Ein woker Elfenreigen

Kann man ein zauberhaftes Theaterstück in eine dröge woke Umerziehungsmaßnahme verwandeln? Das Globe Theatre in London gibt sich zumindest alle Mühe, um dies zu bewerkstelligen – mit Diversity-Reigen statt Elfentanz.

© Helen Murray/Globe Theatre

Selbstverständlich prangt das Logo des Globe Theatre London heuer in Regenbogenfarben. Dennoch lässt der Warnhinweis auf der Homepage ungetrübtes Theatervergnügen vermuten, perfekt für einen lauen Sommerabend: Shakespeares Midsummer Night’s Dream enthalte gewalttätige, ableistische, misogyne und rassistische Sprache und zudem Szenen sexueller Natur. Das klingt doch ganz gut. Ohne eine Warnung vor werkverzerrender Wokeness geht der Zuschauer also von einer ideologiefreien und unverbogenen Vorstellung aus – eine Hoffnung, die Elle Whiles Inszenierung durchkreuzt.

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 Dabei scheinen die Zeiten schriller Dekonstruktion vorbei zu sein: Es geht perfider zu, wenigstens an dieser Bühne, die als Nachbau der Wirkungsstätte des Barden höchstselbst ein besonderes Erbe verwaltet. Nicht zuletzt das der Volkstümlichkeit: Elisabethanisches Theater ist rau, derb, und unverblümt. Hier Safe Spaces zu konstruieren, käme einer Auslöschung dieser Form von Theater gleich. Nicht nur das Flair durch die Stehplätze im Innenhof und die offene Konstruktion ohne Dach, auch die reduzierte Bühnentechnik, der fehlende Vorhang schaffen ganz direktes Schauspiel, das von seinem Ursprung her nicht der Belehrung über aktuelle Ideologien dient, sondern der Unterhaltung. Die Schauspieler selbst erweisen sich diesem Erbe gegenüber als treu. Ihr authentisches, zum Teil grandioses Spiel lässt fast vergessen, dass man hier pausenloser Propaganda ausgesetzt ist – aber nur fast. Die woke Ideologie schreckt indes auch vor der Instrumentalisierung eben dieser Schauspieler nicht zurück:

Wenn das Motto Diversität ist, dann darf sich diese keinesfalls in Hautfarben und Geschlechtsidentitäten erschöpfen. Zum ethnisch moderat diversen Cast und einigen They-Pronomina in den Künstlerbiographien trat daher mit Francesca Mills eine kleinwüchsige Schauspielerin als Hermia auf. Wer mit der Handlung des Werkes vertraut ist, ahnt sogleich Übles – denn im Zuge des Zwists zwischen den beiden Hauptakteurinnen Hermia und Helena beschimpfen sich diese gegenseitig: Während Helena als die offenbar höhergewachsene als „Maypole“ – Maibaum – bezeichnet wird, piesackt diese Hermia mit dem Hinweis auf ihre geringe Körpergröße: „Though she be but little she is fierce“, lautet ein bekannter Vers des Werkes.

Der Sinn dieser Zänkerei ist, sich über den Kampf zwischen zwei Frauen zu amüsieren, nicht, kleinwüchsige Menschen zu verspotten. Die harmlose Beschimpfung so zu interpretieren, wirkt äußerst mühsam. In Michael Hoffmans Verfilmung von 1999 artet sie in eine Slapstick-artige Schlammschlacht aus. Hier dagegen wird Shakespeare die Diffamierung Kleinwüchsiger unterstellt, der er sich im Originalwerk gar nicht schuldig macht – dem Zuschauer wird der Lacher genommen: Wer würde es wagen, eine Kleinwüchsige lauthals auszulachen? Stattdessen beklommene, schuldbewusste Stille, als sich Hermia bei Helena über die Beleidigung beschwert. Ja, auch wir sind ableistisch, nostra maxima culpa, scheint es wortlos aus den Rängen zu schallen. Keine Unterhaltung, sondern Gottesdienst, der dem Gott der Wokeness gilt: Wir bekennen unsere Schuld.

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Aber auch ein Bärendienst an der Schauspielerin, die ihre Fähigkeiten als Portia, Ophelia, Miranda hätte unter Beweis stellen können, die hier aber schamlos instrumentalisiert wird. Der schändliche Eindruck, man habe sie hier als Kuriosität benutzt, kaum anders, als man es in früheren Jahrhunderten getan hätte, lässt sich nicht verdrängen und belastet fortan die Vorstellung. Das Anliegen, Menschen, die nicht der Norm entsprechen, nicht auszuschließen, bleibt auf der Strecke. Das Werk wird verfälscht. Umfänglicher können Intention und Wirkung kaum auseinanderfallen.

