Der Landrat mit der Kettensäge

Gerne nehme ich Sie mit auf meine Sommerreise. Erste Station: In einem der landschaftlich schönsten Landkreise Deutschlands wird ein neuer Landrat gewählt. Im Voralpenland, am Chiemsee. Nein, die CSU regiert nicht mehr unangefochten durch. Es ist eine Wetterecke der Republik.

Es ist so ein romantischer Blick, wie ihn die Chiemseemaler des 19. Jahrhunderts in Öl festgehalten haben: Der Himmel ist fast schwarz verstellt mit Gewitterwolken, die Berge blau, der See weiß mit Wellen. Nur Kite-Surfer, die jede starke Wind-Bö ausnutzen für wilde Sprünge weit hinauf hinter ihren bunten Segeln, bringen die Gegenwart ins Bild.

Beim Thomas-Fischer, einem der letzten 18 Fischer vom Chiemsee, trocknen die Netze für Hecht und Saibling, über der Tür Lüftlmalerei. Eine Maria Mutter Gottes und die Arche Noah, Sinnbilder fürs Überleben in der Not.

Heraus tritt Heinz Wallner. Der Sohn übernimmt von der Mutter Fischerei und Bootsverleih. Wallner senior ist Elektromeister, war mit öko-korrektem Kühlschrank-Recycling als Unternehmer erfolgreich. Jetzt will er Landrat im Landkreis Traunstein werden, außerplanmäßig. Den bisherigen hat die CSU in den Bundestag geschickt, als Nachfolger für den extrem populären Peter Ramsauer, der mit seinem Überhang an Erstwählerstimmen immer wieder der Stimmen-Häufelkönig war jenseits der Zweidrittel-Mehrheit.

Wallner war in vielen kommunalen Ämtern für die CSU, aber jetzt tritt er für die Bayernpartei an. Insgesamt 9 Bewerber treten auf, von der CSU natürlich, der SPD, Grüne, Linke, Freie Wähler und unabhängige Kandidaten. Die Bayernpartei machte einst in den fernen 50ern der CSU Ministerposten streitig. Dann ein langer Spielbankenskandal, ein wie sich später herausstellte hübscher Meineid bei Unterzuckerung des damaligen Generalsekretärs Friedrich Zimmermann, und die im schwarzen Winkel beheimateten Häupter der Partei wanderten vom Plenarsaal ins Zuchthaus.

Zimperlich ging es nicht zu in der bayerischen Politik, bis die CSU ihre Allmacht erlangt hatte und scheinbar unangreifbar behaupten konnte. Zimperlich geht es im Chiemgau heute auch nicht zu. Hier stand das Bierzelt, in dem zur bayerischen Landtagswahl 2023 Cem Özdemir und die bayerische Grünen-Chefin Katharina Schulze ausgebuht und ausgepfiffen wurden, zu Blasmusik und Maßkrugklirren. Es war ein Kipppunkt in der öffentlichen Stimmung. Seither sind die Grünen angreifbar und auf der Verliererbahn. Und im Abstieg sind auch die Freien Wähler begriffen.

Ihr Chef Hubert Aiwanger hat einen Windvorrangplan abgezeichnet, der auf den Gipfeln zwischen Inzell, Ruhpolding und Schneizelreuth riesige Windräder hinpflanzen soll, auf dass der geldbringende Tourist verscheucht wird, von dem die Region bislang gut lebt. Im Übrigen hat sich Aiwanger im Streit um das Schuldenpaket von Merz feig auf die Seite von Markus Söder geschlagen – der Dienstwagen geht vor. Linke  abgeschlagen, die AfD schwer kalkulierbar und lokal noch nicht verankert, die SPD ist ohnehin nur noch eine Art Veteranen-Treffen von alt gewordenen Sektierern mit Tagesfreizeit.

Jetzt also rechnet sich Heinz Wallner Chancen für die Stichwahl aus, und das nicht zu Unrecht. Die CSU schickt einen Martin Lackner ins Rennen; Bürgermeister der Gemeinde Engelsberg, mit 2413 Seelen selbst für das ländliche Bayern etwas unterdimensioniert.

