Will Rumänien die Demokratie vor den Wählern retten?

Entweder will man den chancenreichsten Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl ins Gefängnis entsorgen – oder eine Intrige findet statt: Călin Georgescu zum Märtyrer machen, damit er gewinnt.

IMAGO / Vlad Bereholschi
Calin Georgescu bei Demonstration gegen die Regierung, Bukarest, Rumänien, 1. März 2025

Călin Georgescu hat schon jetzt Demokratiegeschichte geschrieben. Weil er die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl im vergangenen November mit 23 Prozent der Stimmen gewann und auch die zweite Runde zu gewinnen drohte, stornierte das Vergassungsgericht die komplette Wahl. Diese Geschichte ging um die Welt: In einer Demokratie hatte es so etwas bis dahin noch nicht gegeben.

Nun stand Georgescu am Samstag in Bukarest vor mehreren Zehntausend Anhängern und rief: „Wir werden unser Land zurückerobern!” Wieder kandidiert er für die Präsidentschaft. Eines hat sich geändert seit November: Er steht nicht mehr bei 23 Prozent, sondern in zwei verschiedenen Umfragen bei 37 bis 38 Prozent der Wahlabsichten. Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen, aber dass er deutlich zugelegt hat, das kann kaum geleugnet werden. Noch dazu zeigen die Umfragen kaum noch unentschlossene Wähler, und eine sehr hohe Bereitschaft, an den Wahlen teilzunehmen. Ein Trost bleibt: Georgescu hat weit weniger Potential, in der zweiten Runde noch mehr Stimmen zu sammeln, als seine Rivalen von den traditionellen Parteien.

Sein Aufstieg in den Umfragen seit der gescheiterten Wahl bedeutet, dass die Begründung, mit der das Verfassungsgericht die Wahl storniert hatte, wohl nicht stimmen kann. Da war von „Einflussnahme einer ausländischen Macht“ mittels einer Tiktok-Kampagne die Rede gewesen, gemeint war Russland. Ein zur Dokumentation freigegebener Geheimdienstbericht nannte eine konkrete TikTok-Kampagne als Beispiel, von der sich aber herausstellte, dass die regierende National-Liberale Partei sie in Auftrag gegeben hatte.

Jedenfalls: Alles, was damals angeblich unsauber gelaufen war, ist jetzt durch neue Regeln erschwert, kann also wohl nicht mehr funktionieren. Dennoch liegt Georgescu noch deutlicher vorn als letztes Mal. Das Geheimnis seines Erfolges muss also woanders liegen. Mühelos gelang es ihm, die erforderlichen Unterschriften für seine Kandidatur einzusammeln.

Bald darauf erschien die Polizei. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen ihn Anklage erhoben in sechs verschiedenen Punkten. Er wurde mit großem Polizeiaufgebot und Medienwirbel festgenommen und zum Verhör geschleppt, obwohl er mit Sicherheit auch freiwillig gekommen wäre.

Die Anklagepunkte gegen ihn lesen sich, als sei er eine Mischung aus Hitler und Mussolini, abgesehen von dem Vorwurf, eine Marionette Putins zu sein. Er habe eine antisemitische Organisation gegründet, heißt es da. Er habe Kriegsverbrecher und Völkermörder verherrlicht, und „faschistische, rassistische, fremdenfeindliche Ansichten verbreitet“. Er habe eine faschistische, rassistische und fremdenfeindliche Organisation gegründet oder unterstützt. Er habe in Bezug auf die Finanzierung seiner Wahlkampagne Dokumentenfälschung begangen. Er verbreite Fake News. Und er habe Handlungen begangen, die darauf zielten, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen.
Das alles bedeutet potentiell so viel Gefängnis, dass er kaum je wieder herauskäme, und/oder einen Ausschluss von der Präsidentschaftswahl, was wohl der Sinn der Sache ist.

Die Wahlkommission hat bei solchen Dingen auch ein Wörtchen mitzureden, und die hatte bei der letzten Wahl Georgescu erstens zugelassen (obwohl viele der jetzigen Vorwürfe gegen ihn auch damals bekannt waren), und zweitens die Ergebisse der ersten Runde validiert. Insofern traf es sich gut, dass gegen den Leiter der Wahlkommission, Toni Grebla, zeitgleich mit den Vorwürfen gegen Georgescu Korruptionsvorwürfe bekannt wurden. Das Parlament enthob ihn am Freitag – zeitgleich mit der Festnahme Georgescus – seines Amtes und setzte dafür Zsombor Vajda ein, der einen ungarischen Namen trägt, aber in Bukarest geboren wurde und Rumänisch als seine Muttersprache angibt.

Das alles sieht so aus, als wolle man den aussichtsreichsten Bewerber für das Präsidentenamt aus dem Feld kegeln, bevor die Wähler eine Chance bekommen, dazu ihre Meinung zu sagen. Es gibt jedoch auch eine andere Theorie: Der ungarische Außenpolitik-Experte Zsolt Pászkán fragt sich, ob die unerklärlich tollpatschige Handhabung der Angelegenheit durch die rumänischen Behörden nicht das Gegenteil zum Ziel haben könnte: Georgescu zum Märtyrer und damit so beliebt zu machen, dass er die Wahl auch in der zweiten Runde gewinnt.

