Sachsens CDU will mit SPD in einer Minderheitsregierung weiter wursteln

Die Wähler des Freistaats votieren zu 70 Prozent liberal-konservativ, doch sollen eine linksorientierte Regierung bekommen, weil Partei- und Regierungschef Michael Kretschmer eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt. Dabei ist höchst fraglich, ob er selbst noch zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

picture alliance/dpa | Robert Michael

Sachsens Wähler können mit ihren Stimmen ihren Willen nach einer konservativen Regierung bei der Landtagswahl mit übergroßer Mehrheit ausdrücken, wie sie wollen, Regierungschef Michael Kretschmer lässt das kalt. Der CDU-Chef hält brav die vom Bund gewünschte Brandmauer gegen die AfD weiter aufrecht. Daran ändert auch ein spontanes Gespräch am vergangenen Dienstag mit dem AfD-Spitzenkandidaten Jörg Urban von der 30-Prozent-Partei im Dresdner Landtag nichts, obwohl landespolitische Themen eine Rolle spielten. „Der Ministerpräsident spricht grundsätzlich mit allen Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden, die dies wünschen,“ entschuldigte Regierungssprecher Ralph Schreiber geradezu das Treffen.

Dabei war das Gespräch nur eine Beruhigungspille an die eigenen höchst frustrierten CDU-Reihen, wir haben ja mal mit der AfD gesprochen. Denn klar bleibt – mehr wagt Brandmauer-Kretschmer nicht.

Schließlich hatte sich Sachsens noch amtierender Regierungschef gehörig verzockt, der politische Klub vom Bündnis Sahra Wagenknecht mit wenigen handverlesenen Mitgliedern wollte bei der Weiter-so-Politik im Ukrainekrieg nicht mitmachen, lehnte Koalitionsgespräche vergangene Woche ab. Obwohl Kretschmer bereit war, die letzten konservativen Werte der Union zu verraten, in dem er zu einem Bündnis mit der früheren Sprecherin der Kommunistischen Plattform der SED-Nachfolger alias PDS alias Linke alias BSW bereit war.

Jetzt will der CDU-Chef sein Regierungsamt noch mit einer SPD-Minderheitsregierung samt ihrer umstrittenen Gesundheitsministerin Petra Köpping retten. Nur zur Erinnerung: Die SPD kam mit 7,3 Prozent gerade noch über die Fünf-Prozent-Hürde und fuhr ihr schlechtestes Ergebnis seit der deutschen Einheit in Sachsen ein. Statt den Mut zu einer alleinigen Minderheitsregierung nur mit CDU-Ministern zu zeigen, sucht Kretschmer feige Schutz hinter SPD-Verlierern.

Aber beide Parteien müssten in einer Minderheitsregierung weitere Unterstützer für ihre Vorhaben gewinnen. Denn sie kommen gemeinsam nur auf 51 Sitze im Landtag, für eine Mehrheit sind aber 61 Sitze notwendig. CDU-Fraktionschef Christian Hartmann formulierte, diese Stimmen müssten erarbeitet werden. Es gehe nicht ohne Kompromisse. Ausgeschlossen hat er wie sein Chef, dass die CDU mit der AfD Absprachen trifft.

Achtung CDU-Wähler, das bedeutet, euer Michael Kretschmer sammelt jetzt mit linksgrünen Versprechen die Stimmen von Linken, Grünen und sicher auch BSW ein, um sein Amt als Ministerpräsident zu behalten. Kretschmer könnte so zwar Regierungschef bleiben, aber mit einem noch linkeren Bündnis als zuvor. Denn dann bestimmen statt zwei, gleich vier linke Parteien die CDU-Regierungspolitik mit, weil Kretschmer auf sichere 30,6 Prozent, der rechts-konservativen AfD im Parlament wegen der unsinnigen Brandmauer verzichtet.

Kurz, wer CDU in Sachsen gewählt hat, wird jetzt direkt und indirekt von SPD, Grünen, Linke und BSW mitregiert. Haben Sie das gewollt, werte CDU-Wähler vor allem aus der Generation 70+?