Seinen Wahlkampf bestreitet Wallner neben so lokal wichtigen Fragen wie dem Verbleib oder der Verlegung der lokalen Justizvollzugsanstalt mit der Frage, ob die Bahnstrecke an den Münchner Verkehrsverbund angeschlossen werden soll, was erhebliche Mehrkosten für Pendler und Kommunen mit sich brächte: Die rotgrün heruntergewirtschaftete Großstadt streckt ihre gierigen Pranken bis in die Taschen der 80 Kilometer entfernten Landgemeinden aus, was allerdings außer bei den zentralisierungssüchtigen Grünen niemanden so wirklich überzeugt.

Wallner hat die Kettensäge des Javier Milei als Wahlkampfthema entdeckt.

Entbürokratisierung ist sein Lieblingsthema. Gerade haben die Busse des bahneigenen RVO verfügt, dass beim Fahrkartenkauf nur noch maximal 20-Euro-Noten akzeptiert werden; wer mit größeren Scheinen bezahlt, darf sich das Wechselgeld dann irgendwann und irgendwo in einem fernen Büro zurückerbetteln. Oder die Wasservögel. Wenn eines Wallners Bootsverleih blitzschnell dahinsausenden Tretboote  auf Wasservögel trifft, so die Verordnung des Wasserschutzamts, so „sind sie weiträumig zu umfahren“. Und selbstverständlich sind Handys wasserdicht verpackt mitzuführen, auf denen für die Wadenmuskelbetriebene Fahrt über das doch recht überschaubare bayerische Meer die Nummern der Seenotrettung abzuspeichern sind.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht will die örtliche Sparkasse dazu verpflichten, in allen ihren Texten zu gendern, schließlich ist das einfacher zu vollziehen und für erfolgsorientierte Mitarbeiterinnen der Superbürokratie ein leichter zu erreichendes Ziel, als etwa einem Konzern wie Wirecard auf die Finger zu schauen oder den Cum-Ex-Skandal zu verhindern. Außerdem werden am Weltspartag die Einzahlungen von Schulkindern von ein paar fünfzig Euro einer Geldwäsche-Analyse unterzogen. Einfach ignorieren, meint Wallner. Lokalpolitik habe mehr Macht als gedacht, weil München fern und Berlin weit weg mit sich selbstbeschäftigt ist. Mutige Kommunalpolitiker brauchen einen Hang zur gemütlichen Anarchie, die das Leben weiter atmen läßt.

Stundenlang kann Wallner über solche Details herziehen und hat eine eigene Lösung: wird er zum Landrat gewählt, will er den bürokratischen Schwachsinn, der in Berlin ausgebrütet, in der Münchner Landesregierung großgezogen, dann in der Regierung von Oberbayern perfektioniert wird, ehe er auf die Bevölkerung trifft, diesen Schwachsinn will er einfach nicht vollziehen. Denn zur Kontrolle fehlt ohnehin das Personal – und die Bereitschaft, sich aus dem fernen Amtszimmer wegzubewegen.

Politik, meint er, wird vor Ort gemacht und der Widerstand dagegen auch. Die bürokratischen Netze sind feiner geknüpft als seine Netze für Saibling, Hecht und Zander. Aber auch einfacher zu zerreißen. Es geht auch ohne Kettensäge. Einfach nicht beachten.

Aber jetzt muss Wallner erstmals in die Stichwahl. Dann will er im Erfolgsfall die Deregulierungswelle lostreten. Am Chiemsee kann es stürmisch sein, ehe der Wind sich wieder legt, als ob ihm schon ein Windrad begegnet wäre und die Kite-Surfer ans rettende Ufer paddeln müssen statt zu fliegen.

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Kommentare ( 59 )

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Jan des Bisschop
14 Stunden her

Wenn sich lokal nichts ändert, wird sich aucch im Großen nicchts ändern. Ich drücke Herrn Wallner alle Daumen.

