Parteien sind das Problem, nicht die Lösung

Nur in Deutschland ändert sich durch Wahlergebnisse nichts. Weil die Parteien der Gewerkschaft der Berufspolitiker - der Parteienstaat - mit den wirklichen Problemen des Landes in keiner Koalitionskonstellation anders umgingen als in der jetzigen: vorzugsweise gar nicht.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Lange habe ich überlegt, ob ich das auf TE wirklich anpacke. Warum? Weil ich beobachte, dass die Bereitschaft gering ist, die Dinge anders zu sehen als üblich. Darum aber genau geht es bei dem, das mich umtreibt. Also versuche ich es mit einer Serie von kurzen Darstellungen meines anderen Blickwinkels statt einer langen, zusammenhängenden Abhandlung.

Heute fange ich mit einer trivialen Frage an. Auch in Leserkommentaren finde ich immer wieder die Anmerkung, die Parteien, die es schon länger gibt, würden sich voneinander doch gar nicht mehr wirklich unterscheiden. Das sehe ich seit langem genau so. Doch diese Leser wie praktisch alle Zeitgenossen, deren Meinungen ich mitkriege, gehen zugleich wie selbstverständlich davon aus, dass die Dinge wieder ins rechte Lot oder erstmals auf die „richtige“ Spur kommen, wenn bloß die „richtigen“ Parteien genug Stimmen kriegen, weil sie dann für die „richtige“ Politik sorgen.

Der deutsche Parteienstaat ist nicht reformierbar

Das ist meine erste These in der Serie: Politische Parteien haben sich im deutschen Parteienstaat in einen Zustand hinein dermaßen fehlentwickelt, dass sie zur Lösung der heute drängenden Probleme nichts mehr beitragen können, weil der Parteienstaat selbst als besonders drängendes Problem dazu strukturell nicht fähig ist. Der deutsche Parteienstaat ist nicht reformierbar. Er kann sich weder am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, noch denselben trockenlegen. Ihn trocken zu legen, wäre der Selbstmord der Frösche. Das ist keine realistische Erwartung.

Kaum etwas ist schwerer, als sich von gewohnten Mustern und Rastern zu trennen. In allen Medien rauf und runter, in den alten wie den neuen, schaut jeder durch die Parteienbrille auf unsere Welt – selbst die meisten Autoren von TE. Alle bleiben in der politischen Wortwelt von links, rechts und Mitte, obwohl sich damit wie mit allen „Wieselwörtern“ kein Pudding an die Wand nageln lässt: hier der Blick durch die Parteienbrille keine Sehschärfe bringt, sondern jegliche verschwimmen lässt.

Die Parteien leben am Volk vorbei

Womit ich in dieser ersten Folge bei der Frage bin: Was sind die Parteien heute?  Artikel 21: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Dass Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, davon konnte allenfalls eine Zeit lang in der Bonner Republik die Rede sein. Spätestens seit den 1980ern lautet mein Befund, dass die Parteien nicht im Traum daran denken, das Volk an ihrer, der Parteien, politischen Willensbildung mitwirken zu lassen.

Doch damit nicht genug: In den Parteien selbst findet eine politische Willensbildung längst nicht mehr statt. Dass Parteiprogramme geschrieben und beschlossen werden, widerspricht dem nicht. Das sind wirkungslose Turnübungen von Parteimitgliedern, die sich trostlosen Geschäftsordnungsdebatten unterziehen. Wer in eine Partei ging, um bei der politischen Willensbildung mitzuwirken, also politisch mitzugestalten, hat meist die Flucht ergriffen. Dass die Parteien sich nach ihren Beschlüssen an diese nicht halten, ist bekannt (gekrönt durch Feudalherrin AM, die das erst nachträglich, nun schon vorher mitteilt).

Berufspolitiker sind der neue Adel

Was in den Parteien, scheinbar den Vorschriften der innerparteilichen Demokratie folgend, abläuft, ist nur noch die politische Kulisse für eine Berufspolitikerklasse, die sich wie im historischen Feudalismus selbst ergänzt. Damals lieferte der sogenannte Adel durch Erbfolge den Nachwuchs der herrschenden Klasse. Heute bestimmt eine Handvoll Leute an der Spitze der Bundestagsfraktionen, wer Berufspolitiker wird und bleibt (im Adel wurde in der Regel für eine qualifizierte Erziehung und Bildung gesorgt – im Neuadel Berufspolitiker nicht.)

Wahlen sind jedenfalls nicht der Vorgang, mit dem in Deutschland politische Weichen gestellt werden. Dazu mehr in der nächsten Folge, in der ich einen Unterschied zwischen Deutschland und allen Nachbarstaaten beschreibe, der in der veröffentlichten Meinung nie stattfindet. Nur in Deutschland ändert sich durch Wahlergebnisse nichts: Weil die Parteien der Gewerkschaft der Berufspolitiker (Parteienstaat)  mit den wirklichen Probleme des Landes in keiner Koalitionskonstellation anders umgingen als in der jetzigen (die Bundesländer einbezogen: den jetzigen). Wie sie mit den wirklichen Problemen umgehen? Vorzugsweise gar nicht.

In allen Ländern rund um Deutschland herum kann sich die dortige Politik durch Ergebnisse von Wahlen ändern, hat es da und dort schon getan und ist dabei, diesen Prozess der Veränderung fortzusetzen. Dazu mehr in der nächsten Folge.

