Blaues Auge statt Befreiungsschlag

Trotz eines knappen Wahlerfolgs in Thüringen ist die FDP aus ihrer Krise noch nicht heraus. Nur dank eines liberal-konservativen Spitzenkandidaten wie Thomas Kemmerich konnten sich die Freidemokraten wohl über die Fünf-Prozent-Hürde retten.

Carsten Koall/Getty Images
Thomas Kemmerich, lead candidate of the German Free Democrats (FDP) before a television interview following state elections in Thuringia on October 27, 2019

Christian Lindners Image als smarte Nummer eins der Freidemokraten erhält nach einer Reihe von Wahlniederlagen und knappen Wahlergebnissen Kratzer. Dabei galt der jüngste FDP-Vorsitzende aller Zeiten nach dem historischen Rauswurf aus dem Bundestag im Herbst 2013, als der Hoffnungsträger mit viel Zukunft. Noch gibt es keine großen Unruhen unter Funktionären und Mandatsträgern, aber die gemütlichen Zeiten für den FDP-Chef sind vorbei. Vorerst strafen die Bundestagsabgeordneten seine linken und rechten Hände mit schlechten Wahlergebnissen ab, die dem Partei- und Fraktionschef eine Warnung sein sollten.

Das Scheitern von FDP-Wahlzielen wäre 2019 beinah zum Programm geworden. Mit dem äußerst knappen Einzug der Thüringer FDP in den Erfurter Landtag ist die Bundesführung mit einem blauen Auge davongekommen. Lediglich fünf Stimmen mehr als erforderlich hievten die Liberalen vorläufig über die Fünf-Prozent-Hürde. Das wird noch eine Zitterpartie bis zum offiziellen amtlichen Endergebnis. Einen erneuten Fehlschlag verhinderte der kämpferische FDP-Spitzenkandidat und Landesvorsitzende Thomas Kemmerich mit klarer Kante und einem liberal-konservativen Kurs weitab jeglicher Klimahysterie. Sein Wahlkampf war witzig, provakant und fern des weichgespülten Mainstreams der Bundespartei. Das hält Parteichef Lindner jedoch nicht davon ab, noch am Wahlabend Kemmerichs Erfolg nun für sich zu reklamieren: „Das Ergebnis in Thüringen bestätigt den Kurs, den wir in der Bundespartei eingeschlagen haben.“ Dabei hatte das dürftige Image der Bundes-FDP im Osten Kemmerichs Parteifreunde in Brandenburg und Sachsen bei den Landtagswahlen am 1. September heruntergezogen.

— Ulf Poschardt (@ulfposh) September 1, 2019

FDP-Vize Wolfgang Kubicki brachte es schon nach den Niederlagen im September schneller als sein Vorsitzender auf den Punkt: „Wir müssen mehr argumentieren, statt zu denunzieren und eine konstruktive Auseinandersetzung führen.“ Die totale Ausgrenzung der demokratisch gewählten AfD schreckt liberale Wähler ab. „Unsere Politik der radikalen Abgrenzung hat nicht geholfen – im Gegenteil. Sie hat eher geschadet,“ gibt Kubicki ehrlich zu. Vor allem Stammwähler über 60 fühlten sich nicht mehr zur FDP hingezogen – die Parteistrategie sei zu „modernistisch, bunt“ und zu „knallig“. Kubicki kritisiert zu Recht: „Bei Klima und Migration werden wir nicht als Alternative zu CDU, SPD und Grünen wahrgenommen – ändern wir das.“ Eine ganz andere Sicht als sein Chef Lindner und dessen Politkommissar Marco Buschmann, der die FDP zur Kopie der österreichischen Neos trimmen will, eine Art Hipsterpartei für die Großstädte.

FDP wirft in der Opposition nur mit Wattebällen

Lindners FDP wirkt lasch und lustlos. Wähler gewinnen immer mehr den Eindruck, die wollen gar keine kämpferische Opposition sein, sondern die Regierenden nur mit Wattebällen bewerfen. Kein Wunder, wenn man sich lieber in die Furche legt wie die weichgespülte Lenor-Partei von CSU-Chef Markus Söder. Schließlich müsste die FDP müsste als Konterpart der angeschlagenen Merkel-Regierung bei 15 Prozent und nicht wie derzeit laut election.de im Schnitt der Umfrageinstitute bei nur 7,3 Prozent liegen. Denn die Bälle liegen dank der verschwenderischen und wenig sparsamen Regierungspolitik inklusive Steuererhöhungen für die Liberalen auf dem Elf-Meter-Punkt. Offensichtlich mag die FDP nicht in der Sturmspitze der Opposition spielen. Lindners Truppen treten eher wie Reservespieler auf, die sich hinter dem gegnerischen Tor warmlaufen, weitgehend unbeachtet vom Publikum. Und so reagiert Lindner nach den Wahlniederlagen im September mit der Ankündigung: „Die FDP wird nicht schärfer oder aggressiver werden.“ Also weiter Wattebälle werfen.

