Macron benennt einen Identitätspolitiker als Bildungsminister

Der neue französische Bildungsminister ist Macrons Coup im Kabinett von Élisabeth Borne. Pap Ndiaye war einer der ersten Blackness-Forscher in Frankreich. Nun ist er für die Schulen des Landes verantwortlich. Der in dieser Frage geeinten Rechten gilt er als woker Vertreter der Identitätspolitik.

IMAGO / PanoramiC
Der neue Bildungsminister Pep Ndiaye bei der Amtsübergabe mit seinem Vorgänger Jean-Michel Blanquer, 20.05.2022

Diese Überraschung sei von Macron gewollt gewesen, urteilte die täglich erscheinende Finanzzeitung Les Échos. Die Benennung des Historikers Pap Ndiaye als Nachfolger von Michel Blanquer und neuer Bildungsminister hat die Franzosen im Moment ihres Bekanntwerdens entzweit. Ndiaye, dessen Vater aus dem Senegal stammt und bald dorthin zurückging, studierte Geschichte und unterrichtete seit 2012 an der Universität Sciences Po. Seine französische Mutter war Lehrerin in einer Pariser Vorstadt.

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Seit Februar 2021 leitete Ndiaye das Pariser Museum für Immigrationsgeschichte. Im Januar dieses Jahres war er zudem zum Präsidenten einer „Kommission Bilder der Diversität“ beim nationalen Kino- und Animationszentrum (CNC) gewählt worden. Ndiaye gilt als einer der ersten Vertreter der „Black Studies“ in Frankreich und hat im Wesentlichen nur zu diesem Thema publiziert, darunter Titel wie „La Condition noire“, „Obama und das schwarze Amerika“, „Die amerikanischen Schwarzen. Von der Sklaverei bis Black Lives Matter“. Seine Parteinahme für die woken Forschungszweige, die in Frankreich in der Kritik stehen, kommt also nicht von ungefähr.

Marine Le Pen hat die Benennung umgehend als „erschreckende“ Provokation kritisiert, Ndiaye vertrete Bewegungen, die sie als „indigénisme“ und „racialisme“ benannte – also eine rassisierte Theorie der Minderheiten mit außereuropäischen Wurzeln in Frankreich. Man müsse diese Politik der Dekonstruktion Frankreichs bekämpfen. Die Bildung werde ideologisiert. Doch auch Vertreter der konservativen Républicains haben die Wahl Macrons kritisiert. So sprach Éric Ciotti, Abgeordneter für die Alpes-Maritimes, von Ndiaye als einem „Anhänger des islamo-gauchisme“. David Lisnard, der Bürgermeister von Cannes, sprach von Sektierertum.

Der Vorgänger vertrat ganz andere Ansichten

Auch die Zeitung Figaro sieht die Benennung Ndiayes als „vollständigen Bruch“ mit den letzten fünf Jahren, in denen der in diesen Fragen eher konservativ tickende Jean-Michel Blanquer das Bildungsministerium geführt hatte, das für Schulen und Jugend zuständig ist. Blanquer hatte sich manche Schlacht mit den woken Diversitätsjüngern geliefert, die einen Feudalismus der Sonderforschungsbereiche an den französischen Universitäten installiert haben, der sich sekundär auch auf die Schulen des Landes auswirkt. Seit 2021 steht er dem anti-woken Thinktank „Le Laboratoire de la République“ (Laboratorium der Republik) vor. In einem Interview mit Le Monde sagte er: „Die [französische] Republik ist unvereinbar mit dem Wokeismus.“

Mit Ndiaye ist nun ein offener Kritiker der Republik in deren höchste Reihen aufgestiegen. Der neue Minister hat beispielsweise die folgenden Worte geschrieben: „Das berühmte republikanische Modell gerät immer mehr in die Kritik und ist kritikwürdig, insofern es unfähig ist, gegen Diskriminierung vorzugehen.“

Blanquer gab zum Abschied eine kleine Protestnote ab: „Einige wollen die Republik und die individuellen Rechte einander gegenüberstellen, als ob jede Gruppenzugehörigkeit wichtiger wäre als die Republik. Das ist das Gegenteil der republikanischen Botschaft.“ Blanquer rief seinen Nachfolger dazu auf, die Werte der Republik zu bewahren.

