George Orwell „1984“ reloaded

Der deutsche Fiskus schießt wieder mal weit übers Ziel hinaus: noch mehr Vorschriften für die ohnehin gläsernen Steuerzahler. Derweil bleiben internationale Konzerne verschont. Eine schreiende Ungerechtigkeit und ein Armutszeugnis für unsere Politiker.

© obbie jack/Corbis via Getty Images

Das Bundeszentralamt für Steuern mit Hauptsitz in Bonn verfügt über rund 2.200 Mitarbeiter. Schon bald dürften es mehr werden. Denn jetzt gilt es, das neue Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz wie einen Keil zwischen Banken und ihre Kunden zu treiben. Bankgeheimnis? Ade, der ohnehin nur noch kümmerliche Rest dieser Schutzvorschrift verschwindet von Gesetzes wegen durch die Reform der Abgabenordnung – und dadurch ist Schluss mit dem bislang geltenden Vertrauensverhältnis in Kundenbeziehungen, sei es bei der Vergabe oder Tilgung von Krediten, sei es beim noch vorhandenen Rest der Vermögensverwaltung oder Anlageberatung, die mittlerweile zum Verkaufsgeschäft ausgeartet ist.

Daten über Unternehmen – egal, ob deutsche oder ausländische – stehen den hiesigen Finanzbehörden mithilfe von Kontrollmitteilungen zur Verfügung. Sammelauskünfte haben sich aus Sicht des Fiskus bereits bewährt. Steuerzahler, private wie gewerbliche, müssen identifizierbar sein. Finanzbehörden dürfen zwar nicht allein auf Verdacht ermitteln, aber die Trennlinie zur Ermittlung aufgrund konkreter Daten ist unscharf.

Banken und Sparkassen in der Bredouille

Das sogenannte Kontenabrufverfahren wird erweitert. Es regelt Steuererstattungen und -vergütungen, etwa beim Kindergeld. Können deutsche Steuerzahler über Konten oder Depots einer ausländischen Privatperson, Firma, Vermögensverwaltung oder sonstigen Einrichtung verfügen, dürfen deutsche Finanzbehörden gegen sie ermitteln. Das muss man sich mal vorstellen: Die deutsche Abgabenordnung macht nicht an der Grenze Halt, sondern wirkt mittelbar auch im Ausland.

Finanzielle Totalüberwachung auf leisen Sohlen
Nach dem Aus für das Bankgeheimnis stört nur noch das Bargeld
Banken und Sparkassen sind zurzeit mehrfach in der Bredouille: Ihre Geschäftsmodelle sind reformbedürftig, das Kreditgeschäft bringt wegen des niedrigen Zinsniveaus kaum noch Gewinn, konkurrierende Fintechs drängen in lukrative Nischen vor, und die Regulierung treibt die Kosten nach oben. Ein großer Teil der Regulierung ist auf die Reform der Abgabenordnung zurückzuführen. So müssen die Institute zum Beispiel speziell für Finanzbehörden eine Datei führen, die Kontenabrufe zulässt, und zwar zusätzlich zu den nach dem Kreditwesengesetz vorgeschriebenen Dateien.

Das EU-Parlament begnügt sich mit einem Popanz

Eine Sonderstellung nimmt das eingangs erwähnte Bundeszentralamt für Steuern ein: Es darf alle in Kontenabrufdateien enthaltenen Daten einsehen. Und damit diese Daten nicht bereits nach fünf Jahren verloren gehen, ist die Aufbewahrungsfrist jetzt auf zehn Jahre verlängert. Solch eine mal eben aus der Hüfte geschossene Vorschrift mag auf Anhieb harmlos erscheinen, doch in Wahrheit läuft sie darauf hinaus, dass Banken und Sparkassen zusätzliche Software einsetzen und damit weitere Kosten in Kauf nehmen müssen.

Am vergangenen Dienstag standen im EU-Parlament die Konzerne am Pranger, die durch geschicktes Verlagern ihrer Steuern in Steueroasen viel Geld sparen. Beschlossen wurde: Falls sie in der EU tätig sind und auf einen Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro kommen, sollen sie in Zukunft bestimmte Eckdaten veröffentlichen, beispielsweise über gezahlte Steuern, Vorsteuergewinne, Umsätze, Mitarbeiter und einiges mehr, das Ganze international – aber einschließlich Ausnahmen, etwa wenn es um sensible Daten geht. Womit klar wird, dass die EU-Parlamentarier nur einen Popanz hervorgebracht haben.

An der Realität der Konzerne vorbei

Was nützt es da groß, dass in Deutschland gemäß Abgabenordnung eine Anzeigepflicht für den Kauf von qualifizierten Beteiligungen an ausländischen Unternehmen in Höhe von 10 Prozent besteht? Dadurch verdichtet sich der Eindruck, dass auch der deutsche Gesetzgeber einen Popanz geboren hat. Den Weltkonzernen, die ihre Steuern dort zahlen, wo sie besonders niedrig sind, soll es egal sein.