Johann Thiel
5 Tage her

Meine letzte Busfahrt liegt zwar fünfzig Jahre zurück, aber dass die Busfahrer heutzutage auf einen 100 Euro-Schein Kleingeld herausgeben, erscheint mir die passende Ergänzung zu den heute ohnehin sehr erlebnisorientierten Busfahrten zu sein. Schließlich hat auch Charles Bronsen in seinen Anfängen auf Kleingeld gesetzt. 😄💰

bernstedter
25 Tage her

Das ist so rührend wie TE den CSUler hofiert. Einen Altparteienpolitiker mit dem sich genau NICHTS ändern wird 🙂

Sidetrack
25 Tage her
Antworten an  bernstedter

Er tritt doch für die Bayernpartei an, insofern könnte sich doch so Einiges ändern 😉

Ombudsmann Wohlgemut
25 Tage her
Antworten an  Sidetrack

Nicht wirklich. In der Kommunalpolitik muss man ständig die Auflagen von Oben erfüllen. Das meiste, das er vielleicht umsetzen möchte, bleibt ihm wahrscheinlich verwehrt, in so kleinen Gemeinden auch finanziell.
Außerdem darf man nicht zu auffällig gegen die Obrigkeit agieren, sonst werden Entscheidungen rückgängig gemacht und man selbst schnell zur Zielscheibe. Und die Bayernpartei bekam zur letzten Landtagswahl 0,9%, ich weiß nicht, ob er mit der besser fährt.

Sonny
26 Tage her

Das eigentliche Problem ist, dass sich wahrscheinlich mindestens die Hälfte der Bevölkerung nach wie vor nicht wirklich für Politik interessieren und auch nicht damit beschäftigen. Sie wählen die Altparteien rot-schwarz-grün, weil sie bestimmte Gesichter kennen und nicht überblicken, was das für Folgen hat. Sie sind leicht zu beeinflussen und glauben der Propaganda der Hofmedien. Wenn dann die nächsten Restriktionen folgen, pusten, lamentieren und schimpfen sie. Sie stellen aber keinerlei Zusammenhang zu ihrem eigenen Wahlverhalten her. So verpuffen Kleinstrevolutionen immer wieder sang und klanglos im Nirvana. Es gibt jedoch einen Hoffnungsschimmer – die anderen 50%. Und dann diejenigen von den 50%,… Mehr

Unglaeubiger
26 Tage her

Ja, einfach mehr Mut in der Kommunalpolitik meine Herrschaften, die Bevölkerung (bis auf Grüne und Linke) werden dankbar mitziehen, unterstützen und dadurch ebenso mutiger werden. Es wird Mehr als Zeit für den RESET von UNTEN nach GAGAWAHN oben!

bernstedter
25 Tage her
Antworten an  Unglaeubiger

Das größte Problem sind CDU und FDP Wähler, die nicht checken das sie linke Parteien wählen im „bürgerlichen“ Gewand. Woebei man sagen muss das es gerade das feige Bürgertum ist das nichtsmachend einfach nur dasitzt und zuschaut wie unser Vaterland vor die Hunde geht. Wie deutsche Frauen vergewaltigt werden.

Bernd Bueter
26 Tage her

Vertreter von Alt- und von ganz alten Parteien sind schon durch ihre Parteizugehörigkeit erkennbar unwählbar.

Siggi
26 Tage her

Trotz totaler Ausblendung der AfD durch die geschmierten Medien und trotz der „Versprechen“ des Merz und seiner Gang, macht die AfD in Bayern gerade 4 % gut; und das beim NGO-Umfrageverein Civey. Der Lügner und Manipulator Merz wird mit dieser üblen Praxis scheitern. Der Bürger sieht genau, dass das nur ein äußerst übles Gebaren ist, das auf Schwäche hinweist und nicht auf Stärke. Merz ist schon jetzt soweit, wie Scholz nach 2 Jahren; was seine Glaubwürdigkeit angeht. Meine Prognose steht. Noch vor dem Jahreswechsel reden wir ernsthaft über Neuwahlen.