Dieses Auseinanderdriften von beabsichtigter und tatsächlicher Wirkung ist symptomatisch für die woke Agenda: Mit #Metoo will man Frauen eine Stimme geben – und setzt echte Opfer dem Misstrauen der Öffentlichkeit aus. Mit Critical Race Theory wird Rassismus „bekämpft“, indem man rassistische Motive bedient und untermauert. Mit der Regenbogenflagge will man zeigen, dass unterschiedliche Lebensmodelle und Identitäten in die Mitte der Gesellschaft gehören, und schreckt doch gerade jene Homosexuellen ab, die tatsächlich einfach nur normal leben wollen, abseits von grotesken Fetischen und ausufernder Vulgarität. Diese Liste ließe sich fortführen, und die aktuelle Inszenierung des Mittsommernachtstraums im Globe fügt sich hier nahtlos ein.

Noch folgenreicher ist die Entscheidung, nicht nur genderfluid zu besetzen, sondern Gender im Stück zu implementieren: Nick Bottom wird nicht nur durch die Schauspielerin Mariah Gale dargestellt – eine mit historischen Konventionen vereinbare Besetzung, da damals Usus war, sämtliche Rollen von Männern spielen zu lassen –, sondern als Frau, inklusive der Anpassung der Pronomen des Originaltextes an eine weibliche Figur.

Mit dieser Entscheidung stolpern die Dramaturgen ein weiteres Mal über das Bein, das sie sich selbst gestellt haben. Was bleibt übrig von der gefährlich-komisch-absurden erotischen Spannung zwischen einer Elfenkönigin und dem in einen Esel verwandelten Bottom, wenn dieser eine Eselin ist und hier einfach nur zwei Frauen übereinander rollen und einander kraulen (so viel zum eher enttäuschenden Level von „Szenen sexueller Natur“, für die es doch extra einen Disclaimer gegeben hatte)? Mehr noch: Die Übergriffigkeit Oberons, der diesen Zauber wirkt, um seine Frau zu strafen, wirkt völlig harmlos. Titania steht nun nicht mehr in der Zange zwischen einem gewissenlosen Elfenkönig und einem flegelhaften Gecken. Oberons Mitleid mit ihr wirkt nicht mehr glaubwürdig. Die Regieentscheidung eliminiert potenziell gegen männlichen Machtmissbrauch gerichtete Kritik.

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Und schlimmer: Sie zerstört die Sinnlichkeit, die zwischengeschlechtliche Spannung. Damit erweist sie sich als gehorsames Kind der Transideologie. Denn es ist gerade die sinnliche Spannung, die durch Gender und Trans getilgt wird. Am Ende bleibt nicht einmal bloßer Sex übrig: Aus der leiblichen Beliebigkeit wird Leiblosigkeit. Das Gegenüber verliert an Bedeutung. Mann, Frau, they, sind sich in ihrer eigenen Transgeschlechtlichkeit genug. Ihre sexuelle Identität bestimmt sich nicht über ein komplementäres Verhältnis, dann gar nicht mehr über Beziehung, sondern nur noch über das, was man narzisstisch in sich selbst verkrümmt betrachtet. Beziehung ist aber nicht nur die Voraussetzung für Geschlechtlichkeit, sondern auch für Theater. Leugnet man ihre Grundlagen, verblassen der Zauber, der Feinsinn, aber auch der grobe Witz, der gerade Shakespeare auszeichnet.

Sicher: Shakespeares Genius, sein zeitloser Witz, seine Frische, scheinen auch durch eine ideologisierte Inszenierung hindurch. Umso bitterer, hat man doch beständig vor Augen, was hier verschenkt wird: niedrigschwelliges, relevantes, existenzielles Theater.

Diese Inszenierung steht symptomatisch für den Versuch, unser eigenes Kulturgut zu entwurzeln, aus jedem Kontext zu reißen. Der Zuschauer wird seinem kulturellen Erbe entfremdet. Er bleibt mit dem Eindruck zurück, dass ihm der Zugriff auf die in diesem Erbe enthaltenen Werte, Bedeutungsebenen und Inhalte verwehrt wird. Im Milieu der Shakespeare-Liebhaber wird es noch eine geraume Zeit lang genügend Menschen geben, die um der Atmosphäre willen auch solches Theater auf sich nehmen, um das herauszusieben, was noch wahrhaftig ist. Mittel- und langfristig aber verspielt Theater, das derart arrogant an der Mehrheit der Menschen vorbeiinszeniert, und gegen das Werk ideologische Befindlichkeiten bedient, seine Relevanz.

