Expertenstimmen unterdrückt: Die Mitverantwortung der alten Twitter-Führung

Bei der Anhörung von vier ehemaligen Twitter-Offiziellen vor dem Kongress ergaben sich neue Tiefen der staatlichen Beeinflussung der Social-Media-Plattform. Besonders explosiv fiel die Befragung von Nancy Mace aus, die die unterdrückten Stimmen von Medizinern und anderen Experten beklagte. Nicht einmal CDC-Graphiken waren vor den Zensoren sicher.

Befragung der alten Twitter-Führung vor dem US-Kongress am 9. Februar 2023, von links: James Baker, Vijaya Gadde, Yoel Roth, Anika Collier Navaroli

Vijaya Gadde, geboren im indischen Hyderabad, aber in Texas aufgewachsen und vorbildlich in ihr linksdemokratisches Umfeld integriert, ist die einstige Leiterin der Twitter-Abteilung für Rechtsfragen und Vertrauen (Legal Policy and Trust). Am 27. Oktober letzten Jahres wurde sie von Elon Musk entlassen. Sie war sozusagen die Chefjuristin der alten Twitter-Führung und hatte als solche im Jahr 2018 erklärt, dass es auf Twitter keine Praxis namens „shadow ban“ gebe, also keine sanfte Verbannung im Schatten junger Mädchenblüte. Doch die Twitter Files der Journalistin Bari Weiss ergaben, dass es eben doch so etwas gab, es hieß nur anders: „Visibility Filtering“ („Sichtbarkeitsfilterung“) oder „Do Not Amplify“ („Nicht verstärken“).

Nun wurde Gadde neben dem ehemaligen Leiter der Abteilung für „Vertrauen und Sicherheit“, Yoel Roth, und weiteren Mitgliedern der alten Twitter-Führung vom Kongress befragt. Die Twitter Files, deren volle Tiefe und Breite wohl noch nicht ausgeschöpft sind, haben so erste Spuren im parlamentarischen System der USA hinterlassen. Vertrauens-Chef Yoel Roth war zuletzt durch seinen (weitgehend inneren) Widerstand gegen die Behauptungen des Projekts „Hamilton 68“ aufgefallen, wonach es eine russische Bot-Armee auf Twitter geben sollte, die sich inzwischen als eine Armee gesetzestreuer Bürger verschiedener Länder der Anglosphäre erwiesen hat.

Yoel Roths Heldentaten und Wehklage

Roth erzählte dem Kongress, er habe persönlich „hunderttausende Profile aus Russland, dem Iran, China und anderen Ländern“ gefunden, die versucht hätten, einen „Kulturkrieg“ anzufachen und die amerikanische Gesellschaft zu spalten. Den Kompass seines Handelns fasst er dabei so zusammen: „Uneingeschränkte Redefreiheit bedeutet paradoxerweise nicht mehr, sondern weniger Rede.“

Besonders kritisch durchdacht scheint diese „Moderation“ von Twitter-Inhalten nicht gewesen zu sein. In jedem Fall ist die Beschreibung der Methode lückenhaft und geradezu fadenscheinig. Die bei der Filterung von Meinungen und Aussagen angewandten Prinzipien werden nicht erkennbar. Und um chinesische „Bots“ ging es bisher zumindest in der öffentlichen Diskussion kaum. Eher schon tauchte China in dieser schönen neuen Welt als Überbringer der richtigen, strikten Covid-Strategie auf.

Daneben beklagte Roth sich vor dem Kongress, dass er und andere Twitter-Mitarbeiter durch die Enthüllungen namens „Twitter Files“ persönliche Konsequenzen hinnehmen mussten. Nachdem ein Zeitungsbericht (angeblich in der Daily Mail) seine Privatadresse veröffentlicht hatte, musste Roth umziehen und sein Haus verkaufen. Die Abgeordnete Eleanor Holmes Norton (Democrats, District of Columbia) befand, das seien „sehr reale Konsequenzen“. In Manila soll Twitter-Mitarbeitern sogar noch Schlimmeres passiert sein, glaubt man Roth.

