Verschwörungstheorien oder Realität des Unfassbaren

Eine Pipeline explodiert, Züge brennen, Spionageballons, unbekannte Flugobjekte werden gesichtet, geheimnisvolle Schiffe kreuzen die Ostsee und Flugzeuge – Russen, Amerikaner, Chinesen oder gar Außerirdische: Ungeklärte Vorgänge rufen nach Erklärung – und die werden gerne angeboten. Was stimmt – und was nicht?

IMAGO

Ein unabhängiger Beleg verändert das Bild, das Investigativjournalist Seymour Hersh vom Anschlag auf Nord Stream gezeichnet hat. Ein norwegisches Flugzeug spielte vermutlich keine Rolle bei der Operation – dafür ein amerikanisches, das quer über den Atlantik flog und über Polen aufgetankt wurde, bevor es sich nach Bornholm aufmachte.

Nach dem Abschuss eines chinesischen Explorations- oder Spionageballons vor der Küste von South Carolina am 4. Februar haben die US-Streitkräfte noch drei weitere „unbekannte Flugobjekte“ vom Himmel geholt. Nachdem der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, behauptete, es handle sich wieder um Ballons, versetzte ein Militär, man habe sie nicht umsonst „Objekte“ genannt. Nun hört man, dass eines der Objekte eine zylindrische oder gar achteckige Form aufweise. F-16-Kampfflieger haben es über dem Lake Huron an der Grenze zu Kanada in einer Höhe von 20.000 Fuß (gut 6.000 Meter) abgeschossen.

Mitglieder der Biden-Administration versicherten, dass es nicht um die Aktivitäten von Außerirdischen gehe, nachdem ihre Phantasie mit einigen Mediennutzern spazieren gegangen war. Die Vielzahl merkwürdiger Himmelsphänomene fällt allerdings auf: „Blitzende Lichter“ über Uruguay. Die chinesische Staatszeitung Global Times meldet ein unidentifiziertes Objekt nahe Rizhao. Irgendwo zwischen Alaska und Kanada wird ein Flugobjekt in der Größe eines „kleinen Autos“ von den Streitkräften beider Staaten abgeschossen.

Man kann das zum Teil für Ablenkungsmanöver halten. Das Pentagon zögerte, bis es zum Abschuss des ersten Ballons schritt. Die Diskussion auf der republikanischen Seite des Grabens war da schon hochgekocht und forderte, dass die Regierung endlich handelte. Tatsächlich könnte es ähnliche Spionageballons seit Jahren gegeben haben.

Unbekannte Flugzeuge spielen auch in der Hersh-Geschichte eine Rolle

Aber wovon sollte man eigentlich ablenken? Nun ja, immerhin gab es mit dem Nord-Stream-Bericht von Seymour Hersh eine größere Enthüllungsstory in der vergangenen Woche. Inzwischen kommt auch etwas Fleisch an diese Geschichte. Wie es aussieht, gibt es unabhängige Belege für die Operation eines amerikanischen Aufklärungsflugzeugs zur fraglichen Stunde am Ort des Geschehens.

Geheimoperation vor Bornholm
Gesagt, getan: USA und Norwegen hinter dem Angriff auf Nord Stream?
Die Nachricht kommt von einem Blogger, der laut eigener Auskunft ein US-Airforce-Veteran war und mehr als dreißig Jahre in der Luftfahrt- sowie Verteidigungsindustrie tätig war. Monkey Werx ist sein Künstlername. Der Amerikaner verfolgt die Flug- und Nichtflugzonen der Welt und die Bewegungen militärischer Flugzeuge, deren Flugbahnen man in seinen Videos sozusagen in 3D sehen kann. Manchmal versteht er etwas nicht, meist hat er aber zumindest eine hingeworfene Erklärung bereit.

