Mercosur: Wie sich Ursula von der Leyen über den Tisch ziehen ließ

Das Freihandelsabkommen zwischen Brüssel und den sogenannten Mercosur-Staaten ist um einen Skandal reicher: Die Südamerikaner haben für sich eine bevorzugte Behandlung ausgerechnet bei der Entwaldungsverordnung EUDR festschreiben lassen. Und nicht nur das.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matilde Campodonico

Die Industrie liebt den Deal, weil sie auf neue Absatzmärkte in Südamerika hofft. Landwirte und Forstbetriebe hassen den Deal, weil sie schlecht regulierte Billig-Konkurrenz aus Südamerika fürchten.

Zurecht, wie sich gerade zeigt.

Erst jetzt – nachdem der Vertrag hinter verschlossenen Türen unter Dach und Fach gebracht wurde – sickert durch: Im Freihandelsabkommen mit der EU konnten die sogenannten Mercosur-Staaten in einem wichtigen Punkt eine bevorzugte Behandlung für sich erreichen. Bei der Einschätzung des Entwaldungsrisikos im Rahmen der Entwaldungsverordnung (EUDR) wird ihnen eine „wohlwollende“ Berücksichtigung garantiert.

Und das ist viel bedeutender, als es klingt.

Nach der „EU Deforestation Regulation“ dürfen Produkte wie Holz, Kaffee, Kakao, Palmöl und Soja künftig nur noch dann in der EU verkauft werden, wenn dafür nach 2020 keine Wälder abgeholzt wurden. Konkret müssen Unternehmen künftig eine Sorgfaltserklärung abgeben, dass für ihr Produkt nach dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder geschädigt wurde. Wer sich nicht an die Vorschriften hält, muss mit Strafen in Höhe von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes in der EU rechnen. Große Marktteilnehmer sind ab dem 30. Dezember 2025 verpflichtet, die Vorgaben umzusetzen. Kleinst- und Kleinunternehmen haben, wie großzügig, noch bis zum 30. Juni 2026 Zeit.

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Mit der EUDR soll vor allem die Abholzung des Regenwaldes im südamerikanischen Amazonasgebiet bekämpft werden. Die EU fühlt sich dafür zuständig, wie für eigentlich alles andere ja auch. Vielen Ländern in den betroffenen Gebieten ist die Regelung aber schon länger ein Dorn im Auge – speziell den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Mercosur ist die Abkürzung für den „Gemeinsamen Südamerikanischen Markt“ (Mercado Común del Sur). Zu dem regionalen Zusammenschluss gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela – alles Länder mit relevanten Regenwald-Gebieten.

Ausgerechnet diese Staaten – deretwegen die EUDR einst maßgeblich erfunden wurde – sollen bei der Entwaldungsrichtlinie nun eine „leicht bessere Behandlung“ als andere Staaten bekommen. Das hat, so nebenbei, die EU jetzt eingeräumt. Im neuen Annex zum Kapitel „Handel und nachhaltige Entwicklung“ des Abkommens steht in Artikel 56:

„Die EU anerkennt, dass dieses Abkommen und die Maßnahmen zur Umsetzung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen neben anderen Kriterien bei der Risikoeinstufung von Ländern wohlwollend berücksichtigt werden sollen.“

In der Sprache der Eurokraten heißt das: Bei der Risikoeinstufung der Mercator-Staaten wird die EU nicht so genau hinsehen. Und das ist bares Geld wert, denn Produkte aus Hochrisikoländern werden wesentlich sorgfältiger daraufhin überprüft, ob sie die EUDR-Vorgaben erfüllen.

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Unterm Strich hat die EU also eine Entwaldungsrichtlinie vor allem für südamerikanische Staaten. Bei den wichtigsten betroffenen südamerikanischen Staaten will sie diese Richtlinie aber nur oberflächlich anwenden.

Es ist längst nicht das einzige unverständliche Zugeständnis, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemacht hat, um endlich die Lorbeeren für das Freihandelsabkommen kassieren zu können.

Denn trotz der Besserstellung bei der Entwaldungsverordnung haben die Mercosur-Staaten Angst, dass die EUDR-Verordnung sich immer noch so stark auf ihre Exporte in die EU auswirken könnte, dass ihren Bauern die im Abkommen großzügig eingeräumten zusätzlichen Einfuhrquoten gar nichts nützten.

Um für diesen Fall einen Hebel in die Hand zu bekommen, haben die Mercosur-Länder auch noch eine erhebliche Ausweitung des Mechanismus zur Streitschlichtung verlangt – und bekommen. Der greift laut Verhandlungstext nun auch schon dann, wenn eine Vertragspartei einen Vorteil der anderen Vertragspartei „zunichtemacht oder wesentlich beeinträchtigt“. Dabei ist die Klausel nicht auf die Entwaldungsverordnung beschränkt.

Brüssel selbst räumt auf Nachfrage hörbar zähneknirschend ein, dass ein derart weitgefasster Mechanismus zur Streitschlichtung in Freihandelsabkommen der EU absolut unüblich ist. Man habe hier nachgegeben, weil die Mercosur-Staaten ihrem heimischen Publikum einen politischen Erfolg vorweisen wollten.

