaktion: Stimmt, der Mann hat recht.

Meine zweite Reaktion ist: Scholz sieht nicht deshalb so aus, als könnte er Kanzler sein, weil er Scholz ist oder aussieht wie Scholz. Sondern weil die anderen so ganz und gar nicht nach Kanzler ausschauen oder wirken, als könnten sie Kanzler sein.

Scholz wirkt – obwohl schon älter als sie damals – wie einst die jüngere Merkel geradezu auffallend unauffällig, einschläfernd spracharm, blass farblos, begabt zur Schau getragen bescheiden, anscheinend kein Wässerchen trüben könnend – kurz: eine Beruhigungspille mit bundesweiter Ausstrahlung.

Bonsaischmidt sozusagen

Zur heutigen SPD passt Scholz so wundersam gar nicht, hierin, aber auch wirklich nur hierin im Kleinstformat Helmut Schmidt ähnelnd: ein Bonsaischmidt sozusagen. Er soziopolitologisiert nicht wie Kevin Kühnert, keift nicht wie Saskia Eskens, pöbelt nicht wie Ralf Stegner und hat WireCard wie Cum-ex hinter die Kulissen des deutschen Provinztheaters in den politischen Winterschlaf gesummt.

Landauf, landab registrieren professionelle Beobachter bei dem ebenso alten wie zuverlässigen Indikator eines gut laufenden Wahlkampfs, den Wahlplakaten, dreierlei.

  • SPD-Plakate dominieren in der Fläche: Psychologische Wirkung, die sind präsent, die sind stark.
  • Die SPD plakatiert Scholz, nicht irgendetwas Agenturiges: Wirkung, der Kandidat ist unumstritten.
  • SPD-Plakate sind auffallend selten Zerstörungsziele – ganz im Unterschied zu  Plakaten aller anderen.

Kanzlerkandidat Scholz ist der einzige, den seine Partei im Wahlkampf nicht versteckt, sondern klar raus und nach vorne stellt. Baerbock wird oft von Habeck oder anderen Obergrünen im TV ersetzt. Beim Plakatieren verzetteln sich Grüne und CDU in den Plakatmotiven. Aus der zweiten Reihe wird in der Union gefordert, ein Team rund um Laschet zu bilden. Für den erfahrenenen Wahlkämpfer lauter Indizien dafür, dass die Unionisten nicht geschlossen hinter Kanzlerkandidat Laschet stehen und die Grünen nicht eindeutig hinter Baerbock.

Union und Grüne verstecken ihre Kanzlerkandidaten, die Sozialdemokraten verstecken ihre Partei

Der aufmerksame Beobachter Alexander Wendt brachte es heute früh ins stimmige Bild: Union und Grüne verstecken ihre Kanzlerkandidaten, die Sozialdemokraten verstecken ihre Partei. Und genau deshalb hat die SPD die reelle Chance, dass der Unauffälligste, zugleich aber auch aus den eigenen Reihen wie in der veröffentlichten Meinung Unangefeindetste völlig unauffällig ins Kanzleramt geschwemmt wird – von einer trägen Welle aus breiter Wählerlethargie, Politikerverdrossenheit, Verzweiflung und Abgestumpftheit: als das berühmt-berüchtigte kleinste Übel.

Aber vielleicht braucht es die Ampel mit einem Kanzler Scholz, dessen Naturell ganz gut geeignet ist, hinter dem öffentlichen Schauspiel von Grünen und FDP, die sich lautstark um den Futternapf der Machtteilhabe zanken, listig seine Lobby-Punkte zu machen. Wer mit wem in der selben Zeitgeistsuppe weiter rührt, die Merkel so lange folgsam für die Grünen kochte, entscheidet die Zukunft der zweiten Republik nicht. Das müssen außerparlamentarische Kräfte tun, angeregt und unterstützt aus anderen Teilen des Westens. Denn die deutschen Dinge wurden noch nie von den Deutschen selbst in Richtung Freiheit und Recht getrieben.

