Die Lehre über Düsseldorf hinaus

Dass als Folge von Regierungswechseln in Kiel und Düsseldorf sowie einer vielleicht anderen Koalitionszusammensetzung auf Bundesebene mit oder ohne Angela Merkel die grundlegenden Probleme einer Lösung zugeführt werden, halte ich für ausgeschlossen.

© Maja Hitij/Getty Images

Die Gemeinde der besonders engagierten Beobachter des Zeitgeschehens teilt sich in zwei ganz andere Lager, als jene, von denen gewöhnlich die Rede ist. Im einen sammeln sich jene, die meinen, dass die grundlegenden Probleme des Jahrhunderts innerhalb der überkommenen Politstrukturen gelöst werden können. Im anderen sind jene, die zur Überzeugung gelangt sind, dass die politischen und wirtschaftlichen Strukturen durch neue ersetzt werden müssen, sollen die Großprobleme überhaupt nur erst einmal angepackt werden können – für den außer Kontrolle geratenen deutschen Parteienstaat gilt dies noch mehr als anderswo im Westen.

Ob Macron wirklich eine Politik machen will, die Frankreich strukturell verändert, bezweifle ich, aber dass er mit seiner „Bewegung“ einen neuen Weg versucht, ist ein deutliches Symptom für das Ende der alten Strukturen. Mit den bisherigen „Volksparteien“ scheitern nicht nur sie selbst, sondern Parteien als einzige oder maßgebliche Träger der Politik insgesamt. Die erste Volkspartei, die dieses Schicksal ereilte, war die Democrazia Christiana Italiana. Italien hat seitdem beispielhaft vorgeführt, dass mit neuen Parteien nichts erreicht werden kann, weil sie auch wieder nach den alten Regeln und in den alten Strukturen arbeiten müssen und von dieser Einschleifmühle vereinnahmt werden.

Dass der neue Mann an der Spitze der österreichischen Volkspartei, Sebastian Kurz, eine Liste zur Nationalratswahl aufstellt, auf der es nicht Bedingung ist, Mitglied seiner Partei zu sein, ist ein identisches aktuelles Symptom. Die NEOS reklamieren diesen Ansatz von etwas Neuem jenseits der überkommenen Parteien für sich selbst von Beginn an, haben es aber bisher nicht vermocht, dem Anspruch Gestalt zu geben. Was immer Kurz von seinem Konzept verwirklichen kann, jedenfalls hat es das Potential, das verkrustete österreichische Gefüge von Öffentlich-Rechtlicher Arbeiter- und Wirtschafts-Kammer und vielen anderen Machtzentren aufzubrechen, die bisher die Politik bestimmten.

Ein Betrugsfall
Macht außer Kontrolle - Der Diätencoup von Rheinland-Pfalz
Anders als in Frankreich und Österreich gibt es in Deutschland bisher nichts, was das verkrustete Gefüge des Parteienkartells überhaupt nur ernsthaft in den Blick nehmen würde. Eben erst wieder hat Hans Herbert von Arnim einen Skandal im Selbstbedienungsladen des Parteienkartells aufgedeckt. Ungerührt vom halben (vorläufigen) Scheitern einer Blitzgesetzgebung für noch mehr Geld für Abgeordnete, ihre Mitarbeiter, Fraktionen und ihre Spitzenleute kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg, hat das Parteienkartell kurz vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz das gleiche getan. Die AfD hat zwar dagegen gestimmt, aber aus den Landtagen, in denen sie schon vorher war, habe ich nicht gehört, dass sie die von anderen beschlossenen Vorteile nicht auch selbst in Anspruch nehmen würden.

