Bürokratie-Bremse: Der neue Groko-Witz

Alles wird öffentlicher Dienst, koste es, was es wolle

Bei Betroffenen wie bei Beobachtern macht sich angesichts dessen eine seltsame Schizophrenie breit: Selbst wer die dahinterstehenden Ziele akzeptiert oder teilt – also für Mindestlöhne ist, Frauen gefördert und gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit verwirklicht sehen möchte –, fühlt sich von den Methoden abgestoßen, mit denen sie durchgesetzt werden. Dieser Spagat zwischen Ziel und Methode ist aber weder alltags- noch zukunftstauglich. Mindestlohnbürokratie, Quotenregelungen und gläserne Lohntüten haben eines gemeinsam: Der Staat mischt sich als alles entscheidender Akteur in Lohnfindung, Arbeitsbeziehungen und betriebliche Personalentscheidungen ein.




Das, was Arbeitgeber und Gewerkschaften lange gemeinsam verteidigt haben, nämlich die Betriebs- und Tarifautonomie, wird faktisch durch eine staatlich gelenkte Lohnfindung, Personalauswahl und Karriereplanung ersetzt, wie sie sonst nur im Öffentlichen Dienst herrscht – und dort durch ihre vor-moderne Ausgestaltung zu suboptimaler Leistungsfähigkeit führt.

Zugespitzt formuliert: Wenn vom Staat die Lohnhöhe bestimmt, die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehung minutiös vorgegeben und kontrolliert wird, wie durch das Mindestlohngesetz mit seinen Folgewirkungen, wenn Personalauswahl, Beförderung und Lohnstruktur im Betrieb staatlich reguliert werden, wie es die Gesetzesvorlagen von Manuela Schwesig erzwingen, dann wird die Struktur des Öffentlichen Dienstes auf die Privatwirtschaft übertragen – und zwar mit all ihren Mängeln und Unsinnigkeiten und ihrer eklatanten und oft beklagten Ineffizienz. Entwickeln sich die Arbeitsbeziehungen in Deutschland in Richtung auf eine „DDR light“?

Arbeitsbeschaffung für den Zoll

Beispiel: Den Mindestlohn kontrolliert der Zoll. Dafür sollen rund 1.600 zusätzliche Beamte eingestellt werden, mindestens. Für die Werkverträge und Zeitarbeitskontroll- Razzien wird eine noch unbekannte zusätzliche Zahl von Zöllnern benötigt – vermutlich ist die nach dem Wegfall der Zollgrenzen  weitgehend überflüssige Behörde die am schnellsten wachsende. Begründung dafür ist, so Ministerin Andrea Nahles, dass wer ein „Gesetz einführt auch seine Durchführung kontrollieren muss“. Fakt ist: Derzeit bestehen rund 40 Millionen Arbeitsverträge in Deutschland, die bis dato nicht von den Polizeibehörden kontrolliert werden. Sieht jemand sich um seinen einzel- oder tarifvertraglich vereinbarten Lohn in irgendeiner Art und Form geprellt, kann er sich an Betriebsräte, Gewerkschaften und andere Hilfseinrichtungen wenden. Genügt das nicht, gibt es die Arbeits- und Zivilgerichte.

Wieso also umstellen neuerdings Zöllner – mit Maschinenpistolen bewaffnet – Geschäfte, Betriebe und Hotels, um Mindestlöhne zu kontrollieren? Um Arbeitnehmern zu ihrem Recht zu verhelfen – oder um Arbeitgeber zu schikanieren? In diesem Zusammenhang ist die Tatsache aufschlussreich, dass nicht bezahlte Mindestlöhne rückwirkend auf drei Jahre einklagbar sind. Auf Arbeitgeber können dadurch Nachzahlungen, Sozialabgaben plus Strafen in Höhe von bis zu einer halben Million Euro zukommen. Der Verdacht liegt nahe, dass wir es hier mit Maßnahmen zu tun haben, die dazu dienen sollen, flächendeckend staatliche Eingriffe in privatwirtschaftliche Betriebe zu rechtfertigen.

Das ist ein Trend, den besonders die SPD verfolgt. Wie kaum eine andere Partei war sie einst in den Betrieben verhaftet und kannte die betriebliche Arbeits- und Lebenswelt. Heute indessen verfolgen Funktionäre ohne Arbeitswelterfahrung und links von der Mitte andere Ziele – Unternehmer, ja die Privatwirtschaft generell, werden zum Feind ernannt, den es mit bürokratischen Maßnahmen zu gängeln gilt. Dass der Alltag in der überwiegenden Zahl deutscher Betriebe – bei allen unausweichlichen Konflikten und Lohnstreitigkeiten – insgesamt von einem produktiven Miteinander geprägt ist, von einem kollegialen Umgangston und gegenseitigem Respekt – scheint dort nicht zu gelten. Folgerichtig spiegelt sich auch nichts davon in den aktuellen Gesetzesvorlagen wider.

