Anti-Terror-Gesetzgebung von Türkis-Grün in Österreich versus Pink-Rot in Wien

Hinter das Anti-Terror-Paket von Kurz sind viele Fragezeichen zu machen. Taktik statt Strategie ist hier in der Migrationsfrage genau so ein Fehler, wie es Ischgl in der Corona-Politik war.

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Ein neuer Straftatbestand „Politischer Islam“, das „lebenslange Wegsperren“ von verurteilten Terroristen, weitreichende Maßnahmen gegen Vereine und Moscheen bei Terrorpropaganda, Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft bei Doppelpässlern – das sind nur einige Beispiele für die von Bundeskanzler Kurz (Neue Volkspartei) und Vizekanzler Kogler (Grüne) der Presse vorgestellte Anti-Terror-Gesetze, die bis Dezember ausgearbeitet und im Februar vom Nationalrat beschlossen werden sollen.

Schlüsselsatz Kurz: „Wenn ein geistig abnormer Rechtsbrecher lebenslang weggesperrt werden kann, wenn er eine Gefahr darstellt, kann auch ein Terrorist lebenslang weggesperrt werden.“

— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) November 11, 2020

Bei der Beurteilung dieses Regierungsvorhabens hat SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner recht, dass es sich bisher nur um „Schlagworte und Überschriften“ handelt und um noch nichts Konkretes. Was NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger meint, hätte die FDP einst in Deutschland gesagt, vor Verschärfungen die bestehenden Gesetze ausschöpfen. Kein Wunder dass Grünen-Obmann Werner Kogler versicherte, das Anti-Terror-Paket sei menschenrechts- und verfassungskonform und werde gegen Terroristen aller Richtungen gelten. Auch klar die Reaktion der FPÖ, Klubobmann Herbert Kickl nennt das Paket „durchaus diskussionswürdig“, aber „nicht zu Ende gedacht.“

Kanzler Kurz ist ein Kommunikationsprofi. Mit dem Anti-Terror-Paket setzt er ein Signal, das in Österreich, aber auch darüber hinaus bis nach Brüssel sagt, wir ändern unsere Politik gegenüber dem „Politischen Islam“, was ja in Wahrheit nur heißen kann gegenüber der islamischen Immigration – sonst wäre die Ankündigung nichts wert. Wie weit Kurz kommt, steht erst fest, wenn der Nationalrat beschlossen hat.

Freunde der Freiheit durch Recht, also klassisch: der Herrschaft des Rechts müssen bei dem, was hier in Österreich geschehen soll, genau so kritisch hinschauen wie in Deutschland, wo mit und ohne Gesetzesänderungen von der Herrschaft des Rechts in vielen Fällen seit Beginn des neuen Jahrhunderts nicht mehr gesprochen werden kann.

Der interessante Unterschied zwischen Wien und Berlin besteht darin, dass es in Österreich eine Opposition gibt, die in essentiellen Fragen andere Vorstellungen hat als die Regierung und zugleich in der Lage ist, sich öffentlich Gehör zu verschaffen.

Kurz ist ein Kommunikationsprofi, sagte ich. Er ist im Unterschied zu praktisch allen Berufspolitikern nicht nur Taktiker, sondern auch Stratege. Aber auch Strategen machen Fehler. Kurz‘ bisher größter Fehler war Ischgl. Dort war er nur Taktiker, nicht Stratege. Er, seine türkisen und grünen Mitstreiter und die Landeshauptleute im Westen bedachten nicht, was geschehen musste, wenn Kurz am frühen Nachmittag des 13. März auf einer Pressekonferenz in Wien mitteilt, dass das Paznauntal und St. Anton am Arlberg unter Quarantäne gestellt werden: Nämlich dass Tausende von Touristen, darunter viele aus Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und den skandinavischen Ländern, chaotisch und fluchtartig das Weite suchen würden (was das für den neuen Lockdown bedeutet, den Kurz heute verkünden wird, in einem getrennten Beitrag).

Hier beim Anti-Terror-Paket macht Kurz wieder einen strategischen Fehler, denn die Ankündigung wird sich als bloße Taktik herausstellen. Der Vorwurf aller Oppositionsparteien, das Anti-Terror-Paket wäre nur Ablenkung von der Untersuchung des Versagens im Zusammenspiel, besser Nicht-Zusammenspiel von Verfassungsschutz (BVT), Polizei und Staatsanwaltschaft beim Wiener Attentäter, einem ethnischen Albaner mit österreichischer und nordmazedonischer Staatsangehörigkeit, wird sich um so mehr bestätigen, je weniger im Gesetzgebungsprozess von den Ankündigungen des Kanzlers Kurz übrig bleibt.

In Österreich gibt es eine tatsächliche Opposition. Besonders interessant finde ich, dass sich innerhalb dieser Opposition ein neues Zentrum bildet – die in Wien in diesen Tagen sehr wahrscheinlich zustandekommende Stadtregierung von SPÖ und NEOS, die der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig als „sozialliberale“ bezeichnet. Im Bundesland Wien wohnen 21,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung. Das gibt jeder Wiener Stadtregierung ein besonderes Gewicht. Jedenfalls ist die österreichische Parteienlandschaft in Bewegung – ganz im Unterschied zum erstarrten deutschen Parteienstaat. Türkis-Grün versus Pink-Rot: eine spannende Konstellation. Wettbewerb ist gut.

Doch Kurz und allen anderen steht die wirkliche Herausforderung weiter bevor: Ohne konsequente Schließung der Grenzen durch die Staaten an den Außengrenzen der EU mindestens im Süden und Südosten und eine Rückführung der zu 95 Prozent in Wahrheit nicht Geflohenen lässt sich in Europa die Herrschaft des Rechts nicht wiederherstellen. Aber vielleicht hat Sebastian Kurz die Ausdauer, dafür in Österreich und in der EU weiter einzutreten. In Deutschland ist da keine Hoffnung in Sicht. Aber der Deutschen Tradition ist es ja schon immer, stets zu spät zu kommen.

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