Jürgen Habermas und die Griechenlandkrise

Wenn Habermas spricht, lauscht das Feuilleton andächtig. Auch wenn Habermas‘ Äußerungen auf eine kryptische Art etwas brandstiftend wirken.

Das linke Lager rüstet auf. Die Bundestagswahl 2017 kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Merkels vierte Kanzlerschaftsrunde 2017-2022 ist nach derzeitigem Stand kaum gefährdet. Die SPD kommt, obschon sie der Groko ihren Stempel überproportional aufdrücken konnte, nicht in die Gänge. Wirtschaftsminister Gabriel, „Siggi Pop“ hat eine schwache Leistung abgeliefert. Seine Clownig-launigen Entertainmenteinlagen ziehen nicht (mehr). Da mag sich der Philosoph Jürgen Habermas, 86 J., gedacht haben, dass die großen alten Männer, zu denen er sich wohl zählt, ran müssen, um es diesmal, pünktlich zum Bundestagswahlkampf 2017, zu richten. Günter Grass ist tot, also, wer sonst soll den feuilletonistischen Startschuss für die SPD loslassen?




Nein, in die Wahlkampfarena will Habermas persönlich nicht einsteigen. Da würde er auch kläglich scheitern. Aber er weiß, welche Rolle, gar historische Rolle, ihm zukommt.

Enzensberger, Kluge, Habermas- Die drei großen Gewinner der 68er-Revolte

Das ewige nachkriegsdeutsche Dreigestirn, der Schriftsteller und Publizist Hans-Magnus Enzensberger, der Filmemacher und fernsehgewaltige Alexander Kluge und eben der Professor Jürgen Habermas sind, ohne, dass dies je an die große Glocke gehängt wurde, die drei großen „Kriegsgewinnler“ des Klassenkampfes von 68. Sie sind unangefochten, nun auch als Ur-Opas, immer noch die deutungsmächtigsten wo es um das Große und Ganze und nicht um das Tagesgeschäft geht.

Die drei Ü-80 arbeiten gewiss nicht operativ zusammen, ziehen aber faktisch immer am gleichen Strang. Und, wie gesagt, sie schwimmen im linken Mainstream der Bundesrepublik ohne große Schwankungen stets oben, und dies seit über einem halben Jahrhundert. Alle drei sind Vordenker und Meinungsmanipulatoren. Was sie sagen, zieht das intellektuelle Mittelmanagement hinter sich her oder treibt es vor sich hin. Sie beeinflussen immer noch die Denke in den Feuilleton, im Kulturbetrieb und weit darüber hinaus.

Enzensberger ist irgendwie, wohl mehr Schein als Sein, auf Distanz zur 68er-Bewegung gegangen, wird aber den inneren 68er nicht los. Und der ewige Säulenheilige Habermas, ein Held der nicht mehr zu übertreffenden Frankfurter Schule, ein Impulsgeber der 68er-Bewegung, Ikone des Historikerstreits in den achtziger Jahren und der philosophische Leuchtturm der Gesellschaft, der ewige Durchdringer der Dinge, die die Menschen und die Staaten bewegen, haut ähnlich Enzensberger turnusmäßig in unregelmäßigen Abständen auf den Feuilletontisch und spricht Recht und Gesetz. Immerhin, Habermas ist ein Suchender, oft Irrender und sich gern Einmischender – das muss man ihm zu Gute halten.

Jetzt hat Habermas wieder zugeschlagen und Kanzlerin Merkels Griechenlandpolitik vernichtend kritisiert. Die Medien stehen ihm sperrangelweit offen, diesmal traf es die Süddeutsche Zeitung.

In dem kurzen Beitrag unter dem Titel :
Habermas: Merkels Griechenlandpolitik ist ein Fehler Das schwache Auftreten Athens ändert nichts an dem Skandalöffnet Habermas seinen Bauchladen mit einem Sammelsurium von trüben Perlen, übel riechenden Knallkörpern und seiner toxischen Mischung aus „Antibiotika und Rattengift“, wie er im Sinne des bengalischen Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträger Amartya Sen die Sparpolitik Merkels nennt.

Mischung aus Antibiotika und Rattengift

Ein bisschen Empört-Euch-Ungeist weht durch den Text. Die neue deutsche „Robustheit“ geht Habermas auf den Geist. Merkel und nolens volens die große Koalition hätten mit ihrer Sparpolitik in Griechenland den Aufschwung behindert, Armut gefördert. Sie hätten die Regierung Tsipras als Politiker nicht ernst genommen, sondern sich wie Gläubiger gegenüber ihren privaten Schuldnern (daneben) benommen.

