Abgehobene Wissenschaft oder: Der Elfenbeinturm ohne Fundament

Wenn sich ein Fensterchen am Elfenbeinturm deutscher staatsfinanzierter Wissenschaft öffnet und jemand Neuigkeiten dem niederen Volk zuruft, ist Vorsicht geboten. Die Gegenrichtung, das Hereinrufen der Realität, ist stark unterentwickelt.

picture alliance/dpa | Lisa Ducret

Die Akademiker von „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), einer gemeinsamen Initiative von acatech, Leopoldina und Akademienunion, haben die Frage der Notwendigkeit von Grundlastkraftwerken anhand von Modellierungen in einem Bericht untersucht. Mit erstaunlichem Ergebnis:

„Grundlasttechnologien wie Kernkraftwerke, Geothermie, Erdgas-Kraftwerke mit CO2-Abscheidung oder potenziell Kernfusionskraftwerke sind für eine klimafreundliche und zuverlässige Stromversorgung danach nicht notwendig …
Sicher gebraucht wird dagegen eine Kombination aus Solar- und Windenergieanlagen mit Speichern, einem flexiblen Wasserstoffsystem, einer flexiblen Stromnutzung und Residuallastkraftwerken  . . .
Tatsächlich schätzen wir Risiken für Kostensteigerungen und Verzögerungen bei Grundlasttechnologien tendenziell sogar höher ein als beim weiteren Ausbau der Solar- und Windenergie …“

Hier wird lustig durcheinander gewürfelt, was wir haben, besser gesagt, nicht haben und was wir absehbar nicht haben werden. Jedenfalls nicht auf der Zeitschiene, wie es nötig wäre. „Sicher gebraucht“ würden Solar- und Windkraftanlagen, die oft nicht liefern, verbunden mit Speichern (keine Größenangabe, keine Technologieangabe) und einem flexiblen Wasserstoffsystem, von dem niemand weiß, wann, wie viel und zu welchen Kosten der Grüne oder anderweitig bunte Wasserstoff zur Verfügung stehen wird. An die nähere Zukunft denkt man nur ein wenig:

„In den nächsten 20 Jahren in großem Umfang realisierbar sind wahrscheinlich am ehesten die Gaskraftwerke.“

Kein Gedanke an ein fehlendes Kraftwerkssicherheitsgesetz, fehlende Ausschreibungen, fehlende Rahmenbedingungen für einen Kapazitätsmarkt, Mangel an Fachkräften, Fachfirmen, an Kosten und die Inflation. Dass diese Kraftwerke staatlich subventioniert werden müssen und Wirtschaftlichkeit ohnehin keine Rolle mehr spielen wird, ignoriert man, denn fehlende Wirtschaftlichkeit wird als Argument gegen konventionelle Kraftwerke gebraucht. Von der Abschaffung der EEG-Umlage, negativen Strompreisen und hohen Systemkosten ist nicht die Rede. Grundlastkraftwerke seien „zu teuer“. Das mag unter Marktbedingungen so sein, aber wir haben im Energiesystem schon lange keinen Markt mehr, sondern ein Subventionsgestrüpp. Wer noch am Markt tätig war, ist schon raus oder wird es bald sein.

Die Wissenschaftler von ESYS  sind so selbstgewiss (wer keine direkte Verantwortung trägt, kann das sein), dass ihnen nicht einmal der stark nachhängende Netzausbau – Rückstand: sieben Jahre – und die Zielverfehlung beim Windkraftausbau die Gedanken stört. 6,2 Gigawatt Windkraftzubau waren für 2024 vorgesehen, mit 2,2 Gigawatt (Stand 10. Dezember) wird das bei weitem nicht erreicht werden.

Inzwischen fehlen nicht nur Kraftwerke für die Grundlast, sondern auch die für die Regel- und Spitzenlast. Anstelle zu schwadronieren, was 2050 alles sein könnte, wäre die Betrachtung der Gegenwart anzuraten. Nach der Dunkelflaute um den 6. November tritt jetzt gegen Mitte Dezember wieder eine solche, wenn auch kurze, auf. Der Börsenpreis erreichte am 12. Dezember, 17 Uhr, straffe 936 Euro pro Megawattstunde. Das ist der höchste Preis seit 18 Jahren. Jetzt wissen wir, wie das mit der Kugel Eis gemeint war – der Preis pro Kilowattstunde.