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Es erstaunt in der Tat, dass Präsident Macron, der so viel Nachdruck auf das Bildungswesen und auf die republikanischen Werte gelegt hat, das Bildungsministerium nach fünf Jahren in die Hände eines Mannes legt, dessen Auffassungen vollkommen konträr zu denen seines Vorgängers sind. Auch Vertreter der berühmten „Mitte“ – die gemäßigten Konservativen des Mouvement démocratique (Modem) oder der Sozialist Jean-Christophe Cambadélis – sind ziemlich erstaunt.

Die Benennung der Premierministerin Élisabeth Borne war offenbar nur der Startschuss Macrons, um noch deutlicher als bisher in das linke Lager vorzustoßen. Auch die Hochschulministerin Frédérique Vidal, eine weitere Streiterin gegen Wokeness und „islamo-gauchisme“ an der Universität, wurde durch die farblose Sylvie Retailleau ersetzt. Daneben herrscht viel Kontinuität im Kabinett Borne. Angeblich konnte der Grünen-Kandidat um die Präsidentschaft, Yannick Jadot, nicht gewonnen werden.

Zemmour: „Menschen wie Pap Ndiaye glauben, dass die Rasse im Herzen der französischen Nation liege“

Éric Zemmour hat im Gespräch mit CNews eine politische Bedeutung des Rassismus im heutigen Frankreich bestritten. Derlei Einstellungen möchten existieren, es seien aber individuelle Haltungen. Nur Spott sei im Umlauf – „on se moque“. Ernsthaft glaube heute keiner mehr an die Ungleichheit verschiedener Rassen.

Mit der Benennung von Pap Ndiaye hat Macron aus Zemmours Sicht eine Linie überschritten. Wenn Macron bisher dieselbe Ansicht zur Republik und dem Wokeismus wie Zemmour gehabt habe, die er nur aus Zemmours Sicht schlechter vertrat und verteidigte, dann markiere die Benennung des neuen Bildungsministers eine Wende. Mit diesem hoheitlichen Akt lasse Macron seine Maske fallen: „Menschen wie Pap Ndiaye glauben, dass die Rasse im Herzen der französischen Nation liege.“

Macron, so Zemmour, laufe Mélenchon und seinem Ideal einer „Kreolisierung“ der französischen Nation hinterher. Für Zemmour gibt es keine Rassen im politischen Diskurs Frankreichs. Man besitze eine Zivilisation, die nicht auf die Beherrschung der einen Rasse durch eine andere aufgebaut sei, sondern auf bestimmte Werte, die in Frankreich natürlich die der Republik sind.

Ndiaye wolle Frankreich „dekonstruieren“, wenn auch vielleicht zunächst mit anderem Schwerpunkt. Es handle sich um einen „gentil woke“, einen netten Woken, der keine Gewalt anwende, dessen Botschaft sich aber nicht von der seiner radikalen Parteigänger unterscheide. Ndiaye ist für einen besonders sanften Tonfall bekannt – im Gegensatz zum kantigen Stil seines Vorgängers Blanquer.

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Im Hintergrund des Amtswechsels erkennt Zemmour jenes Phänomen, das er oder jemand anders „islamogauchisme“ getauft hat. Macron bereite heute die „Welt von Jean-Luc Mélenchon“ vor, die Zemmour in den dunkelsten Farben als Bündnis von Linken und Muslimen schildert, mit dem möglichen Ergebnis einer Islamisierung Frankreichs in einigen Jahrzehnten. Für den radikalen Sozialisten Mélenchon ist Ndiaye übrigens ein Politiker „der Rechten“, weil er in einer rechten Regierung sitze. Dennoch lobte er Macrons „Wagemut“ mit der Benennung Ndiayes, der ein „großer Intellektueller“ sei. Der Rest des Kabinetts weise nichts dergleichen auf.

