Die EZB finanziert Europas Staatsdefizite

Über ihre zwei Anleihekaufprogramme (PSPP und PEPP) finanzierte das Eurosystem der Zentralbanken (ESZB) im vergangenen Jahr den bei weitem größten Teil der Neuverschuldung der Euro-Staaten. So wird die Bereitschaft der Politik zu Strukturreformen ausgebremst.

IMAGO / Jan Huebner

Seit der Finanzkrise 2007/2008 sind die großen Notenbanken der Welt, vor allem die amerikanische Federal Reserve (Fed) und die europäische Zentralbank (EZB), nicht mehr aus ihrem ultralockeren Krisenmodus aus Nullzinspolitik und üppigen Staatsanleihekäufen ausgestiegen. Als Regierungen in aller Welt im letzten Jahr mit Flächenstilllegungen des Wirtschafts- und Soziallebens auf eine Pandemie zu reagieren begannen und damit Konjunktureinbrüche auslösten, hatten die Notenbanken ihr geldpolitisches Pulver praktisch verschossen. Deshalb verschulden sich in diesen Zeiten die Regierungen in einem Ausmaß, das in Friedenszeiten keine Beispiele kennt. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, rechnet bis zum Jahr 2022 mit einer Verschuldung der USA in Höhe von 136 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Für Japan werden gar 244 Prozent prognostiziert und für die Euro-Zone 123 Prozent. Überall dominiert eine Fiskalpolitik, die von Rekordneuverschuldung zu Rekordneuverschuldung eilt. Finanziert wird der Kredithunger der Staaten von den Notenbanken. Besonders aktiv agiert dabei die EZB. Obwohl die Haushaltsdefizite im Euro-Raum im Jahr 2020 weniger stark als in den USA und in Japan stiegen, übernahm die EZB 95,5 Prozent der 991 Milliarden Euro an neu begebenen Staatsanleihen der Eurostaaten. Zum Vergleich: Die Fed in den USA erwarb „nur“ 54,5 Prozent und die Bank of Japan (BoJ) 53,3 Prozent der Netto-Neuemissionen in ihrem Land.

Auch in den letzten Wochen rattert die Notenpresse in Europa weiter in verstärktem Tempo. Bei seiner letzten Sitzung Mitte März hatte der EZB-Rat eine Beschleunigung seiner Anleihenkäufe beschlossen. Und tatsächlich folgten die Taten auf dem Fuß. In den darauffolgenden Märzwochen kaufte die EZB insgesamt 52,7 Milliarden Euro an Anleihen auf, rund doppelt so viel wie im Schnitt der Wochen zuvor. Dass sich die Verteilung der Anleihekäufe im Rahmen des vor 6 Jahren geschaffenen PSPP nach dem Kapitalschlüssel des Eurosystems richten sollte, der auf dem Bevölkerungsanteil und dem BIP-Beitrag des jeweiligen Landes im Euroraum basiert, ist durch das im vergangenen Jahr aufgelegte Pandemie-Kaufprogramm PEPP längst Geschichte. Mit einem EZB-Kapitalanteil von 26,4 Prozent hat Deutschland neben Frankreich mit einem Kapitalanteil von 20,4 Prozent am meisten vom PSPP-Programm profitiert. Doch beim PEPP-Programm, gegen das derzeit eine Klage vor dem BVerfG anhängig ist (EZB-Anleihekaufprogramm und BVerfG: Gauweilers Befangenheitsantrag gegen Richterin sticht), sind diese Schranken gefallen. Wie flexibel die EZB damit umgeht, belegen die Zahlen. Weil die Spreads (Zinsunterschiede) der 10-jährigen Renditen von Staatsanleihen Italiens und Spaniens im vergangenen Pandemie-Frühjahr im Vergleich zur 10-jährigen Bundesanleihe deutlich anzogen, kaufte die EZB kurzerhand mehr Anleihen aus den beiden südeuropäischen Krisenländern, als diese überhaupt emittierten. Für Italien resultiert aus dieser monetären Staatsfinanzierung der EZB ein Gegenwert von 117,1 Prozent der Neuemissionen im Jahr 2020, für Spanien ein Wert von 113,4 Prozent.