Bei einer Sache gibt er sich allerdings ziemlich sicher: Am 26. September 2022 gab es kein norwegisches Aufklärungsflugzeug des Typs Boeing P-8 Poseidon in der Nähe des Ortes der Pipeline-Explosion vor der dänischen Insel Bornholm, wie es Hersh schreibt, wohl aber ein US-amerikanisches (die Videorekonstruktion des Vorfalls beginnt bei Minute 25:15). Es kam in den frühen Morgenstunden des 26. Septembers von jenseits des Atlantiks angeflogen, hatte eventuell in Island noch einmal aufgetankt. Über dem nördlichen Polen kam ihm ein US-Auftankflieger entgegen – aus Deutschland. Für ungefähr eine Stunde wurde der Tank der P-8-Maschine von neuem gefüllt, was bereits auf den kommenden Transatlantik-Rückflug verwies, so Monkey Werx.

Laut dem Luftfahrtveteranen könnte die mutmaßlich einzige Quelle von Seymour Hersh ein Hacker mit krimineller Energie gewesen sein, ein sogenannter „Black Hat“. Einige Details des Berichts deuten gemäß Monkey Werx auf „Irrwege“ hin, auf die der Hacker Hersh gelockt habe. Laut Hershs Bericht hatte das norwegische Flugzeug eine Sonarboje abgeworfen, die einen Zündungsmechanismus an den Unterwasser-Gasröhren startete. Zuvor hätten US-Navy-Taucher eine große Sprengstoffladung zusammen mit dem Sonarempfänger unter Wasser angebracht.

Der Flug der P-8 war schon länger bekannt

Doch an die minenlegenden Taucher glaubt Monkey Werx eher nicht. Er nimmt vielmehr an, dass die amerikanische P-8 Poseidon die Sprengung allein mit einer Bombe ausführen konnte. Aus den Bewegungsdaten, die der Videoblogger ausgewertet hat, lässt sich angeblich sogar der leichte Lüpfer ablesen, der dadurch entstand, dass die P-8-Maschine abwarf, was auch immer sie an Gewichtigem abwarf. Danach kehrte sie auf direktem Weg in die Staaten zurück, ohne irgendwo in Europa gesehen zu werden. Kein Zwischenstopp in Großbritannien nötig. Der Himmel über Nordeuropa war um diese Zeit des Tages leer.

Schon im Dezember waren Gerüchte über sogenannte „Dark Ships“ mit ausgeschalteten Peilsendern, die sich am 26. September in der Nähe des Tatortes bewegt hätten, dank dem Interesse Sahra Wagenknechts einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Zuvor hatte die US-Computerzeitschrift Wired darüber berichtet. Wagenknecht (Linke) hatte eine parlamentarische Frage an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gestellt und erfahren, dass die Bundesregierung keine Maßnahmen eingeleitet hatte, um den Verursacher der Beschädigungen festzustellen. Außerdem erlaube es das „Staatswohl“ nicht, Informationen zum Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines herauszugeben.

Die Nachricht über ein Flugzeug am Ort des Geschehens ist tatsächlich nicht ganz neu. Sie zirkuliert seit einiger Zeit im Netz. Demnach kreiste eine „P-8 … stundenlang über der Ostsee, während die Schweden mit ihrem Seismographen eine Explosion feststellten“.

Es ist kein Wunder, dass über eine solche zweite ‚Enthüllung‘ hitzig diskutiert wird. Das passiert auch in Norwegen, das ansonsten erstaunlich still auf die Anschuldigungen Hershs reagiert hat. Auch dort werden dieselben Argumente für eine Urheberschaft Russlands und der Vereinigten Staaten ausgetauscht, wobei das Pendel zuletzt immer stärker zur Seite der westlichen Führungsmacht ausschlägt.

Warnungen allerorten: Vom CIA und vor „unidentifizierten Drohnen“

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Nord Stream ist die offene Wunde der deutschen Politik
Der neue Beleg ist eine unabhängige Bestätigung eines Teils von Hershs Geschichte, auch wenn dafür einige Teile seines Artikels widerlegt oder doch unwahrscheinlicher werden. Auch das ist übrigens ein Charakteristikum von Hershs Geschichten, bei denen manchmal nicht alle Faktendetails stimmten, aber der Grundstrom der Erzählung in die richtige Richtung weist.

