Ungarns angebliche Kriegspläne enthüllt – eine Sensation?

Eine Tonaufnahme macht die Runde, in der Ungarns Verteidigungsminister von Krieg spricht. Die angebliche Enthüllung ist aber nur die offizielle Verteidigungspolitik Ungarns.

IMAGO / Martin Bertrand

Manchmal würde als Artikel eigentlich ein Zweizeiler genügen, um das Wesentliche zu sagen: Ein derzeitig von der ungarischen Opposition unter die Leute gebrachter und als Sensation verkaufter Tonmitschnitt eines internen Vortrags des ungarischen Verteidigungsministers Kristóf Szalay-Bobrovnicky enthält nichts anderes als die offizielle Doktrin der ungarischen Armee, wie sie vor rund zwei Jahren von ihm geändert wurde. Aus seiner damaligen Erklärung der Veränderungen stammt der Tonmitschnitt. Der Inhalt, von Oppositionschef Péter Magyar irreführend als geheim dargestellt, wurde bereits damals auf der offiziellen Webseite der Regierung veröffentlicht.

Der Zweizeiler zum Thema:

Ungarn rüstet seit 2023 massiv auf, und fasst angesichts des Ukrainekrieges den Ernstfall ins Auge – dass Krieg nicht mehr Theorie ist, sondern bittere Realität in Europa.

Die Langfassung:

Eigentlich begann die Geschichte bereits 2014, als Russland die Krim besetzte und im Osten der Ukraine russische Rebellen, unterstützt und angestachelt von Russland selbst, einen Krieg gegen die ukrainische Regierung vom Zaun brachen. Die Lage wurde auf einer Regierungssitzung in Budapest erörtert, in der der damalige Verteidigungsminister durch seinen damaligen Staatssekretär Attila Demko vertreten wurde. Der trug vor, dass im Ernstfall – wenn irgendjemand von Osten her Ungarn angreifen wollte – das Land dem nichts entgegenzusetzen hätte. Der Feind wäre dann binnen kürzester Zeit in Budapest. „Wir müssen aufrüsten“, sagte er. „Nicht um der Nato zu gefallen, sondern in unserem eigenen Interesse.“

Am nächsten Tag wurde das Verteidigungsministerium aufgefordert, eine Liste seiner Wünsche aufzustellen.

Ungarn ist kein Einzelfall: All jene EU-Länder, die einst dem Warschauer Pakt angehört hatten, verfügten damals über miserabel schwache Armeen mit veralteten sowjetischen Waffensystemen. An Modernisierung hatte man nicht viel Aufmerksamkeit verschwendet: Wozu? Krieg würde es sowieso nicht mehr geben, dringender war es, Wirtschaft und Infrastruktur zu modernisieren.

Aber nun begann ein großes Umdenken in den EU-Ländern, die früher dem kommunistischen Block angehört hatten.

Dieser Modernisierungsschub – vor allem mit deutschen Waffensystemen – erreichte in Ungarn seit 2023 seinen vorläufigen Höhepunkt. Ein neuer Verteidigungsminister sollte Schwung in den Laden bringen: Kristóf Szalay-Bobrovnicky. Zu seinen Plänen gehörte unter anderem eine personelle Erneuerung, um nicht nur die Bewaffnung, sondern auch die Kultur und Mentalität der Armee zu ändern. Jung, kampfbereit, patriotisch, eine Armee, die Krieg nicht als abstrakte Möglichkeit, sondern unter den derzeitigen geopolitischen Umständen fast schon als Wahrscheinlichkeit betrachtete.

In diesem Sinne löste Szalay-Bobrovnicky auch den damaligen behäbigen Generalstabschef Romulusz Ruszin-Szendi ab und ersetzte ihn durch Gábor Böröndi – Ruszin-Szendi will freilich Rache: Er lief über zu Oppositionsführer Péter Magyar.

Sich auf einen echten Krieg vorbereiten: Genau so oder ähnlich ging und geht man seit dem Ukraine-Krieg in Deutschland, Frankreich und England vor. Der britische Armee-Chef Roland Walker etwa sagte im Juli 2024, England müsse für einen „Krieg bereit sein in drei Jahren“.