Abstrus, unwahrscheinlich, rumänisch. Sándor Tamás, der Vorsitzende des mehrheitlich ungarisch bewohnten Komitats Covasna, sagte im Interview mit diesem Reporter, er könne sich auch einen Machtkampf rivalisierender rumänischer Geheimdienste vorstellen – es gibt davon sechs. Georgescu, darin sind sich alle Experten einig, kommt von seinem Lebenslauf her aus dem Umfeld der einstigen prorussischen Flügels der rumänischen Geheimdienste. Diese waren lange unter Ceausecu marginalisiert worden, es waren dann aber sie, die die rumänische „Revolution“ zu Gorbatschows Zeiten – und in Einklang mit dessen Politik – inszenierten und Rumänien unter dem damaligen Präsidenten Ion Iliescu auf Reformkurs brachten. Später wurden sie wieder irrelevant, als das Land einen zunehmend russlandfeindlichen Kurs einschlug, der in der Stationierung amerikanischer Truppen gipfelte.

Sándor Tamás kann sich vorstellen, dass diese Kreise nun eine Revanche planen.
Georgescu hat wiederholt angedeutet, dass einige ukrainische Gebiete historisch eigentlich zu Rumänien gehörten und auch wieder gehören sollten.

Die Frage, die sich bei all dem stellt, ist diese: Wer zieht in Rumänien die Fäden, wer regiert? Laut Sándor Tamás ganz bestimmt nicht die Regierung. Rumänien, sagt er, sei eine junge, schwache, instabile Demokratie und „wo ein politisches System schwach ist, können andere Kräfte die Macht ausüben“. Er erinnert an Italien zur Hochzeit der Mafia.

Im Falle Rumäniens sieht er einen Machtkampf innerer Geheimdienste, und einen Kampf äußerer Mächte um Einfluss: Russsland, die EU, und die USA. Da gibt es neuerdings eine bizarre Wende: Das Land, für das Rumänien eine wichtige Militärbasis stellt, mag im Dezember zwar diskret interveniert haben, um die Wahl stornieren zu lassen. Aber jetzt, da Trump regiert, unterstützt sein Verbündeter Elon Musk auf Twitter Georgescu.

Macht das Sinn? Nur dann, wenn es Trump wichtiger ist, die EU zu schwächen, als Putin zu besiegen.

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Kommentare ( 9 )

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chris
13 Tage her

Macht das Sinn? Nur dann, wenn es Trump wichtiger ist, die EU zu schwächen, als Putin zu besiegen.

klassisches einseitiges Framing wie man es vielfach kennt. Tatsächlich gibt es noch mindestens eine dritte Option: Trump will genau das, was er sagt – den Krieg beenden. Diese Hypothese ist ist zwar verschwörungsmythisch unergiebig, aber deshalb nicht weniger plausibel. Zudem wird die EU nur geschwächt, wenn sie sich partout quer gegen den Friedensstrom stellt. Andernfalls könnte sie jederzeit zu den Gewinnern gehören.

Last edited 13 Tage her by chris
Jens Frisch
13 Tage her

Trump braucht die EU gar nicht zu schwächen – das schaffen die Apparatschniks in Brüssel ganz allein. Nein: Die USA haben in China ihren größten Konkurrenten und die Zukunft spielt sich im Pazifischen Raum ab: Europa versinkt in der Bedeutungslosigkeit und wird in 50-60 Jahren zu einem Kalifat.

Ombudsmann Wohlgemut
13 Tage her

Faschistisch, rassistisch, fremdenfeindlich und gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, das wirft man heute pauschal jedem vor, der etwas gegen die Regierung sagt.
Auch dem Rentner mit dem autistischem Kind warf man manches davon vor, nur weil er „Schwachkopf Professional“ teilte.

BBHamburg
13 Tage her

Wie wäre es denn mit dem Gedanken, das Präsident Trump tatsächlich von demokratischen Prinzipien überzeugt ist und deswegen das Vorgehen der EU bzw des rumänischen Verfassungsgerichts ablehnt.

X1
13 Tage her
Antworten an  BBHamburg

Wovon Trump überzeugt ist (außer von sich selbst) das weiß keiner. Bei Elon Musk bin ich mir allerdings sicher: das ist ein Demokratie-Fan, der sich wirklich über Ungerechtigkeiten empört. Der ist in politischen und moralischen Dingen ein Kind geblieben – im positiven Sinne.

Cethegus
13 Tage her

Das neue Motto der EU lautet:
Im Zweifelsfall ist die Demokratie nur durch eine DIktatur zu retten!

Mausi
14 Tage her

„Das Land, für das Rumänien eine wichtige Militärbasis stellt“: Ich weiß nur von der Nato. Welches „Land“ meinen Sie? Aber es ist schon interessant, dass es überhaupt keine Auseinandersetzung darüber gibt, dass ein Gericht eine Wahl stornieren konnte. Und nichts zu den Argumenten des Gerichts. Aber in der Ukraine unterstützen wir das Sterben von Menschen, von Ukrainern, um westliche Werte zu verteidigen. „Das Land, für das Rumänien eine wichtige Militärbasis stellt, mag im Dezember zwar diskret interveniert haben, um die Wahl stornieren zu lassen. Aber jetzt, da Trump regiert, unterstützt sein Verbündeter Elon Musk auf Twitter Georgescu. Macht das Sinn?… Mehr

Last edited 14 Tage her by Mausi
Der Person
14 Tage her

„Macht das Sinn? Nur dann, wenn es Trump wichtiger ist, die EU zu schwächen, als Putin zu besiegen.“

Dieser letzte Satz ist völlig unnötig und schadet dem Artikel.

„Aber jetzt, da Trump regiert, unterstützt sein Verbündeter Elon Musk auf Twitter Georgescu.“

Ja logisch! Denn nicht nur in Rumänien gibt es rivalisierende Geheimdienste, einen Deep State und eine unterwanderte Justiz.

Laurenz
14 Tage her

In Constanta befindet sich die größte Militärbasis der Amis in Europa. Die Amis wollen Stabilität. Die Trump-Amin wird nicht mehr lange zuschauen, was Brüssel & seine Rumänischen Schergen da treiben.