Wie penibel und dennoch an der internationalen Konzernrealität vorbei der deutsche Gesetzgeber die Reform der Abgabenordnung durchgezogen hat, ergibt sich aus einer neuen Vorschrift zur steuerlichen Identifikationsnummer: Sie soll dauernd überwacht und aktualisiert werden und steht den Finanzbehörden im Zuge des Kontenabrufverfahrens zur Verfügung. Diese Vorschrift gesellt sich zu einer bereits bestehenden, wonach Banken und Sparkassen die Prüfung der Legitimation auch auf alle ausdehnen müssen, die über ein Konto verfügen dürfen.

„Wehrt euch, Bürger!“

Bekanntlich hat George Orwell mit seinem Buch „1984“ besonders treffend den Überwachungsstaat aufs Korn genommen. Wir sind einerseits dabei, sein Horrorszenario zu übertreffen, indem wir die Abgabenordnung verschärfen. Andererseits lassen wir zu, dass internationale Konzerne mithilfe gewiefter Steuerfüchse und Anwälte ihre Steuern minimieren, ohne dass irgendein Staat auf der Welt daran etwas ändern könnte. Es ist nicht schwer, daraus eine Prognose abzuleiten: Bürger werden noch mehr als bislang ohnehin schon zu gläsernen Steuerzahlern, während Konzerne dank ihrer einflussreichen Lobby glimpflich davonkommen.

Wie können Bürger sich dagegen wehren? Der umtriebige Finanzprofessor Markus C. Kerber hat dazu ein lesenswerte Buch mit dem bezeichnenden Titel geschrieben „Wehrt euch, Bürger!“ Damit zielt er allerdings nicht auf die ungerechte Verteilung der Steuern ab, sondern auf die Vernichtung unseres Geldes durch die Europäische Zentralbank. Und wie steht es um die steuerliche Bürgerwehr? Nicht sonderlich gut. Das heißt, zumindest die raren Möglichkeiten wahrnehmen, von der Weiterbildung bis zur doppelten Haushaltsführung, von der Verlagerung der Einnahmen bis zu haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnissen. Und sonst? Etwas Bares hier, Gold und Silber da, und bei Bargeschäften immer darauf achten, dass jeder Kauf oder Verkauf unter der neuen Geldwäsche-Grenze von 10.000 Euro liegt.

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Kommentare ( 17 )

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17 Comments
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Jens Frisch
6 Jahre her

Ich stelle fest, dass es eine abartige Mischung aus beiden Dystopien ist, was aus dieser Welt geworden ist: Von NSA, NetzDG und ähnlichem, konnte der „Große Bruder“ nur träumen und seit dem Extasy der Techno-Szene weiß ich, was Huxley mit Soma gemeint haben könnte…

Lothar Finger
6 Jahre her
Antworten an  Jens Frisch

Richtig ! Danke.

Jens Frisch
6 Jahre her

Auch dieser Bundestag wird wieder gewählt werden, ohne ein grundgesetzkonformes Wahlrecht. Zitat: „Das Bundesverfassungsgericht fordert deutliche Korrekturen am deutschen Wahlrecht. Die bisherige Fassung ist laut Karlsruher Urteil verfassungswidrig, sie erlaubt etwa zu viele Überhangmandate. Nun muss das Parlament noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 eine Neuregelung finden.“ (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesverfassungsgericht-erklaert-wahlrecht-fuer-verfassungswidrig-a-846221.html) Bis heute ist nichts getan worden, ein gültiges Wahlrecht im Parlament zu einem Gesetz zu machen – und das bei einer GroKO mit ca. 80% der Mandate! Nebenbei: Diese 1984 mäßige Überwachung ist seit NSA Skandal etc.pp. nicht mehr wegzudenken. Noch bedenklicher finde ich allerdings, dass zeitglich auch das „Neusprech“ eingeführt… Mehr

Hanna Jüngling
6 Jahre her

Mich hat angesichts der Zustände eh schon die Idee besucht, ob man das BVerfG nicht eigentlich abschaffen könnte – es macht sich selbst zunehmend überflüssig. Spätestens nach der begründungslosen Nichtzulassung von Klagen gegen die illegalen Grenzöffnungen war mir das klar.