Klare Kante muss sich wieder lohnen

Das brachte das Fass zu Überlaufen. Thüringens Landeschef Kemmerich schrieb seinem verzagten FDP-Chef umgehend und rechtzeitig vor der Wahl einen offenen Brandbrief: Die Partei sei falsch ausgerichtet. Im politischen Geschäft werde die FDP „häufig zu blass und indifferent“ wahrgenommen. Die Menschen im Osten wünschten sich stattdessen „klare Kante“ und Lösungen, die die Lebenswirklichkeit der Bürger „auch jenseits urbaner Zentren wie Berlin, Hamburg oder Köln“ anerkenne, kritisierte Kemmerich. „Die Wahl in Thüringen ist für die FDP entscheidend, um in den neuen Bundesländern nicht endgültig den Anschluss zu verlieren.“ Kemmerich hat sich mit seinem liberal-konservativen Kurs durchgesetzt und nach zehn Jahren mit seiner Thüringer FDP wieder einen Erfolg errungen – wenn auch nur einen kleinen: Die Liberalen sitzen zumindest mit fünf Abgeordneten wieder im Erfurter Landtag, wenn das amtliche Endergebnis keine Einwände hat.

Vielleicht kann der FDP-Chef ja von den Thüringern lernen. Denn Lindner steht nicht mehr gerne im Sturm. Zu sehr haben ihm zuletzt die Angriffe nach der Jamaika-Absage im Bund zugesetzt. Er beobachtet ohnehin lieber woher der Wind weht, und versucht dann, in der allgemeinen Windrichtung etwas herum zu wedeln, um aufzufallen. Doch das reicht nur für kleine Wirbel, die schnell verwehen im Strom des Hauptwinds.

Kaum ist Lindner mal mutig, in dem er einer protestierenden, schulschwänzenden und verwöhnten Kinderschar die Lebenserfahrung für politische Entscheidung abspricht – Klimaschutz sei „eine Sache für Profis“ – macht der versierte Rhetoriker nach einer Kritikwelle gleich wieder den Rückzug. Ja, das Wording war schlecht. Es gehe gar nicht um Schüler. Die gesamte Politik mache eben beim Klima zu viel Klein-Klein. Es gebe moralisierende Verbotsdebatten statt echter Lösungen. Sorry, noch mal.

Wer herumeiert, den bestraft der Wähler

Eine deftige Klatsche gab es deswegen für Lindners Freidemokraten bereits zur Europawahl im Mai. Mit historisch eher schlechten 5,4 Prozent lockte die Europapartei FDP fast nur halb so viele Wähler wie bei der Bundestagswahl ins Wahllokal. Dabei lag Lindners Wahlziel bei 10,2 Prozent, der Verdreifachung des blamablen Ergebnisses von 2014.

Dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden fällt jetzt sein Selbstlob zu Jahresbeginn auf die Füße. Denn die FDP, so Lindner, stehe seit zwei Jahren so stabil wie nie zuvor in ihrer Geschichte da. Historisch hochtrabenden Vergleichen folgt die Ernüchterung mit schmerzhaften, realen Wahlergebnissen. Im Osten scheitert Lindners FDP durch den schwachen Bundestrend gleich zwei Mal an der Fünf-Prozent-Hürde – so in Brandenburg, und Sachsen. Selbst die Wahl der smarten FDP-Frau Linda Teuteberg aus Brandenburg zur Generalsekretärin konnte diese Niederlagen nicht verhindern. Doch ohne einen guten Bundestrend gehen Wahlen im Osten meist verloren. Trotz Groko-Streit und SPD-Krise, Lindners FDP zieht nicht. Sie lockte zuletzt nicht ausreichend Wähler hinter dem Ofen hervor. So liegt die FDP im Schnitt aller Umfrageinstitute jetzt lediglich um die sieben Prozent. Bei der Forschungsgruppe Wahlen sogar nur noch bei sechs Prozent. Soviel zur stabilsten FDP aller Zeiten.