Der Stromimport stieg an diesem Dezembertag auf zeitweise über 20 Gigawatt. Da ist kaum noch Luft nach oben und technische Störungen wären mangels Reserven kaum noch beherrschbar. Die Lösung nach ESYS wäre flexibler Strombezug, also das Abschalten von Verbrauchern.

ESYS im Wunderland

Die aktuelle Lage hält die progressiven Wissenschaftler nicht von der Maximierung der Konjunktive ab. Der Bericht wimmelt von „sollte“ und „könnte“ und ignoriert weitgehend die Realität.

„So könnte die Zukunft 2050 aussehen: Strom gewinnen wir vor allem aus Wind und Sonne. Autos tanken Strom oder Wasserstoff. Gebäude sind so gut gedämmt, dass sie nicht mehr geheizt werden müssen.“

Dass Autos künftig nicht mit Wasserstoff wirtschaftlich fahren werden, gilt inzwischen als wissenschaftlich-technischer Konsens, auch wenn einige öffentliche Investoren der These schon auf den Leim gegangen sind. Im Spree-Neiße-Kreis stehen sich zwei wasserstoffbetriebene Müllwagen die Reifen platt, weil es keine H2-Tankstelle gibt. Die Stadt Cottbus bekommt Anfang 2025 die ersten von insgesamt elf Wasserstoffbussen geliefert. Seit mehr als vier Jahren wird an einem Elektrolyseur mit Tankstelle für mehr als zehn Millionen Euro geplant und genehmigt. Ein Termin der Inbetriebnahme ist nicht absehbar. Die Entscheider waren offenbar so von Fördergeld benebelt, dass sie einen Tunnelblick bekamen. Selbst teure Elektrobusse wären günstiger. Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) und andere Verkehrsunternehmen raten von der Wasserstofftraktion ab.

Dass in 25 Jahren nicht der gesamte Gebäudebestand Deutschlands wird umgebaut werden können, sollte allen klar sein. Wir brauchen 14 Jahre für den Bau eines einzigen Flughafens und mindestens 15 Jahre für den Umbau eines Bahnhofs. Das ESYS schreibt einfach mal Zahlen auf, ob die Realisierung umsetzbar ist, interessiert Menschen mit gutem und sicherem Staatsgehalt nicht. Man muss vor allem in der eigenen Blase Eindruck machen und besonders progressiv erscheinen.

Gerald Haug, der Präsident der Leopoldina, hält die deutsche Energiewende für entscheidend, um das 2-Grad-Ziel der Pariser Klimaschutzkonferenz noch zu erreichen. Den Blick über die Grenzen und auf den Klimawandel als globales Ereignis erspart er sich. Die Bekämpfung des Klimawandels von deutschem Boden aus steht ohne jede Erfolgsaussicht im Mittelpunkt, es gilt, das vermeintliche Patentrezept „mehr Erneuerbare“ zu thematisieren. Sprach man früher sarkastisch von der größten und bedeutendsten DDR weltweit, scheint der traditionelle deutsche Größenwahn in der BRD fortzuleben.

Am Elfenbeinturm wird weitergebaut. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) wächst von 400 auf 480 Mitarbeiter, weil die „Klimakrise“ zunehmend komplexer würde. Das ist erstaunlich, da uns immer wieder versichert wird, dass hier die wissenschaftlichen Erkenntnisse eindeutig und „gesetzt“ seien. Wenn das so ist, warum muss dann noch mehr als bisher geforscht werden?

Weder der Elfenbeinturm, die Berliner Blase oder das Wokistan der Großstädte werden die Realität ändern können. Man kann sie eine Zeit lang ignorieren, sollte sich aber nicht wundern, wenn sie eines Tages die Tür des Elfenbeinturms eintritt.


