Der delegitimierte Staat und Haldenwangs Verfassung

Der Staat frisst die Freiheit auf, zu deren Schutz er existiert. Wer das nicht akzeptieren mag, sich gar dagegen auflehnt, lehnt nicht die Verfassung ab, er verteidigt sie vielmehr. Es sind nicht empörte Bürger, die (mit friedlichen Mitteln) den Staat delegitimieren. Der Staat delegitimiert sich derzeit selbst.

Man ist gut beraten in diesen Tagen, einen Text wie diesen mit einer salvatorischen Klausel zu beginnen. Nein, ich trage nicht Alu sondern Borsalino, im Sommer auch mal Panama statt Schorfheide. Ich rufe ausdrücklich nicht zum Umsturz auf, versuche nur, mich etwa in Fragen der Covid-Maßnahmen, der Energie- und sonstiger Wenden ins Irrationale, der Empfehlung des alten Aufklärers Immanuel Kant entsprechend meines eigenen Verstandes zu bedienen. Damit kommt man heute schnell in den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit.

I.

Aufklärung? War da mal was? Klärt wenigstens die Lektüre des neuesten Verfassungsschutzberichtes auf? In ihm kommen nicht nur linke und reichlich rechte Extremisten vor. Es gibt auch „den neuen Phänomenbereich ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘“. Die Akteure dieses Phänomenbereichs zielen auf eine „Delegitimierung des Staates“. Da haben wir es! Ich fühle mich sofort ertappt. Denn zweifellos kann meine zunehmend ungehaltene, mit Vorliebe polemische Herabsetzung staatlichen Handelns als Delegitimierung verunglimpft werden.

II.

Der Tonfall der Verfassungsschützer klingt wie von einem gewissen Georg Wilhelm Friedrich Hegel inspiriert. Hegel vertrat zum Beispiel die Auffassung, dass nicht das Volk den Staat bildet, sondern die dem Volk gegenüber stehende Regierung. Der Staat lenkt und denkt. Das Volk folgt. Es geht noch weiter. Nach Hegel ist der Staat die höchste sittliche Instanz. Sie hat immer recht und handelt stets moralisch, weil sie ja selbst die höchste moralische Instanz darstellt. Daran glaubt man in der preußisch-protestantisch-kommunistisch sozialisierten Hauptstadt noch immer. Der Staat als Selbstzweck. Ihm hat der Bürger und Steuerzahler zu dienen. Der Staat sagt ihm, was er zu tun und zu lassen hat. Im Gleichschritt marsch und Schnauze halten.

III.

Nun ist Deutschland keine absolutistische Monarchie mehr wie zu Hegels Zeiten, sondern eine real existierende Demokratie. Dennoch ist Hegels Staatsverständnis in der grünen Lehre topaktuell. Kaum noch jemand sieht heute in Hegels Ideologie einen Erzfeind der offenen Gesellschaft. Freiheit ist demnach nur im und durch den Staat möglich und zulässig. Neu ist, dass sich der Staat nicht nur als oberster Erzieher des Bürgers, sondern als Weltenretter schlechthin versteht. Ein neuer Absolutismus breitet sich aus, der, und das macht ihn so gefährlich, beliebig illuminiert werden kann: meist grün, aber auch schwarz, rot und notfalls sogar gelb.

IV.

Verfassungsschutzpräsident Haldenwang gibt den Westentaschenhegel. Hegel, der als Lakai des preußischen Königs den Staat zur unantastbaren Autorität hinaufschwäbelte. Haldenwang, die Karikatur eines als Dienstrechtsexperte aufgestiegenen Beamten und Gesinnungsbüttels seiner Linksaußenchefin Nancy Faeser, die es mit Recht und Freiheit nicht immer genau nimmt, und der ich, wäre ich die Freiheitlichdemokratischegrundordnung, nachts nicht unbewaffnet begegnen wollte.

V.