Zu deutschen Kriegsschulden vollführt Habermas einen sehr unangenehmen Eiertanz zwischen selber am Ende nicht zahlen wollen und dem politisch korrekten Anreißen deutscher Kriegsschuld sowie einer ungekonnten Geltendmachung griechischer Ansprüche durch die Linksregierung, wie er das Kabinett Tsipras ernsthaft nennt. Erstens handelt es sich de facto um eine Links-Rechts-Regierung und zweitens steckt Tsipras mit den schwerreichen Griechen genauso unter einer Decke – wie alle anderen griechischen Regierungen vor ihm.

Laut Habermas hätte Tsipras Merkels Sparpolitik entkeynianisieren sollen, statt zu moralisieren. Er rät zu einer „keynesianische Entmischung der Merkel’schen Medizin“ ( „aus Antibiotika und Rattengift“). In Berlin und Brüssel säßen „Zombies“ (Habermas sagt ernsthaft „Zombies“) an der Macht und er wittert einen Skandal, ja einen „Skandal im Skandal“ in Gestalt einer deutschen „Hartleibigkeit, mit der die deutsche Regierung ihre Führungsrolle wahrnimmt.“

Die deutschen Politiker leugneten ihre „Mitverantwortung“ für irgendwelche, allerdings nicht benannten, „verheerenden sozialen Folgen“, „die sie als Meinungsführer“ im Konzert mit dem IWF durch ihre „neoliberalen Sparprogramme doch in Kauf genommen“ hätten.




Habermas wabert von einer nicht zu Ende formulierten, geschweige denn zu Ende gedachten, aber irgendwie reizbesetzten Gedankeninsel zur nächsten und lässt sein für den Durchschnittsleser völlig unverständliches Geschwalle, geschickt auf Beiläufigkeit herunterkaschiert, in dem linkspopulistischen Schlachtruf kulminieren, dass Europa nicht den Bankern, sondern den Bürgern gehört:
„Es sind die Bürger, nicht die Banken, die in europäischen Schicksalsfragen das letzte Wort behalten müssen.“

Anbiedern bei Blockupy

Das allerdings scheint eher ein an Occupy, Blockupy, Attac und Antifa anbiederndes Bankerbashing auf primitivstem Niveau zu sein. Habermas schreibt von „Alternativen“, die auszuführen er dann komplett unterlässt, wie er überhaupt vor allem Ressentiments und hohle Reizvokabeln aus irgendwelchen aktuellen Diskursen liefert.

Unterschwellig soziale Unruhen stiften, unterschwellig soziale Gerechtigkeit und Menschlichkeit anmahnen (Stichwort Zombies), unterschwelliges Aufrufen der Bürger zu irgendeiner, ja, Wachsamkeit, (oder Revolution?) was auch immer. Aber wie immer, ohne ein Rezept, ohne einen konstruktiven Vorschlag, ohne eine neue Idee oder ein Argument einzubringen. Realitätsbezug Null. Wie der Euro auf solide Füße zu stellen ist, wie Griechenland gerettet oder geholfen werden kann, wie die Arbeitslosigkeit im Euro-Süden bekämpft werden kann, wie die Folgen der Alterung, der Zuwanderung, der Globalisierung, die es alle auch in Griechenland zusätzlich zu bewältigen gilt, finanziell in den Griff zu kriegen sein werden, dazu sagt Habermas aus einer deutlich werdenden überheblichen Ahnungslosigkeit heraus, die einem sauer aufstößt, nichts.

Volkswirtschaftlicher Sachverstand oder profunde Kenntnisse des Geschehens auf den Weltfinanzmärkten? Alles Fehlanzeige. Angelesen, hilflos adaptiert. Aber, und das ist der gefährliche Punkt, mitten auf dem Höhepunkt neuer Griechenlanddiskussionen und Verhandlungen an prominenter Stelle mitreden und anheizen wollen.

Und an der „postdemokratischen Einschläferung der Öffentlichkeit“ sei dann auch noch die Presse Schuld, die nur noch als Handlanger der politischen Klasse agieren würde. Das klingt dann allerdings schon fast paranoid. Welchen Feind wittert Habermas?

So ist das, wenn aus dem Feuilleton die realen Weltprobleme in Angriff genommen werden. Aber diejenigen, die nach Legitimationen für ihre Proteste und Gewaltaktionen, siehe Blockupy gegen die EZB im März dieses Jahres, suchen, werden ihn hören und sich von allerhöchster Instanz aufgerufen fühlen. Sowas könnte man auch geistige Brandstiftung nennen, auch, wenn das Ganze schon beinahe klinisch sauber verpackt daherkommt. Das ist eben einer der Tricks der 68er-Ikonen, die immer aus dem höchsten Establishment heraus und in kryptischsten Formulierungen ihre Lieblingsrevolution propagieren, ohne sie heute noch so zu nennen.

Wer sich die überschlagenden, geradezu kosmischen Lobeshymnen der deutschen Leitmedien zum 85.Geburtstag von Habermas, der gar zum intellektuellen Weltenretter stimuliert wurde, anschaut, erschrickt.




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