Die Erdgasspeicher leeren sich – Grüße von Gazprom

Der vergangene Winter war kein strenger, aber auch kein milder. Die Heizungen liefen bis zum Mai. Erdgas war reichlich vorhanden und auch vergleichsweise preiswert. Umso erstaunlicher, dass die mitteleuropäischen Erdgasspeicher jetzt im Sommer den seit Jahren niedrigsten Stand haben.

IMAGO / Jens Koehler
Das Mehrzweck-Offshore-Schiff VLADISLAV STRIZHOV legt zur Beladung mit Pipelinerohren für Nord Stream 2 im Fährhafen Mukran an.

Seit 2013 waren noch nie an einem 1. Juli die deutschen Erdgasspeicher so leer wie in diesem Jahr. 46 Prozent betrug der Füllstand. Kein Grund zur Sorge, aber eben deutlich anders als in den vergangenen Jahren. Nach den verbrauchsstärkeren Wintermonaten werden jährlich die Erdgasspeicher über den Sommer wieder aufgefüllt. Das schützt vor starken Preisschwankungen und gibt vor allem die Sicherheit, bei Lieferschwierigkeiten die Versorgung aus den Speichern heraus gewährleisten zu können. Deutschland hat unter allen EU-Ländern die größten Speicherkapazitäten.

In diesem Jahr geht das Auffüllen der Speicher sehr langsam vor sich, es gibt weniger Lieferungen aus Russland. Aha – rufen jetzt vermutlich die geübten Transatlantiker in Politik und Redaktionen, haben wir doch gewusst, dass der Russe politischen Druck ausüben wird. Nun, ganz so einfach ist die Sache nicht.
Obwohl die Preise für den Lieferanten gut sind (die höchsten seit 13 Jahren), wird wenig geliefert. Gazprom buchte in der Ukraine keine so großen Transitkapazitäten als vorgesehen. Dazu kommen Reparaturstillstände an Nord Stream 1 und der Jamal-Trasse, die durch Weißrussland und Polen führt. Die finden im Sommer statt (wann sonst?). Gazprom hatte langfristig mit der Verfügbarkeit der Nordstream 2 kalkuliert, deren Fertigstellung sich aber drastisch verzögert.

Dennoch hält Gazprom alle Verträge ein und verweist auf derzeit geringere Transportkapazitäten. Der Gasriese kann für das Management der Mengen auch die in seinem Besitz befindlichen Gasspeicher in Rheden in Niedersachsen, dem größten Speicher in der EU, und im österreichischen Haidach nutzen. Nun wartet man ab, bis durch Nord Stream 2 Gas fließt, anstatt es teurer durch die Ukraine zu leiten.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Gleichwohl kommt die Situation dem Kreml sicherlich gelegen. Sie illustriert, dass die Fertigstellung und Inbetriebnahme von Nord Stream 2 bei steigendem europäischem Bedarf sinnvoll ist und eine weitere Blockade Folgen hat. Auch wenn die Möglichkeit besteht, über Turk-Stream russisches Gas über Südosteuropa zu beziehen oder über die Trans-Anatolian-Pipeline aserbaidschanisches Gas, dürften diese Lieferungen nach Deutschland auf Grund der immensen Transitgebühren kaum in Frage kommen.

Rohr oder Tank

Hin und wieder wird der Eindruck erweckt, dass für die Unwägbarkeiten in der Versorgung mit Röhrengas durch den Import von Flüssigerdgas (LNG – liquefied natural gas) in Tankschiffen aus den USA, Katar oder Algerien eine Alternative bestünde. Zur Tiefkühlung auf -160 Grad gehen dabei 10 bis 25 Prozent des Energiegehalts des meist gefrackten Gases verloren, bei der Wiedervergasung nochmals ein bis zwei Prozent. Das macht die Treibhausgasbilanz schlechter als die von Kohle.