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Nichts verdeutlicht stärker den wahren Grund für die EZB-Staatsanleihekäufe. Die Notenbank hält die Zinsen vor allem für die Hochschuldenländer in der Eurozone niedrig und perpetuiert so die unsolide Schuldenpolitik dieser Staaten. In gleichem Ausmaß wie die ultralockere Geldpolitik in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten die Produktivität in der globalen Wirtschaft gebremst hat, weil Innovationen noch nie auf billigem Fremdkapital, sondern vor allem auf Kreativität und wettbewerblicher Leistung beruhten, senken die Staatanleihekäufe der EZB die Bereitschaft der Politik, dringend nötige Strukturreformen anzupacken, um ihre Volkswirtschaften wettbewerbsfähiger und solider aufzustellen.

In welcher Falle die Notenbanken sitzen, zeigt ein Blick auf Japan. Die BoJ kommt bereits seit rund dreißig Jahren nicht aus dem Krisenmodus. Die japanische Zentralbank versucht inzwischen die Zinsstrukturkurve („Yield Curve Control“ ) zu steuern, indem sie auch Langfristanleihen aufkauft, um die Niedrigzinsen auf Jahrzehnte festzuschreiben. Durch ihren massiven Eingriff in die Märkte der Staatsanleihen haben sich die Notenbanken in eine babylonische Gefangenschaft mit der Schuldenpolitik begeben. Denn sie geben damit der Finanzierung von Staatsschulden Vorrang vor der Preisstabilität. Doch Inflationserwartungen an den Finanzmärkten sorgen in der Regel für steigende Marktzinsen. Die Fed scheint – im Moment jedenfalls – die steiler werdende Zinskurve bei US-Staatsanleihen zu akzeptieren. Die EZB dagegen bezieht verbal Stellung gegen höhere Zinsen und beschleunigt ihre Staatsanleihekäufe, um die Zinsstrukturkurve indirekt zu steuern. Gleichzeitig signalisieren allerdings die Fed wie die EZB, dass sie ein Überschießen der Inflation über die bisherige 2-Prozent-Marke tolerieren. Von nachholender Inflation ist die Rede, weil der Richtwert in den vergangenen Jahren unterschritten wurde und jetzt symmetrisch durch ein Überschreiten ausgeglichen werden soll.

Doch es ist eine Illusion, dass die Notenbanken die Inflation zielgenau steuern könnten. Von Friedrich von Hayek stammt das Inflations-Bonmont, man könne einen Tiger nicht am Schwanz fangen. Christine Lagarde und Jeremy Powell sollten das beherzigen, wenn sie auf eine symmetrische und von der EZB und der Fed kontrollierte Inflationsrate setzen. Entwickelt sich erstmal eine Inflationsdynamik, wird sie sich kaum stoppen lassen, weil Zinserhöhungen nicht nur zahlreiche Staaten in den Ruin treiben, sondern auch die Wirtschaft kollabieren lassen würden. Fast scheint es, als ob nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera besteht. Entweder schränken die Staaten ihre Ausgaben – vor allem im konsumtiven Bereich – mittelfristig massiv ein und/oder erhöhen gleichzeitig, wie es sich global andeutet, Steu-ern und Abgaben. Die Folge: der materielle Wohlstand der Bevölkerung sinkt. Wird die Schuldenpolitik mittels der Notenbanken fortgesetzt, erodiert das Vertrauen der Menschen in die Geldwertstabilität, weil gerade in Deutschland noch viele wissen, dass Inflation eine besonders heimtückische Form der Massenenteignung darstellt. Auch in Inflationszeiten sinkt der Wohlstand der breiten Masse.

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Kommentare ( 37 )

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Christian
2 Jahre her

Herr Metzger,Zustimmung zu bekannten Analyse. Widerspruch zur Feststellung, dass die Bevölkerung die Inflation noch in Erinnerung hat (die der 20iger Jahre).Dem ist sicher insbesondere bei der Jugend mit Sicherheit nicht so . Die Mehrzahl hat weder die Erinnerung ,noch das notwendige Wissen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber wo soll das Wissen bei diesem Bildungssystem herkommen?Es ist aber sicher zum Teil auch „Wohlstandsverwahrlosung“ Das diese Finanzpolitik mitSicherheit schief geht ,ist vielen noch nicht bewusst.Das erwachen wird brutal sein.

