Berliner Kreuzweg. 14 Stationen.

Die meisten Deutschen wollen ihre Politikerkaste genau so, wie sie leider ist.

Kaum hat man 13 Jahre lang wie verrückt behauptet, dass diese Kanzlerin sich durch die Weltgeschichte stümpert, schon kündigt sie an, in drei Jahren damit aufhören zu wollen. Das nenne ich Erfolg. Ich weiß gar nicht, womit ich in Zukunft meine Kolumne füllen soll. Es ist ein Kreuz.

I.

Merkelinischer war sie nie: Das Klammern am Kanzleramt als Loslassen zu verkaufen, ist große Kunst. Nur keine Staatskunst.

II.

Von Kohls unterschätztem Mädchen zur überschätztesten Kanzlerin der Nachkriegsgeschichte: Was für eine Karriere!

III.

In Deutschland wird seit jeher das Festhalten am Amt mit Festigkeit im Amt verwechselt.

IV.

Die Kunst des Rücktritts: einen Sturz so aussehen zu lassen, als erhebe man sich über die Niederungen des Machtkampfs.

V.

Historisch oder doch nur hysterisch? Verlustangst im Mainstream.

VI.

Ein Merz macht noch keinen Frühling.
Ein Spahn noch keinen Dachstuhl.
Eine Karrenbauer noch keine Triebwerkingenieurin.
Ein künftiger Vorsitzender noch keine bessere Zukunft.

VII.

Sitzt die Vorsitzende nicht mehr vor, sitzt die Partei nach.

VIII.

Seehofers Krokodilstränen sind echt. Sie gelten ihm selbst.

IX.

Die CDU soll „Freude haben“ an dem, was nun kommt, sagt die große Vorsitzende. Da hat sie recht. Sie wird noch ihre Freude haben.

X.

Das Kandidieren mehrerer Personen wird hierzulande schnell als Machtkampf denunziert. Diesem Volk ist nicht zu helfen. Es liebt die Demokratie, aber nur in Grenzen.

XI.

Paradox 1: Sie nennt es „persönliches Innehalten“. Was für ein Fortschritt!
Paradox 2: Merkel war nie weg, aber auch nie da, wo man sie gebraucht hätte. Wenn sie bald so weit ist, ist sie immer noch da, wo sie nicht sein sollte.

XII.

Andere Parteien tragen auch ihr Kreuz. Wenn „Merkel muss weg“ der Hauptgrund dafür ist, AfD zu wählen, ist der bald auch weg.

XIII.

Die SPD steckt in einem Dilemma. Bei Neuwahlen würde sie abgestraft. Also meidet sie Neuwahlen. Dafür wird sie abgestraft.

XIV.

Es ist noch nicht vollbracht.

UNVERMEIDLICHER NACHSATZ: Die Haltbarkeit von Hoffnungsträgern in Deutschland ist mittlerweile kürzer als die eines Hühnereis. Nichts gegen Jens Spahn. Aber der andere, Friedrich Merz, ist noch gar nicht richtig da, wird er schon beargwöhnt und demontiert. Er ist länger kein Berufspolitiker mehr gewesen, hat viel Geld verdient, auch noch bei einer mächtigen Geldfirma. Wie schändlich! Schon wird die Moralkeule geschwungen. Ach, wäre er nur ein cremiger Schwätzer! Die meisten Deutschen wollen ihre Politikerkaste genau so, wie sie leider ist.


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Kommentare ( 60 )

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Enrico Stiller
5 Jahre her

Irgendwie erinnert mich das heutige Deutschland an Italien unter Berlusconi. Damals waren sich auch fast alle Italiener im klaren, dass ihre Politiker – alle (!) – Typen waren, denen sie nicht einmal eine Streichholzschachtel abkaufen würden, denn die wäre vermutlich leer. Gewählt haben sie sie trotzdem.

herbert b.
5 Jahre her

Jeder, der vor gut einem Jahr einen Bogen sowohl um Blau als auch um Dunkelrot gemacht hat (mit welchen Intentionen auch immer im Gepäck), ist Steigbügelhalter des Mädchens, hat dieses mit „verursacht“. J e d e r . Würde es sich in beiden Fällen um Nahrungsmittel handeln, wären das nämlich die einzigen, auf deren jeweiliger Zutatenliste der Konservierungsstoff AM fehlt. Insofern kann ich auch einem speziellen Bäsching schon lange nichts mehr abgewinnen. Obwohl: Natürlich wünsche ich mir, und zwar mit „glühendem Herzen“, ein anderes Land, eines, das zwar durchaus Mühe macht, aber im erbauenden, streng lohnenden Sinn („gut und gerne… Mehr

