Anmerkungen zur CDU auf der Suche nach der verlorenen Mitte

Die alte Mitte war eine bürgerliche Mitte. Sie war das Maß der deutschen Politik. Maß und Mitte zu halten, bemühten sich alle bürgerlichen Parteien, nicht bloß die Union. Heute werden Maß und Mitte als „rechts“ diskriminiert. Die alte Mitte gibt es nicht mehr.

Servus Tichy, Sprache ist umso verräterischer, je unbeholfener man sich ihrer bedient. Die Unionsparteien, sagte Frau Merkel in Essen, seien „die einzigen Volksparteien in der Mitte Deutschlands.“ Erneut ein seltsam verrutschter Satz. Was will sie uns sagen? Dass ihre Partei ganz und gar zu Deutschland gehört? Warum sollte sie das eigens erwähnen? Hat sie selbst daran gezweifelt? Ist Mitte bloß noch ein geographischer Begriff?

I.

Das Problem der CDU ist nicht die Mitte Deutschlands. Ihr Problem ist die Mitte. Um die Mitte Deutschlands zu finden, braucht Frau Merkel bloß eine Landkarte. Die Mitte jedoch ist auf keiner Karte zu finden, nicht einmal mehr auf der Karte der Demoskopen. Sie ist verstummt, verstört, untergetaucht. Mag sein, dass die Mitteldeutsche den Unterschied nicht versteht.

II.

Ihr Satz von der „CDU in der Mitte Deutschlands“ steht im Kontext dessen, was in Essen geschah. Die CDU ist auf der Suche nach der verlorenen Mitte und weiß nicht genau, wo sie suchen soll. Einfach nur rechts? Mit einem Rechtsruck, den mancher Kommentator der CDU nun unterstellt, wäre es nicht getan. Wo vermutet Frau Merkel die Mitte? Dort etwa, wo sich der alte, weiße Mann verschanzt? Im Verbitterungsmilieu der Modernisierungsverlierer? Aber die „neue Rechte“ ist nicht die alte Mitte. Die alte Mitte war eine bürgerliche Mitte. Sie war einmal das Maß der deutschen Politik. Maß und Mitte zu halten, bemühten sich alle bürgerlichen Parteien, nicht bloß die Union. Heute werden Maß und Mitte als „rechts“ diskriminiert. Auch deshalb gibt es die alte Mitte nicht mehr. Es spricht ja auch mitten in Deutschland kaum noch jemand vom „Bürger“. Wenn überhaupt, taucht der Bürger als Wutbürger auf, während der Gutbürger selbstverständlich ein Gutmensch zu sein hat. Der „Bürger“ ist flächendeckend vom „Menschen“ verdrängt. Als gäbe es keine Unterschiede mehr. Wer sich vom Bürger keinen Begriff mehr machen will, kann die Mitte nicht finden.

III.

Die alte Mitte war Veränderungen gegenüber immer skeptisch, hat sich dem Wandel aber nie verweigert. Sie wollte überzeugt werden und nicht übergangen. Gegen die Mitte ging lange nichts. Die Mitte war kein eingetragener Verein, kein definiertes Teilvolk mit fest umrissenen Vorstellungen. Sie war die Schwerkraft der Gesellschaft. Diese Mitte gab der deutschen Politik Stabilität. Die Mitte war immer die Stimme der Vernunft. Die alte Mitte war einmal der Kern der Republik. Kein Wort tauchte in Wahlprogrammen häufiger auf. Jeder Kanzler wollte Mitte sein oder doch wenigstens in der Mitte Zustimmung finden. Ob links oder rechts, jeweils in Relation zur Mitte positionierten sich die Parteien. Nicht nur die früheren Volksparteien reklamierten die Mitte für sich. An der Mitte der Gesellschaft orientierten sie ihre Politik. Seit sie die Mitte aus den Augen verloren, sind sie keine Volksparteien mehr.

IV.

Die alte Mitte war ein Mythos der Bonner Republik. Auch die Westdeutschen wollten glauben, in einer Art klassenlosen Gesellschaft zu leben, nur hundertmal besser als „drüben“. Helmut Schelsky schuf den Begriff dafür: „Nivellierte Mittelstandsgesellschaft“. Gleichgewicht (nicht Gleichheit) durch einen starken Mittelstand und soziale Marktwirtschaft. Zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene assimilierten sich nach dem Krieg, packten an, stiegen auf. Die Gesellschaft der Bonner Republik war durchlässig. Die Bonner Republik hielt zusammen, obwohl sie kein Nationalstaat war.

V.

Den meisten neuen Bundesbürgern in der ehemaligen DDR bedeutete die Mitte der Bonner Republik nichts. Wie sollten sie auch wissen, was das Erfolgsmodell der deutschen Geschichte einst im Innersten zusammengehalten hatte? Nicht nur die DDR brach zusammen – auch mit der BRD war es nun vorbei. Es etablierten sich, jeweils zuerst im Osten, Parteien am Rand. Erst die Nachfolger der SED, später die AfD. Nach der „Wiedervereinigung“ begann auch die verhängnisvolle Herrschaft der Politik über die ökonomische Vernunft. Die DM wurde geopfert, Europa überdehnt, Deutschland erneut gespalten. Mitten durch die alte Mitte verläuft heute der Spalt zwischen Europäern und Antieuropäern.

VI.

Auch der Ostdeutschen Angela Merkel bedeutet die alte Mitte nicht viel. Weil sie sich nicht an der Mitte orientieren wollte, verlor sie selbst die Orientierung. Denn Angela Merkel hatte erkennbar keine Ahnung von und kein Interesse an der Mitte der Bonner Republik. Schlimmer noch: Sie besitzt selbst keine Mitte. Die Behauptung aller Kanzler, die Mitte sei da, wo sie selbst sind, nimmt ihr niemand ab. Das Merkel hörige juste milieu kann die alte Mitte nicht ersetzen.

VII.

Der Parteitag in Essen versuchte, die Vorsitzende in die Mitte zurück zu schieben, aus der die CDU sich von Merkel, seit sie Kanzlerin ist, hatte heraus drängen lassen. Aber diese alte Mitte gibt es nicht mehr. So kam es, dass sich die CDU ausschließlich mit sich selbst beschäftigte. Klar! Der größte Gegner der CDU im Wahlkampf ist ja die Merkel-CDU. Die größte Belastung der Union ist sie, die Kanzlerin. Nach wie vor hat sie keinen Entwurf für die Zukunft dieses Landes. Sie versucht zu reparieren. Wie naiv, zu glauben, ein halbherziges Ja zur Vollverschleierung reiche dafür aus. Niemand hat ihr störrisches „Wir schaffen das“ vergessen. Sie hat es nicht verworfen. Sie hat es nur nicht mehr wörtlich wiederholt. Die beiden größten politischen Schwächen von Frau Merkel wurden in Essen nicht widerlegt. Erstens ihre Neigung zu abrupten Kursänderungen, zweitens ihre Unfähigkeit, tiefgreifende Prozesse demokratisch zu gestalten. Das ist der Grund, weshalb Angela Merkel genau so wie Hillary Clinton als Inbegriff einer wählerfernen Hauptstadtelite gesehen wird. Ihr Vertrauensverlust wird von der Restelite im Parteipräsidium nicht gerade kompensiert. Die Führungsriege der Partei, ausgenommen die Nachwuchshoffnung Jens Spahn, besteht aus den Gefügigsten der Gefügigen. Als etwa Vize Volker Bouffier Frau Merkel als „Halteseil in unsicherer Zeit“ anpries, war die Grenze zum Kabarett überschritten.

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