Monkey Werx bezieht auch die Warnungen verschiedener Akteure rund um die Sprengaktion in seine Betrachtung mit ein. So hatte ausgerechnet die CIA laut dem Spiegel die Bundesregierung schon im Sommer vor möglichen Anschlägen auf die Gaspipelines gewarnt. Das bestätigten dem Magazin „mehrere mit dem Sachverhalt vertrauten Personen“ – auch sie blieben im deutschen Spiegel natürlich anonym. Es ist derselbe Informantenschutz, der in der (mehr oder weniger) Leitpresse oft zu Hershs Nachteil ins Feld geführt wurde.

Am Tag nach der Explosion in der Ostsee warnte Norwegen angeblich vor „unidentifizierten Drohnen über Gas- oder Ölplattformen“, so Monkey Werx. Auch diese Warnung kann man – wie die des CIA – auf die eine oder die andere Art lesen. Was aber wichtiger ist als diese vermutlichen Rechtfertigungsmanöver verschiedener Stellen und Regierungen, ist die Erinnerung an das „rechtlose Verhalten“ des aktuellen US-Präsidenten, der das Jointventure eines Nato-Alliierten angegriffen hätte, wenn Hershs Bericht und seine partielle Bestätigung durch den Videoblogger sich als wahr erweisen sollten. Und vielleicht geschah das sogar mit dessen Einverständnis, was das vielsagende Schweigen aus Berlin noch besser erklären würde. Immerhin kam das Auftankflugzeug vermutlich aus Ramstein oder einer anderen US-Basis auf deutschem Boden.

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Kommentare ( 64 )

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WGreuer
1 Jahr her

Egal wie es im Detail war, ist ist ziemlich offensichtlich, dass die Bundesregierung darüber vorab informiert war. Der Druck auf die BR die Pipelines in Betrieb zu nehmen war groß, der Wunsch dies aus grüner Ideologie nicht zu tun groß, der Druck aus den USA ebenfalls. Die Sprengung kam daher gerade recht. Und die auffällige Uninteressiertheit der „Qualitätsmedien“ und der Regierung, den Anschlag aufzuklären sprechen Bände. Die wegen „Staatswohl“ eingestellten Untersuchungen sind ein Witz – was könnte das Staatswohl mehr gefährden als zu wenig Gas und exorbitante Gaspreise? Egal wie es im Detail war: die Bundesregierung steckt m.E. bis zum… Mehr

Sonny
1 Jahr her

Manche Theorien hören sich wirklich absurd an.
Ebenso wie z.B., dass die Corona-Impfstoffe in Wirklichkeit gar keine wären und töten können.
Moment, aber diese ganzen Verschwörungstheorien haben sich ja in großer Zahl bewahrheitet. Was nun???
Was ist wahr und was nicht? Wer profitiert davon? Das ist die eigentliche Frage und die Suche nach einem Motiv kann zur Wahrheitsfindung oft entscheidend beitragen.
Manchmal wünschte ich, wir wären in den 80ern stecken geblieben, unwissend, ohne Internet und PC. Da war die Welt noch irgendwie in Ordnung und die Kriminellen der Welt nicht so sichtbar.

DerWestfale
1 Jahr her

Biden hat – mit Sicherheit abgestimmt mit Scholz- die Drohung einer Sprengung öffentlich ausgesprochen – und dann auch ausgeführt. Ich weiß garnicht was es da noch zu reden oder zu schreiben gibt.

