„Ideologischer Staatsstreich, der das Tor zu unkontrollierter Einwanderung weiter öffnen könnte“

Das höchste EU-Gericht erklärt, dass illegale Einwanderer, die Kinder mitbringen, dafür nicht bestraft werden dürfen. Kinderschmuggel wird zur Familienfürsorge umgedeutet. „Ein ideologischer Staatsstreich“, warnt der italienische EU-Abgeordnete Carlo Fidanza, „der das Tor zu unkontrollierter Einwanderung weiter öffnen könnte.“

IMAGO
Symbolbild: Spanisches Rettungsschiff bringt Flüchtlinge in Malaga an Land December 9, 2018

llegale Einwanderer sollen nicht bestraft werden, wenn sie ihre Kinder heimlich in das Land bringen, in dem sie sich letztlich aufhalten. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.

Ein italienisches Gericht hatte gefragt, ob Eltern, die ihre Kinder einschleusen, damit eine unerlaubte Einreise erleichtern. Am 3. Juni stellte der EuGH klar, dass dies nach EU-Recht keine Straftat darstellt. Nach Auffassung des höchsten europäischen Gerichts „übt ein solcher Elternteil lediglich seine Verantwortung gegenüber dem Kind aus“.

In ihrer Entscheidung urteilten die Richter des EuGH: „Ein solches Verhalten stellt keine Beihilfe zur illegalen Einwanderung dar, die das EU-Recht zu bekämpfen versucht, sondern die Ausübung der Verantwortung dieser Person gegenüber den Minderjährigen, die sich aus ihrem familiären Verhältnis ergibt.“ Weiter: „Das EU-Recht schließt daher nationale Gesetze aus, die ein solches Verhalten unter Strafe stellen.“

Der Fall – bekannt als Kinsa-Fall – betraf eine Frau aus dem Kongo, die 2019 zusammen mit ihrer damals minderjährigen Tochter und Nichte über den Flughafen Bologna aus Marokko nach Italien eingereist war. Sie legte den italienischen Behörden gefälschte Dokumente vor und behauptete, sie und die Kinder stammten aus dem Senegal. Daraufhin wurde sie nach nationalem Recht, das eine EU-Richtlinie (2002/90/EG) umsetzt, wegen Beihilfe zur illegalen Einreise angeklagt. Später beantragte sie Asyl und gab an, sie sei aus ihrem Heimatland geflohen, nachdem sie von einem Ex-Liebhaber mit dem Tod bedroht worden sei.

Das italienische Einwanderungsgesetz sieht Strafen von bis zu 15 Jahren Haft und Geldbußen in Höhe von 15.000 Euro pro Person vor, wenn illegale Einwanderung durch die Nutzung internationaler Verkehrsmittel oder gefälschter Papiere erleichtert wird. Trotzdem entschied der EuGH, dass das EU-Recht – insbesondere in Verbindung mit der EU-Grundrechtecharta – das Familienleben und das Kindeswohl schützt (Artikel 7 und 24). Die Frau für das Mitbringen der Minderjährigen zu bestrafen, würde diese Grundrechte verletzen, selbst wenn ihre eigene Einreise ebenfalls irregulär erfolgt sei, urteilte das Gericht.

Das Gericht stellte fest, dass solche Handlungen nicht mit Schleusung oder Menschenhandel gleichzusetzen seien. Vielmehr seien sie Ausdruck der Verantwortung einer Person gegenüber den ihr anvertrauten Kindern. Der Versuch, dieses Verhalten zu kriminalisieren, würde das Recht auf Familienleben und den Schutz von Kindern im Kern verletzen. Da die Frau am Tag nach ihrer Ankunft Asyl beantragte, erklärte der EuGH, ihre Einreise dürfe nicht bestraft werden, solange ihr Asylantrag geprüft werde.

Koen Lenaerts, der Präsident des EuGH, veröffentlichte zudem ein Video, in dem er die Entscheidung erläuterte: „Die Mitgliedstaaten dürfen den Straftatbestand nicht über das hinaus ausweiten, was das EU-Recht vorsieht“, sagte er.