Das gemeinsame an AfD und FPÖ ist an dieser Stelle, dass beide die verkrusteten politischen Strukturen nicht infrage stellen, sondern einfach nur eine aus ihrer Sicht „bessere“ Partei innerhalb der alten Strukturen sein wollen als die anderen. Die bleibende Folge der Beteiligung der FPÖ an der Bundesregierung in der Ära Jörg Haider ist der Einzug der „Freiheitlichen“ in die verkrusteten Strukturen, die Teilnahme an den dortigen materiellen Segnungen. Die Wirkung der FPÖ wie der AfD besteht darin, die anderen Parteien zu Änderungen ihrer Positionen bei den Themen Zuwanderung und innere Sicherheit zu bringen – bis dato mehr bis ausschließlich verbal, aber im weiteren Verlauf ihrer Etablierung auch im Bundestag und weiteren Landtagen sicher auch noch tatsächlich. Der Tag, an dem die bisher schon etablierten deutschen Parteien aufhören, die AfD wie bisher auszugrenzen, kommt am 24. September. Dann beginnt die Einschleifmühle Parteienkartell mit der Eingliederung der AfD wie bei den Grünen und der PDS. Spätestens wenn eine politische Stiftung der AfD in die Zuschusslisten der Bundesministerien aufgenommen wird wie seinerzeit die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat das Parteienkartell auch diese Partei geschluckt.

Nein, wenn die Demokratien Europas in die neue Zeit eintreten und ihre Chancen wahrnehmen sollen, müssen sie die alten Polit-Strukturen hinter sich lassen. In Deutschland ist bisher keine politische Kraft sichtbar, die das Potential dazu hat. Wolfgang Herles schrieb hier vor ein paar Tagen:

„Macron gewann als Gründer einer Bewegung, die keiner Partei mehr nahestehen will. Trump gewann gegen das Establishment, indem er die Republikanische Partei kaperte, von deren DNA er so wenig hat wie von der DNA der Demokraten. Aber das heißt noch lange nicht, dass beide den alten Parteien etwas wirklich Neues entgegenzusetzen hätten.“ Und: „Wir wissen noch nicht, welche Staatsformen den technologisch-ökonomischen Bedingungen der Zukunft am besten entsprechen werden. Wahrscheinlich werden hochkomplexe Netzwerke die Antwort sein, nicht zentralistische Gebilde aus dem neunzehnten Jahrhundert.“

Zeitenwandel
Die zweite industrielle Revolution stellt alles in Frage - und die Demokratie auf die Probe
Eine konsequente Befreiung der Bürger zu viel Autonomie in ihren kleinsten Einheiten vom Dorf bis zu den kleinen Stadtvierteln, in diesen Bereichen hat Politik von oben nichts zu suchen. Eine radikale Dezentralisierung ist das gesellschaftliche und politische Pendant zur globalen Wirklichkeit der zweiten industriellen Revolution. Im globalen Dorf siedeln Wirtschaft und Wissenschaften, in den lokalen Welten das Leben der Menschen. Nur einige Stichworte: Vorwahlen als selbstverständliches Verfahren anstelle der Personenauswahl durch Parteioberfunktionäre. Persönlich verantwortliche Abgeordnete durch Direktwahl und Parlamente, in denen politische Richtungsentscheidungen getroffen werden, statt Laienverwaltung betrieben. Und Volksabstimmungen in entscheidenden Fragen genau so wie zur Korrektur von Parlamentsbeschlüssen oder Regierungsentscheidungen.

Dass als Folge von Regierungswechseln in Kiel und Düsseldorf sowie einer anders zusammengesetzten Koalition auf Bundesebene die grundlegenden Probleme ernsthaft angepackt oder gar einer Lösung zugeführt werden, halte ich für ausgeschlossen. Die Machtverteilung im Parteienstaat wird sich ändern, am Weiterbestehen des Machtkartells der Parteien nichts. Wie bei der „Reise nach Jerusalem“ tauschen die Kartellangehörigen hektisch die Sessel und irgendwer fällt raus. Aber die Reise irrt weiter im ewig selben Kreis herum.

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Kommentare ( 60 )

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Werner Brunner
6 Jahre her

Eine kleine Nachbesserung ….
Wie wäre es denn mal mit Fachleuten statt Parteigängern ?

as140
6 Jahre her

„Die AfD hat zwar dagegen gestimmt, aber aus den Landtagen, in denen sie schon vorher war, habe ich nicht gehört, dass sie die von anderen beschlossenen Vorteile nicht auch selbst in Anspruch nehmen würden.“

Kleine Anmerkung hierzu. Die AFD in Rheinland-Pfalz hat angekündigt, die Mehreinnahmen zu spenden und eine Bürgerinitiative gegen die Erhöhung zu unterstützen.

