„Weiß Ihr Chef, was Sie hier machen?“

Auf einer Kundgebung bepöbeln sich Demonstranten und Strack-Zimmermann (FDP) gegenseitig. Danach allerdings setzt sie einen Teilnehmer unter Druck, indem sie nach seinem Arbeitgeber fragt. Genau hier geht die Spitzenkandidatin für Brüssel zu weit. Die Nerven liegen sichtbar blank – und enthüllen die Doppelmoral, die bei Politikern und Bürgern gilt.

Screenprint: via X

Dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann austeilen kann, ist bekannt. Die FDP-Politikerin ist in Bundestagsdebatten weniger mit dem Florett denn mit der Keule aufgefallen. Nicht zuletzt, wenn es um die unliebsamste Oppositionspartei im Land ging. Freilich gibt es auch eine Vielzahl von Anwürfen gegen die Düsseldorferin. Wer austeilen kann, der muss auch einstecken können. Aber Strack-Zimmermann steckt nie ein. Sie teilt dann noch heftiger aus. „Strack-Zimmermann erstattet monatlich 250 Anzeigen wegen Drohungen und Hetze“, schreibt der Spiegel im Mai 2023. Ob darunter auch die SPD fällt, die ihr mal eine „Großkotz-Attitüde“ unterstellt hat?

In vielen Zeitungen könnte nun eine Formulierung folgen wie: „An Strack-Zimmermann scheiden sich die Geister“. Das trifft im Kern wohl auch zu. Da der FDP-Wähler derzeit auf der Roten Liste der gefährdeten Arten steht – man muss sie bei 3 Prozent mit der Lupe suchen –, ist das allerdings übertrieben. Der „StrackZi“-Fanclub ist entsprechend klein. Offenbar gibt es also doch eine recht überwältigende Mehrheit, die mit der ehemaligen Ersten Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt nicht viel anfangen kann.

Opposition, Gegenstimmen und ausgewiesene „Strack-Zimmermann-Hasser“ sind daher kein ungewöhnliches Phänomen. Dass die FDP-Politikerin aufgrund ihres stahlharten Kurses im Ukraine-Krieg keinen Charme bei etwaigen mediatorisch gesinnten Bürgern hervorruft, dürfte kein Geheimnis sein. Dass sie manchem Friedensaktivisten schon eingeheizt hat, gehört zum Markenkern.

Doch die Veranstaltung in Ravensburg stellt einen Tiefpunkt in Strack-Zimmermanns Karriere dar. Videos dazu gehen im Internet viral. Strack-Zimmermann wird darin von lautem Publikum/Demonstranten gestört und niedergebrüllt. Um dem etwas entgegenzusetzen, tut die FDP-Spitzenkandidatin zur EU-Wahl so ziemlich alles. Also alles, was man falsch machen kann.

Liberalen ist bekanntlich das offene Wort wichtig. Der Diskurs und Meinungspluralismus sind gemäß ihrer Überzeugung das Fundament, auf denen funktionierende Gemeinwesen aufbauen. Um die „bessere Idee streiten“ heißt es dann. Mit Sicherheit gehört dazu nicht das Buh-Konzert, das die FDP-Politikerin empfängt, als sie auf die Ravensburger Bühne steigt. „Jetzt verstehe ich das erste Mal, was es heißt, eins auf die Glocke zu bekommen“, sagt sie und deutet auf einen Demonstranten, der mit Kuhglocken unterwegs ist und an den sich später die Ansage mit dem Chef richtet. Er hatte „Frieden schaffen ohne Waffen!“, gerufen. Später nennt sie ihn „Der Typ mit der Glocke vor der Nuss“.

Unsouverän geht es weiter: „So, liebe Leute. Atmet mal flacher, ich hab das Mikrofon!“ Und: „Sei froh, dass du nicht in Moskau bist! Du wärst schneller im Knast, als du gucken könntest!“ Bekanntlich gehören zu jeder guten politischen Rede elegante rhetorische Kniffe. Strack-Zimmermann macht deutlich, dass sie von Cicero gelernt hat, wenn sie ausholt: „Ihr seid zum Teil zu blöd, um ’ne Pfeife in den Mund zu stecken!“

Ein häufig überstrapaziertes, aber nicht unbeliebtes Stilmittel, das in dieselbe Kategorie antiker Rednerpraxis fällt, führt Strack-Zimmermann ebenfalls zur Vollendung: die Hyperbel. So schmettert sie dem „Frieden schaffen ohne Waffen!“ tobenden Publikum entgegen: „Hören Sie das? Sagen Sie es Wladimir Putin, der jeden Tag 400.000 Menschen umbringt!“ Bei 785 Tagen Ukraine-Krieg hat Putin demnach 314 Millionen Menschen, Ukrainer wie Russen, auf dem Gewissen. Das sind 132 Millionen Menschen mehr, als in Russland und der Ukraine zusammen wohnen.

