Litauen rüstet sich – die hybride Gefahr ist nicht gebannt

EU-Hilfe soll's nur für's »Management« der illegalen Migration, nicht zur Abwehr geben. Nun soll ein neuer Zaun her, Asylregeln sollen verschärft werden. Flüge aus dem Irak sind beendet, doch Lukaschenka scheint bereits neue Partnerländer zu suchen. TE sprach mit AfD-Abgeordneten, die als erste aus dem Bundestag dort waren.

picture alliance / FotoMedienService | Ulrich Zillmann
Kürzlich haben etliche Hundert Migranten illegal die Grenze aus Belarus überquert, um ins Nachbarland Litauen zu kommen

Wie es aussieht, wird Litauen seine Grenzen am Ende alleine schützen müssen. Von der EU-Kommission gab es zwar warme Worte und einige Frontex-Beamte als Aufpasser, teils auch in Hubschraubern, aber keinen Beitrag zur Finanzierung eines Grenzzauns an der EU-Außengrenze. Die litauische Enttäuschung darüber bezeugt auch eine Meldung des nationalen Rundfunks LRT. Der Kommissionssprecher für Innere Angelegenheiten, Adalbert Jahnz, betont, dass die EU keine Grenzzäune finanziert.

Stattdessen werde die Kommission angeblich in Aufnahmezentren für neu ankommende Migranten investieren. »Integrierte Grenzmanagement-Lösungen« heißen solche Einrichtungen im EU-Jargon. Vorerst war es aber wiederum der litauische Staat, der provisorische Zeltdörfer zum Beispiel auf dem Gelände einer Polizeistation errichtet hat, wie Paul Podolay, Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Außenausschuss für die AfD, berichtet. Die Migranten dort stammen nach litauischen Angaben überwiegend aus dem Irak, ein kleiner Teil aus Syrien und dem Libanon. Zu 80 Prozent sind es Männer.

Die litauische Regierung will nun tatsächlich einen neuen Grenzzaun anstelle des relativ einfach gebauten älteren Modells errichten – und zwar möglichst schnell. Letzte Woche verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Beschleunigung des Baus für insgesamt 152 Millionen Euro. Die Bauzeit soll sich so halbieren. Der Zaun wird aber nur einen kleinen Teil der Grenze sichern, denn zum Teil erschweren Sümpfe und andere topographische Eigenheiten die Errichtung. Dort wird man dann mit Patrouillen und auch Drohnen für Ersatz sorgen.

Lukaschenka nun im Gespräch mit Pakistan, Nord- und Westafrika?

Die Flüge aus dem Irak nach Minsk sind inzwischen ausgesetzt. Bei dieser Frage konnten die Litauer anscheinend auf diplomatische Schützenhilfe von einigen EU-Partnern zählen, darunter Deutschland, die Tschechische Republik und Österreich, wie Politico berichtet. Die illegalen Ankünfte an der litauischen Grenze sind damit praktisch auf Null zurückgegangen. Die Flüge aus dem Irak hatten zwei Drittel (2.800 von 4.100) jener Migranten nach Weißrussland gebracht, die kurz darauf als irreguläre Einwanderer an der litauischen Grenze auftauchten.

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Aber zugleich geht man davon aus, dass eine unbekannte Zahl an Migranten in der weißrussischen Grenzregion ausharrt. Politico erkennt eine Schwäche der EU-Diplomatie. Tatsächlich hat es die EU bis heute nicht vermocht, ein umfassendes Rücknahmeabkommen mit dem von inneren Konflikten und einer mauen Wirtschaftslage geplagten Irak abzuschließen. Der Irak akzeptiert nur unter bestimmten Bedingungen freiwillige Rückkehrer. Das gilt aber für so gut wie alle Krisenländer, die hier in Frage kämen.

Unterdessen sollen die Flüge aus der Türkei nach Minsk bereits zugenommen haben. Angeblich führt der weißrussische Präsident daneben Gespräche mit Pakistan und mehreren nord- und westafrikanischen Ländern, um den Nachschub für sein erpresserisches Spiel zu gewährleisten. Das sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis laut Spiegel.

Die zweite Frage des Litauers: Wie halten Sie’s mit Russland?

Als erste Bundestagsdelegation überhaupt waren nun zwei AfD-Politiker in Vilnius und in der Grenzregion. Ihr Besuch traf insofern durchaus auf offene Ohren. Paul Viktor Podolay war einst Mitglied der CSU und trat auch in seinem Geburtsland Slowakei als Kandidat der Partei »Sloboda a Solidarita« von Richard Sulik zur Europawahl 2014 an. Heute ist er Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Der Leipziger Frank Siegbert Droese gilt als Politiker des rechten Parteiflügels, unterzeichnete die Erfurter Resolution und sitzt heute im Ausschuss für EU-Angelegenheiten. Beide waren für drei Tage in Litauen zu Gast, konnten mit Beamten des Innenministeriums, mit Grenzpolizisten und Politikern sprechen.