Die Chancen stehen für Kretschmers schwarz-rote Neuauflage in Minderheitsform gar nicht mal so schlecht, glauben seine Getreuen. Schließlich hätten fast alle Parlamentarier in Sachsens Landtag, außer die der AfD, Angst vor Neuwahlen im kommenden Jahr, sollte bis Februar kein neuer Ministerpräsident gewählt werden. Drohender Arbeitsplatz- und Einkommensverlust macht dann halt gefügig.

Kretschmer hatte ja schon vor den Sondierungsgesprächen mit SPD und BSW in der Bild-Zeitung gedroht: „Stabile Koalition oder Neuwahl!“ Gleichzeitig lehnte er vor zwei Monaten noch eine Minderheitsregierung explizit ab. Für ihn gilt nun Adenauers Politikerspruch: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“

Denn mit der geforderten stabilen Koalition wird’s nichts. Vor Neuwahlen zittern sie vor allem bei Grünen und Linken, die sich knapp über die Fünf-Prozent-Hürde oder mit einem Direktmandat in den Landtag gerettet haben. Aber auch SPD und BSW wissen nicht, ob sie ihre Ergebnisse nach dem Gesprächstheater noch halten können. All dies sind mögliche linke Stimmen für einen CDU-Minderheitsministerpräsidenten – immerhin ein Potential von 38 Stimmen (siehe Grafik). Kretschmer gibt dann eben den Bodo Ramelow (Linke) in Sachsen.

Wie soll das gehen? In Sachsen wollen CDU und SPD in dieser Woche über die Bildung einer Minderheitsregierung sprechen. Priorität habe die Stabilität, erklärte Generalsekretär Tom Unger nach der Sitzung. Die CDU sei gewählt worden, um Sachsen zu dienen.

Solch lachhafte Aussagen liefert Kretschmers Generalsekretär dem Dresdner Kabarettist Uwe Steimle quasi frei Haus.

Aber es kommt noch besser. Auch Wahlverlierer SPD sieht sich in der Pflicht. Man habe das Gesprächsangebot angenommen, so die Parteivorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel. „Das gebietet die Verantwortung für unser Land und seine Menschen.“ Was für ein Brüller.

Ob Sachsens MP Michael Kretschmer heißt, ist nicht gesichert

Doch Kretschmer stehe wegen seiner Politik der Beliebigkeit, die nur seinem Machterhalt diene, in den eigenen Reihen extrem unter Druck, berichten CDU-Kreise.

Der direkt in den Landtag gewählte Spitzenkandidat der Freien Wähler Matthias Berger kommentiert im Gespräch mit Tichys Einblick die Lage so: „Um Wahlen zu vermeiden, wird es wohl einen neuen Ministerpräsidenten geben. Aber, ob der dann Michael Kretschmer heißt, ist nach allem, was man aus dem Landtag hört, höchst ungewiss.“

Eine alleinige CDU-Minderheitsregierung wäre für Berger jedoch „eine echte Chance“, weil dann endlich wieder Mehrheiten im Parlament durch überzeugende Ideen gesucht werden müssten. Der Politik könne das nur guttun, denn die politische Überheblichkeit müsse angesichts der Krise unseres Landes endlich aufhören.

61 Stimmen reichen im ersten Wahlgang für die Wahl des sächsischen Ministerpräsidenten, im zweiten nur eine relative Mehrheit und im dritten Wahlgang voraussichtlich schon mehr Ja- als Nein-Stimmen. Doch, ob den dritten Urnengang ein Kandidat Kretschmer noch schafft, bleibt höchst ungewiss.

Ob es tatsächlich ein CDU-SPD-Bündnis geben wird, ist zwar derzeit offen. Innerhalb der CDU laufe noch die Diskussion, ob man eine Minderheitsregierung mit den Sozialdemokraten eingeht oder ob man es allein versucht, erklärt Fraktionschef Hartmann derweil. Aber den Weg einer Minderheitsregierung wolle die CDU jedenfalls gehen. Offene Fragen mit der SPD gebe es insbesondere bei den Themen Asyl/Migration und Finanzpolitik. Wen wunderts, wenn man mit Sozis regieren will?