Zwei geplante deutsche Terminals für Anlieferung und Regasifizierung entwickeln sich nur zäh. Für den Standort Brunsbüttel soll nun der Genehmigungsantrag eingereicht werden, liegt dieser vor, kommen noch zwei bis drei Jahre Bauzeit hinzu. Vor 2025 dürfte die Anlage wohl nicht arbeiten, eine weitere in Stade nicht vor 2026. Bis dahin wird der deutsche Verbrauch dank Atom- und Kohleausstieg deutlich gestiegen sein. Brunsbüttel könnte ein knappes Zehntel des heutigen deutschen Bedarfs liefern.

Selbsternannte Umweltschützer argumentieren dagegen mit dem Hinweis, dass die zwei geplanten Tanks in Brunsbüttel den Energiegehalt von 100 Hiroshima-Bomben speichern. Brunsbüttel und Stade würden das neue Beirut. Auch die Nähe zum atomaren Zwischenlager Brunsbüttel lässt sich angststeigernd verwenden. Bombenstimmung also, um ein infrastrukturelles Großprojekt umzusetzen.

Ein weiteres Vorhaben in Wilhelmshaven wurde von Uniper zurückgezogen. Natürlich könnten auch andere europäische Terminals wie in Polen oder den Niederlanden mitgenutzt werden, preiswerter würde es allerdings nicht sein. Um die Investoren überhaupt zu halten und Rentabilität in Aussicht zu stellen, dürfen 90 Prozent der Anschlusskosten in Brunsbüttel und Stade über die Netzbetreiber auf die Gaskunden umgelegt werden. Ohne Umlagen, Subventionen und Fördermittel läuft in Deutschlands Energiewirtschaft nichts mehr, nur noch die auslaufenden Kraftwerke, aber deren Stilllegung wird zum Teil auch noch bezahlt.

unverbindliche Einigung zu Nord Stream 2
Die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den USA schwinden
Die Grünen als führende Ausstiegspartei im Land wollen den Abschied vom Erdgas ab 2030 durchsetzen, dann soll es ausreichend grünen Wasserstoff geben. Zunächst aber steigt der Bedarf fossilen Erdgases bei zugleich schwindenden westeuropäischen Vorkommen. Der Kohleausstieg sorgt für den Umbau vieler kommunaler Heizwerke auf Erdgas, den so genannten Fuel-Switch. Hochöfen sollen umgebaut werden auf Erdgas, um (irgendwann) mit Wasserstoff betrieben zu werden. Selbst Elon Musk braucht für sein Tesla-Werk in Brandenburg größere Mengen an Erdgas für Prozesswärme. Russisches Gas für amerikanische Autos, durchaus ein Beitrag zur Entspannung.

Hinzu kommt ein deutlich steigender Bedarf durch die Kraftwerke der Netzreserve, für den Winter 22/23 nahm die Bundesnetzagentur über 10.600 Megawatt unter Vertrag, fast ausschließlich alte, abgeschriebene Gaskraftwerke mit schlechtem Wirkungsgrad. Wie oft diese laufen werden, weiß noch niemand, aber angesichts der deutlichen Unterdeckung des Bedarfs nach dem Atom- und dem begonnenen Kohleausstieg werden sie wohl mehr laufen als gewollt. Am grünen Tisch gezogene Linien konstant sinkender CO2-Emissionen können dann gestrichen werden.

Mitte Juli weilte John Kerry, der von Präsident Biden ernannte Klimabeauftragte, in Moskau. Beide Seiten versicherten, mehr für den Klimaschutz tun zu wollen. Sowohl im amerikanischen Billionenpaket zur Infrastruktur als auch in der russischen Energiestrategie spielt die Kernkraft eine wichtige Rolle und soll weiter entwickelt und ausgebaut werden. Für ein zurückbleibendes Deutschland ist dies keine Option. Am 15. Juli um 6:37 Uhr erforderte eine deutsche Kilowattstunde Strom 345 Gramm CO2, in Frankreich nur 25 Gramm. Woran mag es wohl gelegen haben?

Die Nutzung von Erdgas wird zwangsläufig zunehmen. Dass die hohen Emissionen in der Vorkette von Gasförderung, -reinigung, -entschwefelung, -trocknung und –transport kaum geringer sind als die der Kohleverbrennung, im Fall des LNG sogar höher, wird verschwiegen. Diese belasten ja nicht die deutsche Bilanz.