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Kommentare ( 25 )

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verblichene Rose
1 Monat her

Wie immer. Die nicht beantworteten Fragen liegen in weiter Zukunft, während wir JETZT günstige Energie benötigen!
Und das behaupte ich nicht, weil ich ein Knauserer bin, sondern weil Energie m.E. ein Grundrecht des Bürgers ist, das nebenbei bezahlbar sein muss!
Rein rhetorische Frage:
Müssen wir eigentlich für jeden Artikel des Grundgesetzes extra löhnen?

Benedictuszweifel
1 Monat her

Guter Artikel. Nur bitte den langsamen Bau von Windrädern mir deren theoretischen kWattSt nicht kritisieren. Das ist das größte Glück! An den Stellen, wo die jetzt noch gebaut werden können, liegt die Praxis der Stromerzeugung wahrscheinlich bei 10% der Theorie. Windbremsen sind Umweltkatastrophen…Der Kampf gegen Windmühlen: endlich sinnvoll!

Egge940
1 Monat her
Antworten an  Benedictuszweifel

Onshore ca. 20 %, Offshore ca. 35 %. Das ist im Bereich von vielen Kohlekraftwerken inzwischen.

Michael M.
1 Monat her
Antworten an  Egge940

Lächerlich, denn die Abwärme von solchen Kraftwerken wird beispielsweise für die Fernwärme-Versorgung genutzt, aber alles was nicht ins Narrativ passt wird feinsäuberlich unter den Teppich gekehrt, das ist ja nichts Neues.

Dieter Rose
1 Monat her

Die sollen mal durch die Lande fahren und die Folgen der Überdämmung an den Hausfassaden betrachten.

Egge940
1 Monat her
Antworten an  Dieter Rose

Milliarden Euro an gesparten Heizkosten und ausgegebenes Geld an Schurkenstaaten? Oder was meinen Sie?

ceterum censeo
1 Monat her
Antworten an  Egge940

Milliardenkosten für Sondermüll durch Plastikdämmung und Bauschäden durch Schimmel fällt mir spontan ein.

Michael M.
1 Monat her
Antworten an  Egge940

🤦‍♂️ Milliarden kostet die Dämmung und die steht ab einer gewissen Dicke in keinerlei Relation zur Einsparung. Rechnen würde helfen, aber Ideologie und Naturwissenschaften passen halt nicht zusammen, gelle…

Last edited 1 Monat her by Michael M.
P.Schoeffel
1 Monat her

Und dann stellt sich noch die Frage, warum der ganze Irrsinn betrieben wird:
Wegen des längst widerlegten Märchens vom pöhsen CO2 und dem fürchterlichen menschengemachten Klimawandel.

Herr, schmeiß´ endlich Hirn vom Himmel!

twsan
1 Monat her

Tja – das sind die Ingenieure vom Typus „Gestern konnten wir das Wort „Ingenieur“ noch nicht schreiben – heute sind wir einer“.

Vielleicht haben aber auch Sozialpädagogen, die neuen Universalgenies, dieses Pamplet verfasst.

Last edited 1 Monat her by twsan
Andy Malinski
1 Monat her

Das Zitat des Berichtes liest sich wie ein Spielplan für bullshit-Bingo und erinnert doch sehr an das faktenbefreite Geschwafel von den „Speichern noch und nöcher“ aus dem Munde der (ehemaligen?) Energiefachfrau Claudia K. Die lockere Einflechtung der zwei Worte „mit Speichern“ und das Weglassen jeglicher Detailinformationen soll über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die TRAGENDE Säule des gesamten Konstruktes bis dato noch meilenweit von einer praxistauglichen Großtechnologie, ausreichender Kapazität, Resourcen- und Finanzierungsmöglichkeiten entfernt ist. Wenn das Gedankenkonstrukt doch nur von den Entscheidern de facto wahrgenommen werden würde: Antritt eines transozeanischem Fluges mit halbvollen Tanks, weil einem unterwegs sicherlich eine Lösung des… Mehr

Egge940
1 Monat her
Antworten an  Andy Malinski

(„(…) dass die TRAGENDE Säule des gesamten Konstruktes bis dato noch meilenweit von einer praxistauglichen Großtechnologie, ausreichender Kapazität, Resourcen- und Finanzierungsmöglichkeiten entfernt ist.“)
Reden Sie gerade von der Kernkraft oder was meinen Sie?

