Dem Recht gehört der Primat, nicht der Politik

Die Ausübung des Rechts gehört in die Hände einer unabhängigen Justiz. Justiz (und Polizei) von jeder politischen Weisung und jedem politischen Einfluss zu befreien, verdient Platz eins auf einer Agenda 2050 für Freiheit durch Recht.

Im Herbst des vergangenen Jahres gab es zwei, drei Wochen lang jeden zweiten, dritten Tag Pressemeldungen von Asylbewerbern, die pralle Geldbörsen von Einheimischen fanden und diese zur Polizei brachten. Welche davon stimmten und welche nicht, weiß ich nicht. Jedenfalls war die Serie genauso plötzlich zu Ende, wie sie begonnen hatte. Das spricht für sich selbst. 12 Tage nach der Kölner Silvesternacht fragte ein Kolumnist auf Twitter verleumderisch: „Tägliche 100 neue Anzeigen?“ und „Schafft Köln die 1.000 Anzeigen?“ Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schließlich ist die Herkunft von Tätern so unwichtig wie ihre Schuhgröße. Darauf muß man erst mal kommen.

Die große Verbissenheit

Diese zwei vergleichsweise unbedeutenden Beispiele symbolisieren für mich die Erkenntnis, dass ein zivilisierter und lauterer öffentlicher Diskurs auf absehbare Zeit nicht möglich ist. Die dogmatische Verbissenheit hat bei den Wortführern beider Seiten Teflongrade angenommen, die nicht nur jede auch nur graduell andere Meinung wirkungslos abweist, sondern auch absolut Tatsachen-resistent ist.

Was beide Seiten für jedes fremde (!) Argument immun macht, ist die Mutation ihrer Meinung zum Glaubensbekenntnis. Peter Schneider, einer jener Alt-68er, die mit dem Denken nicht aufgehört haben, schrieb die Tage: „Lieber verdrehen sie die Tatsachen, als ihren Katechismus zu korrigieren. Das Gospel dieser Ablenkungsstrategie ist der Satz: Was der Gegenseite nutzt, darf nicht wahr sein.“ Er meinte damit Dogmatiker, die sich selbst für Links halten. Seine Beobachtung gilt für beide Seiten: Wer nicht pariert, wird diskriminiert.

Die Dogmen Deutschland den Deutschen und Offen für Alle stehen sich unversöhnlich gegenüber. Das allein wäre nicht das Problem. Dieses liegt inzwischen darin, dass sich beide in einem einig sind: in der Verachtung und Verfolgung jeder Position, die sich keiner der beiden Seiten hundertprozentig anschließen will. Jede Differenzierung ist unerwünscht. Jeder Ansatz, die Lage, wie sie nun ist, möglichst vernünftig in den Griff zu kriegen, wird schroff zurückgewiesen und als Verrat am wahren Glauben angeprangert. Der Ton, in dem das die Eiferer beider Lager tun, und die Methoden, die eingesetzt werden, gleichen sich erschreckend.

Keine Glaubenskriege mehr

Das neue Jahr ist noch nicht so alt, um keine Vorsätze mehr fassen zu können. Ich jedenfalls werde mich mit diesen Glaubenskriegern nicht mehr abgeben. Wenn alle, die bei Verstand sind, sich dem Glaubenskrieg verweigern und stattdessen konkrete Schritte und Maßnahmen diskutieren, führen wir die Chef-Pharisäer beider Seiten ad absurdum. Über Schritte und Maßnahmen zu reden, heißt nicht, zu Vorschlägen ja oder nein sagen, sondern auf Vorschläge, die nicht überzeugen, mit anderen zu antworten. Die Kraft der lauteren Debatte verdient es, wiederentdeckt zu werden.

Debattieren wir also darüber, welche Veränderungen wir in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat brauchen, um aus den globalen Veränderungen Chancen für die kommenden Generationen zu machen, statt uns in Abwehrkämpfen gegen die Risiken zu erschöpfen. Debattieren wir über jene Fragen, für die es in allen Parteien, gesellschaftlichen Organisationen, Kirchen, den Gewerkschaften von Kapital und Arbeit und anderen Interessenverbänden keine Priorität gibt, die aber über unser Morgen und Übermorgen entscheiden. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit den einzelnen Stimmen zu, die es aber in allen Einrichtungen sehr wohl gibt. Soll sich wirklich Entscheidendes ändern, braucht es das Zusammenwirken dieser Zeitgenossen in allen Einrichtungen – für eine geistige Renaissance der Freiheit.

Fragen wir diese Sachkundigen, die ihrem Verstand folgen und keinen Dogmen, was in Deutschland und Europa ganz konkret anders und neu gedacht und gemacht werden muss, damit wir in offenen Gesellschaften leben können, in denen die Herrschaft des Rechts persönliche und wirtschaftliche Freiheit garantiert.

Dem Recht gehört der Primat, nicht der Politik. Die Anwendung des Rechts steht in der Offenen Gesellschaft politisch nicht zur Disposition. Die Ausübung des Rechts gehört in die Hände einer unabhängigen Justiz. Justiz und Polizei von jeder politischen Weisung und jedem politischen Einfluss endlich zu befreien, verdient Platz eins auf einer Agenda 2050 für Freiheit durch Recht. Packen wir es an.

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