Faeser will „Blockade“ gegen Migration lösen – aber in Europa macht keiner mit

Die Innenministerin will „irreguläre Migration“ reduzieren – und durch reguläre ersetzen. Doch 2021 sah Europa so viele illegale Einreisen wie seit Langem nicht. Es fragt sich folglich, wo die Blockade liegt, die Faeser lösen will. Es könnte ihre eigene sein: 2023 plant sie den Wechsel in die Hessische Staatskanzlei.

Wenn sich diese beiden Frauen treffen, geht es meist darum, für mehr Einwanderung zu sorgen: Nancy Faeser und Ylva Johansson. Zuletzt war das bei Faesers Einstand im Ministerrat der Innenminister in Brüssel. Im Anschluss an die gemeinsame Sitzung war die Deutsche sogleich mit Äußerungen zur Weißrussland-Krise vorgeprescht, in der sie deutliche Kritik an den polnischen Grenzschützern zwischen ihre Zeilen streute und sich einmal mehr in die inneren Angelegenheiten des EU-Nachbarn einmischte. Am 14. Januar war es dann wieder so weit. Nun erschien Ylva Johansson – mit deutlich sichtbarem Frauenpower-Amulett um den Hals – zum Besuch im Berliner Innenministerium. Man verstand sich, dem Anschein der Bilder nach, auf Anhieb.

— Ylva Johansson (@YlvaJohansson) January 14, 2022

Ihr Eingangsstatement vor der Presse beginnt Faeser mit dem Thema illegale Migration – so heißt dieses Themenfeld (noch?) – auf der Website ihres Ministeriums. Für Faeser scheint es ein Wohlfühlthema zu sein. Die Innenministerin verspricht: „Wir werden irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermöglichen.“ Am Ende dieses Satzes sendet sie ein verkniffenes Lächeln ins Publikum. Zugekniffenes Auge an die „Ermöglicher“? Die Ministerin sagt beides in einem Satz und scheint so zu sagen, dass „irreguläre Migration“ nicht nur „reduziert“ werden soll, sondern, wo möglich, durch reguläre Zuwanderung ersetzt werden soll. Manch einer wird sich fragen, ob man nicht auch Ungeladenen besser Einhalt gewähren kann, indem man die Haustür unverschlossen lässt.

Ylva Johansson führte in ihrer Antwort keinen Eiertanz um ihre Beziehung zu Faeser auf: „Wir teilen so viele gemeinsame Ansichten in unseren Portfolios. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit.“ Das gilt offenbar auch für den „Kampf gegen Rechts“, den die schwedische Sozialdemokratin zusammen mit ihrer deutschen Gesinnungsgenossin führen will. Nancy Faeser, die vermutlich hofft, im Herbst 2023 zur hessischen Ministerpräsidentin zu avancieren, war ja gelegentlich durch eine große Nähe zu „Links“ aufgefallen und hält so offenbar auch Kontakt zu ihrer „Basis“.

Für Faeser zeigt auch die Situation an der polnisch-weißrussischen Grenze, dass die EU ein „effizientes und krisenfestes Asylsystem“ brauche. Das ist eine immerhin originelle Gedankenverbindung. Vor allem weil das „Leid der Flüchtlinge“, von dem Faeser spricht, weitgehend herbeiphantasiert ist. Und eigentlich dürfte sie gar nicht von „Flüchtlingen“ sprechen, weil hinreichend bekannt ist, dass die Menschen als normale Touristen nach Weißrussland gekommen sind. Bei den Genossen im Bundestag (vielleicht auch in Hessen) darf Faeser aber mit solchen Tönen auf Anklang hoffen. Im Dezember sagte etwa der SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann gegenüber der Welt: „Wir arbeiten mit weiteren europäischen Partnern mit Hochdruck an einer humanitären Lösung der untragbaren Lage der Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze.“ Eine TE-Anfrage, ob die Bundesregierung an einer Kontingentlösung für Migranten in Weißrussland arbeitet, blieb allerdings bis heute unbeantwortet.

