Die SPD taumelt, der Kanzler duckt sich weg, und die CDU hilft dabei, den Niedergang als „Stabilität“ zu verkaufen. Während Klingbeil seine Partei in den Abgrund führt und Pistorius als Blendgranate strahlt, wird die Brandmauer gegen rechts zur letzten Fassade einer vergreisten Macht, die sich selbst zerlegt.

Nach dem SPD-Parteitag ist der Kanzler in Sorge, kaum im Amt, könnte ihm der Koalitionspartner abhanden kommen. Die Angst ist berechtigt.
I.
Die wichtigste Figur, Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil, ist als Parteivorsitzender schwer angeschlagen. Sein Wahlergebnis beim jüngsten Parteitag (64,9 %) ist eine Schmach und die wohlverdiente Quittung auch dafür, dass der rhetorisch klobige Apparatschik, der die historische Niederlage der SPD bei den Bundestagswahlen zu verantworten hat, die Schwäche der eigenen Partei dazu nutzte, sich selbst quasi zu ihrem Alleinherrscher aufzuschwingen. Von Aufarbeitung der Niederlage keine Spur. Nun ist der Mann gerupft, der eigentlich den Linksrutsch der SPD stoppen sollte. Sein Autoritätsverlust verheisst nichts Gutes: Die Umfragewerte fallen weiter. Ein Treppenwitz ist, dass Klingbeil zwar seine linke Ko-Vorsitzende Saskia Esken abblitzen ließ, er sich dafür aber als neue Ko-Vorsitzende Bärbel Blas einhandelte, die zwar nicht weniger links als Esken ist, aber ungleich beliebter als er selbst. Sie ist nun Bremsklotz bei der unausweichlichen Reform des Sozialstaats. Daran wird die Regierung entweder zerbrechen – oder versagen. Es ist die einzige realistische Alternative.
II.
Die größte Blendgranate der SPD ist übrigens Boris Pistorius. Was hat der Mann für einen Ruf! Pragmatisch, praktisch, gut. Der beliebteste Politiker, immer noch. Hat das, was Glück im Unglück genannt werden kann. Ohne den Kontrast nach einer verheerende Serie von Verteidigungsministerinnen aus beiden Regierungsparteien, würde das kantige Kinn des habituellen Nassrasierers nicht weiter auffallen. Ohne den Ukrainekrieg und ohne die von Trump erzwungene Wiederbewaffnung der Bundeswehr würde auch Pistorius nur vor sich selbst stramm stehen können. Die Bilanz seines Kommandos fällt bisher dennoch höchst bescheiden aus. Nur im Schönreden der Lage zeigt dieser Verteidigungsminister Klasse. Gerade hat er den Heeresinspekteur Alfons Mais in den Ruhestand versetzt, einem, der ganz wenigen Generäle, die nicht als gehorsame Konformisten aufstiegen. Als unbequem galt er, weil er die Bundeswehr zu Beginn des Ukrainekriegs als „mehr oder weniger blank“ bezeichnete – woran sich trotz der Milliarden bisher nichts geändert hat, da kann Pistorius sein Ministerium umorganisieren so oft er mag. Er zieht bei Beförderungen gefügige Parteisoldaten vor. Nichts Neues im Westen. Die Beschaffungsbürokratie ist nach wie vor ein Albtraum. Die Personalnot wird bleiben – und der Mangel an Verteidigungsbereitschaft auch. Dennoch steht dieser Verteidigungsminister quasi unter Naturschutz. Und zwar als Galionsfigur einer SPD der Mitte. Der Mann ist ein Täuschungsmanöver auf zwei Beinen. Die linken Pazifisten um den früheren Fraktionschef Mützenich bestimmen nach wie vor den Kurs der SPD mit.
III.