Bei der Bundestagswahl erzielte eine damals streitbare Partei noch 10,7 Prozent. Dieser Absturz bedeutet, dass derzeit fast ein Drittel aller 80 Bundestagsabgeordneten bei Neuwahlen ihren Job verlieren würden. Das träfe rund 25 Abgeordnete und fast 75 Fraktionsmitarbeiter. 100 Freidemokraten würden also freigesetzt.

So sah sich der unter innerparteilichen Erfolgsdruck stehende Vorsitzende gezwungen, bei der jüngsten Landtagswahl etwas stärker einzusteigen. In Thüringen absolvierte er 17 Auftritte und gleich mehrere an der Seite von Spitzenkandidat Kemmerich, der die FDP mit klarer Kante wieder ins Parlament brachte.

Heftige Denkzettel für Lindners Büchsenspanner

So mancher Freidemokrat ist dennoch über den bundesweiten Abwärtstrend beunruhigt und unzufrieden. Parteichef Christian Lindner will keiner angreifen. Doch seine Büchsenspanner haben bei der jüngsten Wahl des Fraktionsvorstands mit miesen Ergebnissen jede Menge-Denkzettel für den Vorsitzenden abbekommen. Den weichgespülten Außenpolitiker mit fehlendem Mut zur Europakritik, Alexander Graf Lambsdorff, straften die FDP-Abgeordneten mit dem schlechtesten Ergebnis ab. Er bekam lediglich 60,56 Prozent als Lindners Fraktionsvize. Vielen Abgeordneten erscheint Alexander nur noch als linker Schatten seines Onkels Otto. Auch Lindners Mann für die ideologische Ausrichtung der Partei, Marco Buschmann (immer schön positiv nach vorn blicken und bloß nicht über gesellschaftliche Zustände meckern), erntete von der Fraktionsbasis dürftige 76,81 Prozent als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer.

Selbst kleine Kampagnen der FDP reißen keine Wähler vom Hocker. Nur ein Beispiel: Mit verkopften Sprüchen wie „Klimaschutz ist das Ziel, Innovation ist der Weg“, versucht die FDP sich vergeblich zu profilieren. „Klimaschutz mit Vernunft statt Ideologie“, wäre für Greta-genervte FDP-Anhänger eine kantige und klare Botschaft gewesen. Doch anecken und auffallen als Opposition soll ja nicht sein. So ist auch der teuerste Strom der Welt in Deutschland für die FDP kein Anlass, eine Bürger-Kampagne „bezahlbare und sichere Energie“ zu starten.

Wo bleibt die FDP-Steuerwehr? Im Depot!

Auch bei einem bürokratischen Abzocker-Projekt, wie die Grundsteuerreform von SPD-Bundeskassenwart Olaf Scholz, kämpft die FDP nicht wie eine Opposition. Dabei drohen fast allen Häuslebesitzern wie Mietern in größeren Städten und deren Umgebung sowie Industrie, Land- und Forstwirtschaft drastische Erhöhungen der Grundsteuern. Was macht die FDP? Sie stimmt mit den Grünen dem Wahnsinnsprojekt (Grundsteuer = Bodenrichtwert + Grundstücksgröße + Kaltmiete + Wohnfläche) wohlwollend zu. Begründung: Man habe ja eine Wahlfreiheit für die Länder bei der Auslegung der Grundsteuer erreicht. Erstens, werden die meisten von Grünen, SPD und CDU regierten Länder, das Scholz-Modell ohnehin anwenden, weil sie noch mehr Geld von den Bürgern für die Umverteilung brauchen. Zweitens, wird der Staat 35 Millionen Immobilien sowieso neu bewerten. Drittens, ist die Wahlfreiheit eine Luftbuchung, da kein Bürger weiß, was er auf welcher Grundlage dann zahlen muss. Und viertens, die FDP hat Forderungen von Spitzenliberalen aus den Ländern aufgegeben, die Grundsteuer grundsätzlich zu streichen – Otto-Graf-Lambsdorff-FDP ade!

Obendrein engagiert sich die FDP im Bundestag mit Grünen und SED-Erben für einen Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut, um CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer ins Visier zu nehmen. Das mag fachlich legitim sein, doch Fernsehbilder Seit an Seit mit linksgrünen Verbündeten wünschen sich die von Kubicki beschriebenen und verprellten FDP-Stammwähler bestimmt nicht.

Immerhin stellten sich die FDP-Agrarpolitiker dieser Tage an die Seite protestierender Bauern gegen verhängnisvolle Groko-Beschlüsse für die deutsche Landwirtschaft. Doch auch an der Seite von Energiekumpeln und Autowerkern müssten sich die Freidemokraten zu Rettung von Arbeitsplätzen jetzt verstärkt postieren.