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Kommentare ( 17 )

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Jens Frisch
10 Monate her

Rainald Grebe hat schon vor über 10 Jahren Zitate deutscher Theater Regisseure zusammengefasst – das ist eine abgehobene Kaste, die in ihrem Elfenbeinturm nicht mehr mitbekommen, was Sache ist – ich muss immer an „totgedacht“ von Roland Baader denken: Kein Gefühl mehr, kein Bezug zu Werk oder Zuschauer:
https://www.youtube.com/watch?v=g7GRtjUsad4

Last edited 10 Monate her by Jens Frisch
Wilhelm Roepke
10 Monate her

Sehr geehrte Frau Diouf,
Sie unterstellen, die heutigen Theatermacher verstümmeln absichtlich die gewachsene europäische Kultur wie eben Shakespeare. Das halte ich für eine Verschwörungstheorie, die nur schwer zu beweisen sein dürfte. Die nahe liegendere Erklärung dürfte die Ihres Kollegen bei TE, des Ökonomen Dr. Markus Krall, sein: Inkompetenz.

MeHere
10 Monate her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Schon die Nutzung des Wortes „Verschwörungstheorie“ zeigt Ihre Absicht, die durchaus berechtigte Meinung von Frau Diouf zu diskreditieren, was ich für unredlich halte, denn es ist ja erweisen, dass KULTURSCHAFFENDE grundsätzlich nur dann die Planstellen besetzen dürfen, wenn sie linientreu links sind und das auch bei jeder Gelegenheit zeigen. Dass auf diesem Wege natürlich auch jede Menge inkompetente Tagediebe in Pöstchen und Ämtchen kommen, ist ja nur logisch, denn das Leistungsprinzip wurde von LINKSBUNT abgeschafft. Diese Zustände finden sie nun überall, wo mit Steuergeld Kulturbetriebe subventioniert werden und das betrifft auch das GLOBE in London. Damit die (angeblich) Konservativen auch… Mehr

FriedrichLuft
10 Monate her

Ich wollte an Pfingsten einen schönen Abend erleben … und fand auf dem Spielplan des Staatstheaters Darmstadt Paul Linckes „Frau Luna“. Was aus diesem heiteren, belangslosen Stück im Deutschland des Jahres 2023 wurde? Da schweigt des Sängers Höflichkeit …

thinkSelf
10 Monate her

Jeder kann Theaterstücke inszenieren wie er will. Das darf auch totaler Müll sein, so lange ich das nicht mit meinen Steuern und Abgaben finanzieren muss.
Den Rest regelt dann der Markt.

Thorsten
10 Monate her
Antworten an  thinkSelf

Leider nicht, da ein Großteil der Kultur vom Staat subventioniert wird.

StefanB
10 Monate her

Ein sehr gut geschriebener Text! Hierzu: „Der schändliche Eindruck, man habe sie hier als Kuriosität benutzt, kaum anders, als man es in früheren Jahrhunderten getan hätte, lässt sich nicht verdrängen und belastet fortan die Vorstellung. Das Anliegen, Menschen, die nicht der Norm entsprechen, nicht auszuschließen, bleibt auf der Strecke.“ Ich habe mich zuletzt bei den Special Olympics (früher hätte man schlicht Olympische Spiele der Behinderten dazu gesagt) in Berlin gefragt, ob diese Veranstaltung nicht auch in diese Kategorie gehört und ich bin insoweit sehr untentschieden. Mit entsprechender Begründung kann man ja immer das Gute oder das Schlechte als bestimmendes Motiv… Mehr

Paprikakartoffel
10 Monate her
Antworten an  StefanB

Ich bin mir bei der Sportveranstaltung auch nicht ganz sicher – muß aber als Ortsansässiger sagen, daß ich selten eine Massenveranstaltung so erfreulich erlebt habe. Menschengrüppchen aus aller Welt waren in bester Laune in der Stadt unterwegs, keine Vermüllung, kein Gepöbel, kein Gedränge und Gemotze im öffentlichen Raum.