Anti-Merkel
1 Jahr her

Es gibt einen weiteren Whistleblower, der wohl dabei war, als die Sprengsätze an Nordstream angebracht wurden.
Er bestätigt im grossen und ganzen die Hersh-Version des Hergangs (und hat sich schon letztes Jahr an alternative Medien gewandt, er hatte nicht Hershs Artikel als Vorlage für seine Zeugenaussage).
https://www.anti-spiegel.ru/2023/was-ein-whistleblower-mir-schon-im-2022-ueber-die-nord-stream-sprengung-mitgeteilt-hat/

Steve Acker
1 Jahr her

Als Cortez in Mexico landete , murrten einige seiner Leute,und wollten zurück nach Kuba.
Daraufhin liess er die eigenen Schiffe anzünden, um zu zeigen. es gibt kein zurück.
So ähnlich ist das mit der Pipeline -Sprengung zu sehen.
Es bestand die Gefahr dass die Deutschen umkippen. dem haben interessierte Kreise einen Riegel vorgeschoben.
Für mich völlig klar dass das die Amis waren.
Der technische und materielle Aufwand war sehr groß, das heißt es muss von potenten Ländern veranlasst worden sein.

the NSA
1 Jahr her

Sleepy Joe and Sleepy Scholz, Feb 07, 2022, at the White House:

„If Russia invades, that means tanks or troops crossing the border of Ukraine again, there will no longer be a Nord Stream 2,“ Biden said. „We will bring an end to it.“
Asked how the U.S. would ensure that, Biden did not offer specifics:

„I promise you: We will be able to do it.“ It’s a point Biden administration officials have stressed in recent weeks.

Any questions ?

Memphrite
1 Jahr her

Für mich ist eines der wichtigsten Argument, wo es passiert ist.
Würde Russland sprengen, würde es dies so tief im NATO Gebiet tun? Direkt vor der Küste Dänemarks?
Je näher am NATO Gebiet umso höher das Entdeckungsrisiko. warum nicht mitten in der Ostsee oder in der Nähe zum russischen Staatsgebiet?
Wenn die Russen das wahren, dann haben die wahrlich „Teufelskerle“ und eine sehr gute Ausrüstung zur Verfügung.

Thorsten
1 Jahr her
Antworten an  Memphrite

Guter Punkt: wenn die Russen solche „Teufelskerle“ wären, dann hätten sie auch alle Militäreinrichtungen der Ukraine schon gesprengt und diese „Spezialoperation“ wäre nach 48 Stunden beendet. (war der Ursprungsplan)

Aljoschu
1 Jahr her

Ceterum censeo Washingtonem esse delendam!
Washington hat mit dem Angriff auf Nordstream den Bündnisfall. ausgelöst – dieser Akt des Terrorismus ist unser 9/11 und der Terrorist sitzt in Washington. Womöglich geschah der Anschlag sogar unter Mitwissen, ja, womöglich sogar Mitwirkung von Kanzler Scholz. Deshalb muss dieser Kanzler weg! Wir müssen raus er aus der Nato, in der die Interessen aller Mitglieder verteidigt werden, aber deutsche Interessen werden militärisch angegriffen. Die US-Soldateska muss raus aus Deutschland. Keine deutschen Waffen mehr für den US-Krieg in der Ukraine und für die Bandera-Nazis. Die ehemals sehr guten Beziehungen zu Russland müssen wiederbelebt werden!

Last edited 1 Jahr her by Aljoschu
Icarus
1 Jahr her

Falls die Sprengung der Pipelines mit dem Einverständnis der deutschen Regierung durchgeführt wurde, oder falls diese Regierung die Verursacher dieses Terrorakts gegen Deutschland verheimlichen, dann würde ein eindeutiger Fall von Landesverrat vorliegen.

Es wäre die Aufgabe der Opposition, dieses potenzielle Verbreche aufzuklären. Ob die größte Oppositionspartei im Bundestag dazu überhaupt fähig bzw. willens wäre darf bezweifelt werden, da sie mit der Regierung unter einer Decke steckt.

EinBuerger
1 Jahr her

Man kann nichts ausschließen. Aber dass Russland das gemacht hat, glaube ich nicht. Es war eine westliche Aktion. Von wem genau und unter welchen Umständen weiß ich nicht. Aber mindestens mit der stummen Zustimmung der USA. Kein westliches Land würde sich so eine Aktion trauen, wenn sie nicht sicher wären, dass die USA nichts dagegen haben.