Böhmermann ist es gelungen, Merkel zu stellen

Erdogan hat gegen Böhmermann Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Doch die Dimension des Falles "Neo Magazin Royale" zeigt: Es gibt keinen Fall Böhmermann, er wird gerade zum Fall Merkel.

Einen Merkel-Hitler-Vergleich hat Erdogan offenbar nicht als einen beleidigenden Angriff auf einen ausländischen Regierungschef angesehen, der nach türkischem Strafrecht verfolgt gehört. Das zeigt, dass Erdogan die Relationen, allerdings mit Hilfe seiner europäischen Amtskollegen und mit duldender Hilfe Merkels vollkommen aus den Augen verloren hat.

Hätte Merkel mit ihrer verfehlten Einwanderungspolitik nicht die Bodenhaftung verloren, dann hätte sie sich dieser erneuten Fehleinschätzung jetzt im Fall Böhmermann nicht hingegeben: Erdogan routinemäßig Honig um den Bart schmieren und einen Erdogan missliebigen deutschen Satiriker, dessen Kopf Erdogan symbolisch durch eine Verurteilung wegen Beleidigung seiner Majestät rollen sehen will, über die Klinge springen lassen – das geht selbst in der im unpolitisch vor sich hin vegetierenden modernen Bundesrepublik nicht einfach glatt durch. Böhmermann, der Shootingstar unter den deutschen entertainenden Kabarettisten, ist beliebt.

Den auch von den Medien lange Jahre gehätschelten Erdogan finden immer mehr Leute nervend; da ist das Fass eben übergelaufen und die deutsche Medienseele entdeckt die Karikatur und ihren eigenen Heldenmut plötzlich ganz neu. Satire darf außer Mord und Totschlag eben so ziemlich alles, und deswegen explodiert die Solidarität vieler Menschen und auch vieler namhafter Menschen mit Böhmermann vollkommen zu recht. Matthias Döpfner und jetzt auch Didi Hallervorden haben   für Jan Böhmermann Partei ergriffen. Und die Solidarität wird, darüber muss sich Merkel im Klaren sein, steigen.

Die Liste der Erdoganschen Verfehlungen lässt nicht nur die Merkelsche Türkeipolitik alt aussehen, sie rückt auch das Schmähgedicht des Jan Böhmermann in eben diesem Kontext in ein völlig anderes Licht. Der Wortlaut sei „bewußt verletzend“ wusste Merkel eilig in Übereinstimmung mit Erdogan zu berichten. Wenn sich da die beiden Oberen mal nicht irren.

Böhmermanns Gedicht zerfetzt Merkels Türkei-Deal

Dass es keine Faktizität in dem Böhmermannschen Gedicht gibt, ist eindeutig. Verleumdend ist das Gedicht schon mal nicht. Aber auch beleidigend ist das Gedicht mitnichten, denn es ist eine maßlos überdrehte Übertreibung eines Aversionsgefühles gegen Erdogan, der allerdings kraft seiner tagtäglichen Politik alles zur Erzeugung von Aversion selber beiträgt. Der allgemeine Gedanke des Rechtes, des Naturrechtes, des Verfassungsrechtes, der im deutschen Strafgesetzbuches unter dem Stichwort der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ zum Ausdruck kommt, sagt, dass jemand, der sich daneben benimmt, für angemessene Reaktionen Dritter selber verantwortlich sein kann. Oder umgekehrt:
Böhmermann zeigt Erdogan de facto satirisch die Grenze, die Merkel Erdogan schon seit Jahren klar hätte gesetzt haben müssen. Insofern hätte sich das Schmähgedicht mit noch besserem Grund an Merkel direkt gerichtet haben können/sollen.

Böhmermanns Schmähgedicht zerfetzt Merkels sogenannten Flüchtlings-Türkei-Deal in der Luft. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Merkel unsouverän reagiert hat. Regierungssprecher Seibert musste gestern in einem sehr kurzen Statement zur Sache gleich mehrfach betonen, dass seine Vorgesetzte Merkel den Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungs-Kunst und Wissenschaftsfreiheit) voll und ganz und oben und unten und hinten und vorne und überhaupt hochhielte.

Indes gilt: Ob Merkel Artikel 5 gut findet oder nicht oder achtet oder nicht, gegen Erdogan verteidigt oder nicht, ist allerdings so unwichtig wie ihr Geschmack bezüglich des Schmähgedichtes. Die Rechtsmacht des Grundgesetzes einzuschränken, möchte man Herrn Seibert sagen, hat seine mächtige Chefin schlechterdings gar nicht. Es war keine Sternstunde der Kanzlerin, was ihr Regierungssprecher bezüglich deren Haltung zu Art. 5 in der Bundespressekonferenz ablieferte.

Merkels Türkei-Politik ist gescheitert 

Ihr Türkeideal war von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Jetzt hat Merkel, die die von ihrem Sprecher Seibert angedeutete Bedenkfrist von einigen Tagen nicht ausnutzen muss, noch die Möglichkeit die Schmähkritik-Sache mit einem Gong zu beenden und Erdogan mitzuteilen, dass sie seinem Ersuchen auf in Gang setzen eines deutschen Ermittlungsverfahrens nicht entspricht. Punkt. Keine Begründung. Fertig aus.

Und Böhmermann selbst, dem verständlicherweise das Herz kurzfristig Richtung Hose gerutscht war, sitzt hoffentlich an einem Stück, wie es in Europa ohne Merkel und Erdogan jetzt oder bald weitergeht. Die Geschichte ist bekanntlich offen für vieles.

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