Gabriele Kremmel
10 Monate her

Warum wird denn den Zuschauern das Lachen genommen, nur weil eine Frau mit Kleinwuchs die kleinere Protagonistin mimt. Wenn es sich nicht traut zu lachen, ist es das Problem des Publikums und nicht der Inszenierung. Die wahre Diskriminierung liegt doch darin, andersgestaltige Menschen nicht genauso zu behandeln wie jeden anderen auch und ihnen nicht zumuten zu wollen, was man für „Normale“ ganz normal findet. Ein Schauspieler will eine Reaktion auf sein Spiel, kein verlegenes Schweigen, welches erst die Nichtnormalität der Szene bekundet. Vielleicht bin ich aber auch nur Kulturbanause.

Andreas aus E.
10 Monate her

Ich weiß schon, weshalb ich Theater schon lange weiträumig umgehe. Jedenfalls dann, wenn obrigkeitlich gefördert und von einschlägigen „Kritikern“ gelobt.
Oper ähnlich. Da warte ich nur noch, daß Siegfried von kleinwüchsiger, taubstummer und korpulenter Afrikaneriin von lesbischer Freundin über die Bühne geschoben wird, „Gesang“ übernimmt dann eine „künstliche Intelligenz“.

Diese Regiedioten bekommen wirklich alles kaputt, letzter Theaterspaß war vor über 40 Jahren „Rumpelstilzchen“ im Kindertheater und als Oper Zauberflöte in Eutin, auch schon lange her, das war gut, aber ansonsten plädiere ich für komplettes Streichen öffentlicher Mittel.

Herr Schüttelspeer soll meines Wissens übrigens auch keine bekommen haben.

Kassandra
10 Monate her
Antworten an  Andreas aus E.

Weshalb meint man eigentlich, dass, wenn sie alles am zerstören sind, die Theater wie Opern oder Festspielhäuser ausgenommen bleiben sollen?
Die in Frankreich gerade alles kurz und klein hauen sind durch ihre Ideologie eh abgehalten, jeglichen Bühnenstücken beizuwohnen.
Das wars dann also für eine Kultur, die uns über Jahrhunderte erfreute und die den Westen einmalig machte – auch und gerade, wenn eine Frau Özoguz daran unachtsam vorbei gehen musste – und das mehr als platt auch noch publik machte.

Andreas aus E.
10 Monate her
Antworten an  Kassandra

Leider hatte ich mir aus Unachtsamkeit eigenen Text verstümmelt – vermutlich birgt schon oberflächliche Beschäftigung mit den Bühneneskapaden Ansteckungsgefahr. Es sollte heißen: „Da warte ich nur noch, daß Siegfried von kleinwüchsiger, taubstummer und korpulenter Afrikanerin verkörpert und von lesbischer Freundin im Rollstuhl über die Bühne geschoben wird“ Aber wenn ich so darüber nachdenke bedaure ich zutiefst, nie selbst Theatermensch geworden zu sein. Man muß nur bescheuerte Ideen genug haben, den Werken keinerlei Respekt entgegen bringen, über sich selbst irgendwelche Perversionen verbreiten, Parteibuch bei „Grünen“ schadet sicher auch nicht, und schon wird man gefeierter Regiestar mit Aussicht auf hochdotierte Intendanz im… Mehr

Den Knach
10 Monate her

Ja, nachvollziehbar, aber nicht neu.
Ich habe selbst schon vor etlichen Jahren am Staatstheater Cottbus King Lear ähnlich präsentiert bekommen. King Lear selbst eine Frau und auch bei den anderen Protagonisten eine Neuzuordnung der Geschlechter, was dann zu einem heiteren Wechselspiel der Paarungen führte. Darüber bin ich bis heute als erklärter Fan WS’s nicht hinweggekommen und habe seitdem das Theater gemieden.
Das Umschreiben und Uminterpretieren von Kunst kenne ich noch aus der DDR, da war Goethes Faust auch schon ein Kommunist. Diesmal ohne mich.

Je me souviens
10 Monate her

Chapeau, Frau Diouf,
da wächst eine neue geistige Elite genuiner Intellektualität heran, die für die Zukunft sehr viel Hoffnung macht. Ganz offensichtlich auch eine Frucht zweier Geistesgrößen, wie sie die Welt im Duett zuvor wohl nicht kannte und vor denen sich die „extra-borussische“ Welt auch gebührend verneigte.

Kassandra
10 Monate her

Fiel mir heute so ein:
Wird eigentlich „Der Widerspenstigen Zähmung“ noch aufgeführt?