BK
1 Monat her

Wenn wir keinen Strom aus dem Ausland dazukaufen können, gehen bei uns alle Lichter aus. So gesehen, ist die Energiewende gescheitert. Wind und Sonne sind nun mal keine verlässlichen Energielieferanten. Loriot würde wohl sagen, „Ja es geht, aber es ist sinnlos.“

Egge940
1 Monat her
Antworten an  BK

Nö, wir haben genug gesicherte Kraftwerksleistung. Strom aus dem Ausland zuzukaufen ist einfach günstiger.

GWR
1 Monat her

Was will man von solchen Wissenschaftlern halten?
Die hängen am Tropf der Politik. Wenn die heute eingestehen müssten, dass sie die ganzen Jahre Unsinn über die Klimakrise verbreitet haben, dann wären sie morgen arbeitslos. Also was tun? Die Gefahr weiter aufblasen, auch wenn das hinten und vorne nicht stimmt.
Aber zumindest reden sie einem grünen Ideologen und Kinderbuchautor nach dem Mund und haben ein auskömmliches Einkommen. Auch wenn der Märchenbuchschreiber von Wirtschaft nicht die geringste Ahnung hat. Das hat er ja erst kürzlich wieder bewiesen mit der Besteuerung der Milliardäre.

Egge940
1 Monat her
Antworten an  GWR

Stimmt, da redet man lieber der Fossilen Wirtschaft nach dem Mund, die sich still und heimlich über solche Artikel ins Fäustchen lacht und nebenher ihre dreistelligen Milliardenbeträge pro Jahr an Gewinn einsteckt.

ceterum censeo
1 Monat her
Antworten an  Egge940

Genau! Und die Wind-und Sonnenbarone mit jährlich mind. ca. 20-30 Milliarden € (Tendenz steigend) an garantierten Gewinnen durch die EEG-Umlage noch mind. 20 Jahre machen die Energierzeugung rein aus altruistischen Gründen…

M.E.S.
1 Monat her

Das PIK zu kommentieren lohnt längst nicht mehr, denen fehlt ein Trump in der Regierung. Und bei der Leopoldina haben sich spätestens in der Coronazeit die letzten Wissenschaftler verabschiedet, die Ehre und Verantwortung im Leib haben.

pcn
1 Monat her

An diesem CO2-Schwindel verdienen – aus Steuergeldern versteht sich – eine schier unüberschaubare Anzahl an Instituten und ihre sogenannten Wissenschaftler, die sich auf unsere Kosten einen sorgenfreien Alltag wie Lebensabend finanzieren lassen. Die CO2-Theorie ist ein Instrument des Kirremachens, adressiert an die gläubigen Paniker, die ohne auch nur im Ansatz die Fähigkeit, noch den Fleiß zur mühsamer Suche seriöser Information besitzen, diesen Schwindel als das zu erkennen, was er in Wirklichkeit ist: Die Zerstörung eines einstmals wohlhabenden Landes, zugunsten einer Wissenschaftsclique, die imgrunde mit Klimawissenschaft und Energie überfordert sind. Das Ziel: kollektivistisches Verhalten in Richtung Sozialismus. Mehr und nicht weniger.… Mehr

Egge940
1 Monat her
Antworten an  pcn

Seriösere Informationen aus der von der fossilen Wirtschaft gesponserten Klimawandelleugnerorganisationen? Oder was genau meinen Sie?

ceterum censeo
1 Monat her
Antworten an  Egge940

Sie stehen lieber auf „seriöser “ Information von ClimateWorks, Energy Foundation, InfluenceMap, Climate Imperative Foundation mit Leuten wie Al Gore, Warren Buffett, Michael Blomberg, Bill Gates, David Rockefeller, George Soros und „Fachleuten“ wie Hockeystick-Michael Mann, H. J. Schellnhuber et.al.? Ich verstehe…