Kleine Lichtblicke kommen meist zu spät. Wie in der vergangenen Woche, die von der FDP beantragte aktuelle Stunde im Bundestag zur Meinungsfreiheit in Deutschland. Obwohl schon seit Jahren Publizisten, Professoren, Sportler, einfache Bürger und auch Arbeitnehmer Denunziation, Stigmatisierung und Angriffen für liberal-konservative Meinungen ausgesetzt sind. Dazu stellte sich Lindner in einem DLF-Interview mit einer offensichtlich linksgrünen Redakteurin Sandra Schulz. Er vermied dabei jedoch jegliche Schärfe, spitzte nicht zu und sprach immer vorsichtig von Diskursen, bei denen „die Bandbreite der Meinungen“ größer sein müsse. Von einem Wortduell konnte also nicht die Rede sein, eher nur von sanftem Widerspruch. Dabei hatte sich DLF-Aktivistin Schulz für ihre Parteilichkeit zugunsten linker Universitätsgruppen heftige Konter durch den Interviewgast regelrecht verdient.

Wer nicht zuspitzt, wird nicht gehört

So verkriechen sich Lindner und seine Truppen bei vielen heißen Bürger-Themen wie preiswerte Energie und Autos, Grundsteuerreform oder überhaupt Steuer- und Abgabenerhöhungen – angeblich für den Klimaschutz – in der Furche, statt mit klarer Kante gegen die Groko und ihre grüne Kampfreserve vorzugehen. Denn sie haben Angst vor der Mainstream-Presse, falls die FDP deren grüne Medienlieblinge zu scharf angreift.

Wie es anders geht, beweist die baden-württembergische FDP von Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. In Stuttgart forderte er mutig das Ende des “unsinnigen Batteriefetischismus“ in Deutschland wie Europa. „Die Batteriemobilität ist ein Irrweg!“, warnt Rülkes FDP.

Gleichzeitig greift der Liberale die Grünen an. Denn die Lithiumgewinnung sei ein ökologisches Desaster für Südamerika. Bei der Kobaltgewinnung in Afrika gebe es Kinderarbeit. Im Übrigen seien diese Rohstoffe endlich und würden zu rund 70 Prozent am Weltmarkt von China kontrolliert. Jetzt wollten also ausgerechnet die Grünen eine derart umweltfeindliche Technologie mit fast religiösem Eifer vorantreiben, kritisierte Rülke scharf. Das sitzt.

Bundesgeschäftsführer und Pressesprecher geben auf

Deshalb verwundert es nicht, dass der weichgespülte Kurs der Bundes-FDP in mageren Wahlergebnissen endet. Mehr noch: Auch die Personalwahl entwickelt sich zum Flop. Glaubten Lindner, Buschmann und Co. mit der Wahl eines FDP-Kritikers und Journalisten aus dem linken Spektrum wie Thomas Maron zum Parteisprecher sich an die Mainstreampresse heran wanzen zu können, scheitern sie mit ihrer Personalpolitik jetzt kläglich. Nach gerade mal zehn Monaten gab der frühere Redakteur der Frankfurter Rundschau als FDP-Pressechef auf – wie üblich aus persönlichen Gründen. Egal wie: Maron war ein politischer Fehlgriff. Seine Besetzung hatte bei vielen Abgeordneten der Bundestagsfraktion nur heftiges Kopfschütteln und Sarkasmus ausgelöst. Vielleicht komme ja nach Marons Ausflug zum Klassenfeind noch ein Buchprojekt heraus mit dem Titel „Meine schrecklichen Monate bei der Partei der sozialen Kälte“, feixen Liberale auf Berliner Abendterminen.

Obendrein fordert die FDP-Krise jetzt auch noch Bauernopfer. Lindner feuerte kurz vor der Wahl in Thüringen seinen Bundesgeschäftsführer Marco Mendorf. Auch hier erfolgte der Abgang wie üblich „auf eigenen Wunsch“. Dabei zog der 44-Jährige Parteimanager nach der Bundestagswahl 2017 extra mit seiner Frau und den drei Kindern von Düsseldorf nach Petershagen bei Berlin. Zuvor war Mendorf fünf Jahre lang Politischer Geschäftsführer von Lindners FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Mendorfs Nachfolger, Michael Zimmermann, kommt erneut aus Lindners NRW-Sprengel. Er wirkte im Düsseldorfer Landtag als Fraktionsgeschäftsführer.
Tja, wird nun nach Kemmerichs kleinen Wahlerfolg alles besser?

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