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Kommentare ( 131 )

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MeHere
2 Jahre her

Was sie kühlen auch schon ein für das Ende der „Rache Honeckes“ ? Blöd nur, dass die nächsten Kasperl schon am Start sind und genug schlecht informierte Holzköppe SED und GrünLeninisten wählen … als ob es nicht 25 andere Parteien gäbe …

C-H. H.
2 Jahre her

Wer schmiert denn eigentlich die ganzen sogenannten Demoskopen? Es kann doch eigentlich gar nicht stimmen, dass plötzlich innerhalb einer so kurzen Zeit und ohne jeden konkreten Anlass eine Partei derartig abhebt. Das Jahrhunderthochwasser und das damit einhergehende mangelhafte Management hat die SPD doch genauso mitzutragen wie die CDU/CSU.

elly
2 Jahre her

immer betörender lässt er die Katze aus dem Sack:
Olaf Scholz will Koalition mit der Linken nicht ausschließen“
und gibt sich als Hüter der Demokratie?!
Derartiges „Topfschlagen“ sei nicht gut für die Demokratie, sagte der SPD-Kanzlerkandidat.“
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-08/olaf-scholz-spd-kanzlerkandidat-linksbuendnis-bundestagswahl-wahlkampf

Peter Gramm
2 Jahre her

Ich finde dass es völlig unerheblich ist wer Kanzler wird. Ob Mann oder Frau. Es ist immer das Volk welches sich retten muß. Es ist nie der Staat, das land oder die Kommune wie dem Wahlvolk glauben gemacht wird. Das war noch nie so. Es ist immer der Bürger zu dessen Lasten Schulden gemacht werden um irgendwas zu finanzieren. Die Finanzierungslasten trägt immer der Bürger und nie ein Politiker. Aus diesem Grunde ist es immer völlig egal wer da oben rumturnt und nichtssagende Sprüche absondert. Diesen Leuten geht es immer nur um ihr eigenes Wohlergehen und dem Platz am Futtertrog.… Mehr

Henni
2 Jahre her

Viele eigentlich grüne Wähler, wählen (auch Umfragemäßig) aktuell strategisch die SPD. Unterm Strich verschieben sich nur die ca. 50 % linken Stimmen in Deutschland zugunsten des erfolgversprechenderen Scholz. Das sollte man im Auge behalten. Ich würde den rechten strategischen Wählern raten, die Alternative nicht zu wählen, auch wenn Herz und Verstand dran hängt. In diesem Fall macht es mehr Sinn, Laschet knapp nach vorne zu hieven und oder die Freien Wähler mit zu puschen. Einen Linken Wahlsieg, gerade jetzt bei den aufkommenden Afghanistanflüchtlingen, wäre ein 2015, aber nur noch schlimmer. Es gilt das kleinere Übel Laschet zu stützen.

Dieter Rose
2 Jahre her

. . . und die FDP meint, sie könne SPDCDSU
auf einen richtigen Weg bringen?
Aber nein doch, Lindner will ja 500.000 Zwanderer jährlich.
Es wird weiter gehen, wie bisher, vielleicht sogar noch
schlimmer, im Überschwang der Gefühle bei einem „Wahlsieg“!

metron
2 Jahre her

Was spricht für Scholz?

  • …….?

Was gegen ihn?

  • Cum-Ex
  • Wirecard
  • Greensill…
  • Finanztransaktionssteuer nur für Kleinaktionäre, nicht für Hedgefonds …

Aber nachdem die Presse ihn brav verschont, spielt der Vizekanzler weiter den seriösen Hanseaten, der überdies mit den Fehlleistungen der Regierung nichts zu tun hat…

Tigerkater
2 Jahre her

Bereits fast ein Jahrzehnt wäre jederzeit eine blauschwarzgelbe Koalition in der Mehrheit gewesen. Jetzt sehe ich für die Zukunft nur Bürgerkrieg

KorneliaJuliaKoehler
2 Jahre her

Laschet wird von den eigenen Leuten nicht unterstützt, weil die Merkelianer in der CDU die große Mehrheit darstellen. Ich kenne niemanden, der sich Herrn Söder als besseren Kanzlerkandidaten vorstellen könnte. Dasselbe gilt für Friedrich Merz. Laschet ist das kleinere Übel, so die Aussage der CDU-Wähler, die mir bekannt sind. Eine Koalition aus Schwarz Rot Gelb wäre mir wesentlich lieber und auch nicht unmöglich. Besser wäre Schwarz Blau Gelb, aber, das ist derzeit noch eine Utopie. Rot Grün Rot ist allerdings sehr wahrscheinlich. Herr Scholz macht eindeutig auf Helmut Schmidt, dem viele Wähler nachtrauern. An diesem Image wird seit der Hochwasser-Katastrophe… Mehr

Warte nicht auf bessre zeiten
2 Jahre her

Scholz i s t das kleinere Übel als Person, die Union i s t es als Partei. Die AfD ist kein Übel und startet sozusagen ausser Konkurrenz.