Willfährige Einschränkung der Meinungsfreiheit für die „Demokratie“

Schwer taten sich alle Ex-Twitter-Offiziellen mit einer befriedigenden Erklärung dafür, welche Redebeiträge sie zensierten und warum. Die Beauftragte für „U.S. Safety Policy“, Anika Collier Navaroli, erläuterte die Sicherheitspolitik des Unternehmens mit Blick auf die US-Innenpolitik so: „Wenn wir nichts tun, wird es erneut zu Gewalt kommen.“ Also Twitter, der Raum der Redefreiheit, als Tonikum für die amerikanische Wut? Das ist zumindest paradox. Es ging den Leuten bei Twitter offenbar weniger um Meinungsfreiheit als um den vermeintlichen „Erhalt der Demokratie“, wie schon andernorts auf TE festgestellt wurde.

Die Ex-Leiterin der Rechtsabteilung, die Anwältin Vijaya Gadde, rechtfertigte in ihrem Eingangsstatement die Twitter-Blockade des NY-Post-Artikels über Hunter Bidens Laptop mit der originellen Begründung, dass die Bilder zu dem Artikel so aussahen, als seien sie durch Hacking entstanden. Erst viel später, dann aber „innerhalb von 24 Stunden“ (Gadde) sah man seinen Fehler ein. Auch Yoel Roth stimmt in die späte Entschuldigung wegen der Sperrung ein. Anscheinend sind Schadensersatzforderungen der New York Post in der Sache ausgeschlossen. Tatsächlich war all das Absicht gewesen und vermutlich vom FBI in die Wege geleitet worden.

Außerdem ging aus Roths Befragung hervor, dass sich die Twitter-Führung auch vom gewählten Präsidenten Biden umstandslos vor den eigenen Karren spannen ließ. Diversen Bitten des Weißen Hauses um Löschung kompromittierender Tweets über Hunter Biden kam man umgehend nach. Die kurze Antwort an Biden senior war: „Handled these“ – „erledigt“.

„Überstunden für die Unterdrückung zutreffender Informationen“

Besonders explosiv fiel die Befragung Vijaya Gaddes durch die republikanische Abgeordnete Nancy Mace (South Carolina) aus. Mace erzählt, dass sie unter „Long Covid“ gelitten habe, aber daneben vor allem durch ihre zweite „Impfung“ starke Nebenwirkungen wie Asthma und Brustschmerzen entwickelt habe. (Die Frage ist, ob nicht auch jenes Long Covid zu den mRNA-Nebenwirkungen zählt, wie manche vermuten.) Mace stellte fest, dass die Twitter Files nicht nur um Hunter Bidens Laptop kreisen: „Die Twitter Files machen deutlich, dass man bei Twitter Überstunden machte, um zutreffende Informationen zu Corona zu unterdrücken.“

Die Beispiele namhafter Wissenschaftler und Fachleute, deren Einsichten zum Coronavirus durch Twitter unterdrückt oder weitgehend unsichtbar gemacht wurden, sind inzwischen Legion. Mace erinnerte an den Mediziner und Gesundheitsökonomen in Stanford, Prof. Jay Bhattacharya, dessen Tweet über natürliche Immunität auf einer „Trends Blacklist“ landete – also nicht in der beliebten Liste der aktuellen Trends auf der Seite auftauchen konnte. Das hemmte natürlich eine breitere Diskussion seiner Ansichten. „Anscheinend sind die Ansichten eines Stanford-Mediziners für Sie [das heißt die alte Twitter-Führung] Desinformation.“

Auch die einordnenden Äußerungen des schwedischen Biostatistikers und Harvard-Professors, Martin Kulldorff, zur Notwendigkeit oder nicht der „Impfung für alle“ fanden keine Gnade und sollten, wie die Twitter Files schon im Dezember aufdeckten, als „falsch“ oder „irreführend“ gekennzeichnet werden.

Von Gadde wollte Nancy Mace zunächst wissen, ob und wo sie Medizin studiert habe. Als Gadde die Frage verneinte, fuhr Mace mit der Frage fort, woher sie also die medizinische Expertise nehme, um die Fachmeinung von Ärzten auf Twitter zu zensieren. Gadde wandte ein, dass man bei Twitter ja nur versucht habe, „Individuen zu schützen“, die mit dem Forum in Berührung kommen. Doch Mace überzeugte das nicht: „Sie haben Ärzte, die in Harvard und Stanford, an den besten Orten der Welt ausgebildet wurden, zensiert und deren Stimmen zum Schweigen gebracht.“

Auf dem Hintergrund auch ihrer eigenen Geschichte fand Mace es beunruhigend, dass die „zügellose Zensur von Twitter“ nicht einmal vor dem medizinischen Bereich Halt gemacht habe. Davon seien nun Millionen von Amerikanern betroffen. Expertenmeinungen von Ärzten seien unterdrückt und diejenigen seien zensiert worden, die nicht mit dem CDC übereinstimmen. Sie selbst bereue es „sehr, dass ich mich habe impfen lassen, weil ich jetzt gesundheitliche Probleme habe, von denen ich nicht glaube, dass sie jemals verschwinden werden“. Sie wisse zudem, dass viele Amerikaner ähnliche Sorgen haben.