Das Urteil könnte im Widerspruch zu neuen Gesetzen und Forderungen stehen, mit denen Regierungen die illegale Einwanderung bekämpfen wollen. Restriktive Maßnahmen – etwa die Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie Albanien zur Abwicklung von Asylverfahren – könnten durch das EuGH-Urteil direkt betroffen sein, sagen Experten.

Francesca Cancellaro, die Anwältin der kongolesischen Frau, sagte: „Es ist das erste Mal, dass die Auslegung und Bewertung der Beihilfe zur irregulären Einwanderung in diesen Begriffen erfolgt. Es ist ein erster Schritt, um das gesamte europäische System infrage zu stellen, das Menschen kriminalisiert, die Minderjährigen bei der Einreise nach Europa helfen wollen.“

Die italienische Europaabgeordnete Cecilia Strada von der Fraktion der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament sagte, sie begrüße das Urteil: „Die Prinzipien des Völkerrechts sind nicht dem Willen einzelner Regierungen ausgeliefert“, sagte sie gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. „Wir wissen sehr genau, dass das Gericht nur deshalb in solchen Fällen einschreiten muss, weil die Richtlinie von 2002 über die Beihilfe zur illegalen Einwanderung auf einer Reihe beschämender und bewusster Verzerrungen basiert“, erklärte sie. „Zwei davon stechen besonders hervor: das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht als notwendiges Element zur Definition des Straftatbestands der Beihilfe – und das Fehlen einer zwingenden Ausnahme im Falle humanitärer Hilfe.“

„Es ist offensichtlich, dass hier bewusst versucht wird, diejenigen zu kriminalisieren, die Hilfe leisten“, sagte Strada. Sie fügte hinzu: „Die Wahrheit ist, dass viele europäische Regierungen – allen voran die italienische – systematisch versuchen, die Grenzen des Rechts auszureizen, um die Umsetzung des neuen, ohnehin schon problematischen Migrationspakts bis an die Schwelle der Legalität voranzutreiben.“

Carlo Fidanza, Europaabgeordneter und Vorsitzender der Fratelli d’Italia im Europäischen Parlament, äußerte sich kritischer zum Urteil. „Wir erleben einmal mehr ein surreales Urteil“, sagte er der italienischen Zeitung Il Giornale. Fidanza sprach von einem „ideologischen Staatsstreich, der das Tor zu unkontrollierter Einwanderung weiter öffnen könnte“.

Migrationsexperten erklärten, Hunderte Menschen seien bereits wegen Beihilfe zur irregulären Einwanderung angeklagt worden – und betonten, dass das Verbrechen der Beihilfe zur illegalen Einreise Dritter eine andere und schwerwiegendere rechtliche Kategorie sei.

Dieser übersetzte Beitrag ist zuerst bei Brussels Signal erschienen.

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Kommentare ( 62 )

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giesemann
18 Tage her

Niemand wird zurückgewiesen und niemand bekommt was, basta.

nachgefragt
17 Tage her

„Die Mitgliedstaaten dürfen den Straftatbestand nicht über das hinaus ausweiten, was das EU-Recht vorsieht“, sagte er. Man fragt sich, welche Gesetzgeber eigentlich angeblich dieses EU-Recht gemacht haben sollen. Weder die Macher des Völkerrechts noch die Geber der Europ.-Menschenrechtskonvention oder anderer maßgeblicher Gesetze und Verordnungen haben derartiges insinnuiert. Nirgends wurde dies so beschlossen geschweige beabsichtigt. Denn wenn es beabsichtigt gewesen wäre, wäre es NIEMALS mehrheitsfähig gewesen und beschlossen worden. Was hier passiert ist blanke Rechtsbeugung und Amtsanmaßung in Bereiche, für die die EU-Gesetzgebung nie ein Mandat hatte. Es wird so getan, als hätte die EU eine Verfassung, auf die sich die… Mehr

wackerd
18 Tage her

Neues Geschäftsmodell für Schlepper: Rent-a-child-Migration. Scheint ja für eine Asylberechtigung auszureichen, wenn Migranten mit (irgendeinem) Kind vorstellig werden. Ob es ihres ist oder nicht, ist doch eh egal. Wer braucht schon noch Papiere als Migrant in der EU und überhaupt in Deutschland. Und wenn es nicht klappt, einen der zahlreichen Anwälte, die von etliche (regierungsnahen) NGOs bereitstehen und klagen. Gerichte mit willigen Richtern scheint es ja auch genug zu geben.