Diese neue ungarische Doktrin, die personelle Verjüngung, die mentale Neujustierung auf nationale Interessen, also Landesverteidigung, ohne sich dabei auf die Nato verlassen zu müssen, das alles wurde damals, 2023, offiziell veröffentlicht.

Die „Enthüllung“ ist also gar keine, wird aber dennoch dazu verwendet, den Eindruck zu erwecken, als wolle Ungarn aktiv einen Krieg anzetteln. Insbesondere Ruszin-Szendi forciert diesen Spin, indem er das Zitat heraushebt, die Armee müsse eine Schlagkraft erreichen wie in einer „Phase Null auf dem Weg zum Krieg“, und diese Aussage als „Fachmann“ sprechend so wertet, als könne dies nur die Vorbereitung eines echten Krieges bedeuten. Gegen wen? Gegen die Ukraine – so wird es von der Opposition suggeriert.

Das ist, mit Verlaub, objektiv Unsinn. Ein Angriff Ungarns gegen die Ukraine wäre militärisch und politisch für Ungarn selbst mit untragbaren Risiken verbunden, ein Himmelfahrtskommando. Orbán neigt nicht zu unrealistischer Politik.

Der politische Reiz, diese Geschichte jetzt aufzuwärmen, besteht für Péter Magyar darin, dass die Regierung in ihrer politischen Kommunikation immer von ihren Friedensbestrebungen bezüglich des Ukraine-Krieges spricht. Dem scheinen die Worte des Verteidigungsministers zu widersprechen, denn er spricht davon, mit „unseren bisherigen Friedensbestrebungen“ und der „Friedensmentalität“ zu brechen.

Das entscheidende Zitat lautet: „Die fünfte Orbán-Regierung hat beschlossen, dass wir eine wirklich schlagkräftige, kampffähige Armee aufbauen. Das bedeutet, dass wir mit unseren bisherigen Friedensbestrebungen brechen. Wir kennen diese, aber, vor allem als Ergebnis eines Prozesses, brechen wir mit der Friedensmentalität.“

Auf Ungarisch: „Az ötödik Orbán-kormány eldöntötte, hogy egy valóban ütőképes, harcképes magyar haderőt építünk fel. Ez azt jelenti, hogy szakítunk az eddigi béke törekvéseinkkel. Ismerjük ezeket, de főleg egy folyamat eredményeképpen szakítunk a béke mentalitással. (…)“

Das klingt widersprüchlich, ist aber in Wirklichkeit nur eine andere Dimension: Orbán spricht als Politiker; seine Politik ist auf Frieden in der Ukraine ausgerichtet. Szalay-Bobrovnicky sprach als Soldat, der seine Truppen kriegsfähig machen will, um das Land im Ernstfall verteidigen zu können.

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Kommentare ( 27 )

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Jens Frisch
1 Monat her

Es ist ja auch erst seit 2000 Jahren bekannt:
Si vis pacem para bellum
Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg.
Marcus Tullius Cicero

Melly
1 Monat her

Da gibt es einen Kanal: —-Ungarn immo TV— einfach mal ansehen, das hilft ungemein, glauben sie mir !! sonst eben der deutschen Propaganda

Last edited 1 Monat her by Melly
Der Person
1 Monat her

„Eigentlich begann die Geschichte bereits 2014, als Russland die Krim besetzte und im Osten der Ukraine russische Rebellen, unterstützt und angestachelt von Russland selbst, einen Krieg gegen die ukrainische Regierung vom Zaun brachen.“ Eigentlich begann die Geschichte, als die von Nationalisten durchsetzte Putschregierung einen Angriffskrieg gegen die russischstämmige Bevölkerung der Ostukraine führte, deren Sprache verbot, deren Städte bomdardierte und geschätzt 14.000 ihrer eigenen Landsleute umbrachten, u.a. durch den Einsatz ausländischer islamischer Brigaden („Islamic Battalions, Stocked With Chechens, Aid Ukraine in War With Rebels“, NYT, 2015). Deswegen begrüße ich die Aufrüstung der ungarischen Armee. Es kann nämlich durchaus sein, dass die… Mehr

BK
1 Monat her

Nach dem für beide Seiten unrühmlichen Kriegsverlauf in der Ukraine und der Erkenntnis, dass selbst der schönste Panzer nicht lange hält, wenn eine Drohne vom Himmel fällt, sollte man nun wieder das Gehirn einschalten.

