Grexit: 8 Mythen verfälschen die Sicht auf die Krise

Griechenland, Griechenland, Griechenland: Irgendwie scheint zu Grexit, Schuldenschnitt, Notkrediten, Parallelwährung, Reformen und Hilfsprogrammen alles gesagt zu sein – und zwar von allen. Zugleich wabern Mythen und Legenden durch die Debatte. Sie machen aus den Regierenden in Athen Helden – und alle anderen zu Schurken.




Mythos Nr. 1: In Griechenland regiert eine linke Regierung.

Ja, es stimmt: Syriza, das Parteienbündnis aus Sozialisten, Marxisten, Kommunisten und sonstigen Linken hat bei der letzten Wahl einen eindrucksvollen Sieg errungen. Aber zur absoluten Mehrheit hat es nicht gereicht. Deshalb regiert Syriza mit dem Koalitionspartner ANEL, den „Unabhängigen Griechen“. Diese Partei ist rechtsradikal, nationalistisch, antisemitisch und deutschfeindlich obendrein.

Genau genommen haben wir es also mit einer rot-bräunlichen, einer links-/rechtsradikalen Koalition zu tun. Doch in den meisten deutschen Medien ist von der Athener „Linksregierung“ die Rede. Weil es halt sympathisch klingt, wenn aufrechte Sozialisten sich im Interesse der kleinen Leute gegen Spardiktate wehren. Ein Mythos – politisch korrekt, aber verlogen.

Mythos Nr. 2: Die Rest-EU will die Regierung in Athen stürzen, weil sie links ist.

Ganz abgesehen davon, dass die Regierung von Alexis Tsipras eben nicht links ist: Währungsfonds, EU und EZB handeln gegenüber Athen heute nicht anders, als zu Zeiten der sozialdemokratischen und konservativen Regierungen. Auch damals galt das Prinzip: Geld nur gegen Reformen. Auch damals wurde vonseiten der Geldgeber hart verhandelt, auch damals zogen die Haushalts- und Strukturreformen Entlassungen, Gehalts- und Rentenkürzungen nach sich.

So besehen haben die „Institutionen“ und die übrigen 18 Euro-Länder bereits zu den Wahlniederlagen der Regierungen Papandreou und Samaras beigetragen. So besehen wäre eine mögliche Abwahl der derzeitigen konservativen Regierung in Spanien auch dem „Diktat“ des europäischen Großkapitals geschuldet. Kapitalisten gegen Linke – was für ein eingängiger, falscher Mythos.

Gewagte These von Tsipras-Kollege: „Deutschland wird die Eurozone vor Griechenland verlassen“

Mythos Nr. 3: Die EU respektiert nicht demokratische Entscheidungen der Griechen.

Die Griechen und ihre deutschen Hilfspropagandisten von links betonen immer wieder, die Regierung Syriza/ANEL vollstrecke nur den Wählerwillen. Doch die anderen Euro-Länder respektierten nicht die demokratisch zustande gekommenen Entscheidungen Athens. Natürlich haben die Griechen jedes Recht, sich zu entscheiden, wie sie wollen. Aber das demokratische Votum eines Landes verpflichtet die anderen Länder zu gar nichts.

Tsipras und seine rot-bräunliche Regierung leiten aus ihrem Wahlerfolg das Recht ab, von ihren Vorgängern ausgehandelte Verträge einfach nicht zu akzeptieren, ja sich bewusst vertragswidrig zu verhalten. Die Griechen reklamieren für sich das Recht, zu entscheiden, dass die deutschen, französischen oder lettischen Steuerzahler ihnen ihre Schulden erlassen müssen. Demokratische Griechen gegen undemokratische Europäer – ein Mythos, der jedem Verständnis von internationalem Recht und politischen Anstand widerspricht.

Mythos Nr. 4: All das Unheil haben die korrupten Vorgänger-Regierungen angerichtet.

Was für eine Konstellation: Die Schwesterparteien von CDU (Neo Demokratia) und SPD (Pasok) haben Griechenland ruiniert. Doch die mutigen Syriza-Sozialisten scheuen keine Mühe, das Land zu sanieren und auf Erfolgskurs zu bringen – und vor allem Schluss zu machen mit den sozialen Ungerechtigkeiten.

Zur Erinnerung: Weder die griechischen Sozialdemokraten noch die Konservativen haben sich jemals an die Macht geputscht; sie sind demokratisch gewählt worden. Die Griechen haben halt traditionell für die Partei gestimmt, die ihnen das meiste verspricht – unabhängig von den Kosten.

Der Staat, das war für die Griechen ein Gebilde, das man irgendwie ausnutzen oder übers Ohr hauen kann. Die griechischen Wähler haben sich auch damit abgefunden, dass ihr Land ein „failed state“ ist – ein Land ohne Infrastruktur im weitesten Sinn, ohne funktionierende Steuerverwaltung, ohne ein belastbares Sozialsystem, ohne angemessene Krankenversicherung, ohne eine halbwegs leistungsfähige Wirtschaft.

Der Mythos, die alten Parteien hätten das Land ruiniert, soll Syriza als Alibi dienen. Ihr Land ruiniert haben die Griechen jedoch selbst.




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