Sondieren heißt Stillstand

Die nächste GroKo unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten würde das Resultat der Wahl ignorieren. Neuwahlen lehnen sie ab, weil sie gar nicht vorhaben, die Entscheidung der Wähler zu akzeptieren.

Der Vorvorsondierung folgte die Vorsondierung der Sondierung. Aber was wird eigentlich sondiert? Anders als den Wählern weisgemacht werden soll, geht es gewiss nicht um die Umsetzung des Wahlergebnisses des vergangenen Septembers in die Tat. Wie könnten auch die Parteien der bisherigen Koalition aus ihren verheerenden Verlusten einen Wählerauftrag ableiten?

I.

Die nächste große Koalition unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten würde das Resultat der Wahl ignorieren.

II.

Warum sie Neuwahlen ablehnen? Eben deshalb. Sie haben gar nicht die Absicht, die Entscheidung der Wähler zu akzeptieren. Wozu dann also noch mal wählen?

III.

Die Schuld an der vermeintlichen Alternativlosigkeit der GroKo einzig und allein der FDP anhängen zu wollen, ist zwar absurd, doch einer entpolitisierten deutschen Gesellschaft einschließlich ihrer Medien offenbar erfolgreich vermittelbar. Die Liberalen haben sich nicht der Erneuerung der Politik widersetzt, sondern lediglich der Erneuerung der Kanzlerschaft Merkels um jeden Preis.

IV.

Die einzige plausible Begründung für eine Neuauflage der Großen Koalition wäre die Neuausrichtung der Politik. Demokratietheoretisch wäre eine neue GroKo also sondierfähig mit einem neuen Bundeskanzler aus den Reihen der noch immer stärksten Partei.

V.

Das das nicht geschehen wird, liegt auch an der SPD. Zwischen Schulz und Merkel besteht unausgesprochen ein Schutz- und Trutzbündnis. Ginge sie, müsste auch er Platz machen. Schon der Spitzenkandidat hatte sich im Wahlkampf geweigert, die Demokratiedefizite des Merkelschen Regierungsstils deutlich zu thematisieren. Seinen einzigen Satz dazu nahm er statt dessen im TV-Duett bedauernd und kleinlaut zurück.

V.

Das Betrugsmanöver der sogenannten Volksparteien am Wähler käme niemals zustande, wären Union und SPD nicht davon überzeugt, bei Neuwahlen noch schlechter abzuschneiden als im September. Denn es gilt die offenbar nicht sondierbare Vorgabe, dass die Union wiederum nur mit Merkel in die Schlacht ziehen kann. Neuwahlen aber wären nur sinnvoll, wenn die Parteien auch mit anderen Spitzenkandidaten antreten.

VI.

Nach Lage der Dinge ist es allein die CSU, die hoffen dürfte, bei den für sie wichtigeren Landtagswahlen dieses Jahres eine Katastrophe zu vermeiden, falls Merkel keine Regierung mit der SPD zustande brächte. Das war in der vergangenen Woche zu beobachten. Schon die Vorvorsondierungen machten tiefe Gegensätze sichtbar. Aber nur die CSU sprach sie offen aus. Ob die CSU die Sondierungen platzen lässt? Nicht mehr als Träume. Merkel selbst schweigt zu allen relevanten Themen.

VII.

Eine zentrale Richtungsentscheidung, der sich die GroKo stellen müsste, ergibt sich unmittelbar aus dem Wahlergebnis vom September. Hat dieser Staat zuerst den Interessen der eigenen Bürger zu dienen oder folgt er nur noch den ideologischen Maximen der politischen Klasse. Solange diese Maximen nicht in Frage gestellt werden, wird der Sozialstaat weiter unterhöhlt und der Normalverdiener immer weiter ausgebeutet und vom Wohlstandswachstum abgehängt. Das lässt sich nicht sozialpolitisch korrigieren. Denn die Ziele der Merkelschen Politik passen nicht zueinander. Warum, um nur ein Beispiel zu nennen, spricht niemand offen aus, dass die Weiterentwicklung der Europäischen Union nicht gelingen kann, solange an der deutschen Einwanderungspolitik festgehalten wird. Merkel hat mit ihrem Moralnationalismus auch schon den Brexit verschuldet. Sie sorgt seit langem höchst wirkungsvoll dafür, dass die Deutschen euroskeptisch geworden sind. Bei den Sondierungen, soweit man hören kann, ist davon keine Rede.

VIII.

Was wird da wirklich sondiert? In Wahrheit sondieren die Unionsparteien, wie sie aus dem Dilemma herauskommen, in das sie Merkel bereitwillig gefolgt sind. Vorvorsondiert wird, wer den Dolch zücken soll.

IX.

Sondieren ist der aktuelle Ausdruck für Stillstand der deutschen Politik. Wenn Merkel und Schulz dann einmal wirklich ein Koalitionsprogramm verhandeln sollten, wird es doch nur wieder eine Sondierung sein: Eine Vorsondierung für den Ausstieg.

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Kommentare ( 76 )

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Dieter Rose
6 Jahre her

aye, aye Kapitän,
alles so richtig erkannt –
bloß, was tun?

Abwarten? Es ist kaum/nicht auszuhalten!