Sogar offizielle CDC-Daten konnten zum Störfaktor werden

Die Sperrpraxis bei Twitter ging aber sogar noch weiter. Selbst das Teilen von offiziellen Verlautbarungen des amerikanischen Center for Disease Control (CDC) war offenbar nicht zu allen Zeiten für alle Twitter-Nutzer möglich. Gadde weiß zunächst nicht, wovon Mace spricht. Der Tweet, den Mace dann zeigte, enthält eine CDC-Tabelle. In dem Schaubild seien Daten einer US-Behörde aufbereitet gewesen, spottete Mace: „Es ist lächerlich, dass wir dieses Gespräch heute überhaupt noch führen müssen.“ Der ganzen Wahrheit halber muss man sagen, dass der Nutzer die Tabelle aus eigener Sicht gedeutet und kommentiert hat, woran wohl auch nichts verkehrt ist. Es ging um die Zahl der Covid-Toten, die gemäß dem Nutzer eben nicht die größte Gruppe ausmachte. Vielmehr habe das CDC die Todesfälle durch Krebs, Herzerkrankungen und aus anderem Krankheitsgrund ignoriert.

Dass der Tweet mit seiner unabhängigen Interpretation von Behördendaten potentiellen Sprengstoff für die öffentliche Meinung darstellte, ist klar. Dass das die Spürhunde im Weißen Haus und bei Twitter (und überall dazwischen) aufweckte, scheint auch naheliegend.

„Es geht nicht nur um den Laptop“, also letztlich um Wahlkampffinten, wie Mace feststellt. „Es geht um medizinische Ratschläge, die erfahrene Ärzte den Amerikanern zu geben versuchten, während Social-Media-Unternehmen wie Twitter ihre Stimmen zum Schweigen brachten.“ Das Fazit der Kongressabgeordneten könnte kaum vernichtender ausfallen: Twitter sei vor der Übernahme durch Musk eine „Filiale des FBI“ gewesen, die medizinische Fachleute zensiert und so die Leben von „realen Amerikanern“ gefährdet habe.

Twitter ein Arm des FBI und anderer Behörden?

Twitter-Mitarbeiter bei Kongressanhörung:
Twitter-Files: Anhörung zu Hunter-Biden-Laptop zeigt Notwendigkeit tieferer Recherchen
Auch Gadde musste – so wie ihr Nebenredner Yoel Roth – zugeben, dass die Einflussnahme aus dem Weißen Haus und von anderen Regierungen rund um den Erdball zum Teil sehr direkt gewesen war, bezeichnete die Forderungen der Regierungsoffiziellen aber als „rechtliche Forderungen“. Dieser Begriff scheint im Munde einer (erfahrenen) Juristin und Anwältin maßlos überdehnt und sich auf alle Arten von Einwänden gegen bestimmte Ansichten und Darstellungen zu beziehen.

Zur Rolle des FBI – aber auch anderer Stellen wie des Department of Homeland Security (DHS) – hat auch der Twitter-Files-Autor Matt Taibbi viel beigetragen. Er stellte eine Art konzertierte Aktion der Sicherheitsdienste rund um Twitter und andere Social-Media-Plattformen fest, von denen Inhalte erst „geerntet“ würden, um sie dann wieder einzuschränken und in geordnete Bahnen zu lenken. „Es ist faszinierend“, so Taibbi in einem Video.

Twitter und ähnliche Plattformen wären dann – auch – Informationsarme der Geheimdienste. Krakenarme, die jedes Gefäß fest umklammern, in dem sich eine kritische Öffentlichkeit bilden könnte. Der Deckel soll nicht herunter. Wirklich kritisch und geradezu heikel wird die Lage da, wo eine kuratierte virtuelle Wirklichkeit auf Twitter ihren Abdruck in der „realen“ Wirklichkeit der Menschen findet. Und wo genau das die Absicht von Regierungsbehörden oder Parteileuten im Weißen Haus ist. Beide Welten dürften zudem auch in den Staaten zum Teil undurchdringbar miteinander verflochten sein.

Anzeige

Unterstützung
oder