Teiresias
1 Monat her

Es gibt in der Ukraine alte Siedlungsgebiete mit u.A. polnischen, ungarischen und rumänischen Minderheiten.
Alle Anrainerstaaten rüsten derzeit, um bei einem möglichen Zusammenbruch der Ukraine Gebietsansprüche stellen und sichern zu können.
Simion hat für Rumänien bereits Kriegsentschädigung von der Ukraine gefordert.
Die Grenzen werden mit grosser Wahrscheinlichkeit neu gezogen, und keiner will die Gelegenheit verpassen.
Das mag uns ungewohnt erscheinen, ist aber historisch normal.

Last edited 1 Monat her by Teiresias
Berlindiesel
1 Monat her

Warum klopft man alles immer darauf ab, ob es in ein russophiles oder russophobes Narrativ passt? Die Ungarn haben als Volk eine Geschichte, und die ist bis 1990 über Jahrhunderte (!) von Fremdherrschaft und empfundener Ungerechtigkeit geprägt gewesen. Erst wurden sie von den Türken besetzt, dann von den Habsburgern. Den Weg in den 1. Weltkrieg, bei dem das Haus Habsburg zu den Hauptverursachern gehört, sind sie mitgegangen, weil sie einerseits hofften, sich endlich einen Zugang zum Meer erkämpfen zu können, andererseits das Ende der k.u.k. Monarchie antizipierten und Zugriff auf das Militär haben wollten. Die Tschechen und nach 1916 die… Mehr

Hannibal ante portas
1 Monat her

Dass sich Militär mit allen halbwegs plausiblen (VERTEIDIGUNGS-)Kriegsszenarien auseinandersetzen muss, ist ihre einzige Daseinsberechtigung! „Wenn irgendjemand von Osten her“ kommen sollte, wird es aber ohne NATO auch bei einer VERZEHNFACHUNG von Mann und Material eindeutig ausgehen. Oder glaubt man etwa, dass Herrn Selensky nochmals eine Chance gegeben wird, einen Krieg zu verlieren oder Herr Lukaschenko auf seine alten Tage seinen eigenen Tokaier ziehen will? Nein, überzeugt mich nicht so ganz. Ne dicke Lippe riskieren, kommt bei Trump wesentlich besser an.

Elmar
1 Monat her

Die „Rebellen“ haben keinen Krieg gegen die ukrainische Armee begonnen. Es war genau umgekehrt und von dem Regime in Kiew wurde der Terror gegen die Bevölkerung im Donbass als Antiterroroperation verkauft.

wenmic
1 Monat her
Antworten an  Elmar

Kommen sie aus Kasachstan oder der EX DDR?

Haba Orwell
1 Monat her
Antworten an  wenmic

So stellt sich „Newsweek“ die künftigen Supermächte-Blöcke vor: https://www.newsweek.com/trump-putin-map-china-xi-2058157 Ein Medium aus den USA – nix Kasachstan oder DDR. Immerhin hatte schon auf dem Wiener Kongress Russland besonders viel zu melden. Oder möchte wer lieber ein Umma-Imperium mit Zentrum in Riad?

Autour
1 Monat her
Antworten an  wenmic

Wenmic scheint etwas Probleme mit dem Lesen zu haben…
Vielleicht sollten sie noch mal in den Zeitungen ab 2014 und so weiter schauen und LESEN, dann würden sie LESEN können wie die ukrainischen Faschisten die Bewohner des Donbas terrorisierten, beschossen töteten ect.
Es gibt noch unzählige Berichte auch des ÖR, der damals noch „neutral“ von diesen urkainischen Verbrechen berichtete!
Wer sich heute hier hinstellt und diese Verbrechen leugnet ist nicht Erst zu nehmen!

Rene 1962
1 Monat her
Antworten an  wenmic

Sie kommen jedenfalls aus dem Westen.

wenmic
1 Monat her

Wer wie Herr Orban freundschaftliche Kontakte zu dem Kriegsverbrecher Poo tin unterhält dem traue ich jede Sauerei zu, auch das er wenn der Kriegsverbrecher Poo tin seinen Diktatfrieden und der Entwaffnung der Ukraine hinbekommt das Orban dann der Ukraine in den Rücken fällt.