Ndiaye hat nun immerhin schon bei Amtsantritt eine Hommage an Samuel Paty, seinen ehemaligen Kollegen, der durch ein islamistisches Attentat ums Leben kam, gerichtet. Zuvor hatte der Neuling von Polizeigewalt in Frankreich gesprochen, die zu wenig beachtet werde. Sich selbst bezeichnete er nicht als woke, sondern als „cool“, worin sich das Bemühen zeigt, die radikalen Vorstellungen zum Gesellschaftsumbau als mehrheitsfähig zu proklamieren.

Der Begriff „islamogauchisme“, so Ndiaye an anderer Stelle, benenne keine Realität innerhalb der Universität. Es gehe lediglich darum, bestimmte Forschungsrichtungen an den Universitäten zu „stigmatisieren“. Und in der Tat, darum könnte es gehen: Bestimmte Sonderforschungsbereiche – man kennt das auch von deutschen Hochschulen – scheinen keinem anderen Zweck zu dienen als dem Einstreichen von Mitteln.

Eine bei CNews präsentierte Umfrage setzt Zemmour in seinem Wahlkreis Var auf den zweiten Platz hinter dem Kandidaten der Macron-Partei „Renaissance“. Er würde also zumindest in die Stichwahl einziehen. Die Umfrage für die zweite Runde ergab 47 Prozent für den Kandidaten Zemmour, mit einer sehr kleinen, fast nur statistischen Differenz zum mit 52 Prozent führenden Kandidaten der Macron-Renaissance.

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Kommentare ( 5 )

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Andreas aus E.
1 Jahr her

Macron steht für – um ein Wort Edmund Stoibers zu gebrauchen – Durchrassung. Moderner spricht man eher von „großem Austausch“, aber das gilt auch als Verschwörungstheorie. Dabei langt ein Gang durch beliebige Innenstadt (oder Bahnhof, Supermarkt), um genau das festzustellen. „Woken Grünen“ mit helikopterbehandelten Privatschulkindern im Rotweingürtel mag das bislang entgangen sein, ich beobachte das auch hier bei uns im „Kleinbürgerviertel“ seit geraumer Zeit. Und – ging das je irgendwo gut? Nein, früher oder später kommt es immer zu Konflikten. Gutsituierte schotten sich ab, Migranten bilden „Communities“, Rest kann sehen, wo er bleibt. Ich hatte diese Lebenslüge des linksgrünen Milieus… Mehr

Samuel B
1 Jahr her

In der Pariser Edelblase wird die Wokeness zelebriert, während in Marseille gleichzeitig ein Bandenkrieg aus den Rudern läuft – sicherlich verursacht durch Jean-Jacques und Henri… Vor den Wahlen wurde darauf hingewiesen (möglicherweise von Zemmour, dem Voldemort der französischen Politik), dass sich die vermeintlich Bürgerlichen (womit er auch Macron meinte) zu Wahlzeiten Strenge gegenüber den Islamis etc. versprechen würden, nur um das Thema nach den Wahlen gleich wieder zu beerdigen. Wie recht die Person doch hatte.

Iso
1 Jahr her

Seit 100 Jahren haben die Weißen nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig abzumurksen, neuerdings vor der schwarzen Rasse zu knien oder auf Bürgermeister- und Ministerebene abzudanken. Wenn es dann in ganz Europa, inklusive Polen so aussieht, wie Frankreich auf dem Fußballplatz, dann ist das große Werk vollbracht. Die Franzosen hatten eine Wahl, aber sie haben sie nicht genutzt.

hansmuc
1 Jahr her
Antworten an  Iso

Genau wie wir hier: Wir hatten auch eine Wahl und haben sie nicht genutzt.

Exilant99
1 Jahr her

Man muss gar nicht in die Ferne schweifen. Unter links-grün ist das Ganze ähnlich weit fortgeschritten.