Sonny
5 Jahre her

Sie vergessen die Hofpresse, Herr Herles. Wenn es der Hofpresse nicht gefällt, dann wird es für den jeweiligen Kandidaten sehr schwer werden, Deutschlands Bevölkerung zu überzeugen, auf seine Seite zu ziehen und damit eine Trendwende einzuleiten. In solch einem Fall werden die Klatschhasen-CDU-Mitglieder dem Merkel-Abziehbild AKK ihr Jawort geben, leider.
Diese Frau aus der Uckermark braucht einen äußerst starken Gegenpart, jemand, der sich nicht wegbeißen oder mundtot machen läßt. Und dann, endlich, wird die Kanzlerschaft der Raute schon viel eher enden. Hoffentlich.

Fragen hilft
5 Jahre her
Antworten an  Sonny

Guten Abend Sonny, zur Hofpresse,
immer wenn ich abends die Hände falte, schicke ich einen Dank nach oben, dass ich ein „Schraubender“ und nicht ein „Schreibender“ bin.

Ecke
5 Jahre her

„auch noch bei einer mächtigen Geldfirma. Wie schändlich! “
Sehe ich genauso. Keine Schande, aber dem Guten fehlt wohl die richtige Distanz u seinem Arbeitgeber.

Manfred Gimmler
5 Jahre her

XV.

Die „Follower“ der Kanzlerin haben heute eben ein ähnliches Verhältnis zur Demokratie wie in der Weimarer Republik die „Follower“ des letzten Kaisers.

Delion Delos
5 Jahre her

Sonst lese ich Ihre Kolumne gern. Aber heute haben Sie sich gleich in 2 Punkten vertan: 1. „Merkel muss weg“ war noch nie der Hauptgrund dafür, die AfD zu wählen… sondern es hatte immer mit der Politik zu tun, die Merkel vertritt. Da sich diese Politik erkennbar nicht ändern wird – schon gar nicht mit dem Transatlantiker und Vorsitzenden der Atlantikbrücke Friedrich Merz an der Spitze -, fällt auch der Grund, die AfD zu wählen, nicht weg. Ohnehin dürften nur sehr wenige Wähler die AfD nur wegen Merkel wählen… da gibt es noch zahlreiche andere Gründe wie z.B. die katastrophale… Mehr

Heinrich Niklaus
5 Jahre her
Antworten an  Delion Delos

Zustimmung! Jens Spahn setzt auf das Migrationsthema „großer weißer Elefant“ im Vorgarten des Kanzleramtes, wird dabei aber ganz sicher nicht von den Medien unterstützt. Was die CDU-Delegierten entscheiden werden ist nicht ganz klar. Werden sie reagieren als Kanzlerwahlmaschine und den wählen, gleich welche Positionen er vertritt, der Wahlsiege „garantiert“? Oder werden sie wie bei der Kauder-Abwahl mehr auf grundlegende Kursänderungen setzen? Spahn könnte die Spaltung des Anti-Merkel-Flügels dadurch verhindern, dass er Merz den großzügig Vortritt lässt, um später als Minister unter Merz weiter zu reüssieren. Die Chance auf grundlegende Veränderungen in der CDU-Politik wird es mit Merz nicht geben. Dieser… Mehr

H. Priess
5 Jahre her

Ich kenne kein Volk was so Schizo ist wie die Deutschen. Wir sind auch ein Volk der Extreme bei uns muss das Pendel immer ganz durchschwingen. es hilft nichts, wir werden den Schierlingsbecher bis zur Neige leeren, bis auf den letzten Tropfen. Vielleicht ist es unsere Bestimmung unterzugehen, wer weiß das schon.

amendewirdallesgut
5 Jahre her

Ist schon irgendwie erschreckend , der Großteil der Wähler ist , vor einem Urnengang vergesslich , kritiklos , leichtgläubig , zum eigenen Schaden einseitig informiert , sowie instrumentalisiert und blind , und nach der Wahl blind taub und stumm , “ komplett unpolitisch “ .

giesemann
5 Jahre her

Zu „X“, lieber Herr Herles: “ … aber nur in GRENZEN“ – ach, wenn es wenigstens so wäre …“.

Thomas Holzer
5 Jahre her

Der letzte Satz bringt es leider hart, aber herzlich, auf den Punkt!
Nur gilt dies für die Mehrzahl der Staaten in (EU)-Europa