Autour
1 Monat her
Antworten an  wenmic

Also ich wusste nicht, dass Putin aktiv im Krieg dabei war und aktiv Kriegsverbrechen begangen haben sollte… aber gut man lernt immer dazu…
Es ist auch lustig das all die Amerikanischen Kriegsverbrecher, Bush, Clinton Obama all diejenigen die völkerrechtswidrige Kriege angezettelt haben, nicht als solche geframt wurden… wer hier Putin als Kriegsverbrecher bezeichnet hat die Kontrolle verloren!

Nibelung
1 Monat her

Dazu sollte man nur die früheren Besitzverhältnisse des Vielvölkerstaates Ukraine vor der Sowjetischen Vereinnahmung kennen um die Begierden zu sehen, die im Detail stecken, weil daran viele beteiligt sind und die Russen sich die Nato vom Hals halten wollen und die eigenen Leute schützen wollten, die im russischsprachigen Bereich der Ukraine zu verorten sind. Das ehemalige Österreich-Ungarn hatte viele weitere Kronländer, die sie als ihr Eigentum angesehen haben, die Polen schielen auch schon auf ein Stück der Torte und auch die Rumänen sind mit von der Partie, wenn es was zu verteilen gibt und selbst Klein-Baltien hegt insgeheim Ansprüche, wagt… Mehr

Haba Orwell
1 Monat her
Antworten an  Nibelung

> und selbst Klein-Baltien hegt insgeheim Ansprüche, wagt es aber nicht auszusprechen um die Russen nicht zu verärgern

Ich wüsste nicht, was Länder mit etwa einer Million Einwohner pro Stück (Litauen zwei) real beanspruchen könnten. Das ist ungefähr so, als wenn Luxemburg mit einem Bataillon und einer Aufklärungskompagnie Trier beanspruchen wollte.

Berlindiesel
1 Monat her
Antworten an  Haba Orwell

Befassen Sie sich einmal mit der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Dieses Gebilde ist das, was auch von modernen Litauern als das „eigentliche“ Litauen angesehen wird – dann aber müsste zum Beispiel der Staat Weißrussland verschwinden. Und vergessen Sie nicht, dass die heutige Hauptstadt Litauens bis 1939 Teil Polens war (als Wilno) und zu 90 Prozent von Polen und Juden bewohnt war.
Das mag Vergangenheit sein, aber sie prägt Gegenwart und Zukunft mit.

Haba Orwell
1 Monat her
Antworten an  Berlindiesel

> Dieses Gebilde ist das, was auch von modernen Litauern als das „eigentliche“ Litauen angesehen wird – dann aber müsste zum Beispiel der Staat Weißrussland verschwinden. Legenden ersetzen das Können nicht – Litauen unter 3 Millionen Einwohner, Weißrussland 10 in enger Union mit Russland, welchem Land inzwischen mehr Kampfkraft als den USA nachgesagt wird. Realistischer wäre schon, dass Polen mit über 40 Millionen kleines Litauen absorbiert, was im Rahmen der Drei-Meeren-Initiative womöglich angepeilt wird. Lettland und Estland sind noch winziger – die aktuellen rechtsextremen Umtriebe beider Länder (den Banderas sehr ähnlich) haben vielleicht damit zu tun, dass bei offeneren Grenzen… Mehr

Berlindiesel
1 Monat her
Antworten an  Nibelung

Aus Niederlage und Kapitulation Charme und moralische Überhöhung abzuleiten wird auch zukünftig Privileg der Deutschen bleiben. Abgesehen, was hat Israel mit der Ukraine zu tun? „Kriegshetze“ ist ein wohlklingendes Akronym für die Ansicht: „Ich bin Rentner, alt, schwach ängstlich, habe keine Kinder, habe Angst, kann mich nicht schützen und möchte meine Rente in Ruhe verkonsumieren. Bitte bitte hört auf mit dem Schießen, ich weiß sonst nicht wohin mit meinem Rollator!“ Ob es gefällt oder nicht: Das sieht man in anderen Ländern anders.