Werner Brunner
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Bonzo ( der Große , von mir aus ) , sie haben ja so recht ! Eine sehr gute Analyse der Zustände in “ unserer “ Republik , einer sog. Pseudodemokratie . “ Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung m i t “ ! So steht es im Grundgesetz . MIT ! Sie haben sich aber diesen Staat unterworfen und beuten ihn wie selbstverständlich auch aus . Eine Frage tut sich für mich auf : Was kann die Bevölkerung dagegen unternehmen , ja hat sie überhaupt eine Chance ? Was würde denn geschehen , falls die… Mehr

Johann Thiel
6 Jahre her

Den Begriff Vertrauen in Verbindung mit Politikern halte ich für nicht ganz passend. Es geht eher um Zutrauen. Was also traue ich einem Menschen den ich eigentlich gar nicht kenne, abgesehen von einigen Aussagen und Handlungen, im Guten wie im Schlechten zu? Wie bei jedem Fremden ist gesundes Mißtrauen angesagt. Herrn Goergens Kritik am Parteiensystem halte ich für vollkommen richtig, aber auch für ein wenig akademisch und nur sehr eingeschränkt realitätsbezogen. Die heutige Situation ist das Ergebnis eines sich über Jahrzehnte entwickelnden gesellschaftlichen Prozesses. Betrachtet man z.B. einen Zeitraum von 40 Jahren, so wird deutlich, wie sehr sich westliche Gesellschaften… Mehr

Zapatak
6 Jahre her

Das Wort „Regierungswechsel“ im Zusammenhang mit Wahlen in Deutschland halte für sehr optimistisch, geradezu verwegen.

Dozoern
6 Jahre her

Guter Kommentar. Der Parteienstaat hat gekreist und eine weitee Maus mit Namen Armin der Lasche geboren. Manchmal hebt einer der Mit- Regisseure den Vorhang der Inszenierung von Politik, wie Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatt, in seinem heutigen „Morning Briefing“ und man erkennt die grosse Inszenierung des Parteienkartells für eine winzige Sekunde. Da man das Briefing abonnieren muss, ausnahmsweise mal ein längerer Auszug, mit Erlaubnis, lieber Herr Goergen? „Das Ergebnis der Nordrhein-Westfalen-Wahl stellt alle Parteien vor große schauspielerische Herausforderungen. Martin Schulz muss nun so tun, als ob er einen Plan besitzt. Die SPD darf sich ihre eigene Mutlosigkeit nicht anmerken lassen.… Mehr

Heinz Stiller
6 Jahre her

Herr Goergen sieht das Hauptproblem in den Parteien. Ich sehe das anders. Jahrzehntelang haben wir in dieser Parteiendemokratie bestens reüssiert und gelebt. Was wir jetzt erleben, ist eine Entartung (ach, als böser Rechter liebe ich diese Nazi-Wörter) der Parteien – unterstützt durch die Mehrheitspresse. Das bedeutet nicht, dass es keinen funktionierenden Parteienstaat geben kann – die Geschichte beweist das Gegenteil. Allerdings bin auch ich für eine Domestizierung von Parteien durch neue demokratische Elemente, beispielsweise plebiszitäre Verfahren nach schweizer Muster. Wobei das Plebiszit gar nicht darauf angewiesen ist, dass es immer funktioniert. Schon die Drohung damit übt eine disziplinierende Wirkung auf… Mehr

Thomas Kirchhoff
6 Jahre her

Sage ich schon immer.

Thomas Kirchhoff
6 Jahre her

Nachdem nun der Polithansel Laschet die Wahl gewonnen hat, meint der Deutsche Michel, die Welt sei wieder in Ordnung. Dabei ist nur der Merkelbock zum Gärtner geworden.

Ulrich Bohl
6 Jahre her

Hr. Goergen, ich lese gerade „DIE HEBEL DER MACHT UND WER SIE
BEDIENT“ daher Zustimmung. Meine Erkenntnis, wir benötigen ein „Abwahl-
verbotsgesetz“ für die zum Zeitpunkt des in Kraft tretens im BT vertretenen
Parteien. Dann ist alles legitim und man bleibt unter sich. Ausscheiden nur
infolge des Ablebens. Dann kann auch mal einer/ne nachrücken und
„frischen Wind“ reinbringen. Der Bundestag kann das doch in eigener Sache
beschließen. Der positive Effekt, die „Demokratie“ kann nie gefährdet werden.