Die „Liberale“ fährt fort: „Geht doch nach Russland und schreit dort! Eine Pfeife im Mund bedeutet eine Pfeife im Kopf!“ Volksnähe und Kontaktsuche mit den einfachen Menschen gehören ebenso zu den Tugenden des Politikers. Auch in dieser Disziplin brilliert die FDP-Hoffnung nicht. Vorbildlich geht Strack-Zimmermann zu einer der zahlreichen Personen, die ihrem Vortrag gelauscht und durch ihre Rufe aktiv teilgenommen haben. In gewohnt freundlichem Ton weist sie einen Wähler darauf hin, dass Putin Arbeitsplätze und die deutsche Industrie zerstöre.

Eindringlich interessiert am Hintergrund des Mannes mit der Glocke will sie wissen, wo dieser arbeite. Und fragt harscher nach: „Weiß Ihr Chef, was Sie hier machen?“ Tuchfühlung auf Du-und-Du wie in der Bonner Republik, als Abgeordnete noch zum Anfassen da waren. Auch in der Bußübung will man den wohlvermissten katholischen Mief der Adenauer-Ära riechen. Welcher Politiker interessiert sich noch sonst so eindringlich für das Alltagsleben der Bürger? Sehen wir mal von Corona-Zeiten ab.

In der Berliner Politik fassen dagegen Abgeordnete den Bürger an. Man versteht, warum die FDP die Demokratieförderung so eifrig unterstützt. Jeder weitere Kommentar könnte dagegen wohl zu einer neuen Anzeige führen. Insofern tut Strack-Zimmermann nur stellvertretend das, was bald zur neuen Normalität gehört. Dass bereits jetzt den Politikern erlaubt ist, was dem Wahlvolk noch lange nicht erlaubt ist, hat sie nicht nur bei diesem Auftritt klargemacht. Die drei Prozent wollen gut verteidigt sein.

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Kommentare ( 118 )

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Hugo Treppner
6 Tage her

Ich habe von jungen Ukrainern erfahren, dass sich viele in den Wohnungen im Lande verstecken, um nicht an die Front zu müssen. Viele ihrer Freunde verloren an der Front ihr Leben. Man erfuhr auch von vielen Kriegsversehrten, jungen Menschen, die Gliedmaßen verloren und mit selbstgezimmerten Gehilfen sich fortbewegen müssen. Die Versehrtenrente der jungen Menschen 20 Euro. Das reicht nicht einmal fürs Essen. Diese alte Frau sollte sich schämen! Die FDP werde ich nie mehr wählen!

Joerg Baumann
12 Tage her

Ob der Chef das weiß? Der Wähler weiß hoffentlich wo er sein Kreuz nicht machen sollte. Solche Gestalten wie Strack-Zimmermann haben im Bundestag nichts zu suchen.

Fred Katz
12 Tage her

Gibt es für die Zahl 400.000 in der Rede andere Quellen als RT Deutschland?

Ali Mente
12 Tage her

Widerlicher kann man sich als Politiker nicht benehmen, Demonstranten persönlich angehen, beleidigen und bedrohen! Sich darüber empören, wenn beim Auftritt laut der Unmut geäußert wird. Wenn allerdings gleiches bei einer AFD stattfindet, wird das von SZ und anderen Linken gefeiert.

Ch. Timme
12 Tage her

Diese FDP weiß wenigstens wer hier den eigenen Abgang orchestriert … Getreu Herr Linder: Lieber schlecht als garnicht.

Andreas1-7
12 Tage her

Widerlich. Das Gekeife ebenso wie das Gebrülle und die Trillerpfeifen.
An einem Wirtshaustisch nach der sechsten Halben geht es gesitteter zu..
Hat doch nichts mehr mit normalem menschlichen Umgang zu schaffen wenn sich Politdarsteller und Aktivisten zum Stelldichein treffen.
Abstossend, ekelhaft und vollkommen benimmbefreit.

Julischka
12 Tage her
Antworten an  Andreas1-7

Hat sich ein Politiker schon mal mit Ihnen an einen Tisch gesetzt, um sich mit Ihnen (gesittet) zu unterhalten? Im Laufe der Zeit hat sich wahnsinnig viel Wut angesammelt, vorallem der Stachel der Diskriminierungs,- und Kriminalisierungsorgien gegen Ungeimpfte sitzt noch tief, sehr tief, so daß man seine Wut irgendwie artikulieren muß, notfalls mit der Trillerpfeife! Wenn eine kriegsbesessene Strack-Zimmermann dann noch auf einer Bühne steht und man diesmal als Schwerstverbrecher stigmatisiert wird, weil man das Wort FRIEDEN in den Mund nimmt, ist irgendwann mal ein Punkt erreicht wo das „gute Benehmen“ keine Rolle mehr spielt!

ekki
12 Tage her
Antworten an  Julischka

das sehe ich ähnlich, irgendwann ist es mal gut und es ist mir eh ein rätsel, warum es hier noch so ruhig ist. zu viele deutsche nehmen alles hin, lassen sich beleidigen, drangsalieren, belehren, enteignen, verarmen und klein machen und wählen die oberlehrer auch noch. stockhausensyndrom????