Die herbeiphantasierte „Blockade“

Aber egal, wie sich die Bundesregierung nun in Weißrussland entscheidet: Das „gemeinsame europäische Asylsystem“ (GEAS) scheint in den Kreisen, die in der EU den Ton angeben, beschlossene Sache zu sein. Faeser hofft, diese Vision gemeinsam mit Frankreich und der Kommission zu verwirklichen. Man darf gespannt sein, worauf sich die beiden größten EU-Länder da einigen können. Denn Emmanuel Macron steht innenpolitisch gerade in diesen Fragen unter starkem Druck und müsste im April erst wiedergewählt werden, um die EU-Ratspräsidentschaft zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Für den Fall einer Nicht-Einigung baut Faeser schon einmal die üblichen Sandburgen der deutschen Politik und kann sich vorstellen, mit einer „Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedsstaaten“ voranzugehen. Die Ministerin will angeblich die „jahrelange Blockade“ in der europäischen Asylpolitik beenden.

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Aber welche Blockade meint Faeser eigentlich? Die EU-Grenzschutzagentur Frontex weiß in ihrem Jahresbericht 2021 von nahezu 200.000 illegalen Einreisen in die EU-Staaten („Ankünfte höher als vor der Pandemie“). Die illegale Migration ist also um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu 2020 angestiegen, doch auch gegenüber 2019 gab es 36 Prozent mehr Grenzübertritte. Zuletzt hatte es im Jahr 2017 so viele illegale Grenzübertritte in die EU gegeben. Zugleich stellten in Deutschland laut Innenministerium 148.233 Menschen ihren ersten Asylantrag. Das bedeutet – nach Abzug der rund 30.000 Sekundärmigranten aus Griechenland, die in Deutschland widerrechtlich nochmals Asyl beantragt haben –, dass die Bundesregierung es geschafft hat, an die 60 Prozent der gesamten illegalen Migration in die EU nach Deutschland zu ziehen.

Viele sagen nun, das geschehe mit Recht, weil es die Bundesrepublik ist, die mit großzügigen Asyl- und Sozialleistungen verantwortlich ist für diese Massenmigration. Doch weil es so ist, muss man noch einmal fragen: Von welcher Blockade spricht Nancy Faeser bloß? Es gibt sie schlicht nicht. Alle Wege stehen offen, sogar der Weg von einem griechischen Asylbescheid zu einer Duldung hierzulande dürfte schon hinter der nächsten Ecke freigeräumt werden.

Irregulär, regulär – Faeser hat Probleme mit der Einordnung

Die „irreguläre Sekundärmigration“ aus Griechenland will Faeser angeblich reduzieren, ohne allerdings zu verraten, mit welchen Mitteln. Horst Seehofer hat in dieser Frage auf Granit gebissen. Daneben stellt sich die Frage, ob und inwieweit es sich wirklich um einen irregulären Vorgang handelt. Die in Griechenland akzeptierten Asylbewerber nutzen ja lediglich ihr Recht auf Niederlassungsfreiheit in der EU. Man kann sich nicht leicht vorstellen, wie die geduldeten Ausländer dazu gebracht werden sollen, ihr Leben in den Vorstädten Athens zu fristen, solange es in Duisburg höhere Sozialleistungen gibt. Dass diese fortgesetzten Migranten allerdings Asylanträge in Deutschland stellen können, ist ein schwerer Fehler im deutschen System, den die Ministerin schnellstmöglich ausmerzen sollte. Die Worte Faesers, die ihr vermutlich vom Ministerium diktiert wurden, sind ein Abglanz der allgemein verbreiteten Phantasien zu verbindlichen „Flüchtlingsquoten“ für alle EU-Staaten, wo ein jeder seine Migranten in noch zu errichtenden Planstädten versorgt. Doch hier irren die Planer im Innenministerium: Deutschland ist frei, diese Politik wieder und wieder für sich zu wählen, kann sie aber keinem seiner europäischen Nachbarn aufzwingen.

Diese Verteilungsquoten stehen folglich seit Langem nicht mehr auf dem Programm. Heute beschränkt sich Faeser auf Großzügigkeiten im Namen der deutschen Bürger. Doch nicht nur: Die europäischen Partner sehen Faesers Forderungen zu Recht als Teil der gemeinsamen Innenpolitik in einem Binnenmarkt ohne Grenzkontrollen. Wenn Deutschland sein Gemeinwesen für schwer integrierbare Migranten öffnet, gefährdet es die Sicherheit des gesamten Schengen-Raums.