So ist das halt in Ländern, in denen das Wahlvolk noch wichtig ist. Die EU-Kommission muss sich über solche Kleinigkeiten ja keine Gedanken mehr machen.

In den USA zieht gerade ein politischer Führer ins Weiße Haus mit der Parole ein: America first. Das Motto in Brüssel lautet eher: Europe last.

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Kommentare ( 26 )

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Johann Thiel
1 Monat her

Einer VdL ist doch völlig egal was aus Europa wird, wenn sie nur eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung findet.

StefanH
1 Monat her

Zu dem regionalen Zusammenschluss gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela – alles Länder mit relevanten Regenwald-Gebieten.“
Ähm, also, Venezuela ist schon vor ziemlich geraumer Zeit aus dem Mercosur rausgeflogen, und abgesehen davon, wie kommt ihr denn eigentlich darauf? Argentinien hat ein Fleckchen Regenwald oben in Misiones, Paraguay oben im Norden ein etwas größeres Fleckchen, Brasilien ist voll davon und in Uruguay hat’s nicht mal ein Bäumchen Regenwald.

Teiresias
1 Monat her

Das ganze Verhalten vdL`s – von „Pharmadeal“ per sms bis Mercosur – macht ausschliesslich Sinn, ewnn man unterstellt, daß sie eigentlich Statthalterin der USA für die unterworfene US-Provinz Europa ist.

Genau wie bei ihrer speziellen Freundin Merkel passen all ihre „Fehler“ auf wundersame Weise zu den geostrategischen Interessen der USA.

Entweder sie arbeitet für die USA, oder ihr gesamtes Wirken besteht aus willkürlichen, zusammenhanglosen Fehlern, die in einer erstaunlichen Aneinanderreihung von Zufällen für die US-Hochfinanz nützlich ist –

eins von beidem muss es sein. Oder hat jemand eine dritte Idee?

Last edited 1 Monat her by Teiresias
schwarzseher
1 Monat her

Frau v. d. Leyen kann man nicht über den Tisch ziehen, sie macht alles, um in den Medien zu bleiben freiwillig und bewußt. Zur Befriedigung ihrer krankhaften Eitelkeit und Gefallsucht ist ihr jedes, wirklich jedes Mittel recht.

Casa Done
1 Monat her

Gibt´s bei diesem Abkommen eigentlich auch nur (gelöschte) SMS?

Jens Frisch
1 Monat her

Mit Verlaub: Uschi vdL hat nicht „sich über den Tisch ziehen lassen“ sondern die 448 Millionen EU Bürger einem ungleichen Wettbewerb ausgeliefert, bei dem diese nicht mithalten können – angefangen bei Sprit- und Arbeitskosten liegen dazwischen Welten.
Hoffentlich sorgt Trump für ihren Abgang!

November Man
1 Monat her

Eine von der Leyen lässt sich nicht über den Tisch ziehen. Die fragt vorher: Was habe ich davon wenn ich unterschreibe? So läuft das nicht nur in der Wirtschaft, Einkauf und Beschaffung, sondern auch in der linken Politik.
Siehe auch Beschaffung von unwirksamen Impfstoffen in Milliardenhöhe.

Last edited 1 Monat her by November Man
Winni
1 Monat her

Die Ursula lässt sich nicht über den Tisch ziehen. Sie zieht selbst über den Tisch, und zwar uns.

elly
1 Monat her

und bei der nächsten UN Weltklimakonferenz, UN Umweltkonferenz, UN Weltplastikkonferenz, Weltwüstenkonferenz wird dann wieder der „globale Norden“ an den Pranger gestellt, schließlich beutet der „globale Norden“ den „globalen Süden“ aus, ist schuld an der Weltklima“katastrophe“, Weltumweltkatastrophe, Abholzen des Regenwaldes, Verseuchung des Amazonas mit Gülle, Wasserknappheit, dass die Wüsten sich ausbreiten … das alles kann nur behoben werden, wenn die EU und vor allem Deutschland viel, viel mehr CO2 Preis bezahlen, in Weltklima-, Weltumwelt-, Weltsonstwas Fonds ganz viel Geld stecken..

November Man
1 Monat her

Der brasilianische Bauer mit 5 Rindern wird jetzt wegen Mercosur-Abkommen, das seinerzeit schon Merkel und der bandscheibengeschädigte Junker gefeiert haben, zum Rinderbaron mit 5000 oder noch mehr Rindern. Dazu braucht er Platz und Weideland. Eine „EU Deforestation Regulation“ kennt der Bauer nicht. Dann wird der fürs Klima wichtige Regenwald abgebrannt oder besser abgeholzt. Weil brennen kann es im Regenwald nicht. Wenns dann aber außen herum brennt, ist anschließend der Klimawandel schuld. Und am Klimawandel sind die Deutschen schuld. Und dann müssen wir noch mehr bezahlen. Der Kreislauf schließt sich.