bfwied
18 Tage her

Da die Erde überbevölkert ist in der 3. Welt, das weiß man seit vielen Jahren, nur sagen darf man das nicht, nicht einmal, dass allein Afrika um über 50 Mio. pro Jahr wächst. Das ist einer der wesentlichen Gründe für den Migrationspakt, d. h., die Einwanderung ist politisch gewollt und wird von vielen Machthabern durchzusetzen versucht. Die übrigen Machthaber, die nicht zustimmen, werden auszugrenzen und zu bestrafen versucht. Die Richter der maßgebenden oberen Gerichte sind von der Politik ausgewählt, welche Gewichtung also soll man von denen erwarten können?! Es gibt niemals etwas völlig umsonst, es ist immer ein Kampf, und… Mehr

Jan Frisch
18 Tage her

Es ist schon reichlich befremdlich mit anzusehen, wie diese aus Steuergeldern bezahlten Verräter immer und immer wieder die Hand beißen, die sie füttert.

siebenlauter
18 Tage her

Die EU ist längst im Ganzen ein komplettes Irrenhaus geworden. Und es gibt offenbar nicht nur eine Dekadenz der Todsünden, sondern auch eine Dekadenz christlicher Tugendhybris, die zum Tode führt. Und das alles natürlich mit dem Geld und dem Lebenseinsatz anderer Leute.

schwarzseher
18 Tage her

Ich halte den EuGH für eine moralisch korrupte, von Sorros unterstützte linke Organisation.

Waehler 21
18 Tage her

Es ist eine Dilemma, weil es doch moralisch nachvollziehbar ist, wenn man seine Kinder holt. Das Recht muss in erste Linie gesellschaftliche Werte widerspiegeln.
Hier treffen Werte und organisatorische Erfordernisse aufeinander. Doch diese Erfordernisse des Selbsterhaltes sind heute nicht mehr gut angesehen.

Die Idee, jeden in die EU zu lassen der Probleme zu Hause hat, wird zum Zusammenbruch der Staaten führen, weil er die Probleme aus seinem Land mit in die EU bringt. Tropfenweise, aber jeder Tropfen füllt das Faß.

ThomasP1965
18 Tage her

Deutschland und die anderen EU Länder haben diverse Abkommen unterschrieben und Gesetze gemacht, die derlei ermöglichen. Von UN Charta, Genfer Flüchtlingskonvention, Europäische Menschenrechtskonvention bis GEAS, IStGH…
Dazu kommen „lästige“ Regeln und Bestimmungen in den Verfassungen – bei uns im Grundgesetz z.B. die Würde des Menschen.
Auf Basis dieser entscheiden die Juristen. Nicht im luftleeren Raum. Will man etwas ändern, müsste man diese Basis ändern / abschaffen / durch anderes ersetzen.

Johny
18 Tage her

Diese langsame Agonie kotzt mich an. Man sollte die Einwanderung endlich beschleunigen. Mindestens eine Million Zuwanderung von diesen Raketenwissenschaftlern im Jahr brauchen wir hier, um das Problem zu lösen.

Marcel Seiler
18 Tage her

Dies ist ein unakzeptabler Satz: Der Präsident des EuGH sagt: „Die Mitgliedstaaten dürfen den Straftatbestand nicht über das hinaus ausweiten, was das EU-Recht vorsieht.“

Das ist völlig unakzeptabel. Das bedeutet, dass Einzelstaaten in der EU sich und ihre Bevölkerung nicht schützen können, wenn es den hohen, gutbezahlten, nicht einmal gewählten Herren und Damen der EU, die weit weg von den Sorgen der Bevölkerung leben, nicht gefällt. Nochmal: VÖLLIG UNAKZEPTABEL. Was bilden die sich ein?