Aber geschützt wird ja weniger die Verfassung als das Juste Milieu. Mir scheint, da ist etwas durcheinander geraten. Soll der Staat geschützt werden oder die Freiheit? Die Frage stellt sich, seit dieser Staat sich erneut vom Garanten der Freiheit zum Gegner der Freiheit wandelt. Es sind die Institutionen des Staates und der Politik, die Wohlstand in bisher ungeahntem Tempo und Ausmaß vernichten, die Bürger enteignen, ihnen die Zukunft versauern und auch aus eigener Verblendung haltlos von einer Krise in die nächste stolpern. Der Staat frisst die Freiheit auf, zu deren Schutz er existiert. Wer das nicht akzeptieren mag, sich gar dagegen auflehnt, lehnt nicht die Verfassung ab, er verteidigt sie vielmehr. Es sind nicht empörte Bürger, die (mit friedlichen Mitteln) den Staat delegitimieren. Der Staat delegitimiert sich derzeit selbst.

VI.

So bleibt nichts anderes übrig, als die vermutlich bereits verfassungsfeindliche Frage zu stellen: Wie verfassungsfeindlich ist der Verfassungsschutz? Und in welcher Verfassung befindet sich Herr Haldenzwang? Man wird ja noch fragen dürfen.

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Kommentare ( 93 )

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Mausi
1 Jahr her

Die grössten Deligitimierer sind diejenigen, die über Änderungen unserer Verfassung den Zweck der Verfassung, den Bürger vor dem Staat denzu schützen, aushöhlen.

Z. B. über den Klima-Artikel, demnächst über den Kinder-Artikel.

Wer beobachtet diese Leute? Tja, die wurden dummerweise demokratisch gewählt. Also niemand. Unser Verfassungszweck kann sich nicht schützen. Denn wenn die Politik, also der Wähler es so will, unterwerfen sich die Gerichte, weil sie keine Politik machen (dürfen). Obwohl sie es schlussendlich mit jeder Entscheidung tun.

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Fieselsteinchen
1 Jahr her

Ich frage nicht für einen Freund, sondern für mich. Wo kann man sich (als treuer Staatsbürger) als Inoffzieller Mitarbeiter des Verfassungsschutzes anmelden.
Ich biete zwar keine direkten Erfahrungen, stelle aber gerne meine Fähigkeiten als ehemaliger Ossi zur Verfügung.
Ansonsten: mir kann dieser Staat samt Regierung den Buckel runterrutschen, dort wohin die Sonne nicht mehr scheint. Für mich ist das Grundgesetz in seiner aktuellen Form bindend, denn dafür stand ich mit Freunden vor langer Zeit auf der Straße. Wir wollten Freiheit, die Freiheit des Einzelnen und ein freies Leben, aber keinen Sozialismus und keine Stasi.

Schwabenwilli
1 Jahr her
Antworten an  Fieselsteinchen

Daran hat die ehemalige Bundeskanzlerin, welche in der DDR offenbar gut und gerne gelebt hat, bis Leute wie sie gekommen sind und ihr schönes Arbeiter und Bauern Paradies demontiert haben, nicht unerheblichen Anteil. Das es jetzt bei uns halt so ist wie es ist.

Helfen.heilen.80
1 Jahr her

Ich hoffe inständig, dass TE durch den Sommer der Wellenbrecher bleibt, der dieser Gesellschaft hinter die Ohren schreibt, dass wir nicht zurückfallen dürfen in die kollektivistische Psychose, die sich in Teilen der Bevölkerung in den letzten zwei Jahren ausgebreitet hat. Ich begegne immer noch Mitmenschen, die „die Ungeimpften“ in toto für „die Pandemie, die Lockdowns“ zum Sündenbock stempeln. Wenn dieses wissenschaftlich obsolete Narrativ fortlebt, werden wir im kommenden Sommer zu ähnlichen psychologischen Regressionsphänomenen zurückfinden. Die empathielose, oft hasserfüllte Sündenbock-Gruppendynamik hat diese Gesellschaft zurecht seit 1945 als intolerabel gebranntmarkt. Sind diese aufgeheizten Menschen erst zufrieden, wenn alle Ungeimpfen im Lager sind… Mehr

Talleyrand
1 Jahr her

Ist dieses Verfassungsorgan eigentlich verfassungsmäßig legitimiert, nachdem der aktuelle Bundestag und damit die gewählte Regierung das wohl nicht ist, wenn das Wahlergebnis im durchaus stimmenstarken Berlin bezweifelt werden darf, wenigstens solange nicht bewiesen ist, dass Wahlbetrug nicht vorliegt? Ich fühle mich jedenfalls durch dieses Parlament nicht vertreten.