Lizzard04
2 Jahre her

Wenn wir jetzt nicht solidarisch mit den chronisch klammen Südländern sind, ist das nicht mehr Merkels Land! Mehr fällt mir zu dem Verrat am deutschen Steuerzahler nicht mehr ein! Und die Aussichten, falls es die Grünen an die Regierung schaffen, sind sogar noch schlimmer, will die Klimasekte doch noch mehr deutsche Steuergelder inklusive monetäre Entscheidungshoheit an Brüssel abtreten!

November Man
2 Jahre her

Keiner wird diese Schulden jemals zurückzahlen, die existieren nur auf dem Papier.
Aber den Bürgern wird man eine Scheinrechnung präsentieren die sie aus ihrem Einkommen in Euro bezahlen müssen.
Das Geld fließt anschließend in die schwarzen Kassen der Politik und wird verteilt.

chaosgegner
2 Jahre her

„kaufte die EZB kurzerhand mehr Anleihen aus den beiden südeuropäischen Krisenländern, als diese überhaupt emittierten“
Wie ist das zu verstehen?
Zusätzlich aus vorhergegangenen Emmissionsperioden?
Nicht emittiertes kann man ja nicht kaufen.

humerd
2 Jahre her

„Corona-Wiederaufbaufond Spanien will mit EU-Geld 4-Tage-Woche finanzieren – Bernd Lucke könnte das verhindern“ https://www.focus.de/politik/ausland/eu/corona-wiederaufbaufond-mit-eu-milliarden-wollen-spanier-weniger-arbeiten-doch-ex-afd-mann-blockiert-den-deal_id_13169469.html
und die Deutschen missgönnen den eigenen Rentnern die Butter auf dem Brot, stoßen jetzt schon mit ins Horn bis 70,80 Jahren zu arbeiten.

Dagmar
2 Jahre her

Keine Regierung hat es geschafft, das Finanzsystem zugunsten der Volkswirtschaften zu ändern. Wie bei Corona erzählt man den Menschen das Blaue vom Himmel, dass mit neuen Schulden „gerettet“ werden muss. Dafür wurden neuerdings die EU Corona-Bonds erfunden. Wohin das Geld geht, weiß der Steuerzahler nicht! Vorher nannte man es Eurorettung, Bankenrettung, Griechenlandrettung. Neu ist auch die Klimarettung! Fachleute sagen, mit den Corona-Lockdowns wird es nicht aufhören, demnächst werden wir auch Klima-Lockdowns haben. Der sog. Neo-Liberalismus macht die Reichen immer reicher (Amazon, Facebook und Co. hatten 2021 einen Vermögensumsatz im zweistelligen Milliardenbereich). Offenbar lassen sich die Leute gerne versklaven, also von… Mehr

Christian
2 Jahre her
Antworten an  Dagmar

Bezüglich der genannten Konzerne haben Sie sicher Recht. Das hat aber nichts mit Neoliberalismus zu tun, sondern mit fehlenden Eingreifen der Kartellbehörden

Kaltverformer
2 Jahre her

Die Bürger in Deutschland wachen erst auf, wenn sie wieder eine Schubkarre benötigen, um einen Laib Brot zu bezahlen…….

elly
2 Jahre her

So wird die Bereitschaft der Politik zu Strukturreformen ausgebremst.“
nicht in allen Ländern. In Deutschland wird schon wieder intensiv über weitere harte Einschnitte bei der gesetzlichen Rente laut nachgedacht. Der Club Med muss finanziert werden.

Wilhelm Roepke
2 Jahre her

Sie überschätzen die Geldpolitiker, Herr Metzger! Das sind wie bei Goethe Zauberlehrlinge, die sind uninteressant. Spannend ist, wer der korrigierende alte Hexenmeister sein wird? Ein Paul Volcker Junior? Bitcoin? Gold? Vermutlich kein Mensch, dafür ist es zu spät meines Erachtens.

Genco Steins
2 Jahre her

„Übrigens die Schufa, steht zum Verkauf.“ – Wie praktisch! Dann kennt man ja den Preis eines jeden Überschuldeten (und das sind ja nicht wenige; und täglich werden es mehr). Im Great Reset wäre der Schulden-Erlass das Einwilligen in die NWO.