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Das Gespräch mit einem Abgeordneten der litauischen Christdemokraten (Vaterlandsbund – Christdemokraten Litauens, TS-LKD) scheint recht bündig verlaufen zu sein. Zwei Fragen hatte der Litauer an die deutschen Gäste: »Was führt Sie her?« und »Wie ist Ihre Haltung zu Russland?« Wenn die erste Frage zu einer gewissen Nähe geführt haben könnte (Grenzschutz als gemeinsame Überzeugung), so war die zweite wohl eher vorsichtig-abtastend gemeint. Die Russland-Nähe eines Teils der AfD sorgt in vielen Hauptstädten Ost- und Ostmitteleuropas für Stirnrunzeln. Podolay, der den Prager Frühling selbst miterlebt hat, sieht diese Frage dennoch relativ nüchtern: Zumindest regiere ein rationaler Mann, kein Alkoholiker in Moskau.

Genauso nüchtern sieht Podolay die Lage Litauens angesichts der sprunghaften Zunahme der illegalen Migration an seinen Grenzen. Die meisten der Migranten seien illegal angekommen und vermutlich nicht politisch verfolgt. Nach Weißrussland könne man sie aber nicht »zurückschieben«: »Deshalb führt der weitere Weg in Richtung EU.« Für Podolay liegt es auf der Hand, dass bald mehr Migranten an der Grenze ankommen werden, wenn nicht an der litauischen, dann an der lettischen oder polnischen. Und wenn nicht aus dem Irak, dann sicher bald aus Afghanistan. Lukaschenka wolle sich rächen für die EU-Sanktionen.

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Die Litauer hegen eine instinktive Abwehr gegen übermächtige Nachbarn und fühlen sich wohl auch daher dem westlichen Bündnis so stark verbunden wie kaum ein anderes Land. Auch die Mitgliedschaft in der EU nehme man sehr ernst. Auf die sprunghafte Zunahme der irregulären Migration aus Weißrussland reagierte das Land deshalb schon einigermaßen erschrocken. Die Grenze zu Weißrussland war bis dahin nur sehr schwach gesichert, auch weil die Zusammenarbeit als unproblematisch galt. Der einfache Zaun ohne Nato-Draht, der vor 15 Jahren an diesem Grenzabschnitt von 40 Kilometern errichtet wurde, stellt nach Podolay kein großes Hindernis dar.

Doch wie sieht ein solch illegaler Grenzübertritt nun konkret aus? Wie die litauischen Grenzpolizisten berichten, stehen ihnen nicht allein die Migranten gegenüber, sondern zugleich die weißrussischen Grenzsoldaten. Droese erzählt eine lebhafte Szene nach: »Da stehen auf der einen Seite relativ schwer bewaffnete Grenzsoldaten. Die weisen den Weg: da geht’s lang! Und dann stehen auf der anderen Seite, also zehn Meter entfernt, litauische Grenzbeamte, die sagen: Ne, ne, wir können euch hier nicht durchlassen.« Wohin sich die Migranten wenden, entscheide sich durch Druck und Gegendruck. Die Weißrussen drängen die Migranten in Richtung EU, die litauischen Grenzer versuchen standzuhalten. Wer zuerst nachgibt, verliert. Auch deshalb könnte eine bessere Ausrüstung der Grenzpolizisten ratsam sein. Nur dem Spiegel-Narrativ vom »Niemandsland«, in dem Migranten angeblich festsitzen und ihre Kleider verbrennen, entspricht offenbar keine Realität.

»Es wird stärkere restriktive Maßnahmen geben müssen«

Dass das weißrussische Vorgehen nicht der internationalen Ordnung entspricht, unterliegt für die Litauer dabei keinem Zweifel. Die Regierung in Minsk hat Touristenvisa an die Migranten verteilt, aber damit sind sie natürlich nicht zur Weiterreise in die EU berechtigt. Wenn Lukaschenka seine ›Touristen‹ nun eigens zur Grenze bringen lässt und dann von seinen Soldaten über die selbige scheuchen lässt, bricht er also das internationale Staaten- oder Völkerrecht. Dennoch bleibt auch die Schutzlosigkeit der EU ein Problem, da es im internationalen Rechtsraum keine etablierten Sanktionen gibt. Lettland hat angesichts zunehmender Migrantenströme einen nationalen Notstand ausgerufen und nimmt damit vorerst keine Asylanträge mehr an.

