Blackout in Berlin

Ein halbes Jahr nach dem mutigen und schnell entschlossenen Atomausstieg der Bundesregierung herrscht selbst bei eingefleischten Gegnern der Kernenergie keine so rechte Freude mehr.

“Selbst wenn man seit Jahrzehnten ein entschlossener Gegner der Kernkraft ist, muss man die irrationale Kurzentschlossenheit, mit der die Politik auf Fukushima reagiert hat, fürchten”, schreibt etwa Gerhard Matzig in seinem Buch “Einfach nur dagegen”. Tatsächlich – das Dagegen, das Raus aus der Atomenergie war vergleichbar einfach, da reichte es, sich der Erregung, getrieben von den schrecklichen Bildern aus Fukushima, hinzugeben. Aber das Dafür, das Rein in Alternativen ist viel schwieriger – und ein erster Praxis-Check fällt verheerend aus. 

Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander: Allüberall wird das Hohelied vom grünen Strom aus Wind und Sonne gesungen. Aber tatsächlich vertrauen wir darauf, dass 187 Kernkraftwerke in Europa weiterhin zuverlässig unser Stromdefizit auffüllen, weil der Ausbau von Windparks stagniert und die Sonne – welche Erkenntnis – hierzulande wenig wärmt. Dafür wurde der Atomausstieg bis 2022 zu einem gigantischen Kohleverstromungsprogramm: Stillgelegte Kohlestinker werden wieder angefahren oder laufen lange über den Stilllegungszeitpunkt hinaus. Daher wird der CO2-Ausstoß in Deutschland um mehr als 20 Prozent steigen, statt in dieser Größenordnung zu fallen, wie es das Klimaprogramm der Bundesregierung eigentlich vorsieht. Schon heute ist absehbar, dass Angela Merkel und ihr Umweltminister Norbert Röttgen nicht als strahlende Helden des Klimaschutzes in die Geschichte eingehen werden, sondern mit rußverschmierten Gesichtern als globale Umweltsünder. Die gesamte Umweltpolitik ‧gerät damit in eine Glaubwürdigkeitskrise: Vorbei die Zeit, in der mit viel Staatsgeld gepäppelte Umweltinstitute jede Woche mit noch dramatischeren Bildern vor den Folgen des Klimawandels warnten – der ‧regierungsamtliche Alarmismus ist verstummt, gerade so, als ob die Klimaver‧änderung doch eine Imagination oder durch Handauflegen von Ethikkommissar Klaus Töpfer suspendiert sei. Da passt es ins Bild, dass die vorher so hochgelobte Abscheidung des Klimagases und seine unterirdische Speicherung, ein technisches Verfahren um die Kohleverstromung klima‧‧freundlich zu gestalten, jedenfalls in Deutschland nicht stattfindet. Der auf kurzfristige Zustimmung schielende Populismus, der zum Atomausstieg führte, geht jetzt vor jeder beliebigen Demonstration in die Knie und blockiert Alternativen zum Atomstrom – von der CO2-Speicherung über Speicherseen bis zu Stromtrassen: Kein einziger Mast ist bislang zusätzlich gebaut worden, um den norddeutschen Windstrom in die süddeutschen Verbrauchsgebiete zu transportieren.

Damit fehlt es der Energiepolitik an allem, was Deutschland so dringend braucht: Es fehlt der Mut, alternative Lösungen durchzusetzen, das Geld für Energieeffizienzmaßnahmen und für Forschung, das Kapital für Gas- und Windkraftwerke und verlässliche Rahmenbedingungen und Versorgungssicherheit, die unsere Industrie so lebensnotwendig braucht.

Es ist ein Versagen der Politik. Die Grünen bejubeln die Enteignung der bösen Stromkonzerne – und verdutzt muss der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg feststellen, dass der Konzern ihm gehört und er seine Gans geschlachtet hat, die ihm mit Atomstrom die goldenen Eier ausgebrütet hat. Jetzt fehlen die Gewinne zur Investition in Windparks. Auch seiner Amtsgenossin Hannelore Kraft in Düsseldorf konnte der Ausstieg nicht schnell genug gehen – jetzt muss sie hilflos hinnehmen, dass die energieintensive Industrie des früheren Energielandes Investitionen langfristig umlenkt und an Rhein und Ruhr neue Industriemuseen heranwachsen.

Weil der Energie-Murks nicht länger zu vertuschen ist, hat die Bundesregierung vergangene Woche noch eine Expertenkommission eingerichtet. Glück auf!

(Erschienen auf Wiwo.de am 22.10.2011)

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