Am Donnerstag kommen CDU-Landesvorstand und Fraktion wieder zusammen, um über die Ergebnisse zu beraten.

Das „Weiter so“ mit der Sieben-Prozent-SPD fest im Blick.

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Kommentare ( 67 )

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Combray
23 Tage her

Es muss etwas geschehen.

P. Pauquet
23 Tage her

Da haben beide Parteien beste Erfahrungen!

Man erinnere sich an 16 Jahre Merkel und Folgen. … Hat „hervorragend“ funktioniert.

Ein Mensch
23 Tage her

Wie kann man eigentlich darauf kommen dass man konservative Politik wählt wenn man bei der cdu sein Kreuz macht. So dumm kann ein Wähler ja nicht sein, dass er denkt die cdu wäre konservativ. Ich unterstelle jedem cdu Wähler das er genau weiß was er wählt und konservative Politik gehört nicht dazu. Oder sind die wirklich so dumm?

Mike76
23 Tage her
Antworten an  Ein Mensch

Wer CDU wählt bekommt überwiegend Grün mit einem kräftigen Klecks Rot.

Kaktus 61
24 Tage her

Der Sachse ist zwar nicht nachtragend, aber auch nicht vergesslich, Herr Kretschmer und Frau Köpping, sondern helle, heflich und hemtücksch. Bereits dieser Versuch des Weiterwursteln läuft gegen den sächsischen Wählerwillen und wurde unwillig registriert. Da wäre doch ein wackliger, aber warmer Platz hinterm Baum in Berlin allemal besser als ein sächsischer Schleudersitz. Zwar wird dadurch aus einem Pumuckl kein Riesenhuber, erhöht jedoch die Pension. Neuwahl jetzt, dann ist Schluss mit wursteln!

Sani58
24 Tage her

Und wenn nun die AfD-Fraktion diese Minderheitsregierung nicht toleriert? und das hoffentlich auch ankündigt? Ohne die Blauen bringt die CDU in Sachsen so gut wie kein Gesetz durch, es sei denn es wäre ein grünes oder rotes.

Rainer Schweitzer
24 Tage her

„Kurz, wer CDU in Sachsen gewählt hat, wird jetzt direkt und indirekt von SPD, Grünen, Linke und BSW mitregiert.“

Kann man den Bürgern noch deutlicher sagen, daß einem ihre Meinung sch…egal ist, daß es einem nur um die Macht und die damit verbundenen Posten geht? Dieses ganze taktische herumlavieren auf Seiten der Wähler ist völliger Quatsch. Wer ernsthaft eine andere Politik möchte, dem läßt die CDU/CSU wirklich keine andere Wahl als die AfD zu wählen. Solange die „Brandmauer“ besteht, ist die CDU/CSU ein Teil der links-grünen „Volksfront“.

Okko tom Brok
24 Tage her

Cetero censeo, die Wähler misse sisch ändern, wie der Lateiner sagt! Tagesschau aus und selber Denken, um jetzt auch noch Gevatter Kant zu paraphrasieren.

Lore
24 Tage her

Einfach mal bei TE den Artikel “ Friedrich Merz: die menschgewordene Staatskrise“ lesen, besser kann man nicht ausdrücken, wo die Reise hingeht und da will der Michi schon auch mitreisen…

Asurdistan
24 Tage her

Hätte Kretschmer Charakter wäre es ihm ziemlich egal was ihm aus Berlin vorgegeben wird. Insbesondere das unterirdische Verhalten von Olaf wäre spätestens jetzt ein Grund gewesen die Brandmauer zu ignorieren. Dann muss man halt auch mal einen Shitstorm aushalten.

schmittgen
24 Tage her

Das Verhalten der CDU kann ich nur mit dem Spruch kommentieren, den seinerzeit Wolfram Wuttke (1. FC Kaiserslautern) dem Schiedsrichtergespann ins Gesicht schrie:
„Ihr scheißt Euch vor selbst in die Hose!“
Sorry, für sie drastische Wortwahl, aber diplomatischer kann man diese Niedertracht nicht mehr kommentieren. Guten Tag.