MeinerEiner
6 Jahre her

Hoffen wir es. Wenn das scheitert, springt statt der CSU die Gruenen ein. R2G durch die Hintertuer.

Alexander Degenhardt
6 Jahre her

Es wäre für mich ein Fest, zuzusehen wie ein „Leichtgewicht“ wie Dobrint, die große Vorsitzende zur Strecke bringt in dem er die GroKo scheitern lässt.

Peter Gramm
6 Jahre her

Merkel hat den Laden an die Wand gefahren. Sie sollte gehen. Dazu ist sie aber zu machtversessen. Mit hrer Haltung schadet sie dem Land. Sie hat ja schon gesagt dass sie nicht wüßte was sie anders machen sollte. Was soll da noch herumsondiert werden. Das Zuwanderungschaos kann doch kein normal denkender Mensch weiter mitmachen. Das Verhalten Merkels erinnert ein bisschen an die Sturheit der SED Bonzen kurz vor dem Zusammenbruch der DDR. Die hatten auch schon längst den Bezug zum Volk verloren. Der Krenz wollte auch weitermachen obwohl der Kahn schon längst abgesoffen war. Die Briten laufen davon, die Osteuropäer… Mehr

Nachdenkerin X
6 Jahre her
Antworten an  Peter Gramm

Nur bricht hier so schnell nichts zusammen, sondern peu à peu. Deswegen kann Madame in unheilvoller Weise weiterwursteln. Der endgültige Untergang wird natürlich trotzdem schlimm.

karel
6 Jahre her

„Gewiss“, ein schönes Wort im Vorwort für „ich weiß es nicht“…… 😉 I. Demokratie lebt von Mehrheiten….. dies in Abrede zu stellen, hieße, Demokratie in Abrede stellen zu wollen. II. Es ist kaum demokratisch, solange wählen zu lassen, bis das Ergebnis „richtig“ ist. III. Mit dem Grünen-Politiker Trittin in den Sondierungen war das Jamaika-Scheitern schon vorher besiegelt. Festzumachen an der Reaktion Lindners auf den medialen „Trittin“ kurz zuvor. Bemerkenswert, wie Zeitungen dies interpretieren. Nämlich gar nicht. IV. Plausibel ist nur: CDU/CSU haben mit Abstand vor der politischen Konkurrenz gesiegt. Nicht plausibel, was Medien daraus machen. V. „‚Vielleicht‘ hat Schulz die… Mehr

Gero Hatz
6 Jahre her

Historisch gesehen war es schon immer etwas problematisch, wenn deutsche Autokraten glauben, dass die Welt am deutschen Wesen genesen müsse. Genau da sind wir und der Begriff Moralnationalismus bringt es auf den Punkt.

Imre
6 Jahre her

Auf die 9 Punkte gebracht, und ja, ein grundlegender Wandel für die Funktionärsebene der Alt-Groko steht an, scheint unausweichlich zu sein. Zuviel Murks und Mist zum Schaden der Bevölkerung verzapft, „gottlob“ pennen da noch so ca. 30-45% der Wählerschaft. Das Hauptübel muss weg, und Korrekturmöglichkeiten für die kritische Öffentlichkeit geschaffen werden. (mehr Plebiszite, bis zu Abstimmungen über Rücktritte, eingedenk der jüngsten katastrophalen Pleiten) Nachhaltig volksschädlich agierende Parteien gehören verboten, damit ist NICHT die AfD gemeint! Die Bezahlbarkeit der ganzen Schuldenreiterei ist ohnehin nicht mehr möglich, auch deshalb sind die Verursacher in Regress zu nehmen.

Ghost
6 Jahre her

Merkel ändert sich nicht (in ihrem Alter ihre Philosphie zu ändern wäre ohnehin äusserst schwierig), SPD-Schulz auch nicht – niemand kann über seinen eigenen Schatten springen.
Also würde sich nichts ändern, die Deutschen hätten wieder business as usual: Die SPD würde wieder zum Anhängsel der SPD, Merkel macht weiter wie gewohnt. Aber diesmal würde man die SPD damit an die Wand fahren, Schulz würde vielleicht schon vorher herausfallen. Er taugt ohnhin nicht zu einem Regierungsamt.

Bartolo
6 Jahre her

„Point of no Return“ Ich greife die Sorge auf das Verpassen des „Point of no Return“ (vom Miforisten T. Pohl) auf. Wir können alle nur hoffen, daß, egal welche Weichen in den nächsten Tagen und Wochen (und Monaten?) gestellt werden, also ‚Weiter so‘ versus Neuwahlen, der „Point of no Return“ nicht verpaßt wird. Ich habe ja noch -auch wenn ehrlicherweise die Ratio sagt es ist schon zu spät- etwas Hoffnung, daß es noch nicht zu spät ist und das Land durch die vielen irreversiblen Schandtaten der ‚Junta der Infantilen‘ noch eine Chance hat, sich aus der nahezu hoffnungslosen Situation zu… Mehr

Marc Hofmann
6 Jahre her

Merkel wird bald liefern müssen…Merkel ist nämlich nur eine Marionette und die NGOs, die im Hintergrund die Fäden von Merkel, Schulz ziehen werden ungeduldig….Der NGO-Mafia Verein EU lässt grüßen!