Der Bäcker – Dein Feind

Also tritt man jedem Bäckereibesitzer nur noch schwer bewaffnet und in Uniform entgegen, als verberge sich Schwerstkriminalität, wo Brot und Brötchen angeboten werden. Es ist eine neue Form des Klassenkampfes gegen Unternehmen, die da von Ministerin Andrea Nahles auf dem Gesetzesweg zum Alltag gemacht und von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi rhetorisch durch provokante Äußerungen angefeuert wird (siehe Info-Link unten). Kollateralschäden werden dabei in Kauf genommen. Dass sich das rücksichtslose Kontrollieren mittlerweile ebenso gegen die Beschäftigten wie gegen die Arbeitgeber richtet, scheint keinerlei Kopfschmerzen zu verursachen.

Die neuen Gesetze spiegeln ein befremdliches Weltbild wider: Unternehmer sind darin potentielle Kriminelle, die der ständigen Kontrolle – mit der Waffe in der Hand – bedürfen. Die Freiheit der Vereinbarung hat in der Arbeitswelt nichts mehr zu suchen. Lohnentscheidungen, Beförderung und so weiter gehören staatlich reguliert und kontrolliert. Alle Arbeitsbeziehungen gehören nach Vorbild des Öffentlichen Dienstes bürokratisiert. Dass dessen Ineffizienz, seine Strukturmängel und die daraus resultierende Unzufriedenheit vieler dort Beschäftigter seit Jahrzehnten hinreichend bekannt und analysiert sind, perlt an der glatten Oberfläche der Selbstgewissheit dieses Weltbilds spurlos ab. Der Unternehmer ist der Feind der Groko; der Freiberufler, Selbstständige oder Handwerker sowieso. Erst wenn sie alle in ein Korsett der Ineffizienz und Gleichmacherei gezwungen sind, könnte Ruhe einkehren. Friedhofsruhe.

Das gebrochene Versprechen: Bürokratie-Abbau

Zwar bekennen sich Angela Merkel und ihr Koalitionschef Sigmar Gabriel am Sonntag gerne zum Bürokratieabbau. So wurde von Merkel 2005 der Normenkontrollrat etabliert – der anfänglich sogar einige kleinere Erfolge verzeichnen konnte.

Aber wie das so ist mit kleinen Räten – gegen den Gestaltungsdrang der Ministerialbürokratie unter sozialdemokratischer Führung ist kein Kraut gewachsen. Die Anti-Bürokratie-Wälle des Ratsvorsitzenden Johannes Ludewig wurden in der GroKo  nach 2013 innerhalb weniger Monate überrannt; neben der Mindestlohngesetzgebung sind es die verschiedenen Absonderlichkeiten der Energiepolitik, die flächendeckend die Kosten für diese Art Beschäftigungsprogramm in die Höhe getrieben haben. Die Kosten für das Mindestlohngesetz mit seinen zahlreichen Dokumentations- und Nachweispflichten belaufen sich nach Angaben des  Normenkontrollrats beim Bundeskanzleramt auf 9,7 Milliarden Euro.

Allein die ohnehin schon bestehenden Informationspflichten schlagen bei den Unternehmen laut Statistischem Bundesamt mit fast 43 Milliarden Euro zu Buche. Rund 300 Milliarden jährlich, also rund ein Zehntel der gesamten Wirtschaftsleistung, geht insgesamt pro Jahr für staatlich auferlegte Bürokratie drauf. Und auch die Bürokratiebremse kann nicht wirken: In besonderen begründeten Fällen wird sie nicht angewandt. Falls ein Gesetz so viel neue Bürokratie auslöst, dass die
„Kompensationsfähigkeit“ des Ministeriums überschritten wird, kann der
geforderten Ausgleich notfalls auf alle Ressorts verteilt werden – oder sogar
gedeckelt, also: Nicht beachtet werden. Dies muss nur ein Staatssekretärsausschuss beschließen und begründen. In der Berliner Beamten-Hierarchie ist der Staatssekretärs-Ausschuss eine niedrigschwellige Hürde: Die Top-Beamten beschließen, was Top-Beamte wollen. Mit anderen Worten: Es geht ganz einfach – das Hintertürchen ist so groß wie ein Fabrikhallen-Tor.

Und vermutlich werden jetzt schon ein paar Beamte eingestellt, die die Umgehung der Bürokratie-Bremse begründen. Vielleicht beim Zoll?





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