Der erste Tweet im Amt
Bundesinnenministerin Faeser: Offene Kritik an Polens Grenzschutz
So kritisierte auch der neue österreichische Innenminister Gerhard Karner die Berliner Pläne umgehend: Die Begründung einer „Koalition der Aufnahmebereiten“ sende die vollkommen falschen Signale, wird Karner von Bild zitiert. Er spreche sich „klar gegen solche Bestrebungen“ aus, die nur falsche Hoffnungen in den Herkunftsländern wecke. Karner hätte lieber „Allianzen der Vernunft“. Gemacht werden soll demnach, worüber Einigkeit herrscht: ein robuster Schutz der Außengrenzen, schnellere Verfahren und konsequente Abschiebungen. Österreich hat einiges für diese Ziele getan, auch selbst schon eine „Allianz der Rückführbereiten“ mit seinen östlichen Nachbarn gegründet. Das Alpenland ist aber auch selbst noch Ziel einer erheblichen illegalen Migration.

Union entdeckt die Zuwanderungsskepsis wieder

Die deutschen Unionsparteien haben derweil plötzlich die Zuwanderungsskepsis wiederentdeckt und kritisieren den Vorschlag scharf. So sagte Innenexperte Christoph de Vries (CDU) gegenüber Bild: „Oberste Priorität für eine deutsche Innenministerin muss jetzt sein, klare Stoppsignale zu senden und keine neuen Einladungen zu verteilen. Deutschland hat viele Jahre die größten humanitären Lasten in Europa getragen.“ Auch der Europa-Experte der CSU Markus Ferber kritisiert „Alleingänge einiger weniger Staaten“ und die dadurch drohende Spaltung der EU.

Der EU-Abgeordnete Christian Doleschal (CSU) glaubt gar: „Das wird Europa auf Dauer zerstören.“ Nicht funktionieren werde, dass „Deutschland vorgibt, dass mehr Menschen in Europa aufgenommen werden müssen und das dann andere bezahlen sollen“. Genau diesen Vorschlag gibt es aber im breiten Feld des geplanten EU-Asylsystems: Wer nicht an der gemeinsamen Aufnahmepolitik mittun will, dürfte oder müsste sich dann eben freikaufen. Eventuell gibt es aber auch die Möglichkeit, das Geld lieber in den Grenzschutz oder Abschiebungen zu stecken. Diese Idee hatte der dänische Ausländerminister Mattias Tesfaye noch zusammen mit Innenminister Karl Nehammer entwickelt.

Laut dem FDP-Innenexperten Konstantin Kuhle sind es die Unionsparteien, die „jahrelang für Chaos und Unfrieden in der Migrationspolitik gesorgt haben“ – deshalb seien derartige Wortmeldungen „nicht ernst zu nehmen“. Wie seine Ampel-Alliierten will auch Kuhle für „weniger irreguläre und mehr reguläre Migration sorgen“, vor allem will aber auch er ein gemeinsames Asylsystem in der EU aufbauen, von dem für Deutschland nur mehr Zuwanderung und für die anderen mehr Belastungen zu erwarten sind. Daneben heben die Liberalen den Wert der „Rückführungsoffensive“ hervor. Man wird das Mittel wägen müssen.

Die „stärkste Politikerin der AfD“?

Ostentativ vor seine Parteifreundin stellte sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, der sich via Twitter ein „offenes Bündnis der Humanität und Solidarität“ wünschte, von dem er viele Partner überzeugen wolle. Wie viele könnten es sein? Nun, Luxemburg darf vermutlich als gesetzt gelten. Ob Schweden unter den vorsichtiger gewordenen Sozialdemokraten noch dabei sein will, kann schon als äußerst fragwürdig gelten. Blieben nur die üblichen Verdächtigen Frankreich, Spanien und Portugal, bei denen die Worte regelmäßig größer ausfallen als die Taten.

Auf Twitter gilt Nancy Faeser (SPD) derzeit einigen als „die stärkste Politikerin der AfD“. Die Partei selbst fordert ein Ende des „Migrationsmagneten“ Deutschland und warnt vor den Folgen für die gesamte EU.

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