Deutschland entledigt sich mittelfristig aller heimischen Energierohstoffe und begibt sich in völlige Abhängigkeit vom Ausland, zunächst bei Erdgas, später vielleicht bei grünem Wasserstoff und schon bald beim Strom. Sehenden Auges geraten wir in eine energiestrategisch ungünstige Situation, vor allem mit Blick auf die Preisverhandlungen, in denen Lieferanten die Abhängigkeit werden auszunutzen wissen. Auch in dieser Frage sind wir weltweit allein.

Mit einiger Sicherheit werden die deutschen Gasspeicher im diesjährigen Herbst wieder weitgehend gefüllt sein. Dank Gazprom.

PS: Weiteres zum Thema im Kapitel „Gib Gas, Wladimir“ im neuen Buch:

Frank Hennig, Klimadämmerung. Vom Ausstieg zum Abstieg – Plädoyer für mehr Vernunft in der Klimapolitik. FBV, 320 Seiten, 22,00 €.


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>

Unterstützung
oder

Kommentare ( 59 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

59 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Winnetou
2 Jahre her

Es ist ein kapitaler Fehler, den Russen zu vertrauen und sich von ihnen abhängig zu machen!

199 Luftballon
2 Jahre her
Antworten an  Winnetou

Lieber ein Russe der uns Gas liefert als einen grünen Hetzer und Volltro……….
Apropos, wann legt die grüne Hochstaplerin endlich ihre Masterarbeit vor höchste Zeit ist es da die korrupte Briefwahl längst im Gange ist.

199 Luftballon
2 Jahre her
Antworten an  Winnetou

… wenn ich was kaufe bin ich abhängig, egal wir Österreicher wollen das Erdgas aus Russland, ihr Deutschen könnt ja das teure Fracking Gas aus den USA kaufen und eure Wirtschaft und Bevölkerung noch mehr schädigen , wer hindert euch Grüne eigentlich daran USA Frackinggas zu kaufen?
Übrigens North Stream 2 ist völlig Privat Finanziert was mischt die Politik da überhaupt mit, so viel zur Marktwirtschaft
Ich glaube langsam die Marktwirtschaft ist nur so gut wen sie dem Westen dient. Siehe die EU die Geld wie Klo Papier druckt, wo ist da die Marktwirtschaft.

Tibs50
2 Jahre her

Bei dieser politisch enorm angefärbten Diskussion darf man nur eines nicht vergessen: die UDSSR/Rußland hat die Verträge – seitdem es uns beliefert – immer genauestens eingehalten. Rußland hat immer und pünktlich geliefert. IMMER!! Seit nunmehr 48 Jahren!

Tibs50
2 Jahre her

Bei dieser politisch enorm angefärbten Diskussion darf man nur eines nicht vergessen: die UDSSR/Rußland hat die Verträge – seitdem es uns beliefert – immer genauestens eingehalten. Rußland hat immer und pünktlich geliefert. IMMER!! Seit nunmehr 48 Jahren!!!

caesar4441
2 Jahre her

Wenn Sie sich da mal nicht irren.Die Realität in krautistan wird die Rationierung von Strom erzwingen.U.U. sogar von anderen Energieträgern.Wer sich noch an das Kriegsende erinnern kann ,weiß wie das ist.Die junge Generation muß das erst wieder erleben.

EinBuerger
2 Jahre her

Mich als Endkunde interessieren nur zwei Dinge: Bekomme ich Strom, Heizmaterial, … zuverlässig? Und wieviel kostet mich das?

Christian Rames
2 Jahre her

Jeder sollte sich so weit es geht von lebenswichtiger Infrastruktur unabhängig machen, wenigstens für ein paar Wochen. Insbesondere in unseren Breiten werden im Winter Millionen erfrieren, wenn in Winter die Heizungen ausfallen. 1-2 11 kg Gasflasche und ein Campingkocher macht warmes Essen und warmes Wasser für Wärmflaschen usw. Man muss nur zum oberen Drittel gehören, um zu überleben. Und die unteren zwei Drittel erfolgreich vor der Tür halten.