Wie reagiert der Kanzler auf den Niedergang des Koalitionspartners? Er vermeidet den notwendigen Konflikt mit Klingbeil, etwa in der Frage der versprochenen Stromsteuersenkung für alle. Auf einen Wortbruch mehr oder weniger kommt es ihm nicht an, wenn es nur dem Zusammenhalt der Koalition dient. Ausgerechnet an einem Schlüsselgesetz des grünen Klimairrsinns hält Merz fest – weil die SPD es verlangt. Das stundenlange Koalitionsgespräch in dieser Woche hat daran nichts geändert. Die SPD rutscht ab in die Bedeutungslosigkeit beim Wähler, nicht aber beim Kanzler. Denn ohne Mehrheit müsste Merz die Grünen in eine Dreierkoalition aufnehmen. Das wäre dann das endgültige Aus der Illusion einer bürgerlichen Mitte. Deshalb hat der Vorsitzende der CDU Merz verkündet, dass er als Ziel seiner Politik versteht, die SPD wieder zu einer Zwanzig-Prozent-Partei zu machen. Das bedeutet nichts anderes, als ihr weit mehr politisches Gewicht zuzugestehen, als es einer 16-Prozent-Partei entsprechen würde.
IV.
Nach dieser Methode behandelt der Kanzler auch die Opposition. Die Zehn-Prozent-Partei am linken Rand erfährt weit größeres Entgegenkommen und mehr Respekt als die Fünfundzwanzig-Prozent-Partei am rechten Rand. Weil sie für Zweidrittel-Abstimmungen gebraucht wird, ebenso wie die Grünen. Dieser Tatsache wird dann gern auch mal die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts geopfert und eine ideologisch motivierte Richterkandidatin ins Amt befördert. Das nennt sich dann Konsens der Demokraten, obwohl die Linke für eine mindestens so radikale Gesellschaftsveränderung steht wie die AfD. Doch lieber würde Merz untergehen als die Brandmauer zu schleifen. Das gegen die Wahlergebnisse gefühlte Übergewicht des linken Lagers (es reicht von der SED-Nachfolgepartei bis zur SPD) aber bewirkt nur eines: Es stärkt die AfD.
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Leute der Mitte finden keine sprachlichen Weg, um Pazifisten und Frauen ohne Verantwortungssinn in ihre Grenzen zu weisen. Klingbeil ist insbesondere wegen der vielen radikalen Frauen in der Partei unter Druck und wird darüber auch langsam kopulent: in seiner Haut möchte ich nicht stecken! Merz und Klingbeil versuchen zu retten, was zu retten ist, grosse Teile des Parlaments toben sich aber aus. Aus meiner Sicht ist unser Hauptproblem, dass all zuviele Frauen AUCH in der Politik zum Moralismus und zur Manipulation neigen und dem kaum etwas entgegen gesetzt werden kann: edle Frauen tun es nicht bei Geschlechtsgenossinen und Männer können… Mehr
Am tollsten war diese Verteidigungsministerin. Aber jetzt sind Frauen beim Wehrdienst wieder mal gleicher als gleich. Kein Wunder, wenn die mit Stöckelschuhen ins Feld ziehen. Was für eine Generation! Mannomann.
Es klingt widersinnig: in einer Koalition bestimmt der schwächere Partner die Richtung. Merz ist Kanzler von Gnaden der SPD, die über das Erpressungspotential verfügt. Sie kann ohne großen Schaden das Bündnis verlassen, viel tiefer geht es in der Wählergunst kaum noch.
Zum Thema Neuwahlen. Da ist zu fragen, wer etwas zu befürchten, wer etwas zu erhoffen hat. Die Antwort dürfte nicht schwerfallen.
Tja, Herr Merz ist von seinem Egoismus getrieben und die CDU/ CSU wollte an die Geld- und Machtverteilung. Solange die SPD dabeiblieb, war und ist es ihr recht! Alles „Schacherer“! Diese Scheindemokratie entwickelt sich zum Popanz.Vielleicht auch nur zur Lachnummer, so traurig es auch ist. Gute „M“acht Deutschland …
Wann verschwindet eine Partei? Wenn sie ihre Wähler verrät. So die SPD die Arbeiter, die FDP die Liberalen, die CDU die bürgerlich-konservative Mitte.