Hannibal ante portas
26 Tage her

„den bürokratischen Schwachsinn,… ehe er auf die Bevölkerung trifft, diesen Schwachsinn will er einfach nicht vollziehen.“ Das wird er mit Sicherheit NICHT tun, sonst wird es ihm so ergehen wie einst seinen unterzuckerten CSU-Kollegen: er landet im Zuchthaus. Das perfekte Kontroll- und Herrschaftsregime werden „die da oben“ sich mit Sicherheit nicht von einem Provinz-Kasper verhindern lassen. Wir hatten ja schon mal so einen bayrischen (Ent-)Bürokratisierungsexperten, der dies sogar in Brüssel ausprobierte. Der „Erfolg“ war übersichtlich.

Zebra
26 Tage her
Antworten an  Hannibal ante portas

Ja, so wird es kommen aber was ist Ihre Alternative.

bernstedter
25 Tage her
Antworten an  Zebra

die alternative ist radikal wählen, das vor dem die Presse warnt: Nazis, Rechtsradikale, Rechtsextreme…die müssen gewählt werden.

Budgie
10 Tage her
Antworten an  bernstedter

„Nazis, Rechtsradikale, Rechtsextreme…die müssen gewählt werden.“? Wieso, da müsste man ja Politiker der 5 grünen Blockparteien wählen. Das lehne ich ab. Die kuscheln mit den ideologischen Enkeln des Großmufti von Jerusalem, senden Grußbotschaften zum Jahrestag der Machtergreifung der mörderischen iranischen Mullahs, beteiligen sich an Demonstrationen bei den offen auf Transparenten der Tod von Mitmenschen gefordert wird (z.B.: „ADF’ler töten“) oder lassen indigene „Andersdenkende“ von der Polizei mit Prügelorgien überziehen. Nein, die kann und will ich nicht wählen!

Klaus Uhltzscht
26 Tage her

Wenn ich im Tretboot auf dem Chiemsee die Nummer der Seenotrettung wähle, dann klingelt es doch zu Hause beim Mann von Katrin Göring-Eckardt?!

StefanH
26 Tage her
Antworten an  Klaus Uhltzscht

Und wird man dann, falls man zufälligerweise seinen Pass nicht dabei hat, ins nächste Aufnahmezentrum verfrachtet, wo man bei freier Kost und Logis abwarten muss, bis sich der Irrtum aufgeklärt hat?

Klaus Uhltzscht
26 Tage her
Antworten an  StefanH

Ja.
Bei weiß gelesenen Nicht-Migranten führt die Volkspolizei einen Datenabgleich durch. Zuerst wird das Alter ermittelt und die Steuernummer abgefragt. Die Pflicht zum Tragen der Steuernummer ist ab Null Jahren (so war es bei meinem Sohn).
Weiterhin wird die Wohnung überprüft. Es muß eine gerichtlich ladungsfähige Adresse sein.
Drittens die Kontonummer für eventuelle Rücküberweisungen von Guthaben durch das Finanzamt.

Kassandra
25 Tage her
Antworten an  Klaus Uhltzscht

Ich kriege gerade mit, wie die Mutter eines Bekannten aus Nordvietnam von der deutschen Botschaft dort inzwischen über Wochen getriezt wird, die hier ihr Enkelkind endlich besuchen möchte.
Während hier über die Grenze läuft, was halt eindringen will, um auf immer im sozialen Netz zu bleiben.

bkkopp
26 Tage her

Nette Gechichte. Manchen Unsinn, wie Gendern in Texten der Sparkasse, einfach stillschweigend nicht mitmachen ist effektiver als laut Protestieren. Für Bareinzahlungen von Kindern auf eigenes, oder das Konto der Eltern, in Beträgen unter € 2500.- ist keine “ Geldwäscheanalyse “ erforderlich – bei höheren Beträgen bestenfalls eine Identitätsfeststellung des Einzahlers, wenn nicht persönlich bekannt. Ich bin mir auch nicht so sicher ob Herr Wallner mit der “ Kettensäge “ so glücklich ist. Sie ist nur laut, und man kann damit nur Bäume aus dem Wald herausnehmen. Herr Wallner weiß nur zu gut dass dies für sich alleine keine “ komplette… Mehr