Britsch
2 Jahre her

„Laut Frau Merkels Gas“deal“, mit den USA zahlt der Deutsche Konsument (hat zu zahlen) künftig ungefragt und unnötig eine Abgabe an die Ukraine“ Und wofür? Dafür daß durch die Ukraine nicht mehr so viel Gas geleitet wird und somit weniger mit dem Lieferanten vereinbarte mengenmäßige Gebühren bezahlt werden. Warum ist es so gekommen? War es nicht so, daß die Ukraine bzw. In der Ukraine große Mengen Gas illegal entnommen und natürlich nie bezahlt wurde? Daß selbst offiziell entnommenes Gas nicht bezahlt wurde? Ärgerlich für Liefetrant sowie Zahlende Verbraucher. Die Kosten mußten ja umgelegt / von Jemand bezahlt werden. Klar daß… Mehr

jwe
2 Jahre her
Antworten an  Britsch

Warum macht der gute Deutsche das??? Weil er es kann!! So etwas passiert nur, weil Politik es will. Das Geld, das so umgeleitet wird, fällt ja nicht vom Himmel, sondern es wird dem deutschen Steuerzahler abgenommen. Es scheint so, das Geld überall gut ist, wenn es nur nicht in Deutschland zur Anwendung kommt.

mr.kruck
2 Jahre her

Ein sachlicher Artikel mit interessanten Fakten. Müsste man nur noch einen (oder sogar mehrere) der grüngewandeten Dummköpfe in Berlin dazu bringen, ihn zu lesen, zu verstehen und die nötigen Konsequenzen daraus abzuleiten. Ab hier ist klar, wo das Problem im besten Deutschland aller Zeiten liegt.

Britsch
2 Jahre her

die Frage ist nur wann man sich entschließt
und wie lange es in Deutschland dann dauert bis eine Genehmigung tatsächlich durch ist. Dann natürlich noch die Bauzeit
Wie viele Jahre wird das wohl dauern.

Yilan
2 Jahre her
Antworten an  Britsch

Wenn Sie sich heute entschließen ein Kraftwerk zu bauen, werden Sie in ca. 10 Jahren daraus Strom beziehen.
Vorausgesetzt es ist kein Kernkraftwerk. Denn in dem Fall wage ich keine Prognose, weder über den Zeitrahmen, noch über einen Baubeginn.

Andreas aus E.
2 Jahre her
Antworten an  Britsch

Leider werden wohl fähige Forscher und Techniker bis dahin längst in der Fremde tätig sein, was an Nachwuchs kommt, wenn überhaupt, wird durchgequotet und gegendert sein.

Imre
2 Jahre her
Antworten an  Britsch

Sie Nörgler! Die Grünen werden bis zur Fertigstellung der neuen Kraftwerke auf Hometrainern mit Generator für die ordentliche Stromversorgung in die Pedale treten, wärmt sie (die Grünen u.a. ) übrigens auch auf….

HGV
2 Jahre her

Europa und Deutschland wird immer abhängiger von der Welt. Ohne faktisch eigene ausreichende Energieressourcen steuert die Politik in eine Sackgasse. China ist unsere verlängerte Werkbank für nahezu alle Produkte. Dazu kommt eine Migration, die Gesellschaft und Wirtschaft in Europa aushöhlt. So sieht ein Abstieg aus!

alter weisser Mann
2 Jahre her
Antworten an  HGV

China ist über ein Dasein als „unsere verlängerte Werkbank“ längst hinaus.

Andreas aus E.
2 Jahre her
Antworten an  HGV

Und der Abstieg nicht etwa (nur), weil die anderen Mannschaften so gut sind, sondern weil eigene Trainer eigene Leistungsträger auf die Bank setzen und übrige Spieler mit Fußfesseln auf den Platz schicken.

Sani58
2 Jahre her
Antworten an  HGV

Das interessiert doch unSerendipity Politiker nicht.