Nahles war die beste Wahl – ist aber ohne Chance

Die potentiellen Wähler der SPD sind links von der Mitte zu verorten, die Parteimitglieder stehen jedoch links von ihren Wählern und die Funktionäre links von der Basis. Bei dieser Gemengelage agiert die Partei an ihrem Wählerpotential vorbei.

© Simon Hoffmann/Getty Images

Andrea Nahles will und soll die SPD erneuern. Das heißt aber nichts anderes, als dass sie die SPD wieder attraktiver für jene zehn Millionen Wähler machen soll, die die Partei seit 1998 verloren hat. Doch das wird nicht so einfach sein, wie manche Parteitheoretiker sich das vorstellen. Denn die neue SPD-Vorsitzende tritt gleich mit mehreren Handikaps ihr neues Amt an.

Handikap Nr. 1: Die Zerstrittenheit der Partei

Die bescheidenen 66,35 Prozent, mit denen Nahles gewählt wurden, spiegeln die Zerrissenheit der Partei wider. Man hätte sich vorstellen können, dass ein Teil der Delegierten Nahles mit der Faust in der Tasche wählt, um der Partei zu helfen, ein Zeichen der Geschlossenheit zu setzen. Doch ein Drittel der Delegierten wollten lieber der Partei schaden, als der neuen Spitzenfrau zu einem guten Start verhelfen. Soviel zur innerparteilichen Solidarität.

Handikap Nr. 2: Es drohen Richtungskämpfe

Die Partei-Linke, überwiegend deckungsgleich mit den GroKo-Gegnern, wird nichts unversucht lassen, die Partei programmatisch nach links zu rücken: höhere Steuern, höhere Sozialausgaben, höhere Schulden, in Europa mehr „Transferunion“, näher bei Moskau als bei Washington. Dies wird zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen führen. Politische Feuilletonisten werden dann die Streitkultur der SPD loben. Aber noch mehr Wähler werden sich abwenden. Denn nichts schätzen die Bürger weniger als zerstrittene Parteien.

Handikap Nr.3: Die Partei steht links von ihren Wählern

Die potentiellen Wähler der SPD sind links von der Mitte zu verorten, die Parteimitglieder stehen jedoch links von ihren Wählern und die Funktionäre links von der Basis. Bei dieser Gemengelage agiert die Partei an ihrem Wählerpotential vorbei. Diesen Widerspruch kann ein starker Spitzenmann, wie Gerhard Schröder es war, kraft seiner persönlichen Ausstrahlung überbrücken. Nahles kann das aber nicht.

Handikap Nr. 4: Die SPD überlässt die Hartz IV-Dividende der Union

Gerhard Schröder hat mit der Steuerreform im Jahr 2000 und der „Agenda 2010“ im Jahr 2003 getan, was notwendig war, um der stagnierenden Wirtschaft wieder neuen Schwung zu verleihen. Weil Schröder seine Politik mit einem kräftigen „Basta“ durchsetzen wollte, statt sie gerade den SPD-Wählern zu erklären, hat das viele Stimmen gekostet. Die SPD hat sich bis heute nicht mit dem damaligen Kurswechsel abgefunden. Die groteske Folge: Die „Hartz IV-Dividende“ in Form einer Rekordbeschäftigung wird von der CDU/CSU kassiert. Doch die SPD-Linke hat immer noch nicht begriffen, dass das Prinzip des „Forderns und Förderns“ den meisten Menschen mehr einleuchtet als Gedankenspiele über ein Grundeinkommen in den Varianten solidarisch, bedingungslos oder sanktionsarm. Mit solchen Spielereien lassen sich Seminare bestreiten, aber keine Wähler begeistern.

Handikap Nr. 5: Die SPD laviert beim Thema Zuwanderung

Die mit dem unkontrollierten Zustrom von etwa 1,5 Millionen Migranten einhergehende Verunsicherung betrifft die „kleinen Leute“ mehr als diejenigen, die auf keine Sozialwohnung warten und ihre Kinder in Schulen schicken, in denen die deutschen Kinder keine Minderheit bilden. Doch bei diesem Thema geben in der SPD unverändert linke Ideologen den Ton an und nicht die pragmatischen und deshalb sehr kritischen Kommunalpolitiker. Man hat den Eindruck, die SPD freue sich geradezu auf einen Koalitionskrach bei Thema Familiennachzug. Da stehen die meisten SPD-Anhänger aber Seehofer näher als sozialdemokratischen Gutmenschen – sofern sie nicht bereits zur AfD abgewandert sind.

Handikap Nr. 6: Nahles begeistert niemanden

Die neue Vorsitzende ist eine gewiefte Politikerin. Sie beherrscht alle Machttechniken, weiß Bündnisse zu schmieden und Seilschaften zu nutzen. Aber beim breiten Publikum ist sie der Inbegriff einer Parteifunktionärin, die als Erwachsene keinen einzigen Tag außerhalb der Politik verbracht hat. Zudem wirkt sie mit ihren infantilen Ausbrüchen à la „Bätschi“, „Kacke“ und „in die Fresse“ nicht seriös. Dennoch: Sie war für die SPD jetzt die beste Lösung. Was eigentlich alles sagt.

Fazit:

Andrea Nahles ist die Vorsitzende einer Partei, die unverändert die „Beschlusslage“ für wichtiger hält als die Wirklichkeit. So etwas geht in der Wirklichkeit selten gut.

