Als Willy Brandt fragte, „wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist“

Was Brandt zu den migrationspolitischen Maßnahmen von Nancy Faeser sagen würde, weiß niemand. Aber vielleicht kann man eine Vorstellung davon erhalten, wenn man seine Regierungserklärung vom Januar 1973 liest.

IMAGO / Sven Simon
Bundeskanzler Willy Brandt im Januar 1973

SPD-Spitzenpolitiker begründen ihr politisches Engagement gerne mit dem Vorbild Willy Brandt. „Wegen Willy“ in die Partei eingetreten zu sein, ist für eine ganze Generation von Sozialdemokraten über 60 eine Art stehende Wendung. Was jener Willy, nach dem bekanntlich auch die Bundeszentrale der SPD in Berlin benannt ist, wirklich sagte und wollte, interessiert dagegen immer weniger. 

Im Zusammenhang mit den einwanderungs- und integrationspolitischen Initiativen der SPD-geführten Bundesregierung ist es interessant, die zweite und letzte Regierungserklärung Willy Brandts vom 18. Januar 1973 noch einmal zu lesen.

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Er spricht da mehrfach vom „deutschen Volk“ oder der Nation und ihrem Willen zur Einheit und stellt fest, „daß die Deutschen ein Recht auf Selbstbestimmung haben, wie alle anderen Völker auch“. Schon ganz an den Anfang stellt er die schöne Formulierung, mit der er seine vorangegangene Regierungserklärung von 1969 beendet hatte: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein … im Innern und nach außen. Darin sammelt sich das Vertrauen, auf das wir uns stützen. Darin erkennen wir auch die Summe der Pflichten, die uns an die Verantwortung für das Ganze des Volkes binden.“ Solche Worte kann man sich von heutigen SPD-Spitzenpolitikern wie Olaf Scholz, Saskia Esken oder gar Nancy Faeser kaum vorstellen. 

Was Brandt zu den von seinen Epigonen in der SPD und ihren grünen Koalitionspartnern vorgestellten migrationspolitischen Maßnahmen sagen würde, weiß niemand. Aber vielleicht kann man eine Vorstellung davon erhalten, wenn man den entsprechenden Absatz in seiner Regierungserklärung liest: 

„In unserer Mitte arbeiten fast zweieinhalb Millionen Menschen aus anderen Nationen; mit ihren Angehörigen bilden sie eine starke Minderheit in unserem Land. Wir wissen, daß es allzuoft die Not ist, die sie zu uns führt. Wir wissen aber auch, wie sehr sie mit ihrem Fleiß zu unser aller Wohlstand beitragen, und das sollten wir anerkennen.

Es ist aber, meine Damen und Herren, notwendig geworden, daß wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten. Wir dürfen das Problem nicht dem Gesetz des augenblicklichen Vorteils allein überlassen.

Also wird es auch gelten, diese Dinge im Zusammenhang darzustellen und Lösungsvorschläge daraus abzuleiten.

Dies ist eine riesenhafte und komplexe Aufgabe für alle, vom Bund bis zu den Unternehmensleitungen. Sie verlangt den solidarischen Geist, den die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften vielfach schon bewiesen haben. Für alle Bürger wird die gute Nachbarschaft mit diesen Minderheiten die tägliche Toleranzprobe, eine Reifeprüfung ihres demokratischen Bewußtseins sein.“

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Kommentare ( 62 )

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Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Willy Brandt ginge es heute wie Thilo Sarrazin. Wer die Realität anerkennt, wird aus der SPD rausgeworfen. Ist aber mit Ludwig Erhard und der CDU dasselbe. Und von Friedrich Naumann und der FDP wollen wir gar nicht reden, der wäre heute vermutlich selbst in der AFD umstritten weit rechts.

Hoffnungslos
1 Jahr her

Willy Brandt hat sich bemüht, Politik für Deutschland und Politik im Interesse einer friedlichen Zusammenarbeit mit allen anderen europäischen Staaten zu verwirklichen. Die heutigen Parteifunktionäre vertreten die Interessen globaler Kreise, die die Nationalstaaten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die freiheitliche Demokratie abgeschrieben haben. Zwangsglobalisierung ist angesagt und dem soll alles untergeordnet werden. Mächtige Gruppen, die sich einbilden, ihre wirtschaftliche Macht verleihe ihnen auch jegliches Recht.

Ante
1 Jahr her

Angeblich gibt es gar keine Rassen. Wie kann es dann aber Rassismus geben? Wenn es keine Nüsse hätte, wozu dann die Nussallergie?

Hartholz
1 Jahr her

Willy Brandt fände im Jahr 2022 nicht einmal mehr Einlaß in die SPD Zentrale. Da wäre ihm Tür und Tor verschlossen mit seinen „radikalen“ Ansichten. Jungsozis, von den Grünen ganz zu schweigen, würden ihn heute warscheinlich als Rechtsextremisten titulieren.
Das gleiche dürfte in den USA für John F Kennedy gelten. Der ginge, hätte man ihn nicht ermordet, gegenwärtig als lupenreiner Republikaner durch.