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Kommentare ( 156 )

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Ivan de Grisogono
4 Jahre her

Die Berufspolitiker bilden sich tatsächlich ein Adel zu sein und, wie wir täglich beobachten, handeln als ob wir keine Demokratie sondern eine mittelalterliche Monarchie wären. Eine totale Selbstüberschätzung . Wenn man die Politiker -Kaste in D sieht denkt man in erster Linie an Unanständigkeit und Lumpenproletariat! Die Wähler sind nicht in der Lage politische Missgriffe zu entziffern oder verstehen. Wieso war es möglich das es so weit kommt, vielleicht wird der Autor eine Antwort anbieten? Auch 1933 waren de facto im Spiel weder Eliten noch Adel!

Sagen was ist
4 Jahre her

>Beuteland<

Die DOKU zum Thema lief im ÖR.

Manche kritischen Geister sehen Clans gleich den herrschenden Parteien.

Parteien können noch tiefer im Staatskonstrukt wirken.

Im Ergebnis kein Unterschied.

Deutschland immer Beuteland.

Ben Goldstein
4 Jahre her

Das Verhältniswahlrecht ist krachend gescheitert. Man sieht es im Moment ja auch in Israel. Der Repräsentant muss von den Stimmen der Wähler abhängig sein, sonst ist er kein Repräsentant. Ist er vom Parteivorstand abhängig, ist er ein Sacharbeiter der Parteispitze.

Marcel Seiler
4 Jahre her

„Lange habe ich überlegt, ob ich das auf TE wirklich anpacke“, sagt der Artikel.

Herr Goergen, auf einen Artikel mit grundsätzlicher Parteienkritik und Kritik am Parteienstaat von Ihnen habe ich seit längerem gewartet! Vielen Dank, dass er endlich kommt. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung.

Karl Schmidt
4 Jahre her

Die Parteien wirken nicht nur an der politischen Willensbildung mit, sondern eben auch an der Berichterstattung (ARD und Co.), der Rechtsprechung – an der Gesetzgebung und der Regierung sowieso. Und die Erneuerung in einem Land, das Volksabstimmungen nie gelernt hat, ist schwer: Die Neugründung einer Partei ist selten, ihrer Vertreter zunächst zerstritten und nicht selten skurril. Tritt Ordnung ein, hat sich das bekannte System schon etabliert und die Partei führt Zusehens ein Eigenleben. Wenn sie jedoch ihren Zweck insoweit nicht erfüllen können, bedarf es letztlich eben nicht nur einer Trennung von Staat und Kirche, sondern auch von Staat und Parteien.… Mehr

Sagen was ist
4 Jahre her
Antworten an  Karl Schmidt

>Beuteland<

Die DOKU zum Thema lief im ÖR.

Manche kritischen Geister sehen Clans gleich den herrschenden Parteien.

Parteien können noch tiefer im Staatskonstrukt wirken.

Im Ergebnis kein Unterschied.

Deutschland immer Beuteland.

spindoctor
4 Jahre her

„Elitenherrschaft“ der Plagiatsdoktoren und Studienabbrecher nennt man nochmal wie – Ochlokratie?

Elitenherrschaft ohne Eliten.

Beat.Buenzli
4 Jahre her

Aus Sicht der Politik mag der Berufspolitiker der neue Adel sein, auch wenn es nur der neue Partei-Adel sein kann. Aus Sicht der Bevölkerung sehe ich mehr Parallelen zum Gebrauchtwagenhändlern, die alles verschachern, was nicht nie und nagelfest ist, die den Abschluss um jeden Preis wollen, koste es was es wolle. Die nach dem Grundsatz des Börsenhandels leben: was interessiert mich mein Gewäsch von gestern. Die tatsächlich glauben einmal eine gute Rede gehalten zu haben legitimiert zu höheren politischen Weihen – mit nichten.

Markus Gerle
4 Jahre her

Die interessante Analyse von Herrn Goergen habe ich schon gestern gelesen, musste da aber auch mal was arbeiten. Daher erst heute mein Kommentar, weil ich eine interessante Diskussion erwarte und mich schon auf Teil 2 freue. Keine Diskussion jedoch ohne Widerspruch. Zitat: „Doch diese Leser wie praktisch alle Zeitgenossen, deren Meinungen ich mitkriege, gehen zugleich wie selbstverständlich davon aus, dass die Dinge wieder ins rechte Lot oder erstmals auf die „richtige“ Spur kommen, wenn bloß die „richtigen“ Parteien genug Stimmen kriegen, weil sie dann für die „richtige“ Politik sorgen.“ Das stimmt nach meinen Erfahrungen in meinem Umfeld nicht. Ihre Meinung… Mehr

Susanne R.
4 Jahre her

Vollste Zustimmung, Herr Goergen. Deshalb bin ich der AFD beigetreten, da sie mit der Prämisse „Mehr direkte Demokratie, weniger Staat“ angetreten sind. Allerdings werde ich mich auch nicht scheuen, dieser Partei auch wieder den Rücken zu kehren, sollten sie es sich im bestehenden System doch zu kuschelig machen. Für mich ( als durchschnittlich verdienende Arbeitnehmerin!) ist aber auch der unbezahlbare, ausufernde Sozialstaat das Problem. Arbeitsbedingt habe ich Einblick in Lohnabrechnungen und Überweisungen. Wenn an die Krankenkasse eines 35jährigen, ledigen Arbeiters mit Nettolohn von um die 2000 € um die 1000 € Gesamtbeitrag monatlich (!) überwiesen wird, läuft hier einiges falsch.… Mehr

ugartner
4 Jahre her

Auf den Punkt.