Last edited 1 Jahr her by Talleyrand
Monostatos
1 Jahr her

Alles durch und durch richtig, und sehr gelungen der Hinweis auf Hegel, den Staatsphilosophen aller Totalitaristen. Das große Problem ist nur, dass die allermeisten Deutschen damit überhaupt kein Problem haben, wenn ihnen der ach so fürsorgliche Staat Freiheit und Rechte entzieht.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Monostatos

„…daß diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist“
Der Hegel-Satz steht über dem am Eingang Stuttgarter Bahnhofs, des Bonatzbaus, den sie mit S 21 für Milliarden bereits verschandelt haben.

Jens Frisch
1 Jahr her

„Nun ist Deutschland keine absolutistische Monarchie mehr wie zu Hegels Zeiten, sondern eine real existierende Demokratie.“

Eine „real existierende Demokratie“, die nicht in der Lage ist, eine ordnungsgemäße Wahl – siehe Berlin – abzuhalten: Genau mein Humor.
Wir sind seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, kein Rechtsstaat mehr und damit hat sich das mit der „Demokratie“ schon längst erledigt.

Fulbert
1 Jahr her

Als Teil einer gottgewollten Ordnung war auch der absolutistische Herrscher moralischen bzw. religiösen Prinzipien unterworfen, durfte also – zumindest dem Ideal nach – nicht willkürlich handeln. Das Grundgesetz übte in der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg eine ähnliche, auf elementaren Regeln beruhende Funktion aus. Mit der Außerkraftsetzung eines Teils der Grundrechte auf Basis eines auf wackeligen Beinen stehenden Infektionsschutzgesetzes ist dieser Regierung und Behörden Grenzen setzende Rahmen jedoch zunehmend verloren gegangen. Daraus resultiert eine keinen Regeln mehr unterworfene und damit zumindest potenziell willkürliche Gewalt der öffentlichen Institutionen, die sich nun offensichtlich auch der Kontrolle durch Kritik entledigen wollen.

Last edited 1 Jahr her by Fulbert
Werner Geiselhart
1 Jahr her

Ein Verfassungsschutz, der die Verfassung nach politischer Vorgabe manipuliert.
Kann man sich gar nicht ausdenken.
Inzwischen muss ich Frau Roth rechtgeben:
Deutschland, ein mieses Stück Sch…

H. Hoffmeister
1 Jahr her

Herr Herles,
Sie hängen sich ja sehr weit aus dem Fenster mit Ihrem den linksgrünen Obrigkeitsstaat betreffenden Delegitimierungswillen. Sie formulieren treffend, wenn Sie sagen:
„Haldenwang, die Karikatur eines als Dienstrechtsexperte aufgestiegenen Beamten und Gesinnungsbüttels seiner Linksaußenchefin Nancy Faeser, die es mit Recht und Freiheit nicht immer genau nimmt, und der ich, wäre ich die Freiheitlichdemokratischegrundordnung, nachts nicht unbewaffnet begegnen wollte.“
Vor derartigen Personen habe ich genau wie Sie Angst, weil sie zu allem fähig scheinen.

EinBuerger
1 Jahr her

Es gab Zeiten in Europa, da wäre niemand auf die Idee gekommen, die Monarchie in Frage zu stellen. Man fragte sich vielleicht, wer der legitime König sei oder ob der König die falschen Berater hätte, aber die Königsherrschaft als Ganzes hätten nur Verrückte in Frage gestellt. Welche andere Staatsform hätte denn an die Stelle des Königs treten können? Dann gab es andere Zeiten (am Ende des Absolutismus), in der die Monarchie noch existierte und stark war, aber schon von verschiedenen in Frage gestellt wurde. Noch vor einigen Jahren hätte niemand die BRD in Frage gestellt. Wie es heute aussieht, weiß… Mehr