Den Handicap-Mechanismus für den politischen Handlungsspielraum der Union, den Wolfgang Herles hier richtig beschreibt, nenne ich die „Stockholm-Falle“. Die Geiselhaft ist selbstgewählt. Brandmauer und Anbiederung an die großen, der Union grundsätzlich eher kritisch bis feindlich gesinnten Medien, haben diese Falle werden lassen. Nicht mehr der Markenkern ist „Führungsgröße“ für das pol. Handeln, sondern die Gefallsucht, d.h. die von den Medien konstruierte und transportierte Außendarstellung und hier gilt das (quasi per definitionem) „Links ist gut“ als sakrosankt (obwohl etymylogisch das genaue Gegenteil wahr ist.). Diesen Paradigmenwechsel hat sich die Union über zwei Jahrzehnte aufzwingen lassen, die „Stockholm-Falle“ ist nun das nur… Mehr
Oh oh, VORSICHT am Zuge, der Bahnsteig fährt ab ;o) ! Federführende Kraft nach dem Interimskanzler war der Wahlverein für Merkel(chen)! Also die CDU/CSU. Und die wollte regieren und tates oder ließes, gerade so, wie es kam – mal mit der SPD mal mit der FDP. Hauptsache an den Schalthebeln zur Verteilung an Geld und Macht !!! Es ist an der Zeit, daß die Fehlentwicklungen aus dem GG endgültig abgeschafft werden und sich der SOUVERÄN auftragsgemäß eine Verfassung gibt. Daran sind aber ALLE gesellschaftlichen Gruppen zu beteiligen und nicht nur Abgeordnete der Parteien. Das fehlte gerade noch, daß diese Schranzen… Mehr
Wenn sich jemand gerade zum Finanzminister gekrönt hat, macht der auf mich keinen angeschlagenen Eindruck. Ist aber nur so ein Bauchgefühl von mir. Ich interessiere mich, weil ich kein Westdeutscher bin, nicht für Parteienherrschaft. Ich interessiere eher dafür, wie man sie los wird.
In wenigen Jahren wird man hierzulande gleich nach Hitler die ehemaligen bundesdeutschen Propagandamedien als übelste Verführer identifiziert haben.
Die SPD wird früher oder später -eher früher – mit der Linkspartei fusionieren, um die 5%-Hürde zu überspringen.
Da hätte ich noch eine Frage: Ist ein Volksbegehren zur Abwahl eines linksextremen Verfassungsgerichtshofes möglich? Ich denke an die Funktionsfähigkeit der Demokratie in Deutschland, bevor die SPD und der BlackRock-Merz alles in Grund und Boden treten.
Allein für „das kantige Kinn des habituellen Nassrasierers“ hat sich das Lesen dieses treffenden Artikels gelohnt. Aber, dass die AfD für „radikale Gesellschaftsveränderungen steht ist mir neu. Allerdings erscheinen radikale Politikveränderungen durchaus geboten.
Genau: Die „radikalen“ Ideen der AFD zu „Gesellschaftsveränderungen“ hießen vor Orwells Neusprech (nicht „1984“, sondern ab 2011) noch: „Vernunft“.
Eine AfD, die sich mit den ehemaligen SED-lern ins Nest legt, bekäme von mir kein Kreuzchen mehr.
Analyse fast korrekt. Denn der rechte Rand der extremen Linken ist die Union. Wobei sie nicht nur integraler Bestandteil des linksextremen Lagers ist, sonder sich zu seinem stabilisierenden Kern entwickelt.
P.S.: So etwas wie ein „bürgerliches.Lager“ hat es nie gegeben. Im wesentlichen war das immer nur eine habituelle Selbstüberhöhung von Menschen die nicht zum Geburtsadel gehörten, sich aber genau wie dieser für etwas besseres gehalten haben.