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Kommentare ( 54 )

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Hanspeter Moesch
6 Jahre her

Andrea Nahles mit ihrer Magisterarbeit (Fach: Germanistik) über 20 Studien Semester zum Thema: „Funktion von Katastrophen im Liebes-Roman“ (Quelle: Wikipedia) wäre eigentlich prädestiniert für einen Posten als Kiosk Frau. Das reicht offenbar auch als SPD Vorsitzende.

Gerhart
6 Jahre her

Vielleicht kann es doch eine Überraschung geben, nämlich wenn Nahles den Personalmangel überwinden und noch irgendwo ein paar Leute hervor kramen kann

mfohr
6 Jahre her

korrekte Analyse über ANahles und die SPD. Leider bietet die CDU nicht weniger Angriffsfläche und irgendwie fehlen mir langsam wählbare Alternativen.

Wolfgang Schuckmann
6 Jahre her
Antworten an  mfohr

Sie sollten sich mal ernsthaft umsehen. Denke Sie könnten durchaus fündig werden.

Jens Ludwig
6 Jahre her

Mit Fr Nahles bekommt Rot-grün (Nahles mit Hofreiter) eine ganz besondere Note.

Arno Schäfer
6 Jahre her

Wenn Andrea Nahles tatsächlich das beste ist, was die SPD an Personal zu bieten hat, dann kann sie sich gleich einsargen lassen: Nahles steht gerade eben _nicht_ für Erneuerung, sondern für jenes „weiter-so!“, dass die SPD verlässlich unter 20% gedrückt hat.
Inhaltlich laviert die neue-alte-SPD genauso orientierungslos herum, wie zuvor: Ein bisschen Merkelismus hier, ein bisschen grünlinke-Utopien dort und zu all den Probemen, welche den „kleinen Mann“ _tatsächlich_ umtreiben, sagt und tut sie gar nichts. -Warum noch irgendjemand die SPD wählen sollte, hat Frau Nahles bisher nicht beantworten können.

Realist
6 Jahre her

Nun, wenn Nahles die beste Wahl ist, sagt das alles über die auf niedrigste Niveau gekommene personelle Ausstattung dieser ehemaligen Volkspartei. Nahles das Beste – sonst nichts?

Andreas aus E.
6 Jahre her

„Nahles begeistert niemanden“ – stimmt so nicht, ich find sie perfekt als Führerin der SPD. Schade, daß die Sozen keine Doppelspitzenregelung haben – Stegner wäre idealer Partner der Nahles.

Germanthe German
6 Jahre her
Antworten an  Andreas aus E.

Ah, Sie meinen wohl „Hand in Hand, an die Wand gerannt“. Oder anders: Die 5% Hürde muss doch zu schaffen sein (aber von der anderen Richtung aus)

HRR
6 Jahre her

Eine demokratische Volkspartei, die sich von ihren Wurzeln entfernt, ist eine sterbende Partei. Das trifft sowohl für die SPD als auch für die CDU zu. Auf in den Kampf ihr Genossen und schwarze Ritter, vollendet das Werk!

Malaparte
6 Jahre her

Nahles ist nur das allerletzte Aufgebot ihrer Partei, die schon mit den Regierungsmitgliedern Maas, Barley, Scholz & Co. das letzte stellen. Ich wünsche dieser SPD mit ihrem opportunistischen und machtversessenen Spitzenpersonal bei kommenden Wahlen und vor allem 2021 einen grandiosen Abstieg. Vielleicht besinnt man sich dann in der Partei wieder, wen es zu vertreten und was es zu bewahren gilt. Nichts weniger als Demokratie und Freiheit steht auf dem Spiel.

Germanthe German
6 Jahre her
Antworten an  Malaparte

Wer braucht überhaupt noch die SPD? Die Union ist die neue Sozialdemokratische Partei dank Merkel, die AFD deckt mitlerweile den Konservativen bis rechtskonservativen Bereich ab. Die SEDPDSLinke als Linke Partei für den kleinen Mann. Die Grünen und FDP als kleine unbedeutende Splitter für Ökofreaks und Wirtschaftsliberale und das demokratische Parteienspektrum ist abgedeckt. SPD? Nicht nötig. Außerdem haben es die Sozies im europäischen Ausland es vorgemacht, wie unnötig sie sind (Z.B. Frankreich, Italien)

Arno Schäfer
6 Jahre her
Antworten an  Malaparte

„Vielleicht besinnt man sich dann in der Partei wieder“ -Nun: Seit 1998 (40,9%) hat die SPD ihren Stimmenanteil verlässlich ziemlich genau halbiert (2018: 20,5%), OHNE dass dies zu irgendeiner „Besinnung“ geführt hätte. Und auch die aktuelle Führungsriege setzt ihren Untergangskurs allem Anschein nach fröhlich fort: GroKo hier, Demontage ihres Parteivorsitzenden da, Hinterzimmergeküngel um Spitzenpositionen dort, inhaltlicher Juniorpartner Merkels, totschweigen des politischen „Elefanten im Raums“, Vollgas in die EU-Bürokratie, deutsches Steuerzahlergeld für die Welt statt den „kleinen Mann“ zuhause -wenn da jemand eine „Besinnung“ ausmachen kann, dann möge er sich bitte melden..

auslaufmodell
6 Jahre her

Die SPD braucht neue Stammwähler, die Alten aus der Arbeiterschicht sterben weg.
Deshalb Zuwanderung von Vermehrungsfreudigen um jeden Preis. Inschallah!

Gero Hatz
6 Jahre her
Antworten an  auslaufmodell

Bin mir nicht sicher, ob die SPD diesen Wettlauf mit der Zeit noch gewinnen kann. Aber die Absicht ist deutlich erkennbar.