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Die Litauer, auch das klang in den Gesprächen der beiden Abgeordneten an, wissen natürlich, dass die Migranten nicht vorhaben, in ihrem Land zu bleiben, und sie das Problem nur »temporär« zu »managen« haben. Hinter vorgehaltener Hand werde auch durchaus zugegeben, dass immer wieder Migranten aus den Unterkünften entfliehen. Und so löse sich »tröpfchenweise« das Problem der litauischen Behörden von selbst. Schon im Juli hatte man die Asylgesetzgebung verschärft, eine sechsmonatige Internierung ermöglicht und Einspruchsmöglichkeiten abgeschafft. Weitere Verschärfungen könnten folgen. Für Podolay ist klar: »Es ist ein kleines Land mit drei Millionen Einwohnern, für die ist das schon wichtig, dass da Ordnung an der Grenze ist.«

»Angesichts der puren Masse an Menschen in der Welt, wird es in Deutschland und der EU sicher viel stärkere restriktive Maßnahmen geben müssen«, glaubt Siegbert Droese. Auch Paul Podolay sieht weitere Migrationsströme kommen, derzeit vor allem aus Afghanistan: »Es ist eine Frage der Zeit, dass Erdogan Flüge von dort einrichtet. Entweder Kabul–Istanbul oder Kabul-Minsk. Und dann kommen wahrscheinlich sehr viele. Und das ist die Gefahr.«

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Kommentare ( 17 )

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Kassandra
2 Jahre her

Derweil treffen an der polnischen Grenze polnische Soldaten auf refugees und Soldaten aus Weißrussland: https://twitter.com/BasedPoland2/status/1429044215456149508

pcn
2 Jahre her

Der Zaun in Ceuta ist 6m hoch. Unten mehrere Reihen NATO Stacheldraht. Man darf sicher sein, der Zaun in Litauen, wie der in Ceuta, wird auf Dauer kaum Schutz vor Grenzdurchbrüche sein. In Ceuta sind die schon häufiger vorgekommen.

alter Preusse
2 Jahre her

Vorsicht mit solchen ironischen Vorschlägen, die etablierten Parteien könnten diese verwirklichen.

AHamburg
2 Jahre her

die muslimische Partei haben wie doch schon mit den Altparteien

Frank v Broeckel
2 Jahre her

Wer diese Migranten in Wahrheit überhaupt bestellt hat?

Polen!

Um die eigene Bilanz aufzuhübschen, da die polnische Regierung ansonsten unmittelbar vor einer konzertierten Aktion aller anderen europäischen Staaten zum Sturz der polnischen Regierung stehen würde!

Peter Zinga
2 Jahre her

„Wenn Lukaschenka seine ›Touristen‹ nun eigens zur Grenze bringen lässt und dann von seinen Soldaten über die selbige scheuchen lässt, bricht er also das internationale Staaten- oder Völkerrecht.“
Und für das gleiche bekommt eine Deutsche „standing Ovation“.
Was sagr Autor da zu?

Protestwaehler
2 Jahre her

Wieso noch der Umweg über Minsk, die Resettlement-Flüge von Kabul ins deutsche Sozialsystem laufen doch bereits auf Hochtouren, und nicht nur von dort.

Protestwaehler
2 Jahre her

Weißrussland ist doch nur einer weitere „Refugee-Welcome“ NGO von Merkel & Co. Das belegt doch schon das Verhalten der EU, lieber reinlassen als abweisen, the resettlement must go on.

Babylon
2 Jahre her

Die illegalen Grenzübertritte von Belaruss nach Litauen hätten ein Gesprächsthema Merkel /Putin sein können, damit Putin Einfluß nimmt auf Lukaschenko seine Schleusertätigkeit zu beenden. Auslöser waren Sanktionen der EU, die Lukaschenko bewogen haben, dieses Druckmittel anzuwenden. Die EU-Sanktionitis führt zu nichts, ist untauglich, vergiftet Beziehungen und schafft zusätzliche Komplikationen, sozusagen als Arbeitsbeschaffung für Politiker, die sich dann betätigen können, um Probleme zu bewältigen, die sie selber geschaffen haben. Es gibt ja sonst nichts zu tun.

Endlich Frei
2 Jahre her

Die Asylpolitik der Bundesrepublik ist in Relikt der 50er Jahre, die Mobilität, Kommunikation, Social Media etc… der 2000er Jahre nicht auf dem Schirm hatte. Folge ist ein Ausufern dr „Asyloptimeriung“ und Flucht in die günstigsten Sozialsysteme einiger williger Staaten statt Selbstverteidigung und Engagement in den Herkunftsländern. Die schiere Anzahl von „Fluchtbereiten“ und der krasse kulturelle Gegensatz ist weder mit Werten noch mit der Leistungsfähigkeit der aufnehmenden Staaten vereinbar. Soziale Barmherzigkeit um jeden Preis bedeutet über kurz oder lang die Abschaffung des Sozalstaates sowie Überforderung der eigenen Bevölkerung. Der Bevölkerungswandel führt zunehmend zu Paralellgesellschaften und absehbar zu politischen Unruhen.