Hanna Jüngling
6 Jahre her

Das alles hat von vorne und hinten nichts mehr mit freier Marktwirtschaft zu tun. Das ist ein gigantischer, wuchernder gesetzlicher Dschungel, in dem der einzelne zunehmend verloren geht, weil ihm der Besitz eines Kompasses und einer Machete strengstens verboten ist.

teegast
6 Jahre her

Können die Bankkonten von Politikern eigentlich genauso durchleuchtet werden wie die Konten von Herrn Mustermann oder von Frau Musterfrau? Oder gelten zugunsten der ErfinderInnen und AbnickerInnen solcher bürgerfeindlichen Überwachungsgesetze geheime Ausnahmeregelungen? Manchmal habe ich nämlich den Eindruck, dass sich Politiker deshalb so befremdlich und so wählerfeindlich benehmen, weil sie gar nicht auf die Idee kommen, dass nicht nur die angeblich von ihnen vertretenen Bürger, sondern auch sie selbst höchstpersönlich von ihren Gesetzen betroffen sein könnten. Und solche Politiker werden immer und immer und immer wieder gewählt, ganz gleich, wie sehr sie die braven Bürger mit ihren Misstrauens- und Überwachungsgesetzen beleidigen… Mehr

Philoktet
6 Jahre her

Das gefällt mir!

T. Pohl
6 Jahre her

Freiheit, auch finanzielle, stirbt inkrementell,

an einer Summe vieler kleiner Regelungen, die alle (für sich gesehen) am Rande des Rechtfertigbaren sind, sich aber noch innerhalb dessen bewegen. Irgendwann macht es mal einen Knack, dann ist man ausserhalb dieses Bereiches.
Genau so geschah es am Beginn der unseligen 1000 Jahre und es kommt nicht von ungefähr, daß die Massnahmen heute zwar anders begründet werden und andere Namen tragen, aber essentiell das selbe Ziel verfolgen (obwohl diejenigen die das betreiben keine braunen Hemden mehr tragen (sind nicht mehr in Mode)). Wehret den Anfängen.

T. Pohl
6 Jahre her

Ja. Cash ist King und vollständig anonym.

Reinhard Peda
6 Jahre her
Antworten an  T. Pohl

Und wenn Sie uns den EURO nehmen bleibt der Dollar oder eine andere Währung, wenn auch mit Währungsrisiko.

CG
6 Jahre her

Immer gibt es für solche Regelungen natürlich scheinbar gute Begründungen. Da wird argumentiert, daß unterbunden werden soll, daß Reiche ihr Geld im Ausland verstecken, daß Finanztransfers durchschaubarer werden… aber hat man uns nicht damals, als die Krankenversicherungskarte eingeführt wurde, hoch und heilig versprochen, daß die NIE zum Speichern von was anderem als den Basisdaten des Kartenbesitzers verwendet werden würde? Heute ist ganz offen in der Diskussion, darauf die Krankengeschichte des Nutzers zu speichern. Widerstand? Nö. Immer ist natürlich für jedwede Überwachungsmaßnahme im Hintergrund das Terror-Argument vorhanden. Geldwäsche durch den IS? Klar, das muß im Ansatz abgewürgt werden. Nur daß der… Mehr

Hanna Jüngling
6 Jahre her
Antworten an  CG

Es bedarf allerdings keiner Krankenkassenkarte, um Krankengeschichten zu speichern.
Vor der realen Gefahr, dass der Staat die Krankengeschichten überwacht und speichert und damit Unmenschliches macht, hat seinerzeit schon Ernst Jünger in seinem „Waldgang“ gesprochen, lange vor der Digitalisierung (es genügen einfach nur Datenbanken, auch auf Papier…die brauchen nur mehr Platz, aber das ist kein Hindernis..) und dafür plädiert, möglichst Ärzte zu meiden und zu sehen, dass man gesund bleibt oder sich anderweitig um Heilung bemüht und nur im äußersten Notfall diesem System aussetzt.

CG
6 Jahre her
Antworten an  Hanna Jüngling

Wenn das denn so einfach wäre mit dem „gesund bleiben“ und „Ärzte meiden“. Krankheiten fragen ja nicht vorher, ob sie mir gerade in den Kram passen. Hätte ich vor 6 Jahren meinen Gallenkoliken erzählen sollen: „Nö, geht mal wieder, ich habe gesund gelebt, ich geh wegen euch doch nicht zum Arzt“, während ich mich vor Schmerzen am Boden krümmte? Oder hätte mein Bruder das vor 1,5 Jahren bei seinem Herzinfarkt sagen sollen? Anfang 50, sportlich, Idealgewicht, Nichtraucher!
Das funktioniert einfach nicht.

Markus Gerle
6 Jahre her

Als Selbständiger unterlag man auch bisher schon der Totalüberwachung wie jeder weiß, der schon mal eine Betriebsprüfung hatte. Bei mir haben die sich 7 Monate Zeit gelassen, um die Unterlagen von 3 Jahren zu durchforsten. Kontoauszüge, Kreditkarenbelege und irgendwie alles muss man sowieso raus rücken. Mein Finanzamt weiß über mein Leben inzwischen besser Bescheid als ich. Es gab sogar die Rückfrage, warum für einem Zeitraum von 2 Wochen überhaupt keine Belege zu finden waren. Da kommt natürlich sofort der Verdacht der Schwarzarbeit auf, obwohl bei meinem Geschäftsmodell meine Kunden ausschließlich Unternehmen sind, die nur gegen eine ordentlich Rechnung zahlen. Tja,… Mehr