Andreas1-7
12 Tage her
Antworten an  ekki

Hallo und danke für die Antworten,
aber wenn ich weiss ich hab die besseren Argumente warum sollte ich mich selbst entwerten und dem Unterlegenen einfach nur hohlköpfig die Trillerpfeife als meine Argumentationsleistung anbieten?
TE gründet seinen Erfolg ja auch in der feinen Wortklinge und nicht in einer hemmungslosen Ansammlung von Unflätigkeiten.

Julischka
11 Tage her
Antworten an  Andreas1-7

Was sollte ich dem „Unterlegenen“ sonst anbieten, außer „hohlköpfig die Trillerpfeife“ (Danke für die Bezeichnung! Wie war das mit dem „normalem menschlichen Umgang“? Sind Sie Politiker?), wenn ich niemals die Chance habe ihm die „besseren Argumente“ mitzuteilen? Selbst wenn, sie sind schon längst keine Volksvertreter mehr, sondern Verräter! Da ist die Trillerpfeife ja noch harmlos!

Habakuk06
12 Tage her
Antworten an  Julischka

So ist es. Irgendwann läuft das Faß mal über und man weiß nicht wohin mit seiner Wut und seiner Hoffnungslosigkeit. Ja und das ist das schlimmste, dass man keine Hoffnung mehr haben, dass es mal wieder anders und besser wird. Man sagt ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Meine Hoffnung ist mausetot.

JamesBond
12 Tage her

Was hat die FFP2 Partei mittlerweile für Spitzenkandidaten? Liberal? Nein! Friedensliebend? Nein! Freiheit? Nein!
Liebe Frau MaSZ so wird das nichts. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Herrn Genscher. Sie kandidieren für die EU, die Garantin von Frieden und Freizeit und früher haben Sie mal die Selbstständigen und Freiberufler vertreten, die sind Chef! Ach ich vergaß, ist nicht mehr – Scheinselbstständigkeitsgesetz – na dann brauchen wir Selbstständige diese Partei nicht mehr!
Und im Ernst: Wer meint unsere marode Demokratie könnte auch noch den Aufbau einer korrupten Ukraine bewerkstelligen, der träumt, wie von ner hohen Riester oder Rürup Rente.

Last edited 12 Tage her by JamesBond
Kassandra
12 Tage her
Antworten an  JamesBond

„Sie kandidieren für die EU, die Garantin von Frieden und Freizeit…“
Wunderschöner Freudscher Vertipper. Danke dafür!

Julischka
12 Tage her

Ich würde mir von ihr gern mal erklären lassen, WARUM wir uns bei Waffenlieferungen nach Israel der Tötung von Menschen schuldig machen und bei der selben Lieferung in die Ukraine nicht!? Ich checks nicht!

elly
12 Tage her

„Weiß Ihr Chef, was Sie hier machen?“
weiß sie nicht, dass Arbeitnehmer keine Leibeigenen mehr sind und in ihrer Freizeit machen könn(t)en, was sie wollen?
Erschütternd wie primitiv diese Frau doch ist.
„Geh doch nach drüben!“„geht doch rüber!“„geh doch nach drüben, wenn’s dir hier nicht passt!“  – waren einst stereotypische Antworten auf Kritiker. Sie lebt in der Vergangenheit.

Kassandra
12 Tage her
Antworten an  elly

Zumal sie auch noch lügt.
Denn u.a. Röper beschreibt ganz anderes vom Leben in Russland.
.
Und wenn du im Westen die falsche Meinung hast oder gar Wahrheiten verbreitest, verschwindest Du wie Assange im Sicherheitstrakt über Jahre.
Nein. Damit hat Putin wahrlich nichts zu tun. Nicht nur Snowden fand in Russland Asyl. Auch die ehemalige Außenministerin Karin Kneissl soll in Putinland wohnhaft geworden sein.
Was soll man also von der fdp-frau masz und ihren Aussagen dort in Ravensburg halten? Was von anderen, die sie schmähend seit Jahren von sich gibt?

ReneKall
12 Tage her

400.000 Menschen bringt der Putin pro Tag also jeden Tag um, na da ist ja schon gebaerbockt. 360° gewendet und hundertausende Kilometer mit Kobold im Tank gefahrene Kilometer entfernt.

Man könnte drüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Da holt sie noch die FDP EU Wahl Spitzenkandidatin auf die Bühne, die findet dass Remigration das Problem ist.