StefanZ
1 Jahr her

Wenn der ganze Wohlstand endlich mal weg ist und weder ein abgebrochenes Philosophiestudium, gendern oder feminine Außenpolitik die Katastrophe noch verschleiern kann, werden die schon länger hier lebenden langsam aufwachen. Ihr Land, haben sie dann aber inklusive Staatsbürgerschaft und jeglicher Ordnung bereits edelmütig verschenkt. Grüne, SPD, CDU und FDP wird es dann auch nicht mehr geben. Die LGBTQ-Gemeinde wird sich dann ganz brutal in Katar wiederfinden. Proteste und ein „Wir sind das Volk“, wird es ebenfalls nicht mehr geben. Wer zumindest als Minderheit und „Ungläubiger“ noch geduldet werden will, muss sich unterwerfen. Als „Arbeiter“ für die nächste Fussball-WM, sind die… Mehr

Klaus D
1 Jahr her

Nicht nur Willy Brandt SPD war da ein realpolitiker auch sein „nachfolger“ Helmut Schmidt SPD war das. Für mich die letzten realpolitiker denn ES fing ja mit einem Kohl und einem ehrenwort an das chaos bzw was wir heute haben. Bezogen auf das thema!……1981 – Der Kanzler übte Selbstkritik. »Es war ein Fehler«, räumte Helmut Schmidt ein, »so viele Ausländer ins Land zu holen. Aber jetzt müssen wir aufpassen, daß wir nicht die Ausländer diesen Fehler entgelten lassen.« https://www.spiegel.de/politik/auslaender-schmerzhafte-grenze-gezogen-a-d7cb1106-0002-0001-0000-000014351381

Regina Lange
1 Jahr her

In der heutigen SPD wäre für Willy Brandt kein Platz! Er lebte und handelte in der Realität! Die SPD heute schwebt in woken Sphären, fern der Realität und weit weg vom arbeitenden Michel!

Klaus D
1 Jahr her
Antworten an  Regina Lange

Schröder hat die SPD rumgedreht und zu dem gemacht was sie heute ist und was mit „früher“ nichts mehr zu tun hat….Der Kanzler übte Selbstkritik. »Es war ein Fehler«, räumte Helmut Schmidt ein, »so viele Ausländer ins Land zu holen. Aber jetzt müssen wir aufpassen, daß wir nicht die Ausländer diesen Fehler entgelten lassen.« https://www.spiegel.de/politik/auslaender-schmerzhafte-grenze-gezogen-a-d7cb1106-0002-0001-0000-000014351381

Ante
1 Jahr her

Immer noch nicht begriffen?
BRD-ASYLrecht kennt keine Obergrenze.

Hartholz
1 Jahr her
Antworten an  Ante

Deto in Ö, F, GB, I, NL, B, und vielen anderen Ländern.
Nur eine massive Revolte kann diesem Wahn noch Einhalt gebieten. Wahlen funktionieren schon lange nicht mehr, um das System zu ändern. Siehe Berlin. Wahlfälschung ohne Skrupel, und wenn aufgedeckt, ohne Konsequenzen für alle Kriminellen.
Nazi-Parteien wurden verboten, das sollte auch für alle linksextreme Organisationen gelten. Angefangen bei all jenen die Marx, Mao und Che Guevara huldigen oder „Die Internationale“ auch nur mitsummen.

Azzaro
1 Jahr her

Wenn Brandt heute Parteikarriere machen wollte, müsste er sich genauso den Medien unterordnen, wie Olaf Scholz oder Merz. Dieser ganze Idealismus ist Quatsch. Wer in Deutschland was werden will in der Politik, braucht „Bild“ und die „Glotze“ auf seiner Seite. Das hatte auch Schröder richtig erkannt. Deswegen wurde er , und nicht Lafontaine Bundeskanzler.

Klaus D
1 Jahr her
Antworten an  Azzaro

oder er würde als rassist / rechter dastehen….die zeiten waren einfach anders und politisch freier…..Der Kanzler übte Selbstkritik. »Es war ein Fehler«, räumte Helmut Schmidt ein, »so viele Ausländer ins Land zu holen. Aber jetzt müssen wir aufpassen, daß wir nicht die Ausländer diesen Fehler entgelten lassen.« https://www.spiegel.de/politik/auslaender-schmerzhafte-grenze-gezogen-a-d7cb1106-0002-0001-0000-000014351381

Jens N.
1 Jahr her

Zitat: Für alle Bürger wird die gute Nachbarschaft mit diesen Minderheiten die tägliche Toleranzprobe, eine Reifeprüfung ihres demokratischen Bewußtseins sein.“ Da hat er